Behandelter Abschnitt Jes 5,1-2
Der Vergleich von Kapitel 5 mit Kapitel 6 veranschaulicht sehr eindrucksvoll die Wege Gottes im Gericht über sein Volk. Sie sind ganz unterschiedlich. In der Tat setzt Kapitel 6 äußerlich abrupt ein und unterscheidet sich sogar von dem, was bis einschließlich Kapitel 9,7 folgt. Dieser ganze dazwischenliegende Abschnitt (Kap. 6,1–13) bildet eine auffallend eigenartige Klammer, aber eine Klammer von großem Interesse und tiefer Belehrung; danach werden die in Kapitel 5 begonnenen und sich verdichtenden Katastrophen Israels und des Landes wieder aufgenommen, bis hin zu ihrer mächtigen und ewigen Befreiung, die noch auf ihre Vollendung am jüngsten Tag wartet.
Aber wenn diese Kapitel auch zeitlich voneinander getrennt sind, wie es zweifellos der Fall ist, so hat der Geist Gottes sie doch zu unserer besseren Ermahnung unmittelbar nebeneinandergestellt. In der Tat sind sie das zweifache Prinzip oder der Maßstab des Urteils, das Gott auf sein Volk anzuwenden pflegt. In dem einen möchte Er, dass wir zurückblicken, in dem anderen nach vorne schauen; in dem ersten misst Er an allem, was Er für sie getan hat, was sie Ihm gegenüber hätten sein sollen; in dem zweiten beurteilt Er sie nach seiner eigenen Herrlichkeit, die sich in ihrer Mitte offenbart. Das eine antwortet auf das Gesetz, durch das die Erkenntnis der Sünde ist; das andere auf die Herrlichkeit Gottes, wobei kein Mensch heranreicht (Röm 3,20.23)
In Kapitel 5 singt der Prophet ein Lied vom Herrn, seinem Wohlgefallen, über seinen Weinberg. Schon Moses hatte (5Mo 32) ein Lied in die Ohren Israels gesprochen, das in herrlicher Sprache die souveräne Erwählung und den Segen Gottes, die Sünden und die Bestrafung des Volkes, aber auch seine endgültige Barmherzigkeit gegenüber seinem Land und Volk feiert, mit dem sich die verschonten Nationen freuen würden. Unser Kapitel nimmt einen engeren Bereich in den Blick.
Nun will ich singen von meinem Geliebten, ein Lied meines Lieben von seinem Weinberg: Mein Geliebter hatte einen Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel. Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben; und er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus; und er erwartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte schlechte Beeren (5,1.2).