Behandelter Abschnitt Spr 22,22-29
Die Sprüche in den Versen 22–29 haben alle einen Verbotscharakter, außer dem letzten, der ein positives Beispiel ist, dem man folgen und das man ehren sollte.
Beraube nicht den Armen, weil er arm ist, und zertritt nicht den Elenden im Tor. Denn der Herr wird ihre Rechtssache führen und denen, die sie berauben, das Leben rauben.
Geselle dich nicht zu einem Zornigen, und habe keinen Umgang mit einem hitzigen Mann, damit du seine Pfade nicht lernst und einen Fallstrick für deine Seele davonträgst.
Sei nicht unter denen, die in die Hand einschlagen, unter denen, die für Darlehen Bürgschaft leisten. Wenn du nichts hast, um zu bezahlen, warum soll er dein Bett unter dir wegnehmen?
Verrücke nicht die alte Grenze, die deine Väter gemacht haben.
Siehst du einen Mann, der gewandt ist in seinem Geschäft – vor Königen wird er stehen, er wird nicht vor Niedrigen stehen (22,22–29). „Beraube nicht den Armen, weil er arm ist, und zertritt nicht den Elenden im Tor. Denn der Herr wird ihre Rechtssache führen und denen, die sie berauben, das Leben rauben“ (V. 22.23). Es mag eigenartig erscheinen zu sagen: „Beraube nicht den Armen“, und insbesondere „weil er arm ist“; aber es ist eine Warnung, besonders bei der niederen, selbstsüchtigen und grausamen Natur des Menschen. Die Reichen, die den Skrupellosen als die einladende Beute erscheinen könnten, sind in der Lage, für sich selbst auf eine Art und Weise zu sorgen, die die Armen nicht ausprobieren würden oder könnten. Daher schmeicheln schlechte Menschen den Reichen, um sich zu bereichern, während sie auch die berauben oder unterdrücken, die eigentlich ihr Mitleid wecken sollten. Aber der Herr hat sein Auge auf solches Verhalten von Schurken gerichtet, genau im Tor, wo die Gerechtigkeit hervorkommen sollte, setzt sich für die Sache der Armen und Bedrängten ein und erstattet denen, die sie berauben, schweres Unrecht. „Geselle dich nicht zu einem Zornigen, und habe keinen Umgang mit einem hitzigen Mann, damit du seine Pfade nicht lernst und einen Fallstrick für deine Seele davonträgst“ (V. 24.25). Mit jemandem, der zum Zorn neigt, ist es schwer, Freundschaft zu behalten, und unsicher, einen Freund zu finden; und mit einem wütenden Menschen zu gehen, bedeutet, das Risiko einzugehen, seine Wege zu erlernen, und so eine Schlinge statt eine Abschreckung zu bekommen. Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen, sagt der Apostel; ihn darin nicht zu hören, heißt, dem Teufel Platz einzuräumen. Auch wenn wir schwerwiegende Gründe haben, ist das einzig richtige christliche Verhalten, zu vergeben; und wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen nicht vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben. Ihr, die ihr langsam seid, euer Unrecht zu vergessen, vielleicht eingebildet, glaubt ihr den Worten Christi? „Sei nicht unter denen, die in die Hand einschlagen, unter denen, die für Darlehen Bürgschaft leisten“ (V. 26). Wenn man sich der Pflicht bewusst wäre, dass man bei jedem Geschäft, das man abschließt, oder bei jeder Bürgschaft, die man eingeht, bezahlen muss, würde man ernsthaft überlegen, ob Gott den Weg billigt und führt. Aber wie die Ertrinkenden nach einem Strohhalm greifen, um zu überleben, so verlieren die Unvorsichtigen ihre eigenen Mittel und suchen dann ihre vertrauensvollen Freunde zu Hilfe zu ziehen, auch wenn diese wenig oder nichts zu entbehren haben. Es ist eine Lappalie, sagen sie, oder eine bloße Form ohne Risiko; denn es ist sicher zu beantworten. Die Übermütigen und Unvorsichtigen verstricken sich so in ihr eigenes Verderben. Wie unscheinbar und scharf der Hinweis! „Wenn du nichts hast, um zu bezahlen, warum soll er dein Bett unter dir wegnehmen?“ (V. 27).
Verrücke nicht die alte Grenze, die deine Väter gemacht haben“ (V. 28). Dann wird eine andere Unehrlichkeit getadelt, bei der die Menschen eher mit List als mit offener Gewalt zu betrügen geneigt sind. Die alte Grenze, die deine Väter gesetzt haben, sollst du beachten und kein begehrliches Verlangen zulassen. „Siehst du einen Mann, der gewandt ist in seinem Geschäft – vor Königen wird er stehen, er wird nicht vor Niedrigen stehen“ (V. 29). Zuletzt ist es gut, einen Mann zu betrachten, der fleißig in seiner Arbeit ist, in einer Welt, in der so viele ihre Zeit, Sorgfalt und Arbeit missgönnen. Es ist kein Wunder, dass jemand, der sein Geschäft mit Gewissenhaftigkeit und Geschicklichkeit erledigt, sich mit der Zeit zu einem Objekt der königlichen Ehre, wenn nicht gar der Not macht und die Undurchsichtigen hinter sich lässt, mit deren Gesellschaft er begonnen hat. Diejenigen, die regieren, schätzen die gewerbliche Integrität.
Spr 23,1
Behandelter Abschnitt Spr 231-8
In Kapitel 23,1–8 haben wir die Warnungen der Weisheit vor Selbstbelohnung und dem Streben nach Reichtum, der ihre Mittel liefert.
Wenn du dich hinsetzt, um mit einem Herrscher zu speisen, so beachte wohl, wen du vor dir hast; und setze ein Messer an deine Kehle, wenn du gierig bist. Verlange nicht nach seinen Leckerbissen, denn sie sind eine trügerische Speise.
Bemühe dich nicht, reich zu werden, lass ab von deiner Klugheit. Willst du deine Augen darauf hinfliegen lassen, und siehe, fort ist es? Denn sicherlich verschafft es sich Flügel wie ein Adler und fliegt zum Himmel.
Iss nicht das Brot des missgünstig Blickenden, und verlange nicht nach seinen Leckerbissen. Denn wie einer, der es abmisst in seiner Seele, so ist er. „Iss und trink!“, spricht er zu dir, aber sein Herz ist nicht mit dir. Deinen Bissen, den du gegessen hast, musst du ausspeien, und deine freundlichen Worte wirst du verlieren (23,1‒8).
In Lukas 16 schildert unser Herr den leichtlebigen Reichen – keinen Ungläubigen, sondern einen Rechtgläubigen –, der lebte, um sich zu verwöhnen, gekleidet in Purpur und feine Leinwand, und der jeden Tag in Pracht und Herrlichkeit lebte. Aber, tot und begraben, im Hades hob er seine Augen auf und war in Qualen, die unmittelbare Folge des Lebens für sich selbst und nicht für Gott. „Wenn du dich hinsetzt, um mit einem Herrscher zu speisen, so beachte wohl, wen du vor dir hast; und setze ein Messer an deine Kehle, wenn du gierig bist. Verlange nicht nach seinen Leckerbissen, denn sie sind eine trügerische Speise“ (V. 1–3). Aber hier ist es eher die Gefahr für jemanden, der nicht an Luxus gewöhnt ist; und ihm wird gesagt, er solle bedenken, was oder wer vor ihm ist, und eher ein Messer an seine Kehle zu setzen als der Selbstsucht nachzugeben. „Gib uns heute unser ausreichendes [oder notwendiges] Brot“, wie der Herr seine Jünger zu beten aufforderte. Leckereien waren schon für einen Juden eine trügerische Nahrung, wie viel mehr für einen Christen! „Bemühe dich nicht, reich zu werden, lass ab von deiner Klugheit. Willst du deine Augen darauf hinfliegen lassen, und siehe, fort ist es? Denn sicherlich verschafft es sich Flügel wie ein Adler und fliegt zum Himmel“ (V. 4.5). Möglicherweise noch heimtückischer und fesselnder ist die Gefahr, nach Reichtum zu streben. Hier ist es nicht nur der Appetit, vor dem man sich hüten soll, sondern der eigene Verstand, der so gern gute Gründe für eine böse und selbstsüchtige Sache findet. Der Apostel erklärt: „Die aber, die reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und in viele unvernünftige und schädliche Begierden, die die Menschen versenken in Verderben und Untergang. Denn die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen, der nachstrebend einige von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben“ (1Tim 6,9.10).
Daher ist es ihre Unsicherheit, wie auch unser eigenes Selbstvertrauen, das anschaulich beschrieben wird. Unsere Weisheit ist es, unser Denken auf das ewige Gewicht der Herrlichkeit zu richten, wo Christus ist, und nicht auf die Dinge zu schauen, die man sieht; denn diese sind vergänglich, während die unsichtbaren ewig sind. Reichtum, sagt der Weise, macht sich in der Tat Flügel und fliegt davon wie der Adler in die Lüfte. „Iss nicht das Brot des missgünstig Blickenden, und verlange nicht nach seinen Leckerbissen“ (V. 6). Es scheint eine Verbindung zu geben zwischen dem Rat in Vers 6, nicht von dem Brot dessen zu essen, der einen missgünstigen Blick hat, und auch dem Begehren dessen, was wir in Vers 5 finden. Und das legt nahe, Vers 4 sowohl mit dem, was vorausgeht, als auch mit dem, was folgt, zu verbinden. Das Verlangen nach Geld ist nämlich weit weniger um seiner selbst willen üblich, als um die Dinge der Welt und des menschlichen Lebens leichter genießen zu können. Und von diesen bildet der Tisch einen nicht geringen Teil im Allgemeinen. Hier liegt jedoch der Nachdruck darauf, sich davor zu hüten, die Gastfreundschaft des Unaufrichtigen anzunehmen, der dem Gast wirklich missgönnt, was er isst oder trinkt, während er ihn mit seinen Lippen dazu drängt, frei von dem Vorhandenen zu genießen. „Denn wie einer, der es abmisst in seiner Seele, so ist er. ,Iss und trink!‘, spricht er zu dir, aber sein Herz ist nicht mit dir“ (V. 7). Ganz anders ist ein solcher Gastgeber, wie er innerlich denkt. Er sagt zu dir: „Iss und trink“; aber er meint es nicht so. Der Prophet Jesaja, der auf die Herrschaft des Königs in Gerechtigkeit blickt, teilt uns mit, dass es an jenem zukünftigen Tag der Glückseligkeit für die Erde nicht so sein wird. Der gemeine Mensch oder Narr wie Nabal, wird nicht mehr freizügig genannt werden, noch wird man sagen, dass der Grobian oder der Verschlagene freigebig ist. Die Bösen streben nun danach, sich einen Anschein zu geben, was sie nicht sind, und nicht zu offenbaren, was sie sind. Denn die Menschen schämen sich im Grunde ihres Herzens für das, was sie selbst zu sein meinen. „Deinen Bissen, den du gegessen hast, musst du ausspeien, und deine freundlichen Worte wirst du verlieren“ (V. 8). Kann irgendeine Entdeckung unter angeblichen Freunden schlimmer sein, als wenn man, nachdem man darauf hereingefallen ist, herausfindet, dass die eigene Begrüßung eine eitle Schau war? Das wird hier in diesem Vers eindringlich vorgestellt. Den Bissen, den du gegessen hast, wirst du erbrechen, und deine süßen Worte wirst du vergeuden: Das heißt, den Dank, den du ausgedrückt hast, als du dachtest, seine Einladung seien ebenso herzlich wie freundlich gewesen. Vom gewöhnlichen Leben bis zu den feierlichsten Handlungen des ehrfürchtigen Glaubens und der Liebe wird das gemeinsame Essen und Trinken als eine Handlung der Vereinigung des Herzens angesehen. Umso schmerzlicher ist es, wenn man es als völlig unaufrichtig empfindet.