Behandelter Abschnitt Spr 9,1-6
Am Anfang von Kapitel 9 geht es nicht um Weisheit in ewigen Beziehungen oder darum, die Erde zu gründen und aufzubauen, den Himmel zu bereiten und dem Meer die Anordnung zu geben, dass die Wasser nicht die vorgeschriebenen Grenzen überschreiten, sondern um die Freude an den Menschenkindern. Hier zeigt sich die Frucht dieser Wonnen. Die Weisheit wirkt unter den Menschen.
Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, hat ihre sieben Säulen ausgehauen; sie hat ihr Schlachtvieh geschlachtet [oder: geopfert]; ihren Wein gemischt, auch ihren Tisch gedeckt; sie hat ihre Mägde ausgesandt, lädt ein auf den Höhen der Stadt: „Wer ist einfältig? Er wende sich hierher!“ Zu den Unverständigen spricht sie: „Kommt, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe! Lasst ab von der Einfältigkeit und lebt, und beschreitet den Weg des Verstandes!“ (9,1–6).
Wir hatten das Schreien der Weisheit im vorangegangenen Kapitel (V. 3) – ihr aktives Zeugnis, dass ihre Stimme gehört werden möge. Hier haben wir noch viel mehr, denn der Herr hat mit aller Kraft und Sorgfalt Mittel für das Wohlergehen und den wahren Genuss des Menschen eingesetzt, der so leicht bereit ist, sich abzuwenden und auf den Wegen des Verderbers umzukommen.
Daher war es in Israel, als es unter Salomo im Besitz des Landes war, vor allem auffällig, dass der Herr die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Gebote als die einzige Weisheit und Bedingung des Segens auf der Erde lenkte. Das ist es, wonach sich Mose sehnte, als der Einzug des Volkes dorthin nahte, damit die umliegenden Völker sagen könnten: „Diese große Nation ist ein wahrhaft weises und verständiges Volk. Denn welche große Nation gibt es, die Götter hätte, die ihr so nahe wären wie der Herr, unser Gott, in allem, worin wir zu ihm rufen? Und welche große Nation gibt es, die so gerechte Satzungen und Rechte hätte wie dieses ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege?“ (5Mo 4,6-8).
Allerdings wird mehr zur Zeit Salomos und des Königs in diesem Buch gesagt, in dem die Weisheit so bewundernswert durch den Geist personifiziert wird, der den Sohn Gottes im Blick hatte. Und wer könnte so gut das Bild des Hauses der Weisheit einführen, als der, dem es gegeben wurde, das Haus für den Namen des Herrn zu bauen! War das ein fester Ort für Ihn, um für immer darin zu bleiben? Nein, wie sehr sagt die Vergangenheit oder die Gegenwart das Gegenteil aus! So hatte der Herr ja auch gewarnt hat, dass sie wegen ihres Abfalls sogar zu einem Sprichwort und einer Redensart unter allen Völkern werden würden. „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut“ (V. 1a). Nirgendwo auf der Erde gab es eine geeignete Wohnung. Die Weisheit konnte keine Wohnung finden, sondern hat sich selbst eine bereitet; denn die Weisheit musste das ganze Leben und die innigsten Beziehungen und die Gewohnheiten des Alltags fördern. Daher die Notwendigkeit für ihr Haus, zu dem sie großzügig einlädt. Sie hat ihre sieben Säulen gehauen. Es gibt eine Vollständigkeit der Unterstützung, die in keinem anderen ausgestellt wird und die dem hier angestrebten göttlichen Ziel entspricht.
Dann ist die Versorgung nicht weniger großzügig: „Sie hat ihr Schlachtvieh geschlachtet, ihren Wein gemischt, auch ihren Tisch gedeckt“ (V. 2). Wie könnte es anders sein, wenn die göttliche Liebe sich verpflichtet, auf eine Gottes würdige Weise zu bewirten? Es gibt kein verständlicheres und allgemeineres Bild der Gemeinschaft als das, das durch Essen und Trinken unter demselben gastlichen Dach ausgedrückt wird. So hat der Herr wiederholt den Empfang der Gnade im Evangelium dargelegt; für uns bedeutet das, dass wir uns durch den Glauben zum ewigen Leben nähren; so hat Er sein Abendmahl zu unserem regelmäßigen Gedenken an Ihn selbst eingesetzt, bis Er kommt. Es wird hier dargestellt, damit sein Volk die Freude erkennt, die der Herr an ihrem Genuss der Weisheit hatte, wie Er sie offenbarte.
Aber es gibt noch mehr: „sie hat ihre Mägde ausgesandt, lädt ein auf den Höhen der Stadt: ,Wer ist einfältig? Er wende sich hierher!‘“ (V. 3.4a). Die Weisheit hatte ihre Boten, die passenderweise als Mägde dargestellt werden, die sie mit dem Auftrag der liebenden Güte aussandte. Aber sie scheut persönlich keine Mühe; denn sie steht auf dem höchsten Aussichtspunkt, von wo aus sie einladen kann. Und wer sind die Personen, die sie auffordert? Nicht die Reichen oder Großen, nicht die Weisen oder Klugen, sondern wer einfältig ist, der wende sich hierher. Gott ist immer der gebende Gott, wenn man Ihn wirklich kennt. Er mag den Menschen für einen bestimmten Zweck prüfen; aber wie Gott einen fröhlichen Geber liebt, so ist er selbst der freizügigste Geber von allen; und so gibt die Weisheit hier bekannt. „Zu den Unverständigen spricht sie: „Kommt, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe!“ (V. 4b.5). In der Welt, wie sie ist, ist solch eine großzügige, selbstlose Liebe unbekannt, und daher die Notwendigkeit und der Wert eines wiederholten Willkommens.
Dennoch ist in derselben Welt eine Ermahnung erforderlich, und es folgt das Wort: „Lasst ab von der Einfältigkeit [oder Torheit] und lebt, und beschreitet den Weg des Verstandes“ (V. 6). Weisheit lässt keine Widersprüche zu. Wenn wir sie trotz unserer Torheit empfangen, so deshalb, damit wir weise werden entsprechend einer Weisheit, die höher ist als unsere eigene; und das ist wahrhaftig leben, wo alles andere der Tod ist, und als Lebende auf dem Weg der Einsicht wandeln, aufblickend zu dem, der oben ist, und nicht wie die Tiere, die nach unten schauen und zugrundegehen.