Heb 4,16 - Eine großzügige Einladung
Der Schreiber des Hebräerbriefes hat, wie wohl kein anderer Apostel, es als seine Aufgabe angesehen, in seinem Brief unsern Herrn Jesus Christus als den einzigwahren Hohenpriester darzustellen, der alle Voraussetzungen restlos erfüllte, die Gott an dieses einmalige Amt gestellt hatte. Das ist auch durchaus verständlich, denn sein Brief richtet sich, wie schon sein Name sagt, speziell an Gläubige aus Israel. Und alle Vorgänger im hohepriesterlichen Amt waren nicht nur aus diesem Volk hervorgegangen, sondern berufen, gerade diesem Volk zu dienen. Jesus Christus ist als Sohn des lebendigen Gottes völlig frei von Sünde und Schuld und zugleich die personifizierte Liebe. Das herzliche Erbarmen Christi mit den Sündern rühmt der Apostel in einer zu Herzen gehenden Weise. In dem oben genannten Vers fordert er uns auf, nun ohne irgendwelche Hemmungen uns dem Thron der Gnade zu nahen. Er schildert ihn als den uns allezeit offenstehenden Zufluchtsort, an dem wir Gnade empfangen können, wenn uns Hilfe Not ist. Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, daß wir uns eingehend und immer wieder befassen mit dem Gegenstand, von dem hier die Rede ist: dem Thron der Gnade.
Ein Thron ist der Sitz des Königs eines Landes. Der Gnadenthron ist vorgebildet im Gnadenstuhl der Bundeslade, der diese bedeckte und auf dem Jehova zwischen den Cherubim regierte. Zu diesem Gnadenstuhl ging bekanntlich der Hohepriester am großen Versöhnungstag mit dem Blute der Sühnung. Nun ist Gott durch das Blut Seines Sohnes ein für allemal versöhnt, und das Lamm sitzt auf dem Thron. Diesem Thron mit Freudigkeit zu nahen, werden wir aufgefordert. Wir dürfen Gott freimütig nahen auf Grund des vergossenen Blutes Christi, das an Stelle des Blutes des Sünders floß. Er wartet nur auf unser Kommen, um uns all die verheißenen Segnungen zu schenken, die das Opfer Christi uns erwirkt hat.
Die Art des Hinzunahens. Freimütig, mit Freudigkeit, also ohne jede Furcht. Der König hat Macht einzuladen, wen Er will, und Er wartet sehnsuchtsvoll auf unser Kommen. Hier dürfen wir ganz frei reden und unser Herz ganz leeren und damit erleichtern. Wir scheuen den Thron nicht, wir meinen auch nicht, daß hier Hofzeremonien oder vornehme Kleider erforderlich sind, außer dem Kleid der Gerechtigkeit (Jes 61,10). Der, der uns einlädt, zu kommen, war ärmer als die Ärmsten und hat mehr gelitten als irgendein anderer Mensch. Deshalb versteht Er uns besser als Vater und Mutter. Der König, der auf dem Thron sitzt, nennt uns sogar Brüder, wahrlich, da muß jede Verzagtheit weichen.
Wir kommen in der Gewißheit der bestimmten Erhörung, denn Er kann nicht lügen (4. Mose 23,19; Heb 6,18). Wir brauchen bestimmt keine Absage zu erwarten, vielmehr ist uns Seine Zusage gesichert. Dazu dürfen wir recht oft kommen, ja, die Schrift ermahnt uns, mit allen Anliegen, ob klein oder groß, Ihm zu nahen. In Israel durfte der Hohepriester nur einmal im Jahr kommen, wir aber dürfen oftmals im Lauf eines Tages kommen. Daniel kam dreimal täglich (Heb 6,11; vergl. 1Thes 5,17).
Wir kommen so, wie wir sind: bedürftig, arm, hilflos, in Zeiten der Trübsal (Ps 42,6.12), in Zeiten heftiger innerer Kämpfe, wenn uns, wie Paulus, ein Engel Satans demütigen möchte (2Kor 12,7 ff.), in Zeiten besonderer Prüfung wie bei Abraham (1. Mose 22,1-19), in Zeiten, da wir vor schweren Pflichten stehen wie Josua (Kap. 1). Auch in Zeiten, da Satan uns den Weg verdunkeln möchte und uns unsere Unwürdigkeit vorhält, um uns wankend zu machen. So kamen die Väter, ein Mose, ein Elias, so kam auch das kanaanäische Weib, ja selbst der schwerbeladene Manasse. Die große Güte und Gnade, die Er stets allen erwiesen hat und noch erweist, ermuntert uns zu kommen. Wir haben nicht nur Seine Einladung, wir haben noch mehr: Seinen Befehl. Ein König darf befehlen.
Was uns zum Kommen noch besonders ermuntert, ist Seine Fürbitte für uns (Heb 7,25). Oder man lese Johannes 17. In unbeschreiblich herzlicher Liebe tritt Er in diesem wahrhaft hohepriesterlichen Gebet für uns ein. Sein unaussprechliches Mitgefühl, Sein Erbarmen über uns, Seine nie versiegende Liebe sind beispiellos. So konnte auch kein Hoherpriester vor Ihm beten.
Der entscheidende Zweck unseres Kommens zum Gnadenthron. „Um Gnade und Barmherzigkeit zu erlangen für die Zeit, da uns Hilfe Not tut“, also gewissermaßen auf Vorrat hin. Wir kommen selbst dann, wenn Sünde uns von Ihm trennen will, denn „wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so lügen wir“ (1Joh 1,6). Da Gott uns bereits das Beste gegeben hat, kann Er uns gar nichts vorenthalten (Röm 8,32). Wir holen uns täglich neue Gnade zum Leben und Gnade zum Sterben. Diese Gnade schließt alle Segnungen ein für Leib, Seele und Geist.
Er hat Gnade auch für unsern Dienst, Gnade zum dulden, zum tragen, zum leiden, Gnade auszuharren in Erfolg und Mißerfolg. Wir dürfen selbst Gnade erbitten, wie Hiob zu sagen: „Haben wir nicht das Gute empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen“ (Hiob 2,10). Wir trauen Ihm vollkommen zu, daß Er nur Gedanken der Liebe und des Friedens mit uns hat (Jer 29,11). Je öfters wir kommen, um so mehr erhalten wir, um so reicher verlassen wir den Gnadenthron.
Darum komm, komm, komm!