Ich vermag alles (Phil 4,13)
Maulhelden sagen gewöhnlich: „Ich kann alles“, aber nur zu bald muss man merken, dass sie wenig oder nichts können. Ganz anders ist es beim Apostel, der in der rechten Schule war und von Christo gelernt hatte. Und dennoch muss man sagen, dass des Apostels Behauptung sehr kühn ist. Täuschte er sich nicht doch noch am Ende? War es nicht schließlich eine krankhafte Überhebung, eine unbewusste Überschätzung eigenen Könnens? O nein, sondern das Gegenteil ist der Fall. Schreibt er doch alles Christo zu und nicht sich selbst. Bei ihm war nichts von jenen selbstbewussten, hochmütigen Worten eines Nebukadnezars, der sagte: „Ist das nicht die große Babel, die ich erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit“ (Dan 4,30)? Ich vermag alles, so meinte auch einst ein Napoleon, der sagte: „Impossible n`est pas un mot francais“ („unmöglich“ ist kein französisches Wort). Wie er auf St. Helena endete, ist allen bekannt.
Das Wörtlein „alles“, das Paulus braucht, darf nun aber durchaus nicht in seinem vollen mathematischen Begriff ausgelegt werden, sondern nur im Rahmen des Philipperbriefes bzw. im Rahmen des christlichen Wandels mit seinen Übungen, Prüfungen und Versuchungen. „Durch den, der mich kräftigt, Christus“. Auf diesen Satz muss unbedingt die Betonung gelegt werden.
I. Verschiedene Lebenslagen.
Selten hatte ein Mensch ein so wechselvolles Leben, wie der Apostel. Aber auch das unsrige ist zahlreichen, wechselnden Umständen unterworfen. Da gibt es Zeiten der Freude und des Gesanges, die oft schnell durch Trauer und Herzeleid abgelöst werden, oder Zeiten mit Verlust an Gütern und Gesundheit. Paulus durfte in allen Lagen sagen: „Ich habe gelernt“. Was hatte er denn gelernt? Einverstandensein auch mit den schwersten Gottesführungen. Zufriedenheit und Genügsamkeit in mühsamen Tagen zu bewahren, ist schwer für die meisten. Das hat übrigens der Mensch von Anfang an bewiesen. Man denke an den Sündenfall im Paradies, der sich inmitten größter Fülle alles Guten abspielte. Jedes Murren und Unzufriedensein des Menschen richtet sich letzten Endes gegen Gott selber. Ja, selbst Engel waren unzufrieden und verließen ihre von Gott bestimmte Behausung. Wenn es für Menschen und Engel inmitten reichster Fülle schon schwer war, zufrieden zu sein, wie viel schwerer muss es erst in Zeiten der Not und des Elends sein! Der Mann des Glaubens aber steht über allem und sagt: „Ich vermag alles“ und „Ich habe gelernt“. Christus war die Quelle und das Beispiel des Apostels, darum konnte er so kühne Behauptungen aussprechen. Der Herr hat als Mensch auch Gehorsam gelernt (Heb 5,8). Er kannte nur völlige Unterwürfigkeit unter des Vaters Willen. Von Ihm hatte Paulus gelernt, weil das Lebensbild des Menschen, Christus Jesus, stets vor seiner Seele stand (Kap. 2, 6-8). Warum versagen so viele Gotteskinder in den einfachsten Lagen? Weil sie nicht von Christus lernen. Das Wort ist nicht ihres Lebens Richtschnur geworden. Die Kraft, alles zu vermögen, kommt eben nur aus Christus. Sie ist die Frucht der Beachtung jener Ermahnung des Herrn: "Bleibet in mir" (Joh 15).
Es treten uns hier zwei große Gegensätze entgegen: Kraft und Schwäche. In sich ist der Gläubige schwach, hilflos und unter die Sünde verkauft; aber Jesus ist stark und Ihm ist die Macht über alles Fleisch gegeben (Joh 17,2).
II. Der weite Umfang des Ausspruches: „Ich vermag alles“.
Es kann hier natürlich nicht auf alles eingegangen werden, was man durch Christus vermag. Es sei darum nur einiges gesagt. Wir wiesen immer mit Recht auf die Bekehrung des Apostels hin, denn durch sie trat er in einen großen Konflikt mit der innerwohnenden Sünde ein (Röm 7,14b). In diesem Kampf aber, so lange er in eigener Kraft geführt wird, spricht die Sünde das letzte Wort und führt zu dem demütigenden Bekenntnis: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht; das Böse, das ich nicht will, das tue ich „(Röm 7,15). Und aus der Seele des Unterliegenden dringt der Schrei: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Leibe des Todes?“ (Röm 7,24). Wo und wenn die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten. So auch hier. Christus, der Retter, begegnet dem Ringenden, der nun fröhlichen Herzens ausruft: „Gott aber sie Dank, durch unsern Herrn Jesum Christum“ (Röm 7,25). Durch diesen Christus, der ihn kräftigt, kann nun der Apostel alles.
Nicht nur in bezug auf die Sünde kann der Gläubige sagen: „Ich vermag alles durch den, der mich kräftigt, Christus“, sondern auch in Veranlagungen verschiedenster Art erfährt er den Sieg. Viele Gläubige sind furchtsamer Natur und leidensscheu; im Blick auf diesen Christus aber und Seine freiwilligen Leiden hören wir sie bald ausrufen: „Lasst auch uns zu Ihm hinausgehen und Seine Schmach tragen“ (Heb 13,13). Der einst so Schüchterne ermuntert nun andere. So muss nun auch keiner mehr den Bauch zum Gott haben, wie jene in Kap. 3, noch muss jemand sich betrinken wie ein Lot, oder ein Schlemmer sein wie ein Nabal.
Auch in bezug auf den Herrn dürfen wir mit Paulus aussprechen: „Ich vermag alles durch den, der mich kräftigt, Christus“. Nur zu schnell sagen manche Gläubige „nein“, wenn Aufgaben an sie herantreten. Warum das? Weil sie auf die Schwere der Aufgabe, und nicht auf den Helfer, durch den sie alles vermögen, schauen.
III. Durch wen?
1. Durch Christus! Früchte dieser Art wachsen nicht auf dem natürlichen Herzensboden, sondern sie sind nur durch Christus möglich und:
2. Durch den Heiligen Geist. Er wird der Geist der Kraft genannt und macht aus schwankenden Rohren Pfeiler im Hause Gottes. Die Schrift nennt außerdem allerlei Hilfsmittel zu einem triumphierenden Leben.
3. Durch den Glauben. Hebräer Kap. 11 ist ein Beweis dafür, was lebendiger Glaube zu wirken vermag. Da sind weder die Mauern Jerichos, noch die blutdürstigen Gegner ein Hindernis. Durch den Glauben wird das Unmögliche zur Tatsache.
4. Durch Seine Liebe. Sie ist in unsere Herzen reichlich ausgegossen worden und trägt und duldet alles.
5. Durch das Gebet. Es ist der Kanal, durch den das Allvermögen fließt und uns zu Siegern macht.
6. Durch das Wort Gottes mit seinen reichen Verheißungen.
7. Durch unsere lebendige Hoffnung. Schon jetzt leben wir im Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit und tragen den Himmel im Herzen. Unser Wandel (Bürgertum) ist im Himmel. Wir wissen, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll. Kurz gesagt: „Wir vermögen alles durch den, der uns kräftigt, Christus“.