Behandelter Abschnitt Apg 25,13-27
Der Besuch Agrippas bei Festus
Gleich wie Jerusalem vor kurzem einen großen Tag hatte, als Festus der neue Landpfleger, dahin kam, so hatte nun Cäsarea seinen Tag und einen noch höheren Besuch. König Agrippa beehrte nämlich den neuen Landpfleger mit seiner Gegenwart. Da war Hochbetrieb in der Stadt und alles war, wie anzunehmen ist, festlich geschmückt. Jung und alt wollte den König sehen.
Wer war Agrippa? König Agrippa II. war der letzte Herodianer. Seine Ahnentafel können wir in der Schrift bis weit zurück verfolgen. Sein Urgroßvater war jener Herodes, der den bethlehemitischen Kindermord befahl, in der Hoffnung, dadurch auch das Jesuskindlein zu treffen. Gott vereitelte jedoch seinen Plan. Sein Großvater war jener Herodes, der vom Wort Johannes des Täufers ergriffen wurde; aber anstatt auf das Gehörte einzugehen, ließ er ihn enthaupten. Auch fürchtete sich dieser Herodes nicht, den Herrn Jesus zu verspotten, als Er, von Pilatus zu ihm geschickt, vor ihm stand. Der Vater Agrippas II. war der junge Herodes, der in den Tagen der Apostel lebte. Auch er zeichnete sich durch einen Mord aus, indem er den Apostel Jakobus enthaupten ließ. In demselben Schloss, in welchem nun Agrippa weilte, wurde sein Vater gerichtet und lebendig von Würmern gefressen. Wir sehen, was für lose Männer diese Könige waren. Skrupellos und nach Willkür richteten sie die Heiligen Gottes hin. Dieser Agrippa II. war nun König an seines Vaters Statt.
Ein Bericht über Paulus. Da Agrippas Besuch bei Festus sich auf einige Tage hinauszog, kam das Gespräch auch auf Paulus. Festus, der nicht recht wusste, was er wegen Paulus nach Rom schreiben sollte, erzählte Agrippa, vielleicht nicht ohne einen gewissen Spott; dass Paulus ein römischer Bürger sei und einen Streit mit den Juden führe wegen ihrer Religion und über einen gewissen Jesus, der gestorben sei, von welchem aber Paulus behaupte, dass Er lebe. Er sei nämlich von den Toten auferstanden. Daraus geht hervor, dass Paulus auch vor Festus vom Herrn und Seiner Auferstehung gezeugt hatte, was aber Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, gleichsam nur zwischen den Zeilen berichtet. Paulus verkündigte aber nicht allein die Auferstehung Jesu Christi, sondern auch die Auferstehung aller Toten, der gerechten und der ungerechten. Zu allen Zeiten gehörte es in den obern Schichten der Gesellschaft zum „guten Ton“ Jesus und Seine Auferstehung wegzuleugnen. Während Festus den Fall erzählte und beiläufig auch die Auferstehung Jesu erwähnte, interessierten sich Agrippa und seine Schwester Bernice, die ebenfalls anwesend war, für diese Sache. Festus wird auch die Bosheit der Juden, welche Paulus um jeden Preis umzubringen gedachten, nicht verschwiegen haben. Anschließend wünschte Agrippa, der, obwohl ein Jude, auch römischer Bürger war, diesen Paulus persönlich zu hören. Auf diesen Wunsch hin ordnete Festus eine Zusammenkunft mit Paulus für den folgenden Tag an.
Weltliches Gepränge und Glaubenseinfalt. Ein großartiges Verhör, das mehr einer Festversammlung glich, wurde anberaumt. Das ist ja nicht das Übliche bei einem verhafteten Gläubigen! Da war auf der einen Seite der größte Luxus; König Agrippa mit Bernice, der Landpfleger Festus, die Obersten und Vornehmsten der Stadt, römische Militärs und Beamte daneben stand der schlichte Zeuge Jesu Christi in seinen Ketten, von römischen Soldaten bewacht. Und doch war dieser einfache Gefangene die Hauptperson im Verhörsaal. Ja, sogar der Größte unter ihnen! Sein standhafter Glaube ruhte auf dem Auferstandenen. Und obgleich Festus nichts für diesen auferstandenen Jesus übrig hatte und der Meinung war, eine interessante und unterhaltende Verteidigungsrede anzuhören ‑ ein Ohrenschmaus für diese großen Herren ‑ so war doch jedem Gelegenheit gegeben, sich von Gottes Wort belehren zu lassen. Nie hat ein Größerer, ein Gelehrterer in jenem Saal gesprochen, als der gefangene Paulus. Das Gerichtszimmer wurde tatsächlich zur Hochschule. Göttliche Weisheit, welche die Herzen und Gewissen der Zuhörer berührte, wurde hier vorgetragen. Zu Anfang, als Paulus erschien, mag ein gewisses Mitleidgefühl die Herren erfasst haben, zumal sie die Unschuld des Apostels kannten. Paulus aber, der für diese verlorenen und christuslosen Menschen ein großes Erbarmen im Herzen trug, verkündigte ihnen in Liebe und Geisteskraft den gekreuzigten und auferstandenen Heiland als ihren Retter. Da stand nun dieser vor ihnen, der beschuldigt war, den ganzen Erdkreis zu verwirren (Kap. 24, 5).
Der Grund dieses Verhörs. Zunächst sollte es den königlichen Zuhörern zur Unterhaltung dienen, dann aber auch dazu beitragen, etwas Positives nach Rom berichten zu können. Ordnungsgemäß sollte nun auf König Agrippas Verhör hin ein entsprechendes Protokoll angefertigt werden. Festus, der sich schon ehedem abgemüht hatte, die Wahrheit aller Klagen zu erfahren, wusste ganz genau, dass die Auferstehung Jesu Christi im Mittelpunkt stand. Das war also die Wurzel aller Schwierigkeiten und zugleich aller Leiden, die der Apostel erdulden musste. Mit der Auferstehung traf er nämlich die Sadduzäer hart, und mit ihr brachte er alle Juden, die nicht glaubten, in Verwirrung. Nimmt jemand die Auferstehung aus der Schrift heraus ‑ was wird ihm dann noch bleiben? Das Kreuz ohne die Auferstehung wäre eine bedauerliche traurige Katastrophe, die unter allen Umständen hätte vermieden werden sollen.
So stand Paulus das vierte Mal vor römischen Beamten. Zuerst vor Lysias in Jerusalem (Kap. 21), dann vor Felix (Kap. 24), hernach vor Festus (Kap. 25), und hier musste er vor Agrippa erscheinen. Alle, ohne Ausnahme, urteilten zu seinen Gunsten, dass er weder Bande noch Tod verdiene. Die Schrift sagt: „Glückselig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen, so sie daran lügen“ (Mt 5,11). Es wäre keine Ehre für einen Gläubigen, wenn die Welt ihn mit Recht verklagen könnte (1Pet 2,20).
Wir lernen nebenbei aus dieser ganzen Sache, dass das römische Recht keinen Menschen verurteilt, ehe er nicht Gelegenheit gehabt hatte, sich zu verteidigen. Diese Gerechtigkeit kannten die Juden wohl, aber sie übten sie nicht. Weiter kommen wir zu der Erkenntnis, dass die weltlichen Gerichte einem überzeugten Gläubigen gegenüber parteilosere und gerechtere Urteile fällen, als dies gelegentlich von den religiösen Leuten geschieht. Das war zur Zeit des Herrn wie auch zur Zeit der Apostel so, und es wird so bleiben bis der Herr in Herrlichkeit erscheinen und Sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten wird.