Paulus (dieser Abschnitt über Paulus ist im Originaltext von G. Brinke am Ende seiner Auslegung gewissermassen als Anhang aufgeführt, Redaktion OBP). „dieser ist mir ein auserwähltes Gefäß, meinen Namen zu tragen sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels“
Unbestritten ist Paulus die bedeutendste Gestalt in der Apostelgeschichte. Seine rastlose Tätigkeit im Dienste seines Herrn hat den Lauf der Weltgeschichte entscheidend beeinflusst, mehr als irgend einer der Großen dieser Welt es vermochte. Wenn wir uns bemühen, das Leben dieses herrlichen Mannes zu überblicken und uns kurz mit seiner Geschichte beschäftigen, so werden wir bald fühlen, dass er über alle Vorstellungen erhaben ist, die wir von ihm hegen. „Erwählt vor Grundlegung der Welt.“ Mit welchem Wohlgefallen mag das Auge der göttlichen Vorsehung auf der hingegebenen Seele Pauli geruht haben, der, einmal von der Liebe Christi ergriffen, sein Leben in den Dienst seines Herrn stellte wie selten einer. Betrachten wir seine Geschichte, so lernen wir erkennen, warum er, wie kein anderer der Apostel, der Verkündiger der freien, bedingungslosen Gnade war. Er selber setzte über sein Leben das Motto: „Mir ist Gnade widerfahren“. In der Tat, der, welcher ein Lästerer und Verfolger der Heiligen war, wurde von Gott mit der Botschaft von der Versöhnung, mit dem Evangelium des Friedens ausgesandt (2Kor 5,20). Als ein „Hebräer von Hebräern“, wurde er als Sohn jüdischer Eltern in der Hauptstadt von Cilicien, in Tarsus, geboren. Sein Vater muss ein Mann von ansehnlicher Stellung gewesen sein, denn er hatte das viel begehrte und oft teuer bezahlte römische Bürgerrecht. In der ernsten, stark religiösen Lebensweise seines Elternhauses wuchs der empfängliche Knabe auf und lebte nach der strengsten Sekte seiner Religion als ein Pharisäer. Er war stolz darauf, „am achten Tage beschnitten“ und damit schon als kleines Kind in ein Bundesverhältnis mit dem Gott seiner Väter aufgenommen worden zu sein.
Ein Leben ohne Tadel. Soweit es die äußere Gerechtigkeit anbetraf, die das Gesetz erforderte und soweit es dessen Beobachtung anbetraf, war er unsträflich (Phil 3,6). Seine Natur muss von Kindheit an eine warmherzige und brünstige gewesen sein. Dies beweisen seine Tränen, die beim Abschied von den Ältesten in Milet flossen (Apg 20,19,31,37); das Herz, das auf der letzten Reise nach Jerusalem beinahe brechen wollte (Apg 21,13) ; die vielen rührenden Bitten und Anspielungen in seinen Briefen; seine Anlage zum Anknüpfen von innigen und andauernden Freundschaften. Wenn er später schreibt, dass er um Christi willen alles eingebüßt habe, so zeigt der Kontrast zwischen der Erinnerung an seine Freunde im späteren Leben und dem Schweigen hinsichtlich seiner Eltern und Geschwister, wie bitter und abschließend die Scheidung war, welche seinem Bekenntnis zu Christo folgte.
Von Jugend an war er mit den heiligen Schriften vertraut und
ausgebildet „zu Füßen Gamaliels“, eines Großsohns des berühmten
Gesetzeslehrers Hillel. Rabbi Gamaliel war als der weitherzigste aller
jüdischen Gelehrten seiner Zeit anerkannt und galt, wie es auch die
Apostelgeschichte (5, 34) bezeugt, als eine führende Persönlichkeit im
Sanhedrin. Aus seiner Rede (Apg 5) erkennt man unschwer die Züge eines
edlen, humanen Gemütes, das bereit ist, die Wirkungen des göttlichen
Geistes über die Grenzen einer engen Orthodoxie hinaus anzuerkennen. Der
Einfluss eines solchen Lehrers auf den jungen Studenten aus Tarsus muss
entscheidend gewesen sein. Wie Mose und andere vor ihm, wurde auch
Paulus frühzeitig für seinen späteren Beruf als Apostel ausgebildet und
erzogen. Zunächst wurde er ein Eiferer für das väterliche Gesetz und meinte
Gott zu dienen, indem er die Heiligen bis in die aus ländlichen Städte
verfolgte und sie Banden und Gefängnissen überlieferte (Apg 22,3-6).
Für seinen Pharisäerstolz war es kränkend, dass der bescheidene Sohn des
armen Zimmermanns aus Nazareth der lang erwartete Messias Israels sei,
und dass nur durch den Glauben an Ihn der Eingang ins ewige Leben
möglich sein sollte. Aber er musste erfahren was auch Petrus lernen
musste, dass ein anderer ihn gürten und dahin führen werde, wohin er
nicht wollte. „Der Geringste von allen Heiligen.“ Als sich Paulus
dem Herrn auslieferte, wurde über ihn das Wort ausgesprochen: „Ich werde
ihm zeigen, wie viel er um meines Namens willen zu leiden hat“ (
Während seiner ersten Gefangenschaft in Rom hatte er es verhältnismäßig gut und er erfreute sich einer gewissen Bewegungsfreiheit.
Seine letzte Einkerkerung in Rom war dagegen von der ersten wesentlich verschieden. Damals hatte er sein eigenes gemietetes Haus, nun wurde er sorgfältig bewacht und nach der Tradition soll er nach dem berüchtigten Mamertinischen Gefängnis verbracht worden sein. Damals war er leicht zu finden und < nahm alle auf, die zu ihm kamen, jetzt musste Onesiphorus fleißig nach ihm suchen und es bedurfte eines gewissen Mutes, sich seiner Ketten nicht zu schämen (2Tim 1,16-17). Damals hatte er manche Freunde um sich, jetzt aber hatte die Worfschaufel der Trübsal ihren Kreis stark gelichtet. „Lukas ist allein bei mir“ ist die traurige Darstellung der Einsamkeit des alten Gotteskämpfers. Damals lebte er in der frohen Hoffnung, bald wieder befreit zu werden; jetzt aber ließ die Natur der Anklage und die Gesinnung seiner Richter keinen Zweifel am Ausgang seiner zweiten Gefangenschaft in Rom mehr zu. Er wurde bereits als ein Trankopfer ausgeschüttet und die Zeit war gekommen, da der Anker gelichtet und Abschied genommen werden sollte. Er hatte den guten Kampf des Glaubens gekämpft und den Lauf vollendet; hinfort lag ihm beigelegt die Krone der Gerechtigkeit (2Tim 4,7-8). In vergangenen Tagen hatte er sich oft danach gesehnt, überkleidet zu werden mit dem himmlischen Leibe und plötzlich aufgenommen zu werden, dem Herrn entgegen, um bei Ihm zu sein allezeit (2Kor 5,1-9). Jetzt aber ist es ihm unwahrscheinlich, dass dies die Art sein werde, auf die er dem Herrn begegnen werde, um in die Ruhe des Volkes Gottes einzugehen. Nicht auf triumphierenden Wegen durch die Entrückung, sondern auf dem dunklen Weg des Todes und des Grabes, den Weg dem Lamme nach, sollte er gehen. Welches die Art seines Heimganges sein sollte war ihm aber eine Sache von geringer Bedeutung; denn Christus war sein Leben und Sterben sein Gewinn.
Einsam und verlassen, voller Entbehrungen, ohne Mantel, Bücher oder Pflege zitterte er im Gefängnis vor Kälte und wartete darauf, heimgehen zu dürfen (2Tim 4,13). Das war der Dank der Welt an einen ihrer edelsten und herrlichsten Söhne, dem sie unendlich viel zu verdanken hatte und der ihr unvergängliche Werte schenkte. Und obwohl die Schrift über den Heimgang des Apostels schweigt, so wissen wir ihn doch mit an der Spitze der großen Glaubenshelden und der Zeugen Jesu Christi.