Behandelter Abschnitt Apg 9,6-9
Durch Nacht zum Licht
Tiefernst, zugleich höchst interessant, ist der ganze Vorgang der Bekehrung des Saulus von Tarsus. Der selbstgerechte Pharisäer, der mit wahrem Stolz auf seine makellose Vergangenheit als Gesetzesgelehrter blickte (Phil 3,5), liegt tief gebeugt über seine Sünde im Staube. Der hochstudierte Schriftgelehrte muss seinen Irrtum und seine Unwissenheit erkennen.
Zusammengebrochen. Das war Saulus im wahrsten Sinne des Wortes. In dem Augenblick, da er vor Damaskus, geblendet von dem hellen Schein des himmlischen Lichtes, und vor allem vor der soeben erkannten, verherrlichten Person Jesu Christi niederfiel, zerbrach er buchstäblich wie ein Scherben, so dass alle seine Pläne und sein Vorhaben plötzlich vereitelt waren. Sein Erlebnis vor Damaskus war der Abbruch seiner bisherigen Laufbahn und der Anbruch eines neuen Lebens. Schlotternd wie einst König Belsazar in Babel (Dan 5,6), oder bebend wie Daniel oder Johannes, lag Saulus zu Jesu Füßen (Dan 10,17; Off 1,17). Er, der stolz, mächtig und siegesgewiss in Damaskus einzuziehen gedachte, und vor dem die Gläubigen in der Stadt zitterten, war nun selbst bis ins Innerste erschüttert und erkannte sich als den grausamen Christenverfolger. Es war stets Gottes Art, tiefgehende Herzensbuße im Sünder zu wirken. Dies ist noch heute der einzige, von so vielen verschmähte Weg, verlorene Söhne ins Vaterhaus zurückzuführen. Dass sich doch niemand als Diener Gottes betrachte, der nie eine Damaskusstunde erlebt, noch mit innerem Abscheu auf sich selbst geblickt hat. Nur wer in sich selbst einmal zusammengebrochen ist, kann aufbauend wirken. Wirst du den Nächsten einen Weg führen können, den du selber nie gegangen bist? ‑ Hier vor Damaskus fiel ein großer Sünder, ein Lästerer und Verfolger, nieder; aber ein Heiliger, ein Apostel, stand aus dem Staube auf.
Drei dunkle Tage. Auf die bange Frage des Saulus: „Wer bist du, Herr?“ erhielt er die Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ In Damaskus angelangt, überließ ihn der Herr während drei Tagen ganz sich selbst. Hier konnte Saulus in sich gehen; über seine Sünden nachdenken; hier sah er im Geiste die Opfer, die er den Schergen zugeführt, hörte den Schrei der Kinder, die er ihren Müttern entrissen hatte. Das waren Schreckensstunden; der Schlaf floh und Essen und Trinken vergingen ihm. Es müssen ähnliche Tage der Angst und Not gewesen sein, wie sie Jonas im Bauche des Fisches erlebte und beschrieben hat (Jona 2). Hier in der Stille umgaben ihn die Heiligkeit und der Schrecken Gottes, und Saulus fühlte die unerträglich schwere Last seiner großen Sünde. Sein ehedem vermeintliches Recht, Christen verfolgen zu müssen, erkannte er nun als bitterstes Unrecht. Wie Hiob mag er gedacht haben: „Nun habe ich dein Angesicht gesehen und ich verabscheue mich selbst“ (Hiob 42,5-6).
Ein kleiner Hoffnungsstrahl leuchtete jedoch in seine Dunkelheit. Gott schenkte ihm eine Vision (Vers 12). Er wollte ihm einen Ratgeber, einen Helfer senden, den Ananias. Was wird die Botschaft sein, die er diesem Lästerer und Verfolger zu bringen hat, etwa die des Gesetzes?
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Neues Licht. Der Herr, der die gründliche Buße, die heissen Tränen, das zerbrochene Herz des Saulus sah, wie einst bei Josia, schickte ihm einen Tröster (2Chr 34,27). Derselbe Herr, der ihn von seinen Sünden überführt hatte, richtete ihn durch Seinen Diener Ananias auf. Der Herr kennt nicht nur die Not der Suchenden, Er weiß auch um die Bereitschaft Seiner Diener, ihnen zu helfen. Wohl machte Ananias Einwände, aber bald erfüllte er den göttlichen Auftrag (Vers 13, 14). Der Herr sagte zu Ananias: Gehe schnell hin, denn siehe, er betet und wartet auf dich, hilf ihm zurecht! (Jer 31,20). Der Herr sagte ihm weiter, Saulus kenne ihn bereits durch ein Gesicht. So wurde die Begegnung leicht gemacht. Was sah Ananias, als er vor Saulus stand? Einen elenden, zusammengebrochenen Mann. Achten wir, was Ananias tat. Er begrüßte Saul als B r u d e r. Wie erleichtert muss sich Saulus gefühlt haben. Er hat wohl nie in seinem Leben diesen warmen, wohltuenden Gruß wahrer Bruderliebe vergessen. Der hochgelehrte Pharisäer Saulus wurde nun von einem einfachen Diener unterwiesen.
Ananias legte ihm die Hände auf. Diesem Saulus, der im Begriffe war, seine starken Hände morddrohend nach den Heiligen in Damaskus auszustrecken, wurden nun von einem Heiligen die Hände aufgelegt. Daraufhin wurde er mit Heiligem Geist erfüllt und plötzlich fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er wurde wieder sehend. Saulus sah nun in doppelter Hinsicht; sein äußeres und inneres Auge wurde geöffnet, sollte es doch fortan seine Aufgabe sein, den Menschen die Augen zu öffnen (Apg 26,18).
Ananias legte Saulus den Weg des Heils aus. Er überzeugte sich von der Gottessohnschaft des gekreuzigten und auferstandenen Jesus und ließ sich sogleich taufen (Vers 6). Den Unterricht, den hier Saulus erhielt, wird er später in seinem Dienst angewandt haben. Er wird erzählt haben, wie es in seiner Seele Licht wurde, wie Friede und Freude sein Herz erfüllten. Das war ein großer Sieg des Auferstandenen.
Der erste Gehorsamsakt. Schon in Vers 6 hatte der Herr dem Saulus befohlen, aufzustehen und in die Stadt zu gehen. Er gehorchte und ging keinen Schritt eigenen Weges weiter. Hier ist es Ananias, der ihn zur Taufe aufforderte. Auch hier folgte Saulus ohne zu überlegen. Er drückte sich nicht um klare, göttliche Befehle herum, wie das heute viele tun. Gehorsam gegen den Herrn war fortan sein Motto. Göttliche Befehle fangen gewöhnlich in ganz kleinen Dingen an; so sagte der Herr „stehe auf!“ und nun kommt ein zweiter Befehl „lass dich taufen!“ und wiederum folgte Saulus sofort. Im Gehorsam unterschied er sich gewaltig von jenem andern gleichnamigen Benjaminiter Saul in 1. Könige 15, dem Gott Widerspenstigkeit vorhalten musste und ihm deshalb das Vorrecht der Königswürde entzog.
Wo sind die Neun? So fragte der Herr einst jenen geheilten aussätzigen Samariter. Und hier möchten wir fragen: wo sind die Begleiter des Saulus? Haben sie nicht auch das helle Licht gesehen, die Stimme gehört, und waren nicht auch sie voll Furcht zu Boden gefallen? (Apg 22,9). Wir hören von keinem etwas. Und so geht es leider allzu oft! Menschen erfahren Gottes Macht, sehen Sein Werk an andern, sie selbst aber bleiben ferne von Ihm. Sie hören wie, jene in Jesu Tagen, aber verstehen die Worte Gottes nicht (Joh 12,28,29). Und Leser, wie ist es bei dir?