Jesus weinte (Joh 11,35)
Diese zwei Worte bilden den kürzesten Vers der Bibel. Diese wie andere Schriftworte, die von Jesu Tränen reden, sind so unsagbar tief, dass wir sie kaum zu erfassen vermögen. Jesus stand hier dem letzten Feinde, dem Tode gegenüber, der auch nicht vor Seinem Freunde Halt machte. Zugleich sah Jesus den Tod als Sold der Sünde an, was er am Menschen, der nach Gottes Bilde geschaffen ist, angerichtet hat. Jesus seufzte tief im Geiste. Er sah auch die Tränen der Schwestern und der teilnehmenden Freunde und weinte mit ihnen. Jesus weinte mit den Weinenden. Er fragt: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ Sie antworteten: „Komm und sieh.“ Die Trauernden gehen zum Grabe, und bald geschah das größte Wunder des Herrn. Lazarus erstand aus dem Grabe und die Trauer wurde in Freude verwandelt. Ehe wir kurz auf Jesu Tränen eingehen, wollen wir einige Stellen über Tränen lesen.
Die Welt ist ein Tränental. Das hat schon der Psalmist beklagt (Ps 84,6). Dieses müssen alle Pilger nach der oberen Stadt durchwandern. So schmerzlich wie Jesus ist keiner hindurchgeschritten. Die Schrift sagt das von seinen Erdentagen (Heb 5,7).
Weinen ist meistens das erste beim neugeborenen Kinde: „Siehe, das Knäblein weinte“ (2. Mose 2,6). Mit Tränen kommen wir in die Welt und unter Tränen verlassen wir sie. Die ersten Tränen mögen an der Bahre des Abels geflossen sein. Hier sahen Adam und Eva zum erstenmal den Tod. Das musste sie um so mehr schmerzen, weil er die Folge ihrer Sünde war (Röm 5,19). Auch Abraham beweinte seine Tote (1. Mose 23,2). So flossen Tränen vom Anfang der Schrift bis zum letzten Kapitel, da Gott selbst die Tränen trocknen wird (Off 21,4). Die Bibel nennt:
Allerlei Tränen. Nennen wir mir kurz einige:
Tränen der Buße, die Gott erfreuen (2Kön 22,19; Ri 2,4).
Tränen innerer Erneuerung wie bei Petrus (.Mt 26,75).
Tränen über Unfruchtbarkeit (1Sam 1,7).
Tränen der Märtyrer, die Jesus selbst trocknet (Off 7 17).
Tränen, die zu spät fließen, wie bei Esau (1. Mose 27,38).
Tränen im Himmel. Fließen dort auch noch Tränen? Johannes aber wurde bald getröstet (Off 5,4). Doch kommen wir zurück auf Jesu Tränen. Wir wissen, dass Jesus bei drei verschiedenen Gelegenheiten weinte. Er vergoss:
Tränen der Anteilnahme. Sie flossen am Grabe des Lazarus. Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermöchte (Heb 5,1.2). Jesus empfand tiefer als wir. Er war ein Mensch wie wir, wurde in allen Dingen den Brüdern gleich, doch ohne Sünde. Er freute sich mit den Freuenden, gewiss an der Hochzeit zu Kana. Hier weinte Er mit den Weinenden am Grabe Seines geliebten Lazarus (2Sam 1,12.26). Jesus war kein Stoiker, die jedes Empfinden ersticken. Das Gegenteil, Er wird der Mann der Schmerzen genannt. Stille Tränen drücken oft mehr aus als laute Worte. Der Herr sah die Tränen der Schwestern und stimmte mit in ihre Trauer ein, obwohl Er wusste, dass Er Lazarus auferwecken werde. Jesus nahm all das menschliche Elend, das durch die Sünde kam, in sich auf. Hier waren es Tränen der Sympathie.
Die Wirkung der Tränen Jesu: Ihre Tiefe bewirkte
Staunen. Sie müssen sagen: Siehe, wie hatte Er ihn so lieb (Vers 36).
Zweierlei soll uns hier am Grabe dienen. Tränen und Gebet. Gleich nach
dem Weinen betete Jesus. Gebet mit Tränen um Menschen, die tot sind in
Sünden, führen noch heute zu Auferstehungen. Vergießen wir auch Tränen
wegen verlorenen Menschen? Sie flossen reichlich von Paulus (
Andere wie zum Beispiel Jakob weinten über ihren eigenen Zustand. Von ihm lesen wir in Hosea 12,5.6, dass er darüber eine ganze Nacht weinte und flehte. Und was war die Folge? Er wurde ein Gotteskämpfer und Sieger (1. Mose 32,24-32). Ähnliches lesen wir von Jesaja, der über seinen eigenen inneren Tiefstand klagte, Erhörung fand und ein Werkzeug Gottes wurde (Jes 6).
Tränen als Prophet (Lk 19,41). Jesus kam vorn Ölberg und sah den herrlichen Tempel und die Stadt. Aber nicht bei ihren Schönheiten blieb er stehen, sondern von dem kommenden Gericht über Jerusalem. Er sah im Geiste die Legionen des Titus, die die Stadt belagern. Er sah, wie sie erbarmungslos Kindlein zerschmetterten und Greise fesselten und Tausende von Juden kreuzigten. Mit Jeremia konnte Er sagen: „ Ach, dass meine Augen Tränenquellen wären“ (Jer 9,1). Israel erkannte so wenig die Heimsuchung wie die Leute in den Tagen Noahs.
Tränen als Opferlamm (Heb 5,71. Obwohl hier von allen Tagen seines Lebens die Rede ist, so bezieht sich dieses Wort besonders auf Gethsemane. Dort flossen nicht nur Tränen, sondern Schweißtropfen wie Blut, mit starkem Geschrei. Aber noch nie ist einer Tränensaat eine so reiche Ernte gefolgt, wie der von Gethsemane (Jes 53,10-12).
O dass auch Tränen unsere Speise wären wie bei David und denen des Herrn, dann gäbe es viele Auferstehungen um uns her.