Behandelter Abschnitt Mt 27,27-30
Ein furchtbarer Anblick. Mt 27,27-30.
Das Verhör war vorüber, das Urteil gesprochen, die furchtbare Geißelung vollendet, nun sollte noch die grausame Kreuzigung selbst folgen. Die Kriegsknechte nahmen den Herrn noch ins Prätorium. Bei den folgenden Versen ist es unmöglich, trockenen Auges dabeizustehen und zuzusehen, was dem Herrn dort widerfuhr. Da ergoß sich eine Flut von Spott und Hohn aller Art über Ihn. Einer der Kriegsknechte mag den Anfang gemacht haben und andere ersannen weitere Grausamkeiten, um Ihn zu erniedrigen. Siebenerlei wird uns genannt, was man dem Herrn antat:
I. Sie entkleideten Ihn.
Geistlich gesprochen, hatte das der Herr eigentlich längst selbst getan, als Er die Herrlichkeit verließ und Knechtsgestalt annahm. Hier aber sind es Menschen, die Ihn entehrten. Hätte sie nicht tiefes Mitleid rühren sollen, als sie Seinen zerfleischten Leib ansahen, den sie selbst durch die Geißelung so zugerichtet hatten. Aber da stand Er als der Allerverachtetste zu ihrer Belustigung. Alle Kleider nahm man Ihm. Ist es heute besser? Beraubt man Ihn nicht Seiner Gottessohnschaft, Seiner leibhaftigen Auferstehung, ja all Seiner Ehre und stellt Ihn als Lügner hin?
II. Sie legten Ihm einen Purpurmantel an.
Den Purpurmantel legte man Königen zur Krönung an. Dem Herrn zog man ihn zum Spott an, weil Er bekannt hatte, der Juden König zu sein. Sie waren blind für Seine königliche Würde, die Er in Seiner Sanftmut, Demut und Seinem Dulden zeigte. Gerade das Schweigen, Dulden und Tragen hätte sie zum Nachdenken bringen sollen. Da stand Er vor ihnen als das Lamm zur Schlachtbank geführt, das den Mund nicht auftat.
III. Sie setzten eine Dornenkrone auf Sein Haupt.
Auch die Dornenkrone sollte Verhöhnung bedeuten. Einem König gebührt sonst eine Krone, und in ihrer unbegrenzten Bosheit machten sie dem Herrn eine solche zum Spott. Hätte eine Krone aus Reisig oder Stroh nicht genügt? Zum Spott gesellte sich ihre übliche Roheit, indem sie dem Herrn der Herren noch schreckliche Qualen hinzufügten. Der Mensch, die Krone der Schöpfung, krönte seinen Schöpfer mit Dornen, dem Zeichen des Fluches (1. Mose 3,18). Jene Kriegsknechte erkannten nicht die Hoheit der vor ihnen stehenden Person, diesen Herrn der Herrlichkeit (1Kor 2,8), den Sohn des Höchsten, dem alle Engel dienen und Ihn anbeten. Verleugnen etwa auch wir Seine Ansprüche? Viele sammeln Fehler der Gläubigen, andere schmähen sie. Wieder andere entwürdigen diesen hohen Herrn durch einen unheiligen Wandel. Bedenken wir, daß alles auf Ihn kommt, denn Er ist das Haupt. So wird der Herr noch heute geschmäht, und dies nicht allein von Feinden, nein, auch von solchen, die sich Sein nennen, wenn sie in Sünden leben. Denn Dornen und Disteln sind die Krönung der Sünde.
In des Herrn Dornenkrone liegt aber auch gleichzeitig eine große
Ermunterung. Wir können Ihn nicht so entwürdigt und geschmäht sehen,
ohne Ihn mehr zu lieben. Wir gehen willig hinaus, um Seine Schmach zu
tragen. Sie ist uns kostbarer, als der Welt Ehre. Unter dieser Krone der
"Schmach Christi" liegt ein unermeßlicher Reichtum verborgen (
IV. Sie gaben Ihm ein Rohr.
Einem König gehört auch das Zepter. Die Kriegsknechte kannten die Gegenstände der Würde und Macht eines Königs. Um Jesum jedoch zu verspotten, gaben sie Ihm ein Rohr. Der, der das Zepter des Universums schwingt, war so entehrt. Aber das Rohr, das sie Ihm gaben, wird sich in eine eiserne Rute verwandeln, mit der Er die Nationen weiden wird. Wir aber, die wir Ihn kennen, wollen Ihn als Gottes Gesalbten ehren, und Ihn schon jetzt über uns herrschen lassen.
V. Sie fielen vor Ihm auf ihre Knie nieder.
Auch das sollte eine Nachäffung von Huldigung sein. Vor den Großen warf sich alles nieder (1. Mose 41,43), hier aber war es zum Spott, und doch wird sich bald jedes Knie vor Ihm beugen müssen; auch jene Kriegsknechte (Phil 2,10). Was werden sie wohl dann sagen? Wie werden sie dann über all das denken?
VI. Sie spieen Ihm ins Angesicht.
Im Anspeien des Herrn fand die Verachtung ihren Höhepunkt; denn Anspeiung ist der Ausdruck höchster Schmähung. Hier erfüllte sich die Weissagung in Jes 50,6: "Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Werden nicht Engel ihre Angesichter dabei verhüllt haben? Wie sollten auch wir Ihn ehren und die Sünde hassen, ob solcher Erniedrigung.
VII. Sie schlugen Ihn mit dem Rohr auf das Haupt.
Anstatt sich unter Christi Zepter zu beugen, schlagen sie Ihn. Das Haupt, das vielleicht bei der schrecklichen Geißelung verschont blieb, wurde nun durch die Dornenkrone und die Schläge darauf getroffen. Jede erdenkliche Art des Hohnes und Schmerzes zugleich hatte diese Horde ersonnen, um Ihn zu quälen.
Der ganze Anblick des Herrn in Seiner tiefsten Erniedrigung ist so furchtbar, und alles an Ihm Geschehene so gemein und verächtlich, daß wir Ihn bewundern müssen, ob Seines stillen Duldens. Lernen wir dabei, was die Sünde verdient hat; denn das tat Er, um sie zu sühnen. Schmerz und Tod sind die Folgen der Sünde, und diese trug Er an unserer Statt. Wie Ihn der Purpurmantel bedeckte, so bedeckt Ihn unsere Sünde. Hier finden wir aber auch eine heilige Medizin, wenn es gilt, um Seinetwillen zu leiden. Die Leiden Christi waren stets der höchste Ansporn, um Jesu willen zu dulden. So freuten sich die Jünger, daß sie würdig erfunden waren, für Ihn zu leiden (Apg 5,41).