Behandelter Abschnitt Dan 9,20-25
Dan 9,20-25 - Die Jahrwochen
Daniel, der noch vor Gott kniet, sagt uns: „Während ich noch redete und betete, und meine Sünde und die Sünde meines Volkes Israels bekannte . . . während ich noch redete im Gebet, da kam der Mann Gabriel . . . zu mir und er gab mir Verständnis und redete zu mir“ (Vers 20). Eiligst wurde Daniels Gebet erhört. Die Gelehrten sagen uns, es benötige der Unermeßlichkeit der Entfernungen wegen Millionen von Lichtjahren, das Universum zu durchqueren. Nun fragen wir: wieviel Zeit braucht ein Gebet, bis es Gott erreicht und Er die Antwort sendet? Daniel gibt uns Aufschluß: W ä h r e n d ich noch betete. Eine ähnlich schöne Begebenheit finden wir im übrigen anläßlich der Werbung um Rebekka (1. Mose 24,12-15). In Jes 65,24 steht sogar geschrieben: „ E h e sie rufen, will ich antworten.“ Gott sieht ja unsere Gedanken von ferne. Uneigennütziges Bitten und Flehen vermag viel, es bewegt den ganzen Himmel, im Gegensatz zu selbstsüchtigen Gebeten, die kein Echo auslösen. Gottes Antwort auf Daniels Gebet enthielt unter anderem die besonders kostbare Verheißung des Messias; somit wußte Daniel, daß sein Volk wiederhergestellt werden wird (Lk 1,68-73).
Der Überbringer der Erhörung. Es war wiederum Gabriel, den wir schon im vorigen Kapitel kennen lernten. Er kam zur Zeit des Abendopfers und unterbrach Daniel im Gebet, wie später ein Petrus vom heiligen Geiste in seiner Rede vor Kornelius unterbrochen wurde (Apg 10,44). Das erstemal kam Gabriel zu Daniel, als der Prophet völlig erschöpft war, um ihn zu stärken. Diesmal brachte er ihm Licht über die ihm unverständlichen Weissagungen und zeigte ihm die weiteren Gedanken Gottes in bezug auf das Volk Israel und die noch einzulösenden Züchtigungen. Überaus lieblich klingt die schöne Begrüßung Gabriels: „Du Vielgeliebter!“ Dem von Gott so hochgeschätzten und geliebten Propheten mußte kein geringerer Engel als Gabriel, der vor Gott steht, Belehrung und Aufschluß bringen. Wahrlich, es lohn sich, ein gottseliges Leben zu führen und in aller Selbstlosigkeit und Hingabe zu dienen. Wir wollen uns fragen:
Was versteht die Schrift unter den Jahrwochen? Lies dazu 3. Mose 25,1-22. Jedes siebente Jahr sollte in Israel ein Sabbat- ein Ruhejahr sein. Da sollte nicht gesät und der Weinstock nicht beschnitten werden. Der Herr hatte verheißen, im sechsten Jahre einen Ertrag zu geben, der für drei Jahre ausreichte (3. Mose 25,21). Und nach sieben Sabbatjahren, also im fünfzigsten Jahre, sollte ein Jubeljahr gefeiert werden, in welchem jeder Verarmte wieder zu seinem Eigentum und zu seinem Geschlecht zurückkehren konnte. Wurde dieses Gesetz aber übertreten, so drohte der Herr mit Wegführung aus dem Lande, um demselben auf diese Weise die ihm zugedachten Sabbate zu geben. Das Gesetz des Sabbatjahres war gewiß eine Glaubensprobe für Israel. Fruchtbare Felder und Weinberge brach liegen lassen, war vor allem den Habsüchtigen unfaßlich. Der Zweifler mochte fragen: was werden wir dann essen? Gottes Antwort lautete: „Ich werde euch im sechsten Jahre meinen Segen entbieten, daß die Felder den Ertrag für drei Jahre einbringen.“ Der Segen Gottes macht entschieden reicher als alles Aussäen und alle menschlichen Bemühungen. Dieses gesegnete Land Kanaan, in welchem die heiligen Propheten wirkten, unser geliebter Herr lehrte, litt und starb, wird „ Jehovas Land“ genannt. Auch der Heilige Geist wurde zuerst nach Kanaan gesandt; ferner wurde das Evangelium von dort aus in alle Lande getragen, und der Herr wirb noch einmal Seine Füße auf Kanaans Boden setzten, wenn er auf dem Ölberg erscheinen wird. Israel hat das wunderbare Land, das ihm als Geschenk wurde, von jeher nur zum geringsten Teil bewohnt. England, das sich dieses Territorium zu Unrecht angeeignet hat, da es „Jehovas Land“ ist, wird es nicht auf die Dauer, wie einen Raub, festhalten können. Gott hat es „ I s r a e I „ versprochen, und Er wird Sein Versprechen einlösen. Nicht mehr lange und die Jubelposaune wird wiederum auf den Bergen Israels erschallen und ewige Freiheit verkündigen. Israel hat aber bis in unsere Zeit hinein bitter erfahren müssen, daß Gottes Drohung, im Falle einer Nichtbeachtung der Sabbate, sich erfüllte. Das Volk sollte unter alte Nationen zerstreut und das Land selbst zur Wüste werden (3. Mose 26,33-35). Die Strafzeit, die Juda hier erfuhr, ist in Jeremia 25,11 angekündigt und in Dan 1,1 und 2; 2Kön 24,10-12; 2Chr 36,5-8 erfüllt. Gott gab Jerusalem in die Hand Nebukadnezars.
Gabriels Auskunft über die Strafzeit. Daniel hatte in den Schriften Jeremias gelesen: die Strafzeit sollte siebzig Jahre währen. Gabriel aber unterrichtet nun den Propheten, daß nicht siebzig gewöhnliche Jahre, sondern siebzig Jahrwochen über Israel und die heilige Stadt als Strafzeit bestimmt seien. Eine Jahrwoche ist eine Zeitdauer von sieben Jahren. Siebzig Wochen ergeben also 490 Jahre. Nach Vers 24 soll während dieser Zeit folgendes geschehen:
Die Übertretungen Israels werden zum Abschluß gebracht.
Den Sünden wird ein Ende gemacht (Micha 7,19; Apg 13,38,39). Israel wird nicht mehr abirren.
Die Ungerechtigkeiten werden gesühnt (Jes 45,24). Das Land hat seine Strafe getragen. Israels Sünde wird vergeben sein, wenn es den Herrn, den es durchstochen hat, erkannt hat (Sach 12,10; 13,1).
Eine ewige Gerechtigkeit wird eingeführt. Damit beginnt die gesegnete Herrschaft des Tausendjährigen Friedensreiches Jesu Christi. Das wird dann sein, wenn ein neuer Bund beginnen wird, nicht mehr auf steinerne Tafeln geschrieben, sondern eingeprägt in die Herzen (Jer 31,33-40).
Gesichte und Propheten werden versiegelt werden. Der Herr selbst ist die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten.
Ein Allerheiligstes gesalbt. Der Herr selbst kommt am Ende der 70. Jahrwoche in Seinen Tempel. In Israel wurde das Heiligtum nach der Fertigstellung gesalbt, und dasselbe wird dann wieder im neuerbauten Tempel der Fall sein. Zwar wird nicht die Bundeslade im neuen Tempel stehen, sondern der Thron Jehovas, auf dem er als Priester sitzen wird, nach der Ordnung Melchisedecks (Jer 3,17; Sach 6,13). Der Tempel wird also wieder da stehen, und zwar in unendlich größerer Herrlichkeit, als der des Salomo. Auch wird die Herrlichkeit Jehovas dort einziehen und die Cherubim werben daselbst einkehren (Hes 43,1-7). Und hier wird die Weissagung Haggais erfüllt werden: „Größer wird die Herrlichkeit des zweiten Hauses sein, als die des ersten“ (Haggai 2,9). Gabriel hat also anhand von sechs Segnungen die ganze messianische Hoffnung Israels klar dargelegt. Die Wiederherstellung des Heiligtums ist das Endziel aller Visionen der Kapitel 7-12.
Die Teilung der Wochen. Gabriel macht eine Dreiteilung.
1. In sieben Wochen, gleich 49 Jahren
2. In zweiundsechzig, gleich 434 Jahren
3. In eine Woche, gleich 7 Jahren
Zusammen siebzig Wochen, gleich 490 Jahren
Die drei Wochengruppen sind drei Gerichtperioden. Betrachten wir nun, was während derselben geschehen ist, uns noch geschehen soll.
Die erste Periode. Sie beginnt mit dem Erlaß des Königs Artasasta im Jahre 445 v. Chr.; daß Juda zurückkehren dürfe, um Jerusalem wieder aufzubauen (Neh 2,5 ff.). Während diesen sieben Jahrwochen oder neunundvierzig Jahren, sollte nun die Stadt mit ihren Mauern, Toren und Gräben unter großem Widerspruch und vieler Drangsale wieder gebaut werden (Neh 1; 2; 4,6, 7). Esra und Nehemia beschreiben die Einzelheiten und die erheblichen Schwierigkeiten, unter denen die Wiederherstellungsarbeiten vor sich gingen; ja, es kam soweit, daß die Arbeiten sogar stillgelegt werden mußten und die Juden von ihren Feinden als aufrührerisches Volk verklagt wurden. Deshalb setzte Gott die lange Zeit von 49 Jahren zum Bau der Stadt fest. In jene Zeit fiel auch die Tätigkeit der Propheten Haggai, Sacharia und Maleachi. Diese erste Periode gehört also der Vergangenheit an.
Die zweite Periode. Sie umfaßt die 62 Wochen oder 434 Jahre. In ihr erfüllt sich zur Hauptsache das Kommen des verheißenen Messias, das ist die Geburt Christi (Jes 9,5; Micha 5,1; Mt 9,15; Lk 1,30-33; Mt 23,37) und endet mit der Verwerfung des Messias. Sie gehört ebenfalls der Vergangenheit an. In Vers 26 lesen wir: „Nach den zweiundsiebzig Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben“, d. h. der Messias wird seiner Verwerfung zufolge, das verheißene Königreich Jesu Christi in jener Zeit nicht aufrichten. Aber gerade die Aufrichtung des Reiches war ja die Sehnsucht der Gläubigen aus Israel. Auch die Jünger fragten den Herrn Jesus nach Seiner Auferstehung: „.Herr wann wirft du Israel das Reich aufrichten?“ Damit meinten sie das Tausendjährige Reich. Nur einmal stellte Jesus sich dem Volke als Messias dar, und zwar als Er Sach 9,9; und Mt 21,5 erfüllte: „Siehe dein König kommt zu dir.“ Die eigentliche Verwerfung geschah also, als der Herr auf einer Eselin in Jerusalem einzog und die Menge ihm zurief : „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn.“ Der Herr erklärte und unterstützte sogar den Jubel des Volkes, als die Pharisäer sich dagegen auflehnten. Israels Führer wollten aber den Herrn Jesus nicht als ihren König anerkennen; sie sagten vielmehr: „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche.“ Ja, als sich die Führer Israels über jene große Kundgebung ärgerten, sagte der Herr: „Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.“ Zugleich aber sprach Er das denkwürdige Wort aus: „Wenn doch auch du erkannt hättest an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient. Nun aber ist es vor deinen Augen verborgen“ (Lk 19,42). Damit meinte der Herr zu sagen, ganz Israel, und vor allem seine Führer, hätten Ihn an dem Tage, da Er in Jerusalem einzog, als ihren König aufnehmen sollen. Sie erkannten aber ihren König nicht, und riefen nur wenige Tage später: „Kreuzige Ihn, kreuzige Ihn!“ Hier erfüllte sich also das Wort Gabriels an Daniel: „Der Messias wird weggetan (getötet) werden und nichts haben (d. h. kein Recht haben).“ Zugleich erlosch auch die Hoffnung aller, die die baldige Aufrichtung des Reiches Christi erwartet hatten. Die Erfüllung der Weissagung über die Verwerfung des Messias am Ende der 69. Woche, ist einer der bedeutendsten Beweise in bezug auf die Zuverlässigkeit der Prophetie. Gabriel sagt sonst weiter nichts, was während der 69 Wochen geschehen wird. Die apokryphischen Bücher geben uns jedoch einige Einblicke in jene Zeit. Sie ist durchwegs gekennzeichnet durch tiefen Abfall. Gleichzeitig finden wir aber immer einen treuen Überrest, bis auf sie Zeit der Geburt Christi, da einige Wenige aus dem Volk auf den Trost Israels warteten, d. h. auf den Herrn, der geboren werden sollte (Lk 2,25,38). Im übrigen ging das Volk als ganzes nur in religiösen Formen auf. Als Israel die Kunde von der Geburt Christi durch Hirten und Weisen aus dem Morgenlande vernahm, tat es keinen Schritt, Ihm zu huldigen. Auch konnten die Schriftgelehrten bezüglich der Geburt Christi den Weisen erklären: der Messias wird zu Bethlehem geboren, denn also steht es geschrieben; aber keiner von ihnen ging nach Bethlehem um die Tatsache zu sehen.
Zwei große Weissagungen werden während der 69. Woche als Folge der Verwerfung Christi ausgesprochen.
1. Die Zerstörung Jerusalems durch den kommenden Fürsten, Titus, resp. dessen Volk, „die Römer“. Das ereignete sich bekanntlich im Jahre 70 nach Christus.
2. Die Zerstreuung Israels unter alle Völker. Beide Weissagungen hat der Herr vorausgesagt und die haben sich auf den Buchstaben genau erfüllt (Lk 19,43,44).
Beachten wir noch die zwei Titel, die in unserm Abschnitt dem Herrn gegeben werden, nämlich „Messias und Fürst.“ Messias d. h. „der Gesalbte“. Als dieser war Er Daniel aus vielen Schriftstellen bekannt (1Sam 2,35; 12,3-5; Psalm 2,2; 84,9; Jes 61,12 usw.) „ Fürst oder Führer.“ Er ist der Fürst der Könige der Erde (Off 1,5; 19,16). Er ist jener König, mächtig im Streit; man denke an Harmagedon (Hag 2,10; Jes 63,2; Psalm 24,8). Schließlich ist bemerkenswert, saß mit dem Ablauf der 69. Jahrwoche die prophetische Entwicklung plötzlich abbricht. Damit stehen wir vor einem besonderen Geheimnis des göttlichen Heilsplanes mit Israel und den Nationen. Denn zwischen der 69. und 70. Jahrwoche klafft eine Zeitlücke, die nun bald zwei Jahrtausende andauert, und es wird uns nirgends geoffenbart, wann sie endet und wann die 70. Woche beginnt. Wir nennen sie Zwischenzeit.