Behandelter Abschnitt Dan 7
Dan 7 - Die vier Winde des Himmels
Die ersten sechs Kapitel geben einen geschichtlichen Überblick während die sechs folgenden die Gesichte des Propheten kund tun. Kapitel 7 führt uns also zum zweiten und zugleich zum Hauptteil dieses Buches. Daniel, der offenbar mit der Zukunft seines in Gefangenschaft schmachtenden Volkes sehr beschäftigt war, erhält göttliche Unterweisung sowohl über den Werdegang der Nationen, als auch über den seines eigenen Volkes „ Israel“. Schon aus früheren Kapiteln ist uns Daniels Weisheit und Einsicht in bezug auf die Wege und Gedanken Gottes bekannt. Er erlebte die Worte: „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe.“ Jedem, der treu mit der ihm geoffenbarten Wahrheit umgeht und sie in der Tat verwirklicht, gibt Gott noch mehr. Grundbedingung für vermehrte Erkenntnis ist also der Gehorsam dem geoffenbarten Wort gegenüber. Daniel durfte Dinge sehen, hören und verstehen, die die tiefsinnigsten Theologen aller Zeiten vor die schwierigsten Probleme stellten. Einiges ist sogar bis heute noch in gewisses Dunkel gehüllt. Doch eins ist offensichtlich; je näher wir der restlichen Erfüllung, der im Buche Daniel geschauten Gesichte kommen, um so heller leuchtet das prophetische Wort wie eine Lampe an einem dunklen Ort, d. h. in dieser finstern Welt, und kündet das, nahe Morgenrot des großen kommenden Tages Jesu Christi und Seines Reiches auf Erden an.
Im siebenten Kapitel sieht Daniel folgende vier Visionen:
1. Die Nachtvision der drei Tiere (Verse 4-6).
2. Das vierte Tier, mit den zehn Hörnern und dem kleinen Horn (Verse 7-8).
3. Das Gericht über die Tiere, d. h. über die Völkerwelt (Verse 9-12).
4. Den Menschensohn und Sein ewiges Reich (Verse 13-14).
Der Zeitpunkt der schrecklichen Vision (Vers 1). Daniel erhielt dieses Gesicht im ersten J a h r e der Regierung Belsazars, also zwei Jahre v o r dem Untergang des babylonischen Weltreiches, demnach vor den Ereignissen, die wir in Kapitel 5 und 6 betrachtet haben. Das mächtige Weltreich, dargestellt durch das goldene Haupt, war also nur von kurzer, kaum siebzig Jahre langer Dauer. Wie schnell schwinden Macht und Glanz! Ihr bestehen gleicht nur einer Nachtwache oder einer Blume auf dem Felde. Während dieser siebzig Jahre hatte Daniel viel gesehen und erlebt; aber der sittenverderbende Einfluß des babylonischen Hofes vermochte ihm nichts anzuhaben. Er wich keinen Finger breit von Gottes Wegen ab. Trotz aller Schmähungen und Verleumdungen um des Herrn willen bekleidete Daniel während vieler Jahrzehnte die höchsten Ämter der ersten zwei Weltreiche. Die Hintergründe seines weitgehenden Einflusses waren entschieden der verborgene Umgang mit Gott, sein Gebetsleben und sein offenes Fenster nach Jerusalem hin. Und nun beachten wir, was Daniel sah, und verweilen vor allem bei der Auslegung, die dem Propheten gegeben wurde.
Die vier Winde des Himmels. Der Wind ist in der Heiligen Schrift ein Bi1d des Geistes (Joh 3,8; Apg 2,2). Wir erkennen also von vornherein, daß wir es hier mit Geistesmächten zu tun haben. Der Wind, der gewöhnlich aus einer Richtung kommt, kann unter Umständen zum gewaltigen Sturm anschwellen und furchtbare Verheerungen anrichten. Daniel aber sieht vier Winde aus allen Himmelsrichtungen auf das Meer (Völkerwelt) losbrechen und beobachtet im weiteren die Folgen. Die Worte Wind, Odem, (Geist sind einander sehr verwandt und sind Zeichen des Lebens. So blies der Herr bei der Schöpfung Seinen Odem in den Menschen und er wurde eine lebendige Seele. Auch Hesekiel sagt in seinem Gesicht in Kapitel 37, daß der Wind über das Totenfeld wehte und die verdorrten Totengebeine belebte. Und an Pfingsten erfüllte ein gewaltiger Wind das Haus, in welchem die (Gemeinde versammelt war, und alle wurden voll Heiligen Geistes. Das waren gesegnete Winde von oben, die neues Leben bewirkten. Die Schrift zeigt uns aber auch (bildlich gesprochen) Winde von unten, von Satan, dessen Hauptwerk Verheerung ist, der, wenn es möglich wäre, auch das Haus Gottes, die Gemeinde, zerstören möchte. Wer nicht auf den Felsen „Christus“ gebaut hat, wird dereinst weggeweht werden. Aus Hiob 1 erfahren wir, daß Satan einen Sturm gegen das Haus Hiobs losließ. Zwar wurde das Haus zerstört und seine Kinder unter dem Schutt begraben, aber Hiobs Glaube, der auf dem Felsen fußte, konnte nicht umgeweht werben. Zweifellos verursachte Satan auch jenen Sturm über dem See Genezareth, um, wenn möglich, den Herrn und die Jünger umzubringen und Gottes Absichten zu durchkreuzen. Hier sieht Daniel vier Winde, die das Völkermeer aufwühlen. Es sind wohl dieselben Winde, die Johannes später sieht (Off 7,1; Sach 6,5), die aber noch von vier Engeln zurückgehalten wurden, bis daß die Knechte Gottes versiegelt waren.
Wenn wir von Winden Satans reden, so dürfen wir einen besonderen Wind nicht vergessen. Paulus nennt ihn den Wind der Lehre. Dieser unheimliche Wind begann schon in den Tagen der Apostel zu wehen, und begegnet uns heute in allerlei Sekten des Verberbens in einer bereits unheilvollen Stärke; wird aber erst zum Sturm, ja zum Orkan ausarten, wenn der falsche Prophet in Offenbarung 13 sein schreckliches Werk treiben wird. Die verschiedenen Zeichen und Wunder, die Satan durch den falschen Propheten tun wird, werden die Menschen bewegen, das Tier (Antichrist) anzubeten und ihm allein zu dienen.
Beachten wir ferner, wo Daniel die vier Winde hinwirbeln sieht. ‑ Er sieht sie auf das große Meer losbrechen. Damit ist das Mittelmeer gemeint; dazu lesen wir folgende Stellen (4. Mose 34,7; Josua 1,4; 9,1; 15,11,12,47; 23,4; .Hes 47,10 usw.)
Die hier genannten vier Winde, die auch Johannes in Off 7 anführt, werden am Ende dieses Zeitalters im Kampf um die Vorherrschaft über das Gebiet des Mittelmeeres hereinbrechen. Schon im gegenwärtigen Krieg ist der Mittelmeerraum Hauptinteresse der verschiedenen kriegführenden Staaten, da er die Schlüsselstellung zu den drei großen Erdteilen: Europa, Asien und Afrika, mit ihren unbegrenzten Schätzen und Reichtümern ist. Wenn wir die Kriegsereignisse im Lichte der Bibel betrachten, so werden wir an das nahe Ende dieses Zeitalters erinnert. Ferner sei noch hervorgehoben, daß kein anderes Element die Unruhe der Völker so trefflich versinnbildlicht wie das ständig wogende Meer. Seine manchmal so harmlos scheinende Oberfläche verbirgt gewaltige Leidenschaften in sich, ein Wüten, ein Drohen, dem keiner zu widerstehen vermag! Und welch ein Aufatmen der Völkerwelt, wenn der Herr Wind und Meer bedrohen wird, und die Nationen in Seinem Friedensreich endlich zur langersehnten Ruhe kommen werden.
Aus dem Meer stiegen vier große Tiere herauf (Vers 3). In der Auslegung von Vers 17 lesen wir: „Diese großen Tiere; deren vier waren, sind vier Könige, die von der Erde aufstehen werden.“ Mächte, deren Interessensphären in der Mittelmeerzone liegen.
Beachtenswert ist auch, in welchem Lichte Daniel die Königreiche sieht, nämlich als „Raubtiere“, die in ihren niedrigsten Instinkten, wie Grausamkeit, Bestialität und Falschheit die wahre Seite ihres Wesens verraten. Sie folgen ausschließlich ihrem Appetit, ihrer Gier und Raublust und nicht der Vernunft, noch weniger dem Gewissen. Unter den genannten Tieren finden wir keine friedliebenden, etwa ein Lamm. Und doch werden sie am Ende vom Lamm überwunden. Das wahre Gesicht der Weltmächte ist die Geschichte grausamer Kriege und gegenseitiger, rücksichtsloser Vernichtung. Trefflich hat der Apostel Paulus den Menschen im einzelnen und die Völker im ganzen in Röm 1,29 beschrieben: „Erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit, voll von Neid, Mord, Streit, List, Tücke.“ Alle Reiche, zu allen Zeiten ‑ ganz gleich für wie edelgesinnt sie sich ausgeben mochten, und mit welcher Begeisterung sie aufgenommen wurden, ‑ haben in der Folge stets den wahren Tiercharakter geoffenbart. Das Fortbestehen eines Reiches wurde noch immer durch brutale Machtmittel und Rücksichtslosigkeit verteidigt. Macht ist Recht! Lüge und Fälschung sind gewöhnlich die Mittel, das angebliche Recht zu verteidigen, und der Mensch des Alltags darf nicht hinter die Kulissen schauen. Ja, selbst Nebukadnezar, der die Weltmächte in Kapitel 2 im großen Standbild gesehen hat, beachtete zunächst nur die rein äußere Seite: Glanz, Macht, Ruhm, das für den Menschen Imponierende, Faszinierende. Der Gottesmann, d. h. der vom Heiligen Geiste Erleuchtete, sieht jedoch bald hinter der trügerischen Glanzfassade das alles Zermalmende, Gottfeindliche, ja Gottlästernde. Und jeder, der wie Daniel das leere, vergängliche Wesen dieser Welt erkannt und durchschaut hat, wird sich von ihr absondern.
Dan 7 - Rekapitulation Dan 7
Wollte man eine kurze Zusammenfassung der Verse 1-8 geben, so dürfte man etwa folgendes sagen: Die vier Winde, die geistliche Mächte darstellen (vergleiche Daniel 10 mit Epheser 2,2; 6,11-12), richten unter den Völkern mit Gottes Zulassung eine unbeschreibliche Bewegung an, und betören die führenden Männer, ungefähr in der Weise, wie jene drei unreinen Geister in Offenbarung 16,13 die Könige der Erde betrügen. Belogen und verhaßt erhebt sich dann ein Volk wider das andere, wie es der Herr in Mt 24,7-8 vorausgesagt hat. Und als Resultat dieses Ringens bilden sich vier große Reiche heraus, die uns unter dem Symbol des Löwen, Bären, Pardel und dem vierten, dem schrecklichen Tier, vor Augen geführt werden. Sie stehen nebeneinander, jedes von ihnen trachtet nach der Weltherrschaft. Das vierte Reich, für das Daniel keinen Namen fand, besteht zunächst neben den andern drei Reichen; bald aber entfaltet es seine besondere Macht. Zehn Könige herrschen in diesem vierten Reich. Plötzlich taucht ein elfter König auf; erst klein, unscheinbar, wird aber in kurzer Zeit stark; beseitigt drei der zehn Könige und reißt alle Macht an sich, sowohl sie politische als auch die religiöse. Zunächst wird er einen großartigen Frieden unter den Völkern schaffen, ja, selbst die dann gehaßten Juden für sich gewinnen und einen besonderen Garantiepakt mit ihnen abschließen. Dieser mächtige elfte König erhält aber eines Tages eine tödliche Wunde (Off 13,3- wird also umgebracht), und das bedeutet das Ende seiner menschlichen Macht. Dieser elfte König war das, noch nicht als solches geoffenbarte schreckliche Tier, und fuhr nach seinem Tode in den Abgrund; von dannen es wieder entsteigt (Off b. 17, 8). Nun gibt Satan ihm seine ganze Macht und seinen Thron. Das Angebot der ganzen Welt (Mt 4,8-9), das damals der Herr energisch ausschlug, nimmt nun das Tier, der Schein - Christus, an. In diesem, von Satan beherrschten Tier, sind dann alle bösen Eigenschaften der andern Tiere: Löwe, Bär und Pardel und der zehn Häupter vereint. Wer kann sich heute ausdenken, was für ein unmoralischer Riese jenes Tier sein wird!
Daniel sah im vierten Tier nur das äußerste Maß der Bosheit eines gewöhnlichen Menschen; Johannes aber enthüllt uns das Tier als ein satanisches Wesen, als eines, das dem Abgrund entstieg, in den es zuvor gegangen war. Zum Regierungssitz wird sich das Tier Babylon wählen, die Quelle aller Unreinigkeit und Greuel.
Hier wird der uralte geistige Kampf zwischen Jerusalem und Babylon seinen endgültigen Abschluß, mit der totalen Vernichtung Babylons finden. Zwei Zeugen Gottes werden im Mittelpunkt jener Tage stehen, die uns in Off 11 beschrieben sind. Wir halten also unsere Augen gegen den nahen Orient hin offen; in dieser Richtung bereiten sich die endgeschichtlichen Ereignisse vor. Möglicherweise wird die Gemeinde selbst von den vorbereitenden Dingen nicht viel sehen, da sie sich erst nach der Entrückung der Gemeinde entwickeln werden.
Die übliche Auslegung von Kapitel 7 (Dan 7,4)
Wir sahen soeben, daß die Schrift die Völkerwelt mit einem brausenden Meer vergleicht. Dies sagt übrigens der Herr selbst: „Auf der Erde Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit, bei brausendem Meer und Wasserwogen“ (Lk 21,25). In Psalm 65,7 lesen wir: „der da stillt das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wellen und das Getümmel der Völkerschaften.“ Und in Off 17,15 heißt es: „Die Wasser, die du sahest, wo die Hure sitzt sind Völker, Völkerschaften, Nationen und Sprachen.“ Trotz all den sittlichen Hebungsversuchen, von denen die einzelnen Völker reden, sind sie nach der Schrift, und wie überdies auch aus der Geschichte zu entnehmen ist, nichts anderes, als grausame Raubtiere, die einander zerfleischen. Sie gleichen dem tückischen Meer, das seine Beute erbarmungslos verschlingt. Selbst ein Blick auf die Banner der Völker ist bezeichnend und läßt uns ihre vorherrschenden tierischen Instinkte erkennen. Löwe, Bär, Parder und Adler reden von ungebändigter Natur, von Raub- und Mordlust. Die christlichen Kirchen mühen sich bedauerlicherweise mit ergebnislosen Zähmungsversuchen ab; da es nach der Schrift aber keine christlichen V ö I k e r gibt, sondern nur die G e m e i n d e, bestehend aus den wahrhaft Gläubigen aller Nationen, so ist es nutzlos, die Völker nach altem Muster christianisieren, anstatt evangelisieren zu wollen.
Laßt uns nun die vier Tiere, die nach Vers 17 „Könige“ (Luther sagte: Reiche) sind, näher betrachten. Wir schließen uns zunächst, so kurz gefaßt als möglich, an die übliche Auslegung an, wie wir sie in den meisten Kommentaren finden. Alsdann wollen wir diese vier Könige nicht im Lichte als schon e r f ü I I t e r, sondern als n o c h z u e r f ü l l e n d e r Weissagung betrachten. Der denkende Leser bilde sich dann selbst ein Urteil darüber, ob wir es bei den vier Königen mit Personen der Vergangenheit oder der Zukunft zu tun haben.
Das erste Tier war gleich einem Löwen. Man sagt, es sei jenes neubabylonische Reich, das von 612‑538 v. Chr. währte; dargestellt in Kapitel 2 durch das „goldene Haupt“. Das babyIonische Reich ist also der „Löwe mit den Adlerflügeln“. Was das Gold unter den verschiedenen Metallen ist, ist der Löwe unter den Tieren. Nicht umsonst wird er der König der Tiere, wie der Adler der König der Lüfte genannt. Löwenkraft und Adlersgeschwindigkeit charakterisierten das erste Weltreich, welches Nebukadnezar als Erbe von seinem Vater, dem Begründer des Reiches, übernommen hatte. Daniel sah, daß dem Löwen die Adlerflügel ausgerissen wurden. Das ist offenbar in Kapitel 4 geschehen, als Nebukadnezar von Gott gedemütigt wurde und sieben Jahre lang bei den wilden Tieren des Feldes war. Dort wurde dem Löwen ein menschliches Herz gegeben; man lese das ergreifende Bekenntnis in Dan 4,34-37. Nebukadnezar hat ein neues Herz erhalten und anstatt wie früher, sich zu rühmen und zu brüsten, lobt er Gott. Nebukadnezar ist durch tiefe Gerichte wiederhergestellt worden; denn Wiederherstellung ist stets Gottes Gedanke in zeitlichen Gerichten. Wie die Löwenstärke Babylons sich aus wirkte, besagt die Geschichte dieses mächtigen Reiches deutlich genug. Der stolze Pharao Ägyptens wurde gedemütigt; Ninive in Asche gelegt; auch Jerusalem lag in Trümmern; und viele andere Reiche wurden bezwungen. Trefflich ist also das Symbol vom geflügelten Löwen gewählt. Doch dieses gewaltige Reich wurde im Jahre 538 besiegt.
Das zweite Tier glich einem Bären. Babylon, der stolze Löwe, hatte nur eine verhältnismäßig kurze Lebensdauer. Nach noch nicht siebzig Jahren fand die babylonische Herrlichkeit im dritten Regierungsjahre Belsazars durch seinen plötzlichen Tod (Dan 5,30) ein schnelles Ende! Mit der schweren Bärentatze hat König Darius, der Meder, den Löwen (Babylon) gleichsam erdrückt. Der plumpe Bär, wenn auch weniger geschmeidig als sein Vorgänger, hatte genau die gleiche Raubtierart. Der „Bär“ stellt das zweite Weltreich, „die Brust von Silber“, oder den „Widder“ mit den zwei ungleichen Hörnern (Dan 8,20) dar; also das medo - persische Reich, das sich durch großen Machthunger auszeichnete. Und dem Befehl: „Friß viel Fleisch“ zufolge wird Quantum und Art seiner Ration angedeutet.
Neben Darius, dem Meder, regierte auch Kores, der Perser, und es ist höchst beachtenswert, daß Kores, auch Cyrus genannt, zu jenen sieben Männern der Schrift gehört, deren Name vor ihrer Geburt bestimmt wurde (Jes 44,28; 45,1). Bei Kores war das 100 Jahre vor seiner Geburt der Fall. Gott nennt ihn seinen „Gesalbten“ und „Hirten“. Mögen Worte wie Jes 45,1-4, Kores bekannt gewesen sein? Hat wohl Daniel seinen König darauf aufmerksam gemacht? Und doch wurde auch dieses zweite mächtige Reich nicht viel älter als das babylonische. Es währte von 538-333 v. Chr.
Das dritte Tier glich einem Parder. Er hatte vier Flügel wie ein Vogel und vier Köpfe. Der „Parder“ stellt das dritte Weltreich das griechische, dar ‑, den „ kupfernen Bauch“ und die „Lenden“ des Standbildes Nebukadnezars, oder den „,Ziegenbock“ mit dem großen Horn (Kapitel 8). Der Begründer dieses Weltreiches war Alexander der Große, der Sohn des griechischen Königs Philipp. Nie zuvor hatte ein König einen derartigen Siegeszug erlebt. Wenn in neuester Zeit der Ausdruck „Blitzkrieg“ geprägt wurde, so darf man ihn mit Fug und Recht schon auf Alexander anwenden, denn in knapp drei Jahren legte er, als 25 jähriger junger Herrscher, die ganze Welt zu seinen Füßen.
Das Tier hatte vier Köpfe, es war also geteilt in seinen Entschlüssen; das Einheitliche fehlte ihm; denn nach dem Tode Alexanders wurde das Reich unter seine vier fähigsten Generale aufgeteilt.
Das vierte Tier hat keinen Namen (Verse 7-9). Daniel konnte für das schreckliche Tier keinen Namen finden, weil seinesgleichen in dei ganzen Tierwelt nicht zu finden ist. Daniel sagt: „Es war schrecklich und furchtbar und war sehr stark. Es hatte große, eiserne Zähne; es fraß und zermalmte was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen und hatte zehn Hörner.“ Wenn auch die andern Tiere, z. B. der Löwe Adlersflügel und der Parder vier Köpfe und vier Flügel hatte, so war trotzdem die Art des Tieres erkennbar, dagegen war das beim vierten Tier nicht der Fall. Daher ist es namenlos. Nicht nur Daniel, nein, auch Johannes, der dasselbe Tier aus dem Meer aufsteigen sah, erschrak über dieses beispiellose Ungeheuer. Da dieses Tier namenlos ist und auch kein direkter Name eines Weltreichs in Verbindung mit ihm angegeben ist, wie das bei den drei vorhergehenden der Fall war, so steigt die Frage auf: wen dieses Tier darstelle, resp. welches Reich? Die allgemeine Antwort lautet: es ist das „römische Reich“. Das starke eiserne Reich, mit seinen „zwei Beinen“, bestehend aus dem Ost- und Weströmischen Reich. Die „zehn Hörner“ des Tieres korrespondieren mit den „zehn Zehen“ des Standbildes und stellen zehn Königreiche dar, die unter einer starken Führung stehen. Aber alle zehn Reiche sind vom gleichen Geiste inspiriert, nämlich von dem Geist des Tieres, das aus dem Abgrund hervorkommt. Man hat oft versucht, die zehn Hörner zu identifizieren, aber das ist nutzlos -, es ist eher Spekulation als Schriftauslegung.
Das kleine Horn (Dan 7,8,24.25). Während Daniel das entsetzliche Tier mit seinen zehn Hörnern betrachtete, sah er, wie plötzlich zwischen den zehn Hörnern noch ein kleines, elftes Horn herauswuchs. Es wuchs schnell und wurde immer mächtiger, bis es plötzlich drei der zehn Hörner ausbrach und die Herrschaft bekam. Daniel bestaunte die Menschenaugen des kleinen Horns und seinen schrecklichen Mund, der nur Lästerworte redete. Während der Herrschaft des vierten Weltreiches wird also plötzlich ein neues Reich entstehen, vielmehr eine neue Führung, unter dem kleinen Horn. Daniel, den dieses kleine Horn stark beschäftigte, sehnte sich nach einer näheren Erklärung, die ihm auch gegeben wurde (Dan 7,15 f.). Was den Propheten besonders ängstigte, war, daß das kleine Horn Macht über die Heiligen bekam. Unter diesen Heiligen konnte sich Daniel keine andern Gläubigen, als die aus Israel vorstellen, die eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit, d. h. 1260 Tage, vom kleinen Horn gequält und schließlich zum Teil umgebracht werden sollten. Das wird also in den 31/2 Jahren der großen Trübsal geschehen, bis der Herr aus dem Himmel hernieder kommt und der Herrschaft des kleinen Horns ein Ende bereiten wird.