Behandelter Abschnitt Dan 5,1-12
Dan 5,1-12 - Die tragische Geschichte einer Nacht
Von Nebukadnezar haben wir uns endgültig verabschiedet. Seine Geschichte hat mit Kapitel 4 ihren Abschluß gefunden. Ehe wir nun zu Kapitel 5 übergehen, widmen wir Nebukadnezar einen kurzen Nachruf. Er starb im Jahre 562 vor Chr., regierte 42 Jahre, und war ein sehr fähiger und bedeutender Staatsmann, der Babylon zu höchster Blüte brachte. Er führte viele siegreiche Kriege; war auch in Friedenszeiten äußerst unternehmend, baute große Städte, lange Kanäle, Stauwerke und Bewässerungsanlagen, machte unfruchtbare Gegenden urbar u. a. m. Nicht umsonst vergleicht ihn die Schrift mit einem üppigen Fruchtbaum. Doch das Schönste, was wir über ihn lesen, ist seine Bekehrung, die als letztes von ihm berichtet wird. Nebukadnezar ist also nicht allein als mächtiger und begabter Herrscher unvergeßlich geworden, sondern auch als demütiger und begnadigter Sünder, der doch noch Gott als seinen Herrn erkannte und Ihn rühmte. Es ist besondere Gnade, wenn das der Abschluß eines großen Lebens ist.
In Kapitel 5 beschäftigt sich der göttliche Schreiber mit Belsazar, dem Nachfolger Nebukadnezars. Zwischen Nebukadnezar und Belsazar liegt zwar noch die ganz kurze Regierungszeit Ewil Merodaks, der Zedekia die Gefangenschaft erleichterte und ihn an seinen Tisch setzte. Ob es nicht der Fürsprache Daniels zuzuschreiben ist, daß Zedekia nach siebenunddreißigjähriger Haft eine Linderung seines Loses erfuhr? Was mag dieser König gesagt haben, als er mit Daniel am Hof zu Babel zusammentraf; denn er mußte sein Vaterhaus doch von Jerusalem her kennen, da Daniel auch aus königlichem Geschlecht war (2Kön 25,27; Jer 52,31). Weil aber Ewil Merodak im Buche Daniel nicht genannt wird, wollen auch wir uns nicht mit ihm beschäftigen, sondern nur seinen Namen als Bindeglied erwähnen.
Belsazar, sein Nachfolger in der Regierung, stellt durch sein Leben den Inbegriff aller Gottlosigkeit dar. Zwei Dinge treten in dem, was die Schrift über ihn berichtet, besonders hervor:
1. Das Trinkgelage mit all seinen traurigen Begleiterscheinungen. Geradezu erschütternd tritt uns die sittliche Verkommenheit des letzten Königs des goldenen babylonischen Reiches entgegen. Da ist aber auch gar nichts mehr von königlicher Gesinnung und Führung! An diesem Fest wird die ganze Gemeinheit seines Charakters offenbar.
2. Die Verhöhnung des Gottes des Himmels durch den Mißbrauch der goldenen Gefäße aus dem Tempel in Jerusalem. Diese Gefäße hatte Nebukadnezar bei der Wegführung der Juden aus Jerusalem mitgebracht und sie in das Haus seines Gottes im Lande Sinear gestellt (Kapitel 1, 2). Er hatte sie also in gewissem Sinne ehrenhaft behandelt und nie zu einem so leichtfertigen, schlüpfrigen Trinkgelage gebraucht; er beachtete bei aller Götzendienerei doch den Grundsatz: das nicht mit Füßen zu treten, was andern heilig ist. Belsazar aber übte seinen Mutwillen an geheiligten Gefäßen aus, die er schamlos mißbrauchte, und rühmte alle heidnischen Götter, obwohl er Besseres wußte. Seine niedrige Gesinnung machte auch bald Schule. Es mag eine Sache noch so schändlich und unsinnig sein, wenn jedoch ein sogenannter Aristokrat den Ton zu einer Unsitte angibt, so stimmt sie Menge alsbald mit ein.
Während am Anfang des 5. Kapitels die vollendete Gottlosigkeit Belsazars berichtet wird, zeigt uns schon der Schluß desselben Kapitels den Untergang Belsazars und seines Reiches mit den Worten: „Aber in derselben Nacht ward der Chaldäerkönig getötet.“ Und in Kapitel 6 heißt es: „Darius, der Meder, bekam das Reich.“ Welch eine Tragik! Welch ein Gottesgericht! Wenn irgendwo Psalm 1,4-6 sich erfüllt hat, dann hier. Was uns persönlich angeht, und was wir daraus lernen und zu Herzen nehmen sollen ist: wenn Gott eines Menschen Tage zählt und ihn zu leicht findet, dann ist das Ende und das Gericht vor der Tür; denn jede Art von Schlemmerei ist Sünde und:
Soweit der Leib in Betracht kommt, eine Befleckung desselben.
Soweit die Gesundheit in Frage kommt, eine Untergrabung derselben.
Soweit die Fortpflanzung in Frage kommt, ein Vergehen an Volk und Rasse.
So ging denn mit diesem Chaldäerkönig Belsazar das königliche Geschlecht Nebukadnezars und sein Reich zugrunde. Doch werfen wir noch einige Blicke auf etliche Einzelheiten des Kapitels.
Ein Prunkgelage. Belsazar machte seinen tausend Gewaltigen ein großes Mahl (Vers 1). Feste feiern ist an und für sich nicht verboten. Israel hatte jedes Jahr sieben Feste. Und Paulus schreibt: „Laßt uns Festfeier halten“ (1Kor 5,8). Um was für ein Fest es sich bei Belsazar handelte, wissen wir nicht. War es ein nationaler Feiertag, ein Geburtstag wie bei Herodes, oder gar ein Götzenfest? Allem nach zu schließen, wäre ein Fasten in jener Nacht mehr am Platze gewesen als ein Festen, da doch die Meder und Perser die Stadt belagerten. Wir kleinen Leute können uns keinerlei Vorstellung von dem Betrieb eines solch großartigen Hoffestes machen, wenn wir lesen, daß der König seine tausend Gewaltigen, seine Frauen und Kebsweiber dazu einlud. Was müssen das für ungeheure Säle gewesen sein, die solche Menschenmengen zu einem Festgelage fassen konnten! Dann die luxuriöse Innendekoration, die verschwenderische Beleuchtung, die hinreißende Musik, und nicht zuletzt die wohlschmeckendsten Speisen und feinsten Weine, von eleganter, gewandter Dienerschaf t serviert! Alle jubelten: „Heil dem König!“ Auch das religiöse Moment fehlte nicht; man rühmte die Götter Babylons. Am Vorabend großer Katastrophen hat schon mancher ahnungslos geschwelgt. Wir denken an die Tage Noahs; man aß, trank und frönte dem Fleisch, bis die Flut kam und alle hinwegraffte. Ähnlich war es vor dem Untergang Sodoms, da die Menschen auch nur dem Genuß und der Sinnlichkeit huldigten, bis sie plötzlich das Verberben ereilte. Und von den Tagen der Endzeit wird unter vielem andern von den Menschen gesagt, daß sie das Vergnügen mehr lieben als Gott (2Tim 3,4). Das ist heute schon sichtbar vor aller Augen.
Eine frivole Tat. Belsazar befahl, als der Wein ihm schmeckte, die goldenen und silbernen Gefäße, die Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem erbeutet hatte, zu holen. Er, seine Gewaltigen, seine Weiber und Kebsweiber tranken daraus! Nur der Verwegenste wird machen, was Belsazar tat. Er wollte mit seiner besonderen Macht protzen und dem Gott Israels Hohn sprechen; hatten doch nach seiner Meinung die Götter Babylons den Gott Israels besiegt. Es wird hier ähnlich gegangen sein wie in Philistäa, als die Philister die Bundeslade erbeutet hatten, und sie dieselbe in das Haus ihres Gottes Dagon stellten. In beiden Fällen aber hat Gott sich nicht unbezeugt gelassen (1Sam 5). Während nun die goldenen Gefäße des Tempels von Mund zu Mund gingen und man die Götter lobte, den lebendigen Gott aber spöttisch abtat, da gab es plötzlich:
Eine unliebsame Unterbrechung. Ein Ungeladener, der G o t t I s r a e l s, den man soeben verspottet hatte, erschien mitten im Fest. Ohne Worte redete Er eine höchst eindringliche Sprache, die plötzlich allem Treiben ein Ende bereitete. Augenblicklich verstummten die Musik und das klirren der Gläser. ‑ Mit einem Schlage war die Luft gereinigt und die witzigen Geschichten hörten auf. Die eigenartige, stille Rede Gottes sprach lauter als Belsazars Befehl: die Gefäße des Tempels zu holen. Was geschah denn? Finger einer Menschenhand kamen plötzlich zum Vorschein und schrieben dem Leuchter gegenüber unverständliche Worte an die Wand. Nur eine Hand ‑ wer führt sie ‑ was schreibt sie? Es war die Hand des Weltenrichters; denn Gott hat alles Gericht Seinem Sohne übergeben. Der König wurde totenbleich und zitterte. Der gleiche wunderbare Gott, der einst auf dem Sinai auf steinerne Tafeln schrieb und Sein ganzes Volk dabei zum Zittern brachte, schrieb hier wieder. Und auch hier zitterten Männer, die sonst nicht schnell aus der Fassung kamen, ja, vor denen viele andere bebten. Belsazar, den sein Gewissen mit Recht schlug, den seine große Schuld besonders drücken mußte, horchte auf und wurde sichtlich sehr beunruhigt. Daß Belsazar unverzüglich wissen wollte, was die Schrift zu bedeuten hatte, ist nur zu begreiflich (Sind wir auch so begierig zu wissen, was Gott uns heute durch Sein Wort zu sagen hat?). Der König rief mit Macht! Es war:
Ein Alarmruf. „Man hole die Beschwörer, die Chaldäer und die Wahrsager herbei!“ Mitten in der Nacht wurden die Weisen in Babylon aus ihrem Schlaf geweckt und in den Palast gerufen. Sollten sie etwa auch noch an dem großen Fest des Königs teilnehmen? Doch, was fanden sie? Einen totenblassen, zitternden König; die Großen außer sich; und die Weiber von Entsetzen erfüllt. Was sollte das bedeuten? Der König zeigte auf die Schrift an der Wand und versprach ihnen große Belohnung, sollten sie das Geschriebene deuten können. Aber wie immer, versagten sie auch diesmal. Gottes Reden kann am allerwenigsten durch den Betrug der Wahrsagerei erklärt werden. Dennoch suchen mehr Menschen bei den vertrockneten Quellen ihre Zuflucht, als beim Herrn Jesus, der allein in jeder Ratlosigkeit des Lebens einen Alusweg weiß. Gott aber, der auf diesem Fest geredet und an Belsazar eine besondere Botschaft gerichtet hatte, sorgte für die Aluslegung. Erst mußte aber die Weisheit dieser Welt zuschanden werden.
Der gute Rat einer Mutter (Vers 10‑12). Kaum hatte die Königin - Mutter, die Witwe Nebukadnezars, von dem merkwürdigen Reden Gottes im Palast vernommen, so eilten schon ihre Gedanken zurück in die Tage ihres Mannes, der einst in seiner großen Verlegenheit Daniel rufen ließ, als niemand mehr einen Rat wußte. So ging sie in das Haus des Gelages. Warnend erhob sie ihre Stimme, wie später das Weib des Pilatus ihrem Mann gegenüber. Gewiß hatte sie manchmal mit Belsazar über den Gott Israels geredet, doch fand sie taube Ohren. Jetzt war die Stunde der Not gekommen, jetzt hörte er auf den Rat der Mutter. Sie sah Belsazars verändertes und geängstigtes Gesicht „Laß dir das Versagen der Wahrsager nicht allzu schwer zu Herzen gehen“, mag sie zu ihm gesagt haben. ‑ Es ist ein Mann im Reich, Daniel ist sein Name, einer der Weggeführten aus Juda, der weiß diese Schrift zu deuten. Zugleich machte sie damit dem König einen Vorwurf, daß er diesen Mann, den sein Vater Nebukadnezar so hoch geehrt hatte, auf die Seite stellte. Die Tatsache, daß Daniel so völlig kalt gestellt war, beweist nur zu genau, welchen Kurs man nach Nebukadnezars Tod eingeschlagen hatte. Ist es nicht oft so in der Welt, daß man die Zeugen Gottes in die Ecke stellt, sie aber in der Stunde der Not gern wieder hervorholt? Wie schade, daß manche, wie Belsazar, erst in letzter Stunde den Sinn des göttlichen Wortes zu verstehen suchen. Die Schrift jagt: „ .H e u t e ist die angenehme Zeit, h e u t e ist der Tag des Heils.“