Behandelter Abschnitt Ps 88,1-18
Ein Gebet in schwerster Not Psalm 88
Kirkpatrick schreibt: „Dieser Psalm ist einer der trübsten von allen“, und andere Ausleger sind gleicher Ansicht. Der Schreiber befindet sich in einer unerträglichen Seelenqual, fast ähnlich der des Herrn in Gethsemane, als Er sprach: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“ In Jesaja 53,3 lesen wir ähnliches, das auf den Herrn hin geweissagt ist. „Wir hielten Ihn für einen, der von Gott bestraft, geschlagen und niedergebeugt wird“ (Mk 9,12). So kam sich der Psalmist nach Vers 16 vor.
Ein Mann in der bittersten Seelennot. Er fühlt sich wie am Rande des Abgrunds, ausgestoßen, einem Aussätzigen gleich. Seine Qualen waren innerer Art. Ein Schriftausleger vergleicht die Notschreie mit denen Israels in der großen Trübsal unter dem Terror des Antichristen, da auch kein Ausweg zu sehen sein wird. Andere nehmen an, der Psalm gilt dem König Usia, den Gott seines Hochmuts wegen mit Aussatz strafte und der ausgestoßen wurde (2Chr 26). Aber ein Lichtstrahl liegt in der glaubensvollen Anrede des Psalmisten: „Herr, Gott, mein Heiland“, und im nächsten Vers: „Neige Dein Ohr zu meinem Geschrei.“ Alles Folgende, das wir hören, ist Schrecken und Finsternis, und so endet der Psalm. Wer denkt nicht dabei an das Ende der Ungläubigen, deren Ende Schrecken und Finsternis sein wird (Mt 8,12). Letzteres ist hier nicht der Fall, weil der Schreiber an Gott glaubt, und ein solcher kann niemals in der Finsternis enden (Ps 23,4; Joh 3,36). Wer im Vertrauen Gott seine Not ins Ohr flüstert wie der Psalmist, kann niemals in der Finsternis enden; sein Ausgang wird Licht sein (Ps 23,4).
Der Schreiber sagt, dass sein Unheil vom Herrn komme und dass nur Er es wenden könne (Verse 6-8). Du hast mich in die tiefe Grube gelegt. Auf mir liegt schwer Dein Grimm. Alle Deine Wellen sind über mich gegangen. Der Klagende setzt ein Sela und denkt über alles Geschehene nach. Zugleich wird er gefleht haben; Herr lass mich doch den Grund wissen, warum Du diese Zucht gegen mich brauchen musst, und ich will mich gern darunter beugen, denn denen, die Dich lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen (Röm 8,28). Der Psalmist fährt in seiner Klage fort und zwar darüber, dass auch selbst seine Angehörigen ihn meiden, wie das auch Hiob klagte (Hiob 6,4). Der Psalmist empfand tief seine Einsamkeit, ähnlich dem Herrn in Seinen Leiden. Herr, ich bin mir nichts bewusst, warum verbirgst Du Dein Angesicht vor mir. Deine Schrecknisse haben mich vernichtet, sie haben mich umgeben wie Wasser (Vers 17). Er kommt sich eingeschlossen vor wie in einer Zelle.
In Psalm 102,7 lesen wir „Ich bin einsam wie der Vogel auf dem Dach.“ Und unser Herr schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.“ Der Psalmist dachte nicht an die oftmalige Verheißung: „Ich will dich nicht verlassen.“ Daran festzuhalten ist der sichere Ausweg in jeder Not. „Dennoch bleibe ich stets bei Dir, denn Du hast mich erfasst bei Deiner rechten Hand“ (Ps 73). „Ich lasse Dich nicht los, Du segnest mich denn“ (1. Mose 32,26). Während er vom Tode redet, setzt er wie Mose ein Sela. In Gedanken daran sollten wir es oft tun. Kaum hat er an den Tod gedacht, grübelt er weiter und ist zu tiefst niedergeschlagen. Wie lange?
So fragt er ängstlich jeden Tag. Ganz anders ergeht es jedem Leser der Schrift, der sich mit den Verheißungen beschäftigt, bei Ihm wird es Licht.
Da der Psalmist das Handeln Gottes mit ihm nicht begreifen kann, denkt er an Gottes Wundermacht und an einstige Segnungen, was seinen gläubigen Erwartungen, neue Gnade zu empfangen, Nahrung gibt. Es ist einem, als habe der Psalmist das Buch Hiob gelesen, das wohl das älteste aller biblischen Bücher ist. Der Schreiber ist entschlossen wie Asaph, an Gott festzuhalten (Ps 73,23).
Die beste Zuflucht. In allen Lagen, in Freude oder Leid, ist das Gebet die einzige Hilfe. Der Psalmist hat viel gefleht und bis dahin keine Erhörung gefunden. Er hat nach Vers 1 Tag und Nacht gebetet. Zu Dir habe ich ausgestreckt meine Hände. Mein Auge schmachtet vor Elend. Bei allen schweren Enttäuschungen hält er fest an seiner Frömmigkeit. Dieses Erlebnis haben oft die treuesten unter den Gläubigen gemacht, aber sie durften am Ende neues Licht empfangen.
Eine Frage. Ist der Psalm, wie manche meinen, messianisch? Einige Aussagen lassen darauf schließen (Lk 23,49), verglichen mit Vers 9. Der Psalmist klagt, dass ihm keine Erhörung zuteil wurde, der Herr aber sagt, der Vater ist allezeit bei mir. Im ersten und letzten Wort am Kreuz braucht Er das Wort Vater.
Zusammenfassend sei folgendes gesagt. Wir haben hier das Bild eines hart Geprüften, voll Ungemachs. Er kommt sich vor als ein absolut hilfloser, verlassener, von allen aufgegebener Mensch (Verse 2-5). Er fühlte sich zu Boden gedrückt wegen des Zornes Gottes über ihm (Verse 6 und 7). Er sieht keine Aussicht auf Befreiung: „Ich liege in der Zelle und kann nicht heraus.“ Im tiefsten Elend aber hören wir in der Anrede sein „Dennoch“ des Glaubens wie bei Asaph: „Dennoch bleibe ich stets bei Dir, denn Du hältst mich bei Deiner rechten Hand.“ Oder er sagt mit Petrus im Glauben: „Herr, wohin sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.“ Andere Zuflucht habe ich keine, auf Dein Wort vertraue ich. Du Herr lässt mich nicht alleine. Wenn ich glaube fest an Dich. Nur zu Dir steht mein Vertrauen, dass kein Übel mich erschrickt. Mit dem Schatten Deiner Flügel sei mein wehrlos Haupt bedeckt.