Behandelter Abschnitt 1Mo 33,1-16
1. Mose 33,1-16 - DIE VERSÖHNUNG MIT ESAU
Schon der erste Vers des vorliegenden Kapitels erfordert unser Nachdenken. Eben hat Gott Jakob den neuen Namen „Israel“ gegeben, und kurz darauf wird er in unserm Bericht vom inspirierten Schreiber wieder beim alten Namen „Jakob“ genannt. Dieser wird nicht umsonst noch etwa 70mal im ersten Buch Mose genannt, nicht halb sooft dagegen sein neuer Name Israel. Bei Abraham finden wir nie mehr den früheren Namen „Abram". Warum ist nicht auch Jakobs früherer Name ganz verschwunden? Wohl aus dem Grunde, weil er nicht völlig im Geiste von Pniel gewandelt ist. Das beweisen einige der noch folgenden Begebenheiten, die nach dem Erlebnis von Pniel vorgekommen sind. Wäre die Schrift nur aus menschlichen Erwägungen geschrieben worden, dann fänden wir gewiß nach so großen Erlebnissen, wie sie mit den Namen Bethel und Pniel verknüpft sind, nur immer den Namen Israel. Wir fänden ihn kaum in seinen Schwächen, sondern als einen großen Heiligen dargestellt. Es ist immer sehr bedauerlich, wenn der Gläubige von einer höheren Glaubensstufe auf eine niedrigere herabsinkt, wenn Friede, Freude, Fruchtbarkeit usw. nicht wachsen (Gal. 5,22).
Die lang gefürchtete Begegnung mit Esau. Nachdem die Königin Esther gefastet hatte, ging sie mutig zum König (Esther 4,16). Und als der Herr im Garten Gethsemane gerungen hatte, begegnete Er mutig Seinen Feinden (Lk 22,39-47). Auch Hanna, die Mutter Samuels, trat nach dem ersten Gebet zu Silo glaubensvoll den Heimweg an (1Sam 1,18). Ähnlich erging es auch Jakob: mutig trat er seinem Bruder Esau entgegen, seine große Furcht wurde bald in Freude verwandelt. Wie der Herr mit Laban fertiggeworden war, so hatte er auch Esaus Herz umgewandelt (Spr 21,1). Jakob hat nachher gewiß seine Furcht und seinen Kleinglauben bereut. Auch wir handeln oft nicht weiser! Trotz der vielen Beweise der Treue Gottes und Seiner zahllosen Verheißungen lassen wir uns meistens vor neuen Schwierigkeiten mit Furcht anstatt mit Glauben erfüllen. Alle klugen Pläne Jakobs sowie das reiche Geschenk an Esau erwiesen sich als überflüssig. Die härtesten Herzen schmelzen, wenn Gott sie bearbeitet.
Die Versöhnung. Erquickend ist die Begegnung der beiden Brüder, die sich wie zwei stets friedlich gewesene Brüder begrüßen (Vers 4). Wir hören nichts von den bösen Dingen der Vergangenheit. Esau erwartet keine Entschuldigung oder Rechtfertigung, die wir in unserm Hochmut so oft fordern. Beachtenswert bei der Begegnung ist, daß der beleidigte und früher so nachtragende Esau den ersten Schritt tut. Gerne rühmen sich oft Menschen ihrer Rache, etwa mit den Worten: „Dem habe ich's aber gründlich gesagt!“ Solche Menschen könnten hier von Esau lernen. Ist das nicht ein köstlicher Anblick, die beiden so lang innerlich wie äußerlich getrennten Brüder sich weinend in den Armen liegen zu sehen? Das erinnert uns auch an Kapitel 45, da Josef und dessen Brüder sich weinend umarmten. Müssen wir uns etwa gar durch Schriftworte wie diese strafen lassen, wenn wir sie nachdenkend lesen? Erquickend muß die Begegnung dieser beiden Brüder auch für alle Anwesenden gewesen sein, denn nicht allein Jakob, sondern dessen ganze Familie lebte auf, als sie diesen Vorgang sahen. Versöhnung gibt nicht nur Friede ins eigene Herz, sondern bewirkt Freude in den Herzen der andern. Außerdem erweist sich Esau als sehr großzügig: er lehnt das reiche Geschenk Jakobs ab und ist zugleich diesem gegenüber sehr entgegenkommend: er will ihn mit seinen 400 Mann begleiten und schützen auf dem weiteren Wege.
Die Verwandtschaft. Nach der herzlichen Begrüßung stellte Jakob seinem Bruder seine Frauen und Kinder vor. Zwei große Haufen standen sich hier gegenüber: Jakob mit seiner Familie, Knechten, Mägden und Herden und Esau mit seinen 400 Mann. Esau fragte nach den Frauen und Kindern: „Wer sind diese?“ (Vers 5). Jakob antwortete: ,Die Kinder, die Gott deinem Knechte beschert hat.“ Jakob nennt die Kinder eine Gabe Gottes (Ps. 127,3). Die Ansicht, daß Kinder eine Gabe Gottes sind, hat sich sehr geändert. Das erste oder auch das zweite Kind sind meistens willkommen, die späteren aber empfindet man als eine Last. Gewiß bringen Kinder Arbeit, Sorge und Verantwortung mit sich, aber vergessen wir nie, daß sie dennoch eine Gabe Gottes sind und uns anvertraut, sie für Gott zu erziehen. Darin sollten sich alle Eltern von Gott geehrt fühlen.
Beachtenswert ist, daß Jakobs Frauen nicht vorgestellt werden. Bei Gott gilt nur die Einehe. Aufs neue erkennen wir, wie Gott über allem andern wacht, so auch über jedem einzelnen Schriftwort. Es folgte die Begrüßung der einzelnen Familienglieder. Die Frauen begrüßten und verneigten sich vor dem gefürchteten Schwager und die Kinder vor dem unbekannten Onkel Esau.
Neue Fehler. Wir stellten bereits fest, daß das Kapitel mit Jakob, seinem alten Namen, und nicht mit dem neuen Namen Israel beginnt. Warum auch das beständige Irren der Gläubigen, da sie so sichtbar Gottes Güte erfahren und Erlebnisse haben dürfen wie Jakob in Pniel?
Obwohl Jakob eine so wunderbare Begegnung mit Gott erlebt hatte, war seine Nachfolge noch nicht vollkommen. Schließlich konnte ja nur Einer sagen: „Ich tue allezeit, was Meinem Vater wohlgefällt“ (Joh 8,29). Zunächst muß uns Jakobs Furcht auffallen. Anstatt als Israel, als Gotteskämpfer, im Geiste von Pniel aufzutreten, fährt er im alten Wesen fort. Er hatte alles gelassen, wie er es tags zuvor angeordnet hatte (Kap. 32,7-8). Die Familie hatte er so aufgestellt, daß die ihm wertvollsten Glieder zuletzt gekommen waren. Erst die Mägde und deren Kinder, dann Lea und ihre Kinder und zuletzt seine geliebte Rahel mit Josef. Hätte die Begegnung mit Esau wirklich verhängnisvoll auslaufen sollen, so schienen doch die dem Jakob wertvollsten und liebsten Glieder weniger gefährdet gewesen.
Verfehlt war auch die siebenmalige tiefe Verbeugung Jakobs vor seinem Bruder Esau. Das kam gewiß nicht aus Glauben, sondern war nur kluge Berechnung (Vers 3). Jakob war der von Gott Auserkorene. Im Besitz des Erstgeburtsrechtes und des Segens durfte Jakob sich so wenig vor Esau niederwerfen als in späterer Zeit ein Mardochai vor dem gottlosen Haman (Esther 3,2). Esau dagegen kommt einfach als Bruder und fällt Jakob um den Hals.
Besonders beschämend wirkt Vers 10. Jakob redet von der Begegnung mit Esau, als habe er Gottes Angesicht gesehen und dessen Wohlgefallen gefunden, und das alles geschieht nach dem Erlebnis von Pniel! Das war bestimmt nur eine allzu menschliche Schmeichelei. Zu alledem kommen noch einige listige Unwahrheiten. Jakob verspricht Esau einen Besuch, aber er reiste in entgegengesetzter Richtung, belügt ihn also aufs neue (Vers 14). Die Ablehnung Jakobs, mit Esau zusammen zu reisen, scheint der alten List zu entsprechen.
Ferner lesen wir, daß Jakob in Sukkoth blieb, was entgegen Gottes Weisung war, denn er hatte den göttlichen Befehl erhalten, nach Bethel zu gehen und sein Gelübde zu erfüllen. Er erfüllte den Befehl nur teilweise. In Vers 18-19 lesen wir, daß Jakob in Sichem blieb und dort Land kaufte. Das geschah also doch mit der Absicht, daselbst zu bleiben, anstatt weiterzugehen. Selbst der Altar, den Jakob baute, war nicht am rechten Platz, den sollte er in Bethel errichten. Er mag ihn gebaut haben, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Es war also nur halber Gehorsam, und dieser soll uns allen als eine abschreckende Belehrung dienen. Aus alledem sehen wir, daß große Erlebnisse wie das von Bethel (Bekehrung) und die Begegnung zu Pniel (Hingabe) keinerlei Garantie zukünftiger Treue gewähren. Denken wir an die ernsten Ermahnungen in Hebräer 5,12-14, sowie an das Verhalten des Petrus nach seinem Erlebnis auf Tabor und besonders nach dem herrlichen Bekenntnis: „Du bist der Christus“ (Mt 16,26 u. 22). Jakob mußte leider noch allerlei Demütigungen als Folge seines halben Gehorsams erleben, ehe er endlich den göttlichen Befehl ausführte: „Kehre zurück nach Bethel, wo Ich dir erschienen bin“. Wir müssen nur immer wieder aufs neue staunen über die Geduld und Langmut Gottes mit den Seinen.
Ein guter Hirte. Werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf Vers 13. Er kann uns viel sagen, wenn wir lernen wollen. Jakob ist besorgt um die Kinder und um die Herden. Er will vermeiden, daß diese durch eine zu eilige Reise Schaden erleiden könnten. Er selbst mit den Müttern und den älteren Kindern könnten wohl mit Esau Schritt halten, aber nicht die Kleinen und ebensowenig die säugenden Tiermütter mit ihren Jungen. Das ist ein schönes Bild und ein Hinweis für alle, denen Kindlein in Christo und zarte Lämmer anvertraut sind. Das Wort zeigt uns, daß wir die Lämmer, d. h. Kindlein in Christo, nicht überfordern sollen: wir würden ihnen damit eher schaden als dienen und die Herde Christi lähmen. Das Wort in Jesaja 40,11 gibt uns die beste Anleitung, wie wir die Herde Christi führen sollen. Die Schwachen finden Seine besondere Fürsorge. Er will nicht, daß auch nur das Geringste unter ihnen Schaden leide, darum das klare Gebot des zarten Umgangs mit ihnen. So hat vor allem unser Herr selbst an den Jüngern gehandelt. Er führte sie langsam und mit viel Geduld. Er sagte zu ihnen: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt noch nicht tragen“ (Joh 16,12). Er nahm sich Zeit, sie allmählich für den schönen Hirtendienst heranzubilden. Leser, bist du ein Hirte wie Jakob oder auch eine Hirtin wie Rahel, dann lerne von ihrer Fürsorge für die ihnen anvertraute Herde.