1Mo 16,8 - Zwei wichtige Fragen
Sie lauten: Wo kommst du her? Wo willst du hin? Das sind wohl die zwei Fragen, die die Menschen je und je einander gestellt haben. Diese Frage taucht oft schon im Kleinkindesalter auf. Die Bibel, die hier diese zwei Fragen zuerst stellt, kann sie allein befriedigend beantworten. Die zwei Fragen stammen aus dem Munde Gottes und sind an eine arme Sklavin gerichtet, die in großer Not war, an Hagar, die Magd Sarais. Sie gehen aber nicht nur sie an, sondern uns alle. Der große Gott und Schöpfer ist um unser aller Seelenheil besorgt und geht an niemandem vorbei, sondern sucht alle in heißer Liebe. Das finden wir lebendig dargestellt im Gleichnis des guten Hirten, der dem verirrten Schaf nachgeht, bis Er es findet.
So wie Hagar vor Sarai floh, ist die ganze Menschheit auf der Flucht, aber auf der Flucht vor Gott. Das fing schon an bei Kain, der vom Angesichte Gottes hinwegging in ein anderes Land. Ein Jona floh und mußte seine Flucht bitter bezahlen. Bis zu den letzten Menschen vor dem Weißen Thron sind alle auf der Flucht (Off 20,11).
Es gibt aber auch ein Entfliehen, das die Heilige Schrift befiehlt. Fliehe vor der Sünde wie vor einer Schlange. Das befolgte Josef (1. Mose 39,12). Meiden sollen wir jene Sünde (1Kor 6,18; 10,14; 1Tim 6,11; 2Tim 2,22). Lassen wir nun aber die zwei wichtigsten Fragen zu uns reden: Wo kommst du her? Wo willst du hin?
Wo kommst du her? In größter Bedrängnis und Eile war Haar ihrer Herrin Sarai entflohen. Beachten wir nun, was sie auf der Flucht erlebte.
Sie wurde von Gott angehalten. Hagar war nicht nur Sarai entflohen, sondern aus der Schule Gottes gelaufen. Der Engel des Herrn, der Hagar begegnete, war der Herr selbst. Wo immer in der Schrift der Ausdruck vorkommt „der Engel des Herrn“, ist es der Herr selbst. Er fragte sie: „Hagar, Magd Sarais, wo kommst du her?“ Merkwürdig, daß er die Frage so formulierte. denn Der, der ihren Namen nannte und um ihre soziale Stellung wußte, brauchte sie gewiß nicht zu fragen, er wußte ja alles. Was bezweckte Gott mit der Frage? Er wollte ein Bekenntnis aus ihrem eigenen Munde hören. Das erwartet der Herr bis heute von uns allen. Er wünscht, daß wir von uns aus ganz offen und ehrlich unser ganzes: Wo kommst du her?, d. h. unsere Vergangenheit, bekennen. Er weiß, was in uns ist (Joh. 2,25), und dennoch will Er ein offenes Bekenntnis von uns selbst hören. Hat Er schon dein Bekenntnis über all dein Tun und Lassen vernommen? Wir müssen Ihm wie jene Frau in Mk. 5,33 die ganze Wahrheit sagen, dann vernehmen wir aber auch Sein: „Gehe hin in Frieden“ (Mt 5,34). Beachten wir ferner:
Wo wurde Hagar angehalten? An einer Quelle in der Wüste (Vs. 7). Dort wird sie ihren Durst gestillt haben. Hier aber sollte sie besseres Wasser bekommen, so wie einst die Samariterin am Jakobsbrunnen. Wo und wann immer Gott den Flüchtling anhält, geschieht es, um ihn zu laben, ihn zu erquicken.
Lieber Leser, bist du schon zur Quelle gekommen und hast du dich dort gelabt? Denke daran, daß alle Wasser dieser Welt niemals unseren Durst stillen können. Der Herr sagt zur Samariterin: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das Ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten“ (Joh 4,13). Und mit dem Dichter singen wir:
O Seele, ich bitte dich, komm und such diesen herrlichen Strom.
Sein Wasser fließt frei und mächtiglich.
O glaube, es fließet für dich.
Beachten wir ferner, wie Hagar angehalten wurde. Nicht mit Vorwürfen oder harten Worten. Vor diesen war sie ja geflohen. Hagar wird über den Unbekannten ebenso erstaunt gewesen sein wie die Samariterin über den Heiland am Jakobsbrunnen, als Er so liebevolle Worte zu ihr sprach, die dann zu ihrer Bekehrung führten. Dieser selbe Unbekannte war es auch, der hier der Hagar begegnete und ermunternde Worte zu ihr sprach. Wirklich bewundernswert ist die göttliche Seelsorge, sie weiß, wie sie den Sünder freiwillig zur Buße leiten kann. Fragen wir uns, was Hagar wohl geantwortet haben mag? Ich denke mir etwa Folgendes:
Ursprünglich war ich eine Sklavin des Königs Pharao. Eines Tages kam Abram zu Pharao nach Ägypten, der bei seiner Abreise reiche Geschenke von Pharao erhielt, unter anderem auch Knechte und Mägde. Dabei war auch ich. Sarai, die Frau Abrams, vertraute mir viel an, ja ich wurde sogar ihre rechte Hand. Da der lang erwartete Erbe ausblieb, gab sie mich Abram zum Weibe, damit sie aus mir erbaut werde. Ihr Wunsch wurde erfüllt, dadurch kam ich besonders bei Abram zu Ansehen und Ehren. Nun fühlte ich mich nicht nur gleichberechtigt, sondern überhob mich sogar über meine Herrin. Das führte zu Eifersucht und Streit und zu Vorwürfen Sarais gegenüber Abram, bis er mich ganz ihrer Willkür überließ. Nun ging es hart auf hart, bis ich eines Tages die Flucht ergriff.
Ist nicht Hagars Flucht‑ und Eigenweg auch unser Weg? Hagars Geschichte haben wir versucht, uns im einzelnen auszumalen, wie aber steht es mit unserer Geschichte? Haben wir auch schon wie sie vor dem Herrn gestanden, so offen und ehrlich? Wenn nicht, dann tue es, lieber Leser.
Nachdem Hagar wahrheitsgetreu ihre Herkunft erzählt hat und der Engel Reue entdeckte, folgte die zweite Frage. Was nun, Hagar?
Wo willst du hin? Die Frage: „Wo kommst du her?“ war nach unserem Empfinden beantwortet, aber noch ungelöst war die zweite Frage. Wie Hagar ergeht es noch vielen Menschen. Sie sehen ihre Verirrungen ein, sehen ein, daß ihr bisheriges Leben verpfuscht ist. Aber das ist auch alles. Doch damit ist es gewiß nicht getan. Hagar hatte wiederum den Weg nach Ägypten eingeschlagen. Wie wir schon sahen, ist Ägypten das Bild der Welt, des Götzendienstes, und das ist gewöhnlich der Weg der vor Gott Fliehenden. Hagar vergaß ganz, daß sie das beste Haus verlassen hatte, das ihr jemals offen stand. Auch in frommen Häusern und Gemeinden kann es Schwierigkeiten geben, können Dinge vorkommen, die man später bitter bereut, aber das ist noch kein Grund, davonzulaufen. Hagar hatte weit besseres aufgegeben, als sie irgendwo finden konnte. Je weiter der Mensch abirrt, um so schwerer ist der Weg zurück. Hagar mag sich nun gefragt haben: Was soll ich nun tun, weiter fliehen oder umkehren? Dazu wußte Hagar, daß der Weg durch die Wüste gar gefährlich ist (5. Mose 8,15). Der Psalmist fragt: „Wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht?“ (Ps 139,7). Die Frage: Wo willst du hin? ist viel entscheidungsvoller, als man meint. Wo willst du hin? In den Himmel, höre ich jemanden sagen. Gut, aber der Weg dorthin führt nur durch Abrams Glaube und Hagars Buße und niemals über Ägypten. Die Geschichte erinnert uns an die aus 2Kön 7,3-10, an jene vier Aussätzigen, die sich auch die Frage „Wohin?“ stellten und sie recht entschieden haben. Damit retteten sie ihr eigenes und anderer Leben. Hagar, wo willst du hin? In der Wüste bleiben heißt umkommen. Nach Ägypten gehen bedeutet wiederum in Sklaverei gelangen, aus der sie gekommen ist. Wer auf die Frage nach dem „Wohin des Wegs“ noch keine Antwort hat, der lasse sich an Petrus erinnern, der auf die Frage des Herrn: „Wollt ihr auch hingehen?“ antwortete: „Herr wohin sollen wir gehen?“ (Joh 6,68) und er wird mit Petrus in dessen herrliches Bekenntnis einstimmen: „Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,69).
Kehre um (Vs. 9). Als der Engel des Herrn Hagars Nachdenken beobachtete, rief er ihr zu: „Kehre um!“ Das war kein leichter Befehl. Zu Sarah zurückzugehen, erschien Hagar geradezu unmöglich. Sie mußte sich fragen: wird sie mir nicht erst recht das Leben zur Hölle machen? Vor dem göttlichen Befehl: „Kehre um" schrecken die meisten zurück. Blicke nicht auf die vermeintlichen Schwierigkeiten, nicht auf die Menschen und ihr Urteil, blicke im Glauben auf den Herrn, und Er wird dich aus allen Ängsten und Sorgen retten. Wer der Stimme des Herrn glaubt wie Hagar, bekommt wie sie:
Eine große Verheißung (Vs. 10). Offenbar sah der Engel des Herrn die innere Geneigtheit der Hagar umzukehren, und ermunterte sie mit einer sehr großen Verheißung. Es klingt, als sage der Herr zu ihr: Hagar, wenn du nur ahntest, was deiner harrt, dann würdest du staunen und getrost in die Zukunft blicken und nicht ängstlich auf Sarai und ihren Zorn achten. Hagar, deine Bedenken umzukehren sind nichts im Vergleich zu den reichen Segnungen, die Gott dir geben will. Gott kann auch das Herz der Sarai ändern, so wie Er das deine zur Buße geleitet hat. Solch ein Entschluß, wie er in Hagar wach wurde, erfordert eine ganze Kehrtwendung, und diese nennt die Schrift Bekehrung, ein Wort, das den meisten Menschen wie ein Schrecken durch Mark und Bein geht. Aber
Wüßtens doch die Menschen, wie's beim Heiland ist,
Sicher würde heute mancher noch ein Christ.
Auf einer ganzen Umkehr in Buße und Glauben ruhen die aller größten Verheißungen, Vergebung durch das Blut Christi, Friede und Freude im Heiligen Geist, das ewige Leben.