Behandelter Abschnitt 1Mo 12,10-20
1Mo 12,10-20 - Eigene Wege
Und Abram zog fort, immer weiter nach dem Süden. „Es entstand aber eine Hungersnot im Lande; und Abram zog nach Ägypten hinab, um sich daselbst aufzuhalten, denn die Hungersnot war schwer im Lande.“ Diesen Schritt unternahm Abram ohne göttliche Weisung, es war also ein eigener Weg. Um der Not zu entgehen, handelte Abram auf eigene Faust.
In dem vorliegenden Bericht wird Ägypten zum ersten Male in der Bibel genannt. Für Abram, wie auch später für seine Nachkommen, war Ägypten in einem tieferen Sinne dasselbe, was wir heute „die Welt“ nennen. Agypten bot all das, was das natürliche Auge begehrt: Brot, Zivilisation, Kunst, Gelehrsamkeit, die Möglichkeiten, reich zu werden und zu Ansehen zu gelangen. Ägypten ist aber auch zugleich das Bild der Sklaverei, das hat Israel später reichlich erfahren. Ägypten stellt symbolisch auch das Vertrauen aufs Fleisch dar (Jes 30,1-7; Jer 31,1).
Trübsale und Glaubensprüfung. Kinder Gottes bleiben etwa keineswegs von allgemeinen Heimsuchungen verschont, aber von ihnen erwartet man in Prüfungszeiten eine andere Stellungnahme als von den Weltkindern. Sie sollen vielmehr in Ruhe und Vertrauen auf ihren weisen Gott und Vater blicken. Während Abram auf die ausgedorrten Felder und Weiden blickte, mag er an die wasserreichen Gegenden und grünen Hügel Mesopotamiens zurückgeblickt haben. Dort die beladenen Kornfelder und hier die sonneversengten Weideplätze. Dazu war Abram ein Fremdling und konnte kaum Hilfe von anderen erwarten. Zu allem hatte Abram schon längere Zeit keine göttliche Offenbarung erlebt. Hatte Gott ihn vergessen? War das verheißene Land wirklich all der Nöte wert? Sollte er nicht letzten Endes doch wieder zurückkehren nach Ur? Er widersteht der Versuchung, aber er faßt einen andern Entschluß: Ich gehe nach Ägypten. Abrams Glaube war der Prüfung nicht gewachsen, und so handelte er nach Gutdünken. Not, Hunger, Krankheit waren oft die Mittel in Gottes Hand, Seine Kinder zu prüfen. Wir wollen uns keineswegs anmaßen, über Abrams Verhalten ein Urteil zu fällen. Wer sich in seine Lage versetzt, wird bekennen müssen, daß er keineswegs besser gehandelt hätte. Abram mußte für seinen Riesenhaushalt sorgen und ernstlich überlegen, wie er der Not begegnen könnte. Sicherlich hat er aus seinen Sorgen ein Gebet gemacht, aber Gott läßt die Seinen oft warten wie einst Maria und Martha, als ihr Bruder Lazarus gestorben war. Er hilft, wenn Seine Stunde geschlagen hat. Bestehen Gotteskinder die Prüfung, dann merken sie, daß hinter ihr Gottes Liebe steht, und erfahren, daß der Glaube viel köstlicher erfunden wird als das vergängliche Gold, das durchs Feuer bewährt wird (1Pet 1,7; 4,12 ff; 2Kor 12).
In einer ähnlichen Prüfung hat später Isaak erfahren dürfen, daß Gott ihn nicht im Stich ließ, sondern seinen Glaubensgehorsam herrlich belohnte durch eine hundertfältige Ernte (1. Mose 26). Isaak gehorchte Gott, zugleich mag er an das Beispiel Abrams gedacht und davon gelernt haben.
Wenn wir in Abrams Leben auf der einen Seite Gottes wunderbares Walten sehen, so müssen wir andererseits die List Satans erkennen, die dieser anwendet, um Gottes Heilspläne zu vereiteln. Erst hindert Satan Abram am Einzug ins Land, als ihm aber das nicht auf die Dauer gelingt, verleitet er ihn, wiederum das Land Kanaan zu verlassen und nach Ägypten zu ziehen. Das wiederholt sich im menschlichen Leben immer wieder. Kann Satan unsere Bekehrung nicht verhindern, dann wendet er alles an, um uns wiederum in die Dinge dieser Welt zu verstricken und Gottes Absicht, uns fruchtbar für Ihn zu machen, zu vereiteln. Wenn ein Mann wie Abram, dessen Glaube im Neuen Testament gerühmt wird, versagen konnte, wieviel mehr wir! Einer allein versagte nie, und das war unser Herr und Meister (Mt 4,1-11). Deshalb fordert uns auch die Schrift auf, auf Jesus zu sehen, den Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr. 12,2). Doch Gott verwarf Seinen Knecht nicht, sondern bewahrte ihn und half ihm zurecht (Ps 105,14.15).
Eigene Wege sind verkehrte Wege. In Vers 10 lesen wir: „Da zog Abram hinab nach Ägypten“, aber nicht auf göttlichen Befehl hin wie zuvor aus Ur und aus Haran; deshalb hat gewiß das kleine Wörtlein „hinab“ eine symbolische Bedeutung. Unser Marschbefehl lautet nicht: „hinab!“ sondern: „hinauf!“ Wie schnell ist oft der Hinabweg eingeschlagen, und träte uns nicht Einer in den Weg, der uns vor dem Gleiten bewahrte, wo wären wir wohl dann? (1Sam 2,9; Jud 24.25). Wie dankbar dürfen wir sein, daß dieser Eine da ist, der uns vor dem Gleiten bewahren will (Ps 17,5; 66,9; 121,3). Wenn wir zur Selbsthilfe Zuflucht nehmen wie Abram oder unzufrieden werden und murren wie Israel in der Wüste (Klagel. 3,39) oder verzagt sind wie Elias (1Kön 19,4) oder wenn wir mit dem Schwerte uns Recht schaffen wollen wie Petrus (Joh 18,10.11), dann ist das alles der Weg „hinab“, ein Weg, der uns von Gott fort und ins Verderben hineinführt, der Weg des Fleisches.
Abrams Beispiel zeigt uns, wohin sein eigener Weg führte:
1. in die Furcht (V.11.12). Er fürchtet die gottlosen Ägypter. Und doch geht er zu ihnen, um dort Rettung vor der Hungersnot zu finden.
2. in die Se1bstsucht (V.13). Er ist bereit, seine Frau zu opfern, „auf daß es mir wohlgehe"; hier dachte Abram nur noch an sich. Das eigene Ich aber stirbt nur am Altar (Kreuz), den aber hatte Abram verlassen, darum war er schwach geworden wie Simson, der auch den Hinabweg ging (Ri 14).
3. in die Unwahrheit. Abram entschuldigte sich damit, daß Sarah seine Halbschwester war. Jetzt aber war sie es nicht mehr, sondern sein Weib, auf der Gottes Verheißung ruhte. So wurde aus der vermeintlichen halben Wahrheit eine ganze Lüge, ein vollendeter Betrug. Furcht war die Ursache.
4. zur Verleugnung. Wie mußte Sarai im Herzen verletzt gewesen sein, als sie an ihrem Manne, an dem sie bisher so hoch hinaufgeschaut hatte, daß sie ihn selbst „Herr“ nannte, in so schnöder Weise preisgegeben wurde. Auf dem selbstgewählten Wege „hinab" folgt eine Enttäuschung nach der andern. Die Forderung, daß Sarah sich als seine Schwester ausgeben sollte, geschah früher, sogar noch ehe sie nach Ägypten kamen. Kompromisse unlauterer Art enden stets im Fluch.
In Ägypten angekommen. Abrams Befürchtungen im Blick auf Ägypten waren nicht grundlos. Die bitteren Erfahrungen bewiesen es nur zu bald. Die lange Reise lag hinter ihm und damit auch die materielle Not, denn hier fehlte es an nichts. Hier konnte sich der große Haushalt Abrams mit seinen Herden laben. Es kam aber auch genau so, wie Abram befürchtet hatte. Die Ägypter waren nicht blind für die Schönheit Sarais. Sie wurde Pharao zugeführt, und Abram stand nun plötzlich allein da und Sarai in einem Harem, in den kein Mensch eindringen konnte außer Pharao. Hier war die Verheißung und die Absicht Gottes in einer heiklen Lage. Wie mag den beiden zumute gewesen sein? Wie mag besonders Abram sich angeklagt haben, nachdem sein eigener Weg beide in solche Not geführt hatte. Was wird Sarai in dieser fremden Umgebung gefühlt haben? Gewiß wird sie untröstlich gewesen sein über die Untreue ihres Mannes, mit dem sie von Kindheit auf zusammen gelebt hatte. Vor allem aber wird Abram an seine Untreue Gott gegenüber gedacht haben und sich gewiß gedemütigt haben. In jener Nacht ist sicher von beiden der Schlaf geflohen. Die reichen Geschenke Pharaos waren kein Ersatz für den Verlust, den beide erduldet hatten, sie werden eher später eine Anklage für Abram gewesen sein. Geld und Ehre sind Lockmittel Satans, aber sie rauben Frieden und Freude.
Beachten wir nun ein wenig das gnädige Eingreifen Gottes. Sein Auge, das den ganzen Weg von Ur bis hierher über Abram gewacht hatte, sah die bittere Not beider (Lk 21,32). Gott sah vor allem die Gefahr für Sarai, ihre Reinheit zu verlieren. Vor allem aber lief die Verheißung in bezug auf den Erben Gefahr. Wie griff Gott ein? Er suchte Pharao mit großen Plagen heim (V. 17). Pharao erkannte sie sofort als von Gott kommend. Gott hatte ihm sein inneres Ohr geöffnet. Warum aber wurde Abram nicht von den Plagen getroffen, da er die Veranlassung gab? Wir dürfen wohl die Erklärung in 1Kor 11,31 finden. Abram hat gewiß seine Schuld erkannt, vor Gott bekannt und sich selbst gerichtet. Wer sich selbst richtet, kommt nicht in das Gericht. Aber eins blieb Abram nicht erspart:
Die Demütigung durch Pharao (V. 18-20). Der fromme Abram mußte vor den heidnischen König treten und mußte in sein verletztes Antlitz schauen und berechtigte Vorwürfe entgegennehmen. Es ist stets schmerzlich, wenn die Welt Grund hat, die Heiligen des Herrn anzuklagen (Jona 1,6). Pharao gab Sarai zurück und schickte Abram fort. Von der Welt wegen Fehltritten entlassen zu werden, ist für ein Gotteskind eine empfindliche Strafe. Dadurch erlitt das Zeugnis Abrams schwere Einbuße. Wenn der Christ zur Unwahrheit seine Zuflucht nimmt, und sei es auch nur zur Abwendung einer Not, so gerät er gewiß früher oder später in Gefahr. Abram war überzeugt vom Nutzen seiner Lüge. Er hatte sich getäuscht. Die Wahrheit hätte ihm mehr gedient, denn gerade die Lüge veranlaßte den Pharao, die Sarai zu nehmen. Wir wollen uns stets .an das Wort in Eph 4,25 halten: „Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeglicher mit seinem Nächsten.“
Wir fragen uns: Ist das der Abram, zu dem Gott sagte: „Du sollst ein Segen sein?“ Schmerzlich ist es für Gott und die eigene Umgebung, wenn der Gläubige in seiner Bestimmung, ein Segen zu sein, versagt. Aber haben wir etwa das Recht, einen Stein auf Abram zu werfen? Sind wir, die wir sogar vor Grundlegung der Welt auserwählt sind, heilig und tadellos zu sein in der Liebe, dieser unserer Berufung treu nachgekommen? (Eph 1,4). Wie ein Abram müssen auch wir uns schämen und bekennen: „Ich habe gesündigt.“