Behandelter Abschnitt Hes 34,1-10
Einleitung
Israels Sünden und Gericht sind in erster Linie auf eine korrupte und egoistische Führung zurückzuführen. Der erste Schritt zur Wiederherstellung des Volkes besteht darin, die korrupten Hirten durch den wahren Hirten zu ersetzen. Dieses Kapitel handelt von der Situation Israels nach dem Fall Jerusalems bis zur Wiederkunft des Herrn Jesus. Diese Situation gilt also auch heute (vgl. Lk 21,24b; Jer 23,1-8).
Verse 1–10 | „Wehe“ über die falschen Hirten
1 Und das Wort des HERRN erging an mich, indem er sprach: 2 Menschensohn, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen, den Hirten: So spricht der Herr, HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 3 Ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle, das fette Vieh schlachtet ihr; die Herde weidet ihr nicht. 4 Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt und das Kranke nicht geheilt und das Verwundete nicht verbunden und das Versprengte nicht zurückgeführt und das Verlorene nicht gesucht; und mit Strenge habt ihr über sie geherrscht und mit Härte. 5 Und so wurden sie zerstreut, weil sie ohne Hirten waren; und sie wurden allen Tieren des Feldes zum Fraß und wurden zerstreut. 6 Meine Schafe irren umher auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel; und über das ganze Land hin sind meine Schafe zerstreut worden, und da ist niemand, der nach ihnen fragt, und niemand, der sie sucht. 7 Darum, ihr Hirten, hört das Wort des HERRN! 8 [So wahr] ich lebe, spricht der Herr, HERR: Weil meine Schafe zur Beute und meine Schafe allen Tieren des Feldes zum Fraß geworden sind, weil kein Hirte da ist und meine Hirten nicht nach meinen Schafen fragen und die Hirten sich selbst weiden, aber nicht meine Schafe weiden, 9 darum, ihr Hirten, hört das Wort des HERRN! 10 So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich will an die Hirten, und ich werde meine Schafe von ihrer Hand fordern und machen, dass sie aufhören, die Schafe zu weiden, damit die Hirten nicht mehr sich selbst weiden; und ich werde meine Schafe von ihrem Mund erretten, dass sie ihnen nicht mehr zur Speise seien.
Das Wort des HERRN ergeht an Hesekiel (Vers 1). Gott fordert ihn auf, gegen die Hirten Israels zu weissagen, d. h., das Gericht über sie vorauszusagen (Vers 2). Die Hirten sind die Führer des Volkes. Über sie soll er das „Wehe“ aussprechen (vgl. Mt 23,13.15.16.23.25.27.29). Ohne Einleitung nennt „der Herr, HERR,“ den Grund für sein „Wehe“: Diese Hirten denken nur an sich selbst und nicht an die Schafe. Sie sollten für die Schafe da sein, aber sie sehen die Schafe als Objekte, an denen sie sich laben können.
In den Versen 3–6 folgt eine ganze Liste von Anschuldigungen, die
zeigen, dass die Hirten nicht für die Schafe sorgen, sondern sie
ausnutzen. Die Zeitform von Vers 3 zeigt, dass sie sich nicht nur
gelegentlich, sondern ständig so verhalten. Das Wort des HERRN betont,
dass es den Hirten nur um Gewinn geht (vgl. Hes 33,31): – „Ihr esst das Fett (d. h. das Beste, vgl.
und kleidet euch mit der Wolle (vgl. Hes 44,17),
das fette Vieh [Schaf] schlachtet ihr (vgl. Sach 11,16);
– die Herde weidet ihr nicht.“
In Vers 4 werden sechs Verbrechen beschrieben. Fünf davon sind Unterlassungssünden, also Dinge, die die Hirten Israels nicht tun, obwohl man es von ihnen erwarten sollte. Es handelt sich um eine vorsätzliche, schuldhafte Vernachlässigung. Das sechste Verbrechen ist das, was sie tun, obwohl sie es nicht tun sollten. Anstatt sich um die schwachen Schafe zu kümmern, beuten sie diese Schafe aus:
„Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt
und das Kranke nicht geheilt
und das Verwundete nicht verbunden
und das Versprengte nicht zurückgeführt
und das Verlorene nicht gesucht;
und mit Strenge habt ihr über sie geherrscht und mit Härte.“
In den Versen 5 und 6 hält der HERR den grausamen, selbstsüchtigen Hirten die Folgen der unbarmherzigen Behandlung der Schafe vor Augen:
„Und so wurden sie zerstreut, weil sie ohne Hirten waren;
und sie wurden allen Tieren des Feldes zum Fraß und wurden zerstreut“ (Vers 5).
„Meine Schafe irren umher auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel;
und über das ganze Land hin sind meine Schafe zerstreut worden,
und da ist niemand, der nach ihnen fragt, und niemand, der sie sucht“ (Vers 6).
Anstatt sich um die Schafe zu kümmern, sie zu beschützen und sie zusammenzuhalten, terrorisieren die Hirten Israels die Schafe. Dann überlassen sie sie sich selbst und machen sie zur Beute für die Raubtiere, das sind Völker wie Edom, Syrien, Ammon, Moab, von denen sie zerstreut werden. Jeglicher Zusammenhalt ist dahin. Die Schafe werden verstreut und damit noch verwundbarer. Es gibt niemanden von den grausamen Führern, der sich überhaupt um sie kümmert, geschweige denn jemanden, der sich auf die Suche nach ihnen macht, um ihnen zu helfen.
Diese Hirten, die Führer des Volkes, sind keine Hirten, sondern Wölfe und damit in allem das Gegenteil des Herrn Jesus, der der gute Hirte ist. Als Er die Menschenmenge sieht, ergreift Ihn das Mitleid, „weil sie erschöpft und hingestreckt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Er hat sein Leben für die Schafe hingegeben, Er sucht sie, Er rettet sie, Er beschützt sie (Joh 10,11) und Er macht sie zu einer Herde. Die wahren Hirten in der neutestamentlichen Gemeinde folgen Ihm darin nach (1Pet 5,1-4).
Das herzlose Handeln der falschen Hirten ruft Gottes Gericht über sie herab (Vers 7). Der HERR ermahnt sie, auf sein Urteil zu hören (Vers 8). Indem Er sagt „[so wahr] ich lebe“, schwört Er, dass Er dieses Übel bestrafen wird. Er nimmt ihr Fehlverhalten also sehr ernst. Ihre Sünden betreffen nicht nur die Schafe, sondern vor allem den HERRN selbst, denn es sind seine Schafe. Niemals gibt Er das Recht auf seine Schafe auf, auch wenn Er die Sorge für diese Schafe an seine Hirten delegiert. Er tadelt die Hirten dafür, dass sie seine Schafe zur Beute für sich selbst und auch zur Nahrung für alle Tiere des Feldes machen.
Das traurige Schicksal der Schafe liegt daran, dass es keinen Hirten gibt, der sich ihrer annimmt. Und diese Hirten sind immer noch „meine Hirten“, wie der HERR sagt. Er hat sie eingesetzt. Aber die Hirten sind ihren eigenen Weg gegangen. Sie haben nur an sich selbst gedacht und sich selbst geweidet, nicht die Schafe des HERRN.
Noch einmal ertönt der dringende Aufruf an die Hirten, auf das Wort des HERRN zu hören (Vers 9). Es zeigt die tiefe Empörung des HERRN. Er sagt, Er stellt sich gegen die Hirten, Er wird sie zur Rechenschaft ziehen und sie richten (Vers 10). Er wird die Schafe von ihnen fordern – denn es sind seine Schafe – und Er wird die Hirten aus ihrer Funktion entfernen. Dann hat ihre Selbstversorgung ein Ende. Er wird seine Schafe aus ihrem Mund befreien, sodass die Schafe nicht mehr ihre Nahrung sein werden.