Behandelter Abschnitt Hes 17,1-10
Einleitung
Dieses Kapitel ist ein Übergangskapitel. Das vorherige Kapitel handelt von der gemeinschaftlichen Verantwortung Jerusalems. Im nächsten Kapitel geht es um die persönliche Verantwortung. In diesem Kapitel geht es um Zedekia, den König von Juda. Er ist der Vertreter des Volkes, während er auch persönlich vor Gott verantwortlich ist.
Zedekia, der damalige Führer in Jerusalem, wird dem zukünftigen Sohn Davids gegenübergestellt, der Gottes Volk führen wird. Ersterer wird mit einem niedrigen Weinstock verglichen (Verse 2–21), letzterer mit einer stattlichen Zeder (Verse 22–24).
Verse 1–10 | Gleichnis von den zwei Adlern
1 Und das Wort des HERRN erging an mich, indem er sprach: 2 Menschensohn, gib ein Rätsel auf und rede ein Gleichnis zum Haus Israel 3 und sprich: So spricht der Herr, HERR: Ein großer Adler mit großen Flügeln, langen Schwingen, voll buntfarbigen Gefieders, kam zum Libanon und nahm den Wipfel einer Zeder [weg]. 4 Den obersten ihrer Schösslinge brach er ab und brachte ihn in ein Händlerland, in eine Stadt von Kaufleuten setzte er ihn. 5 Und er nahm vom Samen des Landes und setzte ihn in ein Saatfeld, er brachte ihn zu vielen Wassern, behandelte ihn wie einen Weidenbaum. 6 Und er wuchs und wurde zu einem üppigen Weinstock von niedrigem Wuchs, damit seine Ranken sich zu ihm hin wendeten und seine Wurzeln unter ihm wären; und er wurde zu einem Weinstock und trieb Äste und breitete [sein] Laubwerk aus. 7 Und da war ein anderer großer Adler mit großen Flügeln und vielem Gefieder. Und siehe, dieser Weinstock streckte seine Wurzeln lechzend zu ihm hin und breitete seine Ranken nach ihm aus, damit er ihn tränke, fort von den Beeten seiner Pflanzung. 8 In ein gutes Feld, an vielen Wassern war er gepflanzt, um Zweige zu treiben und Frucht zu tragen, um zu einem herrlichen Weinstock zu werden. 9 Sprich: So spricht der Herr, HERR: Wird er gedeihen? Wird man nicht seine Wurzeln ausreißen und seine Frucht abschneiden, so dass er verdorrt? Alle frischen Blätter seines Triebes werden verdorren; und nicht mit großem Arm und zahlreichem Volk wird es möglich sein, ihn von seinen Wurzeln emporzuheben. 10 Und siehe, wenn er auch gepflanzt ist, wird er gedeihen? Wird er nicht, sobald der Ostwind ihn berührt, ganz verdorren? Auf den Beeten, wo er wächst, wird er verdorren.
Das Wort des HERRN ergeht an Hesekiel (Vers 1), wobei der HERR ihn wieder als „Menschensohn“ anspricht (Vers 2). Hesekiel soll dem Volk ein Rätsel aufgeben und ein Gleichnis sprechen. Ein Rätsel ist eine geheimnisvolle Aussage, die indirekt ausgesprochen wird und eine Erklärung erfordert. Wie ein Gleichnis stellt ein Rätsel eine geistliche Wahrheit durch greifbare Bilder dar. In den Versen 11-21 erklärt es der HERR selbst. Gleichnisse und Rätsel werden verwendet, um die Aufmerksamkeit zu erregen und die Zuhörer zum Nachdenken anzuregen.
Der große, schöne Adler (Vers 3) steht für Nebukadnezar (Vers 12), der König der Könige ist, wie der Adler König der Vögel ist. Seine großen Flügel und langen Federn weisen auf große Macht und Herrschaft über ein riesiges Gebiet hin. Die Vielfarbigkeit verweist auf die Vielfalt der Völker, die er sich unterworfen hat. Der Libanon, zu dem der Adler kommt, steht für Jerusalem, denn der Palast und der Tempel sind aus Zedernholz vom Libanon gebaut. David und Salomo verwendeten viel Zedernholz für ihre Gebäude; Salomo hat Zedernholz in Jerusalem übermäßig verwendet (1Kön 10,27; 2Chr 1,15).
Die „Zeder“ ist ein Bild für das Haus Davids. Der „Wipfel einer Zeder“ steht für Jojakin, den Enkel Josias, den letzten Nachkommen der königlichen Linie. Er ist „der Oberste“ (Vers 4). Zusammen mit ihren „Schösslingen“, d. h. mit einigen weiteren angesehenen Personen, wird Jojakin in „ein Händlerland“ – das ist das Land der Chaldäer – gebracht und „in eine Stadt der Kaufleute“ – das ist Babel – gesetzt (Hes 16,29; 2Kön 24,8-16).
Dann nimmt der Adler von „dem Samen des Landes“ und setzt ihn ins „Saatfeld“, das heißt, er setzt Zedekia als König über das fruchtbare Juda ein (Vers 5a; 2Kön 24,17). Durch die Güte des babylonischen Königs kann sich das Reich unter Zedekia eine Zeit lang gut entwickeln (Verse 5b.6). Es wächst zwar in die Breite, aber ist „von niedrigem Wuchs“, d. h. untergeordnet.
Anstatt sich der Herrschaft Babels zu unterwerfen, will Zedekia das Joch Babels abschütteln (2Kön 24,20b). Zu diesem Zweck wendet er sich an „einen anderen großen Adler“, nämlich an Ägypten (Vers 7; Vers 15). Von ihm erwartet er seine Hilfe, durch ihn will er groß und stark werden und nicht durch den König von Babel, durch den er doch „zu einem herrlichen Weinstock“ geworden ist (Vers 8).
Der HERR spricht sein Urteil über ihn aus (Vers 9). Zedekias Bemühungen, seine Wurzeln zu benutzen, um dem anderen großen Adler seine Lebenskraft zu entziehen, werden nichts bringen. Im Gegenteil, man wird ihm seine Wurzeln ausreißen, d. h., er wird seine Unabhängigkeit und seine Nachkommenschaft verlieren. Auch alles, was noch schön ist, alle seine Fürsten, werden mit Zedekia verdorren. Es wird nicht viel Kraft oder ein zahlreiches Volk nötig sein, um ihn seiner ganzen Herrlichkeit zu berauben. Der Ostwind (Vers 10), d. h. der König von Babel, wird ihn richten, während Ägypten ihm keine Hilfe geben kann (Jer 37,5-10). Jerusalem wird zerstört und Zedekia entthront werden.