Behandelter Abschnitt Klgl 2,13-17
Verse 13–17 | Jeremia beklagt Jerusalem
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Was soll ich dir bezeugen, was dir vergleichen, Tochter Jerusalem? Was soll ich dir gleichstellen, dass ich dich tröste, du Jungfrau, Tochter Zion? Denn deine Zertrümmerung ist groß wie das Meer: Wer kann dich heilen?
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Nichtiges und Ungereimtes haben deine Propheten dir geschaut; und sie deckten deine Ungerechtigkeit nicht auf, um deine Gefangenschaft zu wenden; sondern sie schauten dir Aussprüche der Nichtigkeit und der Vertreibung.
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Alle, die des Weges ziehen, schlagen über dich die Hände zusammen. Sie zischen und schütteln ihren Kopf über die Tochter Jerusalem: „Ist das die Stadt, von der man sprach: Der Schönheit Vollendung, eine Freude der ganzen Erde?“
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Alle deine Feinde sperren ihren Mund über dich auf, sie zischen und knirschen mit den Zähnen; sie sprechen: „Wir haben [sie] verschlungen; gewiss, dies ist der Tag, den wir erhofft haben: wir haben [ihn] erreicht, gesehen!“
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Der HERR hat getan, was er beschlossen, hat sein Wort erfüllt, das er von den Tagen der Vorzeit her geboten hat. Er hat schonungslos niedergerissen und den Feind sich über dich freuen lassen, hat das Horn deiner Bedränger erhöht.
In Vers 13 spricht der Prophet zu der Stadt. Er würde gerne Worte des Trostes sprechen und fragt sich, was er als Botschaft des HERRN sagen soll. Aber er hat Schwierigkeiten, Trostworte zu finden.
Es gibt auch kein vergleichbares Leid, auf das er hinweisen könnte. Manchmal ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass auch andere ein ähnliches Leid erfahren (vgl. 1Pet 5,8.9). Aber das Leid, das Jerusalem heimsucht, ist unvergleichlich und beispiellos. So ist auch auf diese Weise kein Trost zu spenden. Diese Hilflosigkeit wird durch die doppelte Bezeichnung „Jungfrau, Tochter Zion“ noch verstärkt.
Das Unglück ist gewaltig, ja, so unermesslich groß wie das Meer. Gibt es überhaupt jemanden, der hier helfen kann? Jeremia hütet sich davor, oberflächliche Trostworte zu sprechen, die eine vergebliche Hoffnung auf Besserung wecken könnten. Alle falschen Propheten haben dieses Leid immer geleugnet. Sie haben die Wunde des Volkes, den Bruch mit dem HERRN wegen ihrer Sünden, leichthin geheilt, indem sie von Frieden sprachen, obwohl kein Friede da war (Jer 6,14; 8,11). Wo sind sie jetzt? Jeremia hat dies Leid genau angekündigt (Jer 30,12) und leidet nun mit, nachdem seine Worte sich erfüllt haben.
Die falschen Propheten werden hier bezeichnenderweise „deine Propheten“ genannt. Es sind Propheten, wie das Volk sie mochte, Propheten, die ihnen nach dem Mund redeten. Sie haben das Volk mit ihren falschen Visionen zum Narren gehalten und ihnen Falschheit verkündet (Vers 14; Jer 23,18-22; Hes 13,10-16). Sie übertünchten die Sünden, gaben ihnen sozusagen einen schönen Anstrich (Hes 22,28) und wollten den Menschen auf keinen Fall Schuldgefühle einreden. Als sanfte Heiler verursachten sie stinkende Wunden. Nicht nur, dass sie die Menschen nicht von ihren falschen Wegen zurückführten, sondern sie verleiteten sie sogar und ermutigten sie, falsche Wege zu gehen.
Die Ungerechtigkeit des Volkes erwähnten sie mit keinem Wort. Ein wahrer Prophet aber spricht von der Ungerechtigkeit. Falsche Propheten reden, was das Volk gerne hört und ziehen es so mit ins Verderben. So war es auch mit den falschen Propheten, die zu Jerusalem redeten.
Sie haben nicht die Wahrheit gesprochen, sondern Worte, die aus der Finsternis kommen. Gesichte, die sie gesehen haben, kamen nicht vom
HERRN, sondern von den Dämonen. Es war Lüge und Betrug. Das ist jetzt, wo Jerusalem untergegangen ist, offensichtlich. Diese falschen Propheten haben das Volk auf einen Weg geführt, der genau darauf hinauslief. Der Schock der babylonischen Gefangenschaft ist nötig, um die Macht und den Einfluss der populären Propheten zu brechen und sie als falsche Propheten zu entlarven.
Zu allem Unglück kommt nun auch noch die Schadenfreude „aller, die des Weges ziehen“, die Zeugen des Elends geworden sind, hinzu (Vers 15). Die verschiedenen Gesten – Hände zusammenschlagen, zischen, den Kopf schütteln – zeigen, wie entsetzt sie sind, lassen aber auch Verachtung erkennen. Die umliegenden Völker, die das Elend Jerusalems sehen, jubeln und klatschen vor Freude in die Hände. Auch sind sie verblüfft, dass es so mit dieser schönen Stadt gegangen ist (Ps 48,2).
Die Feinde freuen sich ebenfalls über den Fall Jerusalems (Vers 16). Sie haben einen großen Mund über das, was mit Jerusalem geschehen ist. Ihre aufgesperrten Münder sind wie die von reißenden Ungeheuern. So sind sie mit Jerusalem umgegangen. Damit ist ein lang gehegter Hass befriedigt worden. Sie zischen, um ihre Abscheu vor der Stadt auszudrücken Ihr Zähneknirschen ist ein Ausdruck von großem Hass und Zorn (Ps 37,12; Apg 7,54).
Schon so lange wollten sie Jerusalem zerstören und nun ist es ihnen endlich gelungen. Ihre Worte spiegeln ihre Anstrengungen wider, die sie unternommen haben, und wie zufrieden sie jetzt sind, dass die Stadt endlich gefallen ist. Diese Überheblichkeit und das Selbstbewusstsein des Feindes machen es Jerusalem schwer, ihr Schicksal zu verarbeiten.
In den Versen 15 und 16 sehen wir auch ein Bild, das wir auf den Herrn Jesus anwenden können. Wir sehen darin, was die Menschen taten, als sie Ihn in seinem Elend am Kreuz sahen (Ps 22,7.14; 35,21).
Während die Feinde im vorigen Vers sich dessen rühmen, was sie getan haben, spricht der Dichter hier davon, wer es wirklich getan hat (Vers 17). Das „wir“ des vorigen Verses wird hier zu „Er“. Doch darf aus dem Geschehen nicht der Schluss gezogen werden, dass der HERR machtlos gewesen wäre, es zu verhindern. Nein, die Schrecken sind das bewusste Werk Gottes. Er hat getan, was Er beschlossen hat. Er erfüllt sein Wort, das Er durch Jeremia und andere Propheten gesprochen hat, basierend auf dem, was Er im Gesetz gesagt hat (3Mo 26,14-46; 5Mo 28,15-44). Der HERR hatte sie in früheren Tagen oft gewarnt, aber sie wollten nicht hören.
Hinter der Fröhlichkeit der Feinde verbirgt sich der Zorn des HERRN, der ohne Schonung gehandelt hat. Er hat das Horn der Feinde erhöht, das heißt, Er hat ihnen die Kraft gegeben (vgl. 1Sam 2,1), gegen seine Stadt zu kämpfen und sie zu überwinden.
Auch wir sollen uns nicht darauf konzentrieren, was Menschen uns antun, sondern erkennen, dass der Herr alles in der Hand hat. Er steht hinter allem und bestimmt alles. Deshalb können wir bei Ihm allein Hilfe in der Not finden, und Er allein kann einen Ausweg schenken (vgl. Ps 68,20).
In Vers 16 und Vers 17 sind die Buchstaben in der Reihenfolge vertauscht. Im hebräischen Alphabet kommt zuerst ain und dann pe. Es scheint so, dass dies geschieht, weil in Vers 16 zuerst die Feinde sprechen, und danach werden wir in Vers 17 auf den HERRN hingewiesen. Er ist der, der das Elend bewirkt hat, nicht der Feind.