Behandelter Abschnitt Klgl 2,10-12
Verse 10–12 | Reaktion einiger Überlebenden
Verstummt sitzen auf der Erde die Ältesten der Tochter Zion; sie haben Staub auf ihr Haupt geworfen, sich Sacktuch umgegürtet; die Jungfrauen Jerusalems haben ihr Haupt zur Erde gesenkt.
Durch Tränen vergehen meine Augen, meine Eingeweide wallen, meine Leber hat sich zur Erde ergossen: wegen der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes, weil Kind und Säugling auf den Straßen der Stadt verschmachten. 12 Zu ihren Müttern sagen sie: „Wo ist Korn und Wein?“, während sie wie tödlich Verwundete hinschmachten auf den Straßen der Stadt, indem ihre Seele sich in den Busen ihrer Mütter ergießt.
Diese Verse berichten nicht mehr von den eigentlichen Geschehnissen, sondern von dem Zustand, der durch sie entstanden ist. Diesen Zustand sehen wir besonders in den Reaktionen der Überlebenden, von den Ältesten bis zu den Jüngsten des Volkes. Die Ältesten sind verstummt sie haben keinen weisen Rat (Vers 10). Machtlos und ratlos verzweifelt sitzen sie, haben ihre Würde verloren. Der natürliche Schutz in Form der Mauern ist zerstört und der geistliche Schutz, hier zu sehen in den Ältesten, ist ebenfalls zerstört.
So wie die Mauer und der Wall trauern (Vers 8), so tun es auch die Ältesten. Sie zeigen in ihrem Äußeren, wie sehr sie über die Situation der Stadt trauern (vgl. Hiob 2,12.13; Jer 4,8). Es ist, als ob jemand gestorben wäre. Die jungen Frauen, die für Nachkommenschaft sorgen könnten, haben alle Hoffnung auf die Zukunft verloren. Jetzt können sie nichts anderes tun, als auf den Boden zu starren.
In Vers 11 spricht der Prophet von seinem tiefen Kummer und beteiligt sich so an der Wehklage. Er kann nicht anders, als unaufhörlich zu weinen. Er weint, bis seine Augen nicht mehr mitmachen und er nichts mehr sehen kann. Innerlich ist er voller Unruhe. Sein Innerstes kehrt sich nach außen, sodass er sich übergeben muss. So sehr überwältigt ihn das Schicksal dieser Stadt. Er ist völlig am Boden zerstört.
Er sieht vor sich die herzzerreißenden Szenen des Hungers in der Stadt. Er beobachtet, wie „Kind und Säuglinge“ auf den Straßen der Stadt in Hilflosigkeit zusammensinken, während es niemanden gibt, der ihnen hilft. In jedem Krieg oder Konflikt ist der traurigste Anblick das Leiden der Kinder.
Es gibt kein ergreifenderes Bild als das von Müttern, die nichts haben, was sie ihren Kindern geben können und zusehen müssen, wie ihre Kinder vor Mangel sterben. Jeremia hört, wie die Kinder jammern und ihre Mütter um Nahrung anflehen: „Wo ist Korn und Wein?“ (Vers 12). Korn bezieht sich auf lebensnotwendige und Wein auf luxuriösere, nicht unmittelbar notwendige Nahrungsmittel. Es ist ein schreckliches Bild, wenn wir Kinder dies zu ihren Müttern sagen hören. Und so sterben die Kinder langsam weg.
Mütter, die noch in letzter Fürsorge etwas für ihre Kinder tun möchten, haben sie auf den Schoß genommen und sind verzweifelt, weil sie ihnen nicht geben können, was sie brauchen. Säuglinge sterben in den Armen ihrer Mütter. Der Mutterschoß, der Ort des Lebens und der Geborgenheit, ist kein sicherer Ort mehr und bietet keinen Schutz mehr vor Leid.