Behandelter Abschnitt Jes 59,9-15
Verse 9–15 | Die Anerkennung des Volkes
9 Darum ist das Recht fern von uns, und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir harren auf Licht, und siehe, Finsternis; auf Helligkeit, [aber] in dichtem Dunkel wandeln wir. 10 Wie Blinde tappen wir an der Wand herum, und wir tappen herum wie solche, die keine Augen haben; wir straucheln am Mittag wie in der Dämmerung. Wir sind unter Gesunden den Toten gleich. 11 Wir brummen alle wie die Bären, und wir girren wie die Tauben. Wir harren auf Recht, und da ist keins; auf Rettung, [aber] sie ist fern von uns. 12 Denn zahlreich sind unsere Übertretungen vor dir, und unsere Sünden zeugen gegen uns; denn unserer Übertretungen sind wir uns bewusst, und unsere Ungerechtigkeiten, die kennen wir: 13 abfallen von dem HERRN, ihn verleugnen und zurückweichen von unserem Gott, reden von Bedrückung und Abfall, Lügenworte in sich aufnehmen und sie aus dem Herzen sprechen. 14 Und das Recht ist zurückgedrängt, und die Gerechtigkeit steht von fern; denn die Wahrheit ist gestrauchelt auf dem Markt, und die Geradheit findet keinen Einlass. 15 Und die Wahrheit wird vermisst; und wer das Böse meidet, setzt sich der Beraubung aus. Und der HERR sah es, und es war böse in seinen Augen, dass kein Recht vorhanden war.
In den Versen 9–15a wechselt der Prophet von der dritten Person Plural, „sie“ und „ihre“, zur ersten Person Plural, „wir“ und „unser“. Er schließt sich selbst mit dem Volk ein. Zuerst stellt er sich dem Volk gegenüber und spricht zu ihnen. Jetzt steht er mitten unter dem Volk und spricht mit ihnen und in ihrem Namen. Die Botschaft Gottes kommt zu ihren Herzen, so wie später die Botschaft von Johannes dem Täufer zu dem Volk kommt. Mit und im Namen des Volkes erkennt der Prophet die Übertretung an und bekräftigt die Folgen von Gottes Gericht über sie (Vers 9).
Der HERR tritt nicht zum Wohl seines Volkes gegen ihre Feinde auf (vgl. Vers 19). Daher befinden sie sich noch in der Finsternis. Sie hoffen als Gefangene auf Befreiung, aber stattdessen scheint es immer schlimmer zu werden. Sie tappen umher wie Blinde und straucheln, obwohl es heller Tag ist (Vers 10). Ohne eine einzige Perspektive fühlen sie sich wie Tote.
Zwei Drittel des Volkes sind durch die Hand des Königs des Nordens und seiner Verbündeten ausgerottet worden (Sach 13,8.9). Aber jetzt kommt das Volk zur Umkehr. Es liegt nicht an der Ohnmacht des HERRN, dass ihnen dies widerfahren ist, sondern ihre Ungerechtigkeiten sind die Ursache. Das begreifen sie nun endlich.
Diejenigen, die im Irrtum verharren, werden keine Hilfe erfahren durch das Licht des Wortes Gottes, obwohl es ihnen zur Verfügung steht. Christus und die Schriften wurden den Juden zum Stolperstein (Joh 5,39.40; 2Kor 3,14.16). In der Christenheit ist das nicht anders. Die Heilige Schrift wird gelesen aber nicht verstanden. Die blendende Macht der Auslegungstraditionen verdunkelt das Licht des Wortes Gottes. Diese Menschen, die die Bibel haben, bleiben trotzdem in religiöser Knechtschaft. Sie sind unfähig, sich an der Wahrheit zu erfreuen, die sie befreien könnte, wenn sie treu auf ihre Stimme hören würden, anstatt festzuhalten an menschlichen Systemen.
Der erste Teil von Vers 11 beschreibt zwei Zustände. Das „brummen wie die Bären“ unterstellt Ungeduld; das traurige „girren wie die Tauben“ impliziert Verzweiflung. Beides ist das Gegenteil des Friedens des Gläubigen, der aus der Zerschlagenheit des Herzens und der Unterwerfung unter Gottes Willen kommt. Weil es keine Hingabe an den HERRN gibt, fehlt ihnen dieser Friede und es kommt kein Recht und die Erlösung ist weit weg.
Nachdem sie ihren blinden und toten Zustand erkannt haben (Verse 9–11), fahren sie nun fort, ihre Sünden zu bekennen und zu benennen. Diese Katastrophen kommen alle über sie wegen ihrer zahlreichen Übertretungen (Vers 12). Sie wissen das und erkennen es jetzt auch an. Sie wissen, dass sie als Nation einerseits den HERRN verleugnet haben, indem sie Christus, den Immanuel, abgelehnt haben, und dass sie von Gott abgefallen sind, indem sie den Antichristen als König und Gott anerkannt haben. Andererseits verwenden sie „Lügenworte“, die aus einem verdorbenen Inneren kommen, und verfolgen damit ihre Mitbürger, den gläubigen Überrest (Vers 13). „Recht“ und „Gerechtigkeit“ werden durch Ungerechtigkeit verdrängt (Vers 14). An dem Ort, wo sich alle Menschen treffen, „auf dem Markt“, werden „Wahrheit“ und „Gerechtigkeit“ nicht hochgehalten (vgl. 1Kor 5,8). Menschen versuchen, sich mit möglichst vielen Lügen und unaufrichtigen Absichten auf Kosten anderer zu bereichern. Diejenigen, die nicht mitmachen, werden mit Gewalt ihres Besitzes beraubt (Vers 15a).
Von Vers 15b bis Vers 19 ist der dritte Teil dieses Kapitels. Darin sehen wir die Haltung des HERRN gegenüber ihrem Verhalten und die Art und Weise, wie Er eingreift. Er sieht das in den vorherigen Versen erwähnte Böse (Vers 15b). Das Fehlen von Recht ist ein großes Übel in seinen Augen. Es herrscht Bestürzung bei Ihm, weil es keinen Mann mit Charakter gibt oder jemanden, der die Fähigkeit hat, das Böse abzuwenden von dem trauernden Überrest.