Behandelter Abschnitt Hiob 30,9-15
Verse 9–15 | Ihre Verachtung
9 Und nun bin ich ihr Spottlied geworden und wurde ihnen zum Gerede. 10 Sie verabscheuen mich, treten fern von mir weg, und sie verschonen mein Angesicht nicht mit Speichel. 11 Denn er hat meinen Strick gelöst und mich gebeugt; so lassen sie vor mir den Zügel schießen. 12 Zu meiner Rechten erhebt sich die Brut; sie stoßen meine Füße weg und bahnen gegen mich ihre Wege des Unheils. 13 Sie zerstören meinen Pfad, befördern meinen Untergang, sie, die selbst hilflos sind. 14 Sie kommen wie durch einen weiten Riss, unter Gekrach wälzen sie sich heran. – 15 Schrecknisse haben sich gegen mich gekehrt; man verfolgt wie der Wind meine Würde, und meine Rettung ist vorübergezogen wie eine Wolke.
In den vorangegangenen Versen hat Hiob das verdorbene Milieu beschrieben, aus dem der Abschaum kam, der verächtlich auf ihn herabsah. In den Versen 9–15 spricht Hiob darüber, wie der Abschaum, den er in den vorangegangenen Versen in seiner Herkunft beschrieben hat, ihn schmäht (Verse 9–12) und ihn belagert (Verse 13–15).
In Vers 9 sagt Hiob zum zweiten Mal „und nun“ (vgl. Vers 1) als Einleitung zu einer Beschreibung der Situation, in der er sich jetzt befindet, die im Gegensatz zu seiner früheren Situation steht. Er wird nun vom Abschaum der Gesellschaft verspottet, von Menschen, für die niemand Respekt, sondern nur Verachtung übrig hat. Sie singen Spottlieder über ihn und machen sich über ihn lustig, indem sie ihn verhöhnen. Sie amüsieren sich über ihn.
Sogar diese Art von Menschen schauen mit Abscheu auf ihn herab (Vers 10). Sie halten sich weit von ihm entfernt. Manchmal laufen sie schnell auf ihn zu, um ihm ins Gesicht zu spucken und dann wieder schnell wegzulaufen. Sie tun dies nicht aus Angst, sondern weil er stinkt. Auf den Boden zu spucken, wenn man jemanden sieht, ist ein Zeichen der Verachtung, aber jemandem ins Gesicht zu spucken ist weitaus schlimmer. Wie tief muss sein Elend sein!
Was Hiob in den Versen 10 und 11 sagt, erinnert sehr an das, was die Menschen dem Herrn Jesus angetan haben. Wir lesen davon zum Beispiel in den Psalm 22,68 und 102. Er hat auch den tiefen Schmerz gespürt, Er litt zwar, aber drohte nicht. In allen Dingen übergab Er sich dem, „der gerecht richtet“ (1Pet 2,23). Wenn jemand von dem Unterschied zwischen vergangener Herrlichkeit und gegenwärtigem Leiden sprechen kann, dann ist es der Herr Jesus während seines Lebens auf der Erde. Er tauschte freiwillig die Herrlichkeit beim Vater gegen den größten Hohn und Spott der Welt.
Angesichts all des Elends, das ihm die Menschen angetan haben, weiß Hiob, dass er letztlich von Gott kraftlos gemacht und gedemütigt worden ist (Vers 11). Sein Strick, seine „Zeltschnur“ ist der Faden, der ihn an das Leben bindet. Petrus spricht von seinem Tod als dem „Ablegen meiner Hütte“ (2Pet 1,14). Hiob dachte, er hätte den Faden seines Lebens in der Hand und würde alles gut bewältigen. Aber Gott hat ihn aus seiner gesellschaftlich starken und ehrenvollen Position verstoßen.
Jetzt ist jeglicher Respekt vor ihm verschwunden. Der Abschaum nutzt sein Elend und seine Wehrlosigkeit aus, um ihn noch mehr zu erniedrigen. Alles, was sie im Zaum gehalten hat, als er im Wohlstand war, werfen sie beiseite, und jetzt richten sie ihren beißenden Spott auf ihn. Sie halten ihre Zunge nicht im Zaum, sondern lassen ihr freien Lauf, um ihn lächerlich zu machen und zu verschmähen (vgl. Ps 39,1; 141,3).
In Vers 12 scheint Hiob über eine andere Gruppe von Gegnern zu sprechen. Sie sind auf dem gleichen niedrigen Niveau, denn er nennt sie „Brut“. Sie belassen es jedoch nicht beim Spott, sondern klagen ihn auch an und greifen ihn an. Die rechte Seite ist die Stelle des Anklägers (Sach 3,1; Ps 109,6). Möglicherweise meint er mit diesem Pöbel und diesen Anklägern die Katastrophen und Bedrängnisse, die über ihn gekommen sind. Schließlich werden diese zum Anlass genommen, ihn des Bösen zu bezichtigen.
Die schweren Vorwürfe treiben ihn in die Flucht. Er vergleicht sich selbst mit einer belagerten Stadt. An der Mauer dieser Stadt werden Belagerungswälle errichtet, um sie einzunehmen. Hiob empfindet die Katastrophen als Wege, die zu ihm gebahnt werden, um ihn ins Verderben führen.
Sein Weg, oder auch Fluchtweg, ist also abgeschnitten (Vers 13). Es gibt kein Entkommen mehr. Sie alle streben nach seinem Untergang. Alle und alles sind gegen ihn. In seiner Umgebung gibt es niemanden, der ihm hilft, es gibt „keinen Helfer“ (vgl. Hiob 29,12; Ps 22,12; 72,12). Alle belagern ihn. Er ist von Gott und den Menschen verlassen.
Nach dem Spott kommt das Signal zum Angriff (Vers 14). Die Angreifer haben eine Bresche in die Mauer seiner Verteidigung geschlagen. Und es ist ein „weiter Riss“. In den Katastrophen und Anklagen wogt die Zerstörung heran. Hiob droht im Meer der Leiden unterzugehen.
Als Hiob die hereinbrechende Flut des Leidens sieht, spürt er, dass sich die Schrecken gegen ihn gewendet haben (Vers 15). Wie durch einen Windstoß wird ihm seine Würde genommen. Sein ganzes Glück hat sich verflüchtigt, ist weggefegt, wie eine Wolke, die vorbeigezogen ist und sich aufgelöst hat (vgl. Hes 6,4; 13,3).