Behandelter Abschnitt Esra 9,1-5
Einleitung
Wer das Wohl des Volkes Gottes sucht, wird auf diesem Weg Prüfung und Trauer erfahren. Hier sehen wir bei denjenigen, die gerade nach Jerusalem zurückgekehrt sind, dass Demut, Fasten und Flehen vorhanden sind. Bei den Juden in Jerusalem finden sie jedoch eine ganz andere Ausrichtung der Herzen. Ihre Ankunft ist die Ursache für das offenbar werden der Sünde, die im Volk Eingang gefunden hat. Das sehen wir in diesem Kapitel.
Es kann sein, dass Gläubige nach einem Ort suchen, an dem sich die Gemeinde versammelt, wie die Bibel sagt. Wenn sie einen solchen Ort gefunden haben, kann sich manchmal herausstellen, dass es ein frommes Bekenntnis und dementsprechende äußere Form gibt, aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die Herzen nicht auf den Herrn Jesus als Mittelpunkt der Gemeinde gerichtet sind. Manchmal müssen sie feststellen, dass es solche gibt, die weniger geistlich und weniger eifrig gegenüber dem Herrn sind als einige von denen, die sie verlassen haben.
Dann muss die Prüfung anhand der Wahrheit des Wortes Gottes erfolgen. Wenn wirklich die Wahrheit verkündigt wird, dann wird offenbar, ob man nur ein Bekenntnis hat oder ob es einen echten Herzenswunsch gibt, um nach der Heiligen Schrift als Gemeinde zusammenzukommen. In diesem und dem nächsten Kapitel sehen wir, dass Esra die Wahrheit des Wortes Gottes auf die vorgefundenen Umstände in Jerusalem unter ernstem Gebet und Flehen anwendet.
Verse 1–5 | Esra hört von Mischehen
1 Und als dies ausgerichtet war, traten die Obersten zu mir und sprachen: Das Volk Israel und die Priester und die Leviten haben sich nicht von den Völkern der Länder, nach deren Gräueln, abgesondert, [nämlich] von den Kanaanitern, den Hethitern, den Perisitern, den Jebusitern, den Ammonitern, den Moabitern, den Ägyptern und den Amoritern; 2 denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen, und so hat sich der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt; und die Hand der Obersten und der Vorsteher ist in dieser Treulosigkeit die erste gewesen. 3 Und als ich diese Sache hörte, zerriss ich mein Gewand und mein Oberkleid und raufte mir Haare meines Hauptes und meines Bartes aus und saß betäubt da. 4 Und zu mir versammelten sich alle, die vor den Worten des Gottes Israels zitterten wegen der Treulosigkeit der Weggeführten; und ich saß betäubt da bis zum Abend-Speisopfer. 5 Und beim Abend-Speisopfer stand ich auf von meiner Demütigung, nachdem ich mein Gewand und mein Oberkleid zerrissen hatte, und ich beugte mich auf meine Knie nieder und breitete meine Hände aus zu dem HERRN, meinem Gott,
Bald nachdem Esra in Jerusalem angekommen ist, wird er mit dem Übel konfrontiert, das eingedrungen ist. Er wird über die eheliche Situation des Volkes informiert (vgl. 1Kor 1,11). Die Ankunft und die Wachsamkeit der Neuankömmlinge bringen das Böse ans Licht: Das Gesetz wurde gebrochen, indem Ehen geschlossen wurden, die durch das Gesetz Mose verboten sind (2Mo 34,12-16). Diese verbotenen Ehen sprechen von der Freundschaft mit der Welt (Jak 4,4; vgl. 2Kor 6,14.15).
Die in Vers 1 genannten Völker sind Völker, die in den Tagen Josuas hätten vertrieben werden sollen (5Mo 7,1-6). Es zeigt sich, dass das Volk nur äußerlich Gott nahe ist, aber innerlich ist es weit von Ihm entfernt. Besonders schlimm ist, dass nicht nur das gemeine Volk, sondern auch Priester und Leviten schuldig geworden sind. Solche Vorkommnisse werden nur dann als Sünde entlarvt, wenn treue Menschen kommen, die Gottes Wort als Norm und Maßstab für ihr Leben anerkennen. Unter denen, die heutzutage bekennen, zum Namen des Herrn Jesus zusammenzukommen, kann sich ebenfalls die schlimmste Form der Sünde offenbaren, wenn es keinen treuen Wandel nach dem Worte Gottes in Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus gibt. Gottesfürchtige Menschen in der örtlichen Gemeinde werden früher oder später dieses Übel öffentlich bloßstellen müssen, wenn persönliche Ermahnungen folgenlos bleiben oder gar dreist zurückgewiesen werden.
Auffällig ist, dass die Obersten und die Vorsteher die ersten gewesen sind in dieser Treulosigkeit (Vers 2). Durch ihr schlechtes Vorbild haben sie viele zur Sünde verführt. Diejenigen, die sehr sorgfältig darauf achten, sich nicht als Gemeinde mit der Welt zu verbinden, tun dies manchmal aber doch in ihren Geschäftsbeziehungen oder sogar in ihrer Ehe. Die im Land wohnenden Juden sind seinerzeit mit ihren Körpern aus Babel herausgegangen, aber ihr Herz ist in Babel geblieben.
Ihre eingegangenen Verbindungen stellen für uns nicht unbedingt vergleichbare Verbindungen vor, sondern eher Prinzipien, die mit dem „heiligen Samen” des Volkes Gottes unvereinbar sind. Gesetzlichkeit, zum Beispiel, ist so eine „fremde Frau“. Die Galater hatten sich damit verbunden, wie es viele Christen auch heute noch tun. Mit seinem Brief an sie will Paulus sie überreden, diese „fremde Frau” zu entlassen. Im Brief an die Korinther sehen wir diese „fremden Frauen” beispielsweise in der Verwendung der falschen Baumaterialien (1Kor 3,12-17), in denen wir die Verwendung fremder Methoden beim (Auf)Bau der Gemeinde sehen können.
Esra saß betäubt da (Vers 3). Wie ist es möglich, dass dieser Überrest, der von Gott mit starker Hand aus dem Feuer gezogen wurde, die Hand Desjenigen vergaß, Der ihn befreit hatte, so dass sie die Töchter fremder Götter heiraten? Esra ist ein Mann, der in Gemeinschaft mit Gott lebt und deshalb spürt er die Ruchlosigkeit und Schwere der Sünde wie kein anderer. In dieser Treue vermag er sich mit der Sünde seines Volkes zu identifizieren, so wie wir es auch bei Daniel, Nehemia oder Mose sehen.
Esra demütigt sich tief und breitet die Sünde des Volkes wie seine eigene vor Gott aus. Wenn Sünde inmitten des Volkes Gottes offenbar wird, werden wir nicht an erster Stelle aufgerufen zu handeln und Fakten zu schaffen, sondern eine wirklich gottesfürchtige Gesinnung zeigt sich in persönlicher Demütigung, die auch von anderen wahrgenommen werden muss. Esra drückt seine Demut aus, indem er sein Gewand und sein Oberkleid zerreißt und seine Haare und seinem Bart rauft. Er schlägt sich zuerst selbst, bevor er zu den Schuldigen geht. Auch der Herr hat über Jerusalem geweint (Lk 19,41).
Durch Esras Verhalten werden die Gewissen anderer geübt. Nach seiner persönlichen Demütigung kommen mehr Menschen, die sich ihm anschließen (Vers 4). Es waren „alle, die vor den Worten des Gottes Israels zitterten“ (vgl. Jes 66,2b), was darauf hindeutet, dass auch sie über den Zustand des Volkes trauerten. Durch den öffentlichen Schrecken und die Trauer über die Sünde, die Esra zeigt, kommen andere zu ihm. Die Traurigkeit wegen „der Treulosigkeit der Weggeführten” vereint sie in Demütigung vor dem HERRN. Ein Bruch in der Treue zum HERRN ist ein großes Übel. Untreue in einer Beziehung ist extrem schmerzhaft und beleidigend für den Betroffenen. Esra und andere teilen gewissermaßen Gottes Trauer. Wegen dieser Sünden kann Gottes Zorn über sie kommen, wenn sie nicht Buße tun. Das ist Esra sehr wohl bewusst.
Zur Zeit des Abend-Speisopfers goss Esra die tiefe Traurigkeit seines Herzens vor Gott aus. Einerseits ist er tief betrübt über die Sünde des Volkes, andererseits nutzt er die Kraft des Abend-Speisopfers – also des täglichen Abendopfers –, um sich Gott mit Blick auf die begangenen Sünden zu nähern (vgl. 1Sam 7,9; 1Kön 18,36; Dan 9,21; Apg 10,3). Dies zeigt uns im Bild, dass man über das Versagen des Ganzen erhaben wird, wenn Christus und sein Werk im Gebet vor das Herz gestellt werden. Das Bekenntnis der Sünde im Lichte des Opfers Christi ist die Grundlage dafür, dass Gott an der Sünde seines Volkes vorübergeht.
Während das Abend-Speisopfer dargebracht wird, erhebt sich Esra von seiner Demütigung (Vers 5). Er hat ein gebrochenes Herz wegen der Sünde des Volkes. Er weiß auch, wo nur Hilfe zu finden ist. Das Abendopfer ist der einzige Grund, auf dem Gott die Untreue seines Volkes ertragen kann. Das Abendopfer spricht vom Opfer Christi, der zur Zeit des Abendopfers, der dritten Stunde, keine Antwort von Gott erhalten hat, weil er zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21). Weil Er keine Antwort bekommen hat, kann Gott Elia und Daniel und Esra eine Antwort auf ihr Gebet geben.
Das Substantiv „Demütigung” erscheint in der Bibel nur hier bei Esra. Es ist der Ausdruck des Empfindens des Bösen in Gottes Volk auf eine Weise, die in Übereinstimmung mit dem ist, wer Gott ist. Jemand, der auf diese Weise das Böse empfindet, kann von Gott als Werkzeug zum Wohl seines Volkes benutzt werden. In diesem Sinn beugt Esra seine Knie und breitet seine Hände aus zum HERRN, seinem Gott, um für das Volk Fürbitte zu tun. Was für ein ergreifendes Beispiel für uns! Wie weit sind wir oft davon entfernt. Es sollte unser Wunsch sein, Esra ähnlicher zu werden.