Behandelter Abschnitt Hld 4,16
„Wache auf, Nordwind, und komme, Südwind; durchwehe meinen Garten, lass träufeln seine Wohlgerüche!“ (Hld 4,16).
Das Wort „Wind“ wird in der Schrift wiederholt gebraucht mit Bezug auf den Heiligen Geist; und dieser Vers hier scheint ein Gebet zu enthalten, dass der Geist Gottes in Seinen verschiedenen Weisen in den Herzen des Volkes Gottes wirken möge. Durchwehe meinen Garten, lass träufeln seine Wohlgerüche!“ Im Weinberg des Herrn gibt es „vortreffliche Gewürze“, aber etwas ist nötig, um sie zum Ausströmen ihres Wohlgeruchs zu bringen. Der Herr ist gerade in Seinem Garten umhergegangen und hat die herrlichen Gewächse darin betrachtet und sie mit Namen genannt (Hld 4,12-15).
Er kennt jede Pflanze Seines Gartens genau; und als sie gepflanzt wurde, welch reiche Sorgfalt ist ihr zuteil geworden, und welch reiche Frucht sollte hervorkommen! Sie sind alle von Seiner Rechten gepflanzt, „damit sie genannt werden Terebinthen der Gerechtigkeit, eine Pflanzung Jehovas, zu seiner Verherrlichung“ (Ps 80,15; Jes 61,3).
Zuweilen aber kommt eine todesähnliche Stille über die ganze Pflanzung, von der alt und jung angesteckt wird. Die wohlriechenden Zweige und Gewächse lassen trauernd ihre Spitzen hängen; sie geben sich dem Wehen des Geistes nicht hin, so dass der balsamische Duft nicht gelöst noch von dem Winde weitergetragen werden kann. „Wache auf, Nordwind, und komme, Südwind!“ ist dann der Ruf des treuen geduldigen Gärtners, „durchwehe meinen Garten“. Ein scharfer, kühler Nordwind oder ein liebliches, erquickendes Lüftchen aus dem Süden mag dazu dienen, das Volk des Herrn aus einem Zustande betrübender Nachlässigkeit und Trägheit aufzuwecken. Aber wie köstlich ist der Gedanke! der Besitzer des Gartens, der jede Pflanze in ihm genau kennt, hat sowohl den fächelnden Südwind wie den stürmischen Nord in Seiner Hand. Und Er lässt allen Seinen zarten, kostbaren Pflanzen gerade das richtige Maß von dem einen wie von dem anderen zukommen.
„Noch über ein Kleines“, und sie alle werden in das lieblichere Klima des Paradieses droben verpflanzt werden. Dort wird der durchdringende Nordwind der Trübsal und Züchtigung nicht länger nötig sein. In jenen wolkenlosen Regionen ewigen Friedens wird nichts mehr das Blatt ausdörren, die Knospe knicken, die Blüte welken machen oder die Frucht am Wachstum verhindern. Genug, mehr als genug haben wir davon gesehen in dieser unserer kalten Welt.
O komm, du herrlicher, glücklicher Tag, der uns auf ewig dieser Wüste entführen wird, wo Drangsale und Kümmernisse oft kommen wie ein Wirbelwind, als sollte die schwache Pflanze mit Stamm und Wurzeln umgerissen werden; wo Schmerz und Trauer oft das Herz erfüllen und Scham das Angesicht bedeckt, weil wir in dem Guten so fruchtleer und in dem Bösen so fruchtbar gewesen sind! Dann, ja dann wird alles Böse für immer hinter uns liegen; kein Kummer, kein Krebs, kein Wurm mehr ewiglich! Gewurzelt in dem reinen Boden des Himmels und unaufhörlich den Tau der göttlichen Liebe trinkend, werden wir blühen und Früchte tragen zur unaussprechlichen Freude des Vaterherzens und zur Verherrlichung unseres anbetungswürdigen Herrn.
Herr, gib, dass wir uns alle Deiner Pflege willig hingeben, und dass unsere Herzen Deinen Geist wirken lassen, damit sich in unserem Leben die Frucht und der Wohlgeruch zeigen, die Dir so köstlich sind! – O möchten wir alle stets fähig sein zu sagen: „Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse die ihm köstliche Frucht!“ (Hld 4,16b). Nur wenige Worte spricht die Braut in diesem herrlichen Kapitel; aber es sind schöne, gesegnete Worte. „Mein Geliebter.“ Sie fühlt sich daheim, sie ist glücklich in Seiner Gegenwart. Er, Er selbst ist ihr Teil. Sie weiß es, und sie genießt es. Er ist ihr geliebter Herr und Heiland. „Mein Geliebter“, sagt sie; aber wenn sie von dem Garten spricht, so nennt sie ihn
„Seinen Garten“, und von der Frucht sagt sie: „die Ihm köstliche Frucht“. Das ist der richtige Boden, wie wir anderswo lesen: „Mein Geliebter hatte einen Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel. Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben; und er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus“ (Jes 5,1.2). Und wenn Er von der Sorge spricht, die Er diesem Weinberg, der so unfruchtbar für Ihn war, hat angedeihen lassen, sagt Er: „Ich, der Herr, behüte ihn, bewässere ihn alle Augenblicke; damit ihn nichts heimsucht, behüte ich ihn Nacht und Tag“ (Jes 27,3).
In Joh 15 spricht der Herr von Sich als dem „wahren Weinstock“, von Seinem Volk als den „Reben“ und von Seinem Vater als dem „Weingärtner“. Welch eine wunderbare Sache. Der Vater blickt hernieder vom Himmel und sieht auf dieser Erde Seinen geliebten Sohn Frucht bringen zu Seiner Verherrlichung mittels der vielen Reben, die in Ihm bleiben. Denn nur durch den reichen Saft, der den Reben aus dem Weinstock zufließt, bringen sie Frucht. Welch ein lieblicher Anblick für das Auge des Vaters! Und welch eine Freude für Sein Herz, wenn die Reben, die so in lebendiger Weise mit Seinem Geliebten verbunden sind, „erfüllt sind mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes“ (Phil 1,11). „Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt“ (Joh 15,8).