Behandelter Abschnitt Hld 4,12-15 und „Bemerkungen über den Richterstuhl Christi“
„Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine Braut, ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle. Was dir entsprosst, ist ein Lustgarten von Granatbäumen mit edlen Früchten, Zyperblumen samt Narden; Narde und Safran, Würzrohr und Zimt, samt allerlei Weihrauchgehölz, Myrrhe und Aloe samt allen vortrefflichsten Gewürzen; eine Gartenquelle, ein Brunnen lebendigen Wassers, und Bäche, die vom Libanon fließen“ (Hld 4,12-15).
Einige kurze Bemerkungen über die natürliche Lage und den Charakter des Landes Israel werden uns behilflich sein, diese schönen und belehrenden Vergleiche zu verstehen. Das gelobte Land liegt gleichsam im Mittelpunkt der bewohnten Erde und war einst weit berühmt wegen seiner Schönheit und Fruchtbarkeit. Auch ist es beachtenswert, dass die Juden sich nicht zufällig gerade in Kanaan niedergelassen haben, sondern dass Gott Hunderte von Jahren vor Beginn des nationalen Bestehens Israels seine Grenzen bereits bestimmt hatte. „Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er fest die Grenzen der Völker nach der Zahl der Kinder Israel. Denn des Herrn Teil ist sein Volk, Jakob die Schnur seines Erbteils“ (5Mo 32,8.9).
Wir ersehen aus dieser höchst interessanten Stelle, welch einen Platz Israel von alters her in den Gedanken und Ratschlüssen Gottes eingenommen hat. Das verhältnismäßig kleine Land ist der Schauplatz von Ereignissen gewesen, die alle anderen an Wichtigkeit und weittragenden Folgen überragen; und es wird in der Zukunft wieder der Schauplatz von Ereignissen werden, auf die Himmel und Erde warten und auf die Gottes Wort immer wieder hindeutet. Die Verheißung, die in Eden nur als eine Knospe erschien, wird sich in dem gelobten Land in ihrer voll erblühten Herrlichkeit entfalten.
Durch Israels Untreue ist das Land von den Nationen zertreten worden und viele Jahrhunderte hindurch eine Wüste, ein Land des Todesschattens gewesen. Der nunmehr aber sich mächtig anbahnende Wiederaufbau, der seit der Neubildung des nationalen Staats Israel von dem zum Teil schon in das Land zurückgekehrten Juden mit großer Energie, wenn auch in eigener Kraft und in völligem Unglauben an den einst verworfenen Messias, betrieben wird, deutet darauf hin, dass die Rückkehr des jetzt noch abwesenden Herrn des Landes, der „in ein fernes Land“ gezogen war, ganz nahe bevorsteht. Er wird bald wiederkehren, um von Seinem Eigentum Besitz zu nehmen (Lk 19).
„Das Land ist mein“, sagt der Herr, und nach Seinen ursprünglichen Absichten wird es zu seiner Zeit der Mittelpunkt aller Nationen, die Herrlichkeit aller Länder und der Ruhm aller Völker werden; und die geliebte Stadt Jerusalem wird die Hauptstadt der ganzen Erde und der Mittelpunkt des Segens werden für alle ihre Bewohner. Das königliche Banner wird dann wieder über seinen Mauern wehen, als das gewisse Zeichen, dass der „hochgeborene Mann“, der König der Nationen, zurückgekehrt ist.
Moses durfte vom Gipfel des Berges Pisga herab dieses herrliche Land schauen, ehe er starb. Der Herr Selbst zeigte es Seinem Knecht. Welch eine Ehre für Moses. Bevor er seine Augen im Tode schloss, durfte er den zukünftigen Wohnort der Erlösten des Herrn betrachten und seine fruchtbaren Täler, seine schönen Berge und wasserreichen Ebenen schauen. Er sah: das heißersehnte Ziel, das langverheißne Land, des grüne Fluren stets von Milch und Honig triefen.
Und wenn er unter der Leitung des Geistes von diesem herrlichen Land redete, sagte er: „Denn der Herr, dein Gott, bringt dich in ein gutes Land, ein Land von Wasserbächen, Quellen und Gewässern, die in der Talebene und im Gebirge entspringen; ein Land von Weizen und Gerste und Weinstöcken und Feigenbäumen und Granatbäumen; ein Land von ölreichen Olivenbäumen und Honig; ein Land, in welchem du nicht in Dürftigkeit Brot essen wirst, in dem es dir an nichts mangeln wird; ein Land, dessen Steine Eisen sind und aus dessen Bergen du Kupfer hauen wirst“ (5Mo 8,7-9).
Den reichen und mannigfaltigen Erzeugnissen des heiligen Landes sind ohne Zweifel die Vergleichungen unseres Textes größtenteils entnommen. Die Braut des Herrn wird hier mit einem Garten, einem Lustgarten und einer Quelle verglichen – so reich ist sie mit allem versehen, was für Ihn wohlgefällig ist, so mannigfaltig ist die Gnade des Heiligen Geistes in ihr wirksam. Für das Herz ihres Herrn gibt es in ihr von dem Lieblichsten und Köstlichsten die Fülle. „Narde und Safran, Würzrohr und Zimt, samt allerlei Weihrauchgehölz, Myrrhe und Aloe samt allen vortrefflichsten Gewürzen!“ Welche Worte, wie sollten wir über sie nachsinnen! Ein Garten mit seinem herrlichen Blumenschmuck, mit seinen zarten, wohlriechenden Pflanzen; ein Lustgarten mit allerlei Fruchtbäumen und Ziergewächsen; eine Quelle, die das Ganze belebt und erfrischt – wie zeigen uns diese Vergleiche, was das Volk Gottes für Ihn sein sollte in dieser bösen, finsteren Welt!
Wie ein lieblicher, duftender Garten im Vergleich mit einer dürren, öden Wüste, so sollte das Volk des Herrn sein im Vergleich mit den Kindern dieser Welt. Doch wie steht es mit uns, geliebter Leser? Offenbaren wir wirklich Frische, Wachstum und Fruchtbarkeit in den Dingen des Herrn? Kann Er in den Garten unserer Herzen kommen „und die ihm köstliche Frucht essen“? Ihm sind alle unsere Gedanken und Wege, all unser Tun und Lassen bekannt.
Beachten wir ferner, dass das erfreute Herz des Bräutigams Seine Braut beschreibt als einen“ verschlossenen Garten, einen verschlossenen Born und eine versiegelte Quelle“. Sie ist alles das, und sie ist es nur für Ihn. Ihre Augen wandern nicht umher. Sie ist vollkommen zufrieden mit ihrem Teil in ihrem Geliebten. Christus ist genug für sie. Er füllt ihr ganzes Herz aus. Kein verlangender, kein einladender Blick trifft einen anderen. „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet.“ Die Blüte, die Frucht, der Wohlgeruch – alles ist für Ihn und für Ihn allein. Ihr Garten ist für alle anderen verschlossen; das königliche Siegel ist auf die Quelle des Königs gedrückt; ihre Wasser sprudeln für Ihn allein. „Erkennt doch, dass der Herr den Frommen für sich abgesondert hat!“ (Ps 4,4).
Kein Fremder darf das anrühren, was des Königs Siegel trägt. „Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die, die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ (2Tim 2,19). – „Gib mir, mein Sohn, dein Herz“, ist ein klares, deutliches Gebot. Lausche auf die Stimme der Weisheit, meine Seele! Wenn du diesem Gebot folgst, kannst du kein Herz für die Welt haben. Kein Mensch hat zwei Herzen, obgleich es leider zuzeiten scheint, als wenn wir zwei hätten. Lasst uns wachen und auf unserer Hut sein! Wenn der hoch gelobte Herr mein Herz besitzt, so habe ich keines für die Welt. Ein geteiltes Herz kann Er nicht annehmen.
Die Worte „verschlossen“ und „versiegelt“ erwecken auch den Gedanken an eine gänzliche, entschiedene Absonderung des Gläubigen von der Welt. Gleich einem Stück Land, das, wohl eingezäunt, bepflanzt und gepflegt, nur für den Gebrauch des Eigentümers da ist, so ist auch der Christ wohl er in dieser Welt aber doch nicht von der Welt. Christus Selbst sagt: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16). Der Gläubige ist hier als ein Diener Christi und sollte lernen, alles für Ihn zu tun. „Alles was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus, danksagend Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol 3,17). Es mag sein, was es will, kleine oder große Dinge, der Christ soll alles tun als einen Dienst für seinen Herrn.
Die einzige Frage für ihn ist: Wird Christus hierdurch verherrlicht? diene ich Ihm? – Aber ach! wie oft wird gefragt: Was ist denn Böses dabei? und anstatt den Willen des Herrn zu tun, folgt man seinem eigenen Willen.Der Apostel Paulus konnte sagen: „Das Leben ist für mich Christus“; oder mit anderen Worten: Zu leben heißt für mich: Christus zu meinem Beweggrund, Christus zum Gegenstand meines Herzens, Christus als meine Kraft und meinen Lohn zu haben. Das ist Absonderung von der Welt und zugleich die Erweisung des bestmöglichen Dienstes in der Welt. Wenn das Auge unverrückt auf die Person des Geliebten gerichtet bleibt, so ist das Herz von Ihm erfüllt, der Blick klar, das Urteil gesund und der Dienst gesegnet. Je näher wir bei der Quelle bleiben, desto sicherer werden wir Segenskanäle für andere werden. Wie die Quelle in der Wüste oder der Fluss in der Ebene dem umliegenden Land Nutzen bringt, so werden auch wir für unsere Umgebung von Segen sein. „Wenn jemanden dürstet“, sagt Jesus, „so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten“ (Joh 7,37-39).
Aus einem Herzen, das so mit Christus erfüllt ist durch den in ihm wohnenden Heiligen Geist, wird ein gesegnetes Zeugnis für den auferstandenen und verherrlichten Herrn hervor fließen; ja es sollte hervor fließen gleich „Strömen lebendigen Wassers“. Denn für dieses Zeugnis ist der Gläubige seinem abwesenden Herrn gegenüber verantwortlich. „Wer da sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat“ (1Joh 2,6). Hier betreten wir den Boden wahrer christlicher Verantwortlichkeit. Bin ich ein Christ, so bin ich verantwortlich, als solcher zu wandeln; nicht damit ich einer werde, sondern weil ich einer bin, weil ich mich durch das kostbare Blut Christi an dem Platz der vollkommenen Gunst Gottes befinde. Bin ich ein Kind Gottes, so sollte ich wandeln wie ein Kind; bin ich ein Diener, wie ein Diener.
Unserer Verantwortlichkeit als Menschen, als Kinder des ersten Adam, ist durch unseren gepriesenen Herrn vollkommen entsprochen worden, als Er für uns starb; und jetzt entspringt unsere Verantwortlichkeit aus unserem neuen Verhältnis zu Christus, dem letzten Adam, dem auferstandenen und verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes. „Gleichwie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch“ (Joh 20,21). Dieser Auftrag wurde den Jüngern des Herrn im Allgemeinen, nicht nur den Aposteln, gegeben. Und im Blick auf diese Sendung müssen wir alle am Ende unserer Laufbahn unserem Herrn und Meister Rechenschaft geben. Ernste Wahrheit! „Ein jeder von uns wird für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ (Vergl. Röm 14,10-12). Wo wird dies geschehen? Vor dem Richterstuhl Christi, vor dem wir einst alle offenbar werden müssen.
Bemerkungen über den Richterstuhl Christi
Es mag hier am Platz sein, einige Bemerkungen über den Richterstuhl Christi einzuflechten, da manche Seelen über diesen Gegenstand unklar und oft auch beunruhigt sind.
Zunächst ist zu beachten, dass die Person des Gläubigen nie mehr ins Gericht kommen kann. „Er ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24). Er ist „von allem gerechtfertigt“. Christus ist seiner Übertretungen wegen dahingegeben worden, diese sind für immer dahin, Sein Name sei gepriesen! Und Er ist seiner Rechtfertigung wegen auferweckt worden (Röm 3,25). Was nun? Auferstanden mit Christus, ist der Gläubige mit Christus verbunden in Seinem Leben und Seiner ganzen Annahme vor Gott. „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christo Jesu sind“ (Vergl. Röm 4,25; 5,1.2; 8,1).
Der Gläubige selbst kann also nie mehr ins Gericht kommen. Zudem ist er, wenn er vor dem Richterstuhl Christi erscheint, bereits in seinem verherrlichten Leib, dem Herrn Selbst gleich gestaltet. „Der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,21). Diese herrliche Wahrheit entfernt weit jeden Gedanken an ein Gerichtetwerden des Gläubigen. Er wird verherrlicht, ehe er vor den Richterstuhl gerufen wird, und weiß, dass er ein Miterbe Christi ist und sich in derselben Herrlichkeit befindet wie Christus.
Die Sünden und Vergehungen des Christen können ebenfalls nicht mehr ins Gericht kommen. Christus hat dafür bereits am Kreuz gelitten und sie durch Sein Opfer auf immerdar hinweg getan. Ein zweites Gericht der Sünden des Gläubigen kann nicht stattfinden. Sie sind alle von Jesus getragen und gesühnt: „Der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben, durch dessen Striemen ihr heil geworden seid“ (1Pet 2,24). Das Werk Christi auf dem Kreuz, als Stellvertreter Seines Volkes, war so vollkommen, dass nicht die geringste Frage hinsichtlich der Sünde ungeordnet geblieben ist. Als Er ausrief: „Es ist vollbracht!“ war jede Frage für immer und ewig in Ordnung gebracht; und auf Grund dieses vollbrachten Werkes begegnet die göttliche Liebe dem größten Sünder in all den Reichtümern der Gnade Gottes. Alle Sünden des Gläubigen sind getilgt und vergeben; ja, Gott will ihrer nie mehr gedenken. Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Heb 10).
Aber obwohl weder die Person, noch die Sünden und Vergehungen des Gläubigen Gegenstände des Gerichts an jenem Tag sein können, gibt es doch etwas, was vor den Richterstuhl Christi gebracht werden wird; und das sind die Werke des Gläubigen als eines Dieners Christi. Deshalb ermahnt der Apostel uns so ernst und treu: „Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn“; (1Kor 15,58). Nachdem er lange bei der Auferstehung des Leibes verweilt hat, kommt er schließlich zu dem, was man die Auferstehung der Werke nennen könnte. „Das Werk eines jeden wird offenbar werden, denn der Tag wird es klar machen, weil er in Feuer offenbart wird.“ – „So urteilt nicht etwa vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott“ (1Kor 4,5). Diese Dinge sind ernst; aber ein aufrichtiges Herz denkt nicht mit Furcht und Schrecken an jenes Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi, sondern betrachtet sie im Gegenteil als eines seiner größten Vorrechte. Denn dann wird sich das Wort erfüllen: „Ich werde erkennen, wie auch ich erkannt worden bin“ (1Kor 13,12).
Gott ist Licht, und Gott ist Liebe; und Seine Liebe will Seine Kinder im Licht haben, wie Er Selbst im Licht ist. „Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in ihm“ (1Joh 1,5). Unsere neue, göttliche Natur liebt das Licht und erfreut sich darin. Die geringste Finsternis wird als eine unerträgliche Bürde von ihr gefühlt. Im Lichte sein heißt offenbar sein; denn das Licht macht alles offenbar. Und wer von uns möchte wünschen, dass ein einziger Augenblick in unserer Geschichte, mit all ihren gnädigen, liebevollen Führungen Gottes, im Dunkeln bliebe! Das Herz schrickt vor einem solchen Gedanken zurück, trotz all unserer Schwachheit und Verkehrtheit. „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, damit jeder empfange, was er in dem Leib getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2Kor 5,10). Wenn einmal mein ganzer Lebenslauf in dem Lichte Gottes offenbar sein wird, so werde ich erkennen, wie ich selbst erkannt worden bin (1Kor 13,12). Mein Urteil über alles, was in diesem Leben gut oder böse war, wird mit dem vollkommenen Urteil Gottes übereinstimmen.
Alles was ich für Christus getan habe, als Frucht Seiner Gnade in mir, wird von Ihm anerkannt und belohnt werden. Was nur aus der Energie meiner Natur hervorgegangen ist, wird unbelohnt bleiben. Alles was der Geist Christi in uns hervorgebracht hat, wird in dem Licht des Richterstuhls, getrennt von aller menschlichen Beimischung, in herrlichem Glanz strahlen. Mancher selbstverleugnende Dienst, der anscheinend mit den besten Beweggründen begonnen, aber nicht mit Mitteln ausgeführt worden ist, die das Wort Gottes billigt, wird mit göttlicher Genauigkeit geprüft und zerlegt werden.
Alles Gute wird der Herr sicherlich in überströmender Fülle belohnen; ja, selbst mancher heilige Vorsatz, der die Verherrlichung des Herrn zum Gegenstand hatte, aber nie zur Ausführung gebracht werden konnte, wird dort im Lichte gesehen werden und volle Vergeltung empfangen. Der geringste Dienst, der hier für Ihn getan worden ist, wird an jenem Tage nicht übersehen werden. „Denn wer irgend euch einen Becher Wasser zu trinken gibt in meinem Namen, weil ihr Christi seid, wahrlich, ich sage euch: er wird seinen Lohn nicht verlieren“ (Mk 9,41). Auch wird es sich an jenem Tag zeigen, was uns verhindert hat, mehr Gutes zu tun, trotz des Lichtes, das wir hatten, und trotz der Gnade, die wir genossen. Manches vermeintlich Schöne und Große wird dort zu einem Nichts zusammenschrumpfen; manche unscheinbare und unbeachtet gebliebene Tat der Liebe wird ans Licht gezogen und in ungeahnter Weise belohnt werden. Nichtsdestoweniger wird jeder einzelne den ihm vom Vater bereiteten Platz haben, und wir werden voll und ganz erkennen, wie viel wir unserem hochgelobten Herrn verdanken. Ja, erst dann werden wir sehen, was Er für uns gewesen ist und was alles Er von uns zu ertragen hatte. Im vollen Licht Seiner Gegenwart werden wir die Liebe jenes Herzens erkennen, das sich stets über alle unsere Unwürdigkeit erhob und Sich immer wieder in derselben Geduld, Liebe und unermüdlichen Güte offenbarte. Und dann werden wir auch die Tausende und aber Tausende von Fällen sehen, in denen wir im Hochmut unserer Herzen uns selbst zu gefallen und zu erheben suchten, anstatt in Demut dem Herrn Jesus zu dienen, Ihn zu erheben und Ihn zu unserem Ein und Alles zu machen.
Die langmütige, zärtliche Liebe Jesu, die uns so viele Jahre hindurch getragen und geleitet hat, wird dann in all ihrer Vollkommenheit von uns erkannt und verstanden werden; und die lieblichen Erinnerungen an diese Liebe, die an Kraft und Tiefe alles Denken übersteigt, wird unsere Seelen mit tiefer Bewunderung und Anbetung erfüllen und unser lautes Lob wachrufen in alle Ewigkeit.
Auch werden an jenem Tage Seine vielen wunderbaren Eingriffe in unser Leben vor wie nach unserer Bekehrung nicht vergessen sein. Wir werden einen Blick tun in die hinter uns liegenden Tage, wie wir ihn vorher nie getan haben, nie zu tun vermochten. Wir werden sehen, wie oft wir unbewusst in Gefahr gestanden haben, von Satan ins Verderben gestürzt zu werden; wie aber unser geliebter, anbetungswürdiger Herr Seinen Arm um uns geschlungen und uns sanft und sicher von dem schlüpfrigen Boden, auf dem wir standen, zurückgeführt hat. Wahrlich, wir werden uns mit überströmenden Herzen aus der Gegenwart des Richterstuhls entfernen und wissen, wozu die goldenen Harfen im Himmel dienen. Der Strom der Freude, der sich gerade dort für uns erschließen wird, wird fort fließen in immer zunehmender Fülle und Frische von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Der Apostel wandelte stets im Licht des kommenden Tages, und so sollten wir es tun. Die Wirkung, die der Gedanke an den Richterstuhl Christi auf ihn ausübte, war dreifach: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen, Gott aber sind wir offenbar geworden; ich hoffe aber auch in euren Gewissen offenbar geworden zu sein“ (2Kor 5,11).
Durch das Bewusstsein, wie schrecklich es für einen Sünder sein muss, in seinen Sünden vor Gott zu erscheinen, fühlte Paulus sich angetrieben, das Evangelium mit großem Ernst zu verkündigen. Wir überreden die Menschen.“ Er suchte andere zu warnen und ihnen immer wieder den Ernst ihrer Lage und die unaussprechliche Bedeutung des Heils ihrer Seele ans Herz zu legen. Was muss es auch sein für einen Ungläubigen, vor jenem Richterstuhl zu stehen und dort wegen seiner Verwerfung Christi zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wo ist der Prediger des Evangeliums, der nicht durch eine solche Erwägung zu tiefem Ernst und anhaltendem Eifer angespornt würde?
Der Apostel war bereits im Lichte, schon offenbar vor Gott. „Gott aber sind wir offenbar geworden.“ Der Richterstuhl erweckte nicht Furcht und Schrecken in seinem Herzen, wohl aber leitete er ihn an zu einem treuen, aufrichtigen Wandel vor Gott und zu einem hingebenden Dienst in Seinem Werk.
Indem Paulus als ein Mann Gottes und ein Diener Christi im Lichte wandelte, vollführte er seinen Dienst mit aller Gewissenhaftigkeit. Er übte sich, allezeit ein gutes Gewissen zu haben vor Gott und Menschen; und so empfahl er sich den Gewissen derer, unter denen er arbeitete. „Ich hoffe aber auch in euren Gewissen offenbar geworden zu sein.“
O möchten diese gesegneten Resultate sich auch in uns zeigen, geliebter Leser, zum Preise Gottes und zu unserem eigenen Heil und Segen.