Behandelter Abschnitt Hld 1,16-17
„Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja, holdselig; ja, unser Lager ist frisches Grün. Die Balken unseres Hauses sind Zedern, unser Getäfel Zypressen“ (Hld 1,16.17).
Wie schön sind diese Worte! Die Braut spricht nicht von sich selbst; sie hört die Ausdrücke Seiner sie bewundernden Liebe, aber sie sagt nichts von sich selbst, nicht einmal, dass sie einer solchen Liebe unwürdig sei. Wie tief bewegt sie auch sein mag, das eigene Ich wird völlig außerachtgelassen. Das ist wahre Demut. Man kann viel über das verdorbene und unwürdige „Ich“ reden und doch das Herz voll Stolz haben. Wahre Demut spricht nie von sich selbst, weder Gutes noch Böses. Aber das ist eine schwer zu erlernende Lektion. Christus ist unser einziges vollkommenes Vorbild. Unser hochgelobter Herr erniedrigte Sich Selbst; Er nahm den niedrigsten Platz ein. Der erste Adam erhöhte sich selbst und wurde erniedrigt; der letzte Adam erniedrigte Sich; und Gott „hat ihn hoch erhoben“ (Phil 2,9). Folge darum Jesus, meine Seele! Harre allein auf Gott, vertraue auf Ihn! „Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 18,14). Dieser Grundsatz erstreckt sich auf alle Einzelheiten des täglichen Lebens und ist von unendlicher praktischer Bedeutung. Man kann ihn täglich, ja stündlich in den beiden Naturen ausgedrückt finden. Die arme menschliche Natur ist immer bereit, auf die Lüge des Versuchers zu lauschen: „Ihr werdet sein wie Gott“. Die göttliche Natur dagegen ist zufrieden mit dem Platz, den Gott ihr anweist, bis Er ihr zuruft: „Rücke höher hinauf“ (Lk 14,10).
Wenn nichts anderes als Christus vor den Blicken steht, so ist das Herz völlig befriedigt. Wir sind dann bereit“ den niedrigsten Platz einzunehmen. Alles was zu unserem Glück nötig ist, wird in Ihm gefunden. Er ist nicht allein schön für das Auge, sondern auch holdselig für das Herz. Viele sind schön, aber nicht holdselig; Christus ist beides. „Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja, holdselig.“ O welche harmonischen Verbindungen, welche Vollkommenheiten finden wir in Jesus! Hier, und hier allein, kann das Herz wahre Ruhe finden. Darum fügt die Braut sehr bezeichnend hinzu: „Ja, unser Lager ist frisches Grün.“ Die grünen Auen und stillen Wasser der reichen Gnade des Herrn sind wohlbekannte, ausdrucksvolle Bilder der Ruhe und Erquickung, welche die Schafe Christi unter Seiner Hirtenhut genießen. „
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er lagert mich auf grünen Auen, er führt mich zu stillen Wassern.“ Auen mit frischem Grün und stille Wasser sind das tägliche Teil derer, die „den Spuren der Herde“ nachfolgen (Hld 1,8). Der Hirte schlägt sein Zelt nicht innerhalb der Stadtmauern auf. Dort gibt es kein zartes Gras, keine stillen Wasser. Nein, fern von den geräuschvollen Straßen, in ländlicher Stille lässt Er Seine Herde lagern. „Die Stadt“ ist in diesem Buch unzweifelhaft ein Sinnbild der Welt, während „das Land“ die himmlischen Orte vorstellt. Sobald die Braut sich verführen lässt, die Stadt zu betreten, warten ihrer nur Beschämung und Sorgen. Der Bräutigam ist dort nicht zu finden; Seine Aufenthaltsorte sind die Weinberge, die Gärten, die würzigen Hügel, die mit Balsambäumen bedeckten Berge und Täler, wo die Lilien blühen.
Das Wörtchen „unser“ in: „unser Lager ist frisches Grün“, „unsere Behausung“, „unser Getäfel“, drückt das Bewusstsein der vollen, gesegneten und beglückenden Gemeinschaft mit dem „Geliebten“ aus. Es ist gleich den köstlichen kleinen Wörtchen „uns“ und „wir“ im Epheserbrief. O herrliche Vereinigung, gesegnete, ewige Einheit mit Christus! Eins im Leben, eins in Gerechtigkeit, eins in der Annahme, eins im Frieden, eins in der Ruhe, eins in der Freude, eins in himmlischer, ewiger Herrlichkeit!
Wahrlich, freudenlos würde der lieblichste Schauplatz auf Erden, und freudenlos die vielen Wohnungen droben sein, wenn nicht unser hochgelobter Herr, der göttliche Bräutigam unserer Herzen, dort wäre. Aber das sichere Verheißungswort lautet: „und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein“. Und: „auf dass, wo ich bin, auch ihr seit.“ – Es ist genug, teurer Herr! Für ewig bei Dir und Dir gleich!
Sinne einen Augenblick hierüber nach, mein Leser. Hier ist vollkommene Ruhe, süße Erquickung für dich zu finden. Auf ewig bei dem Herrn zu sein im Paradies Gottes, in den vielen Wohnungen des Vaterhauses, das bringt das Maß unseres Glückes und Segens zum Überströmen.