Behandelter Abschnitt Hld 1,11
„Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit Punkten von Silber“ (Hld 1,11). Eine goldene Kette ist bekanntlich ein Zeichen von Beförderung, von hoher Gunst und Würde, wie z. B. bei Joseph und Daniel. Aber was bedeuten diese wunderbaren Worte des Königs? Er hat Seine Braut, ihre Schmuckstücke und goldenen Schnüre bewundert; und jetzt fühlt Er Sich veranlasst, noch mehr für sie zu tun. „Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit Punkten von Silber.“
Wir? warum wir? Will uns die Mehrzahl an das Geheimnis der Heiligen Dreieinheit erinnern? Bei dem Werk der Schöpfung hieß es: „Lasst uns Menschen machen in unserem Bild nach unserem Gleichnis.“ (1Mo 1,26) Und das Werk der Erlösung gab Anlass, wie wir wissen, zur Offenbarung der verschiedenen Personen der Gottheit. „Wenn jemand mich liebt“, sagt der Herr, „wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Und von dem Heiligen Geist sagt Er: „Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh 14).
Was aber haben wir unter den „goldenen Kettchen mit Punkten von Silber“ zu verstehen? Es handelt sich hier ohne Zweifel um einen Kopfschmuck, vielleicht eine Art Diadem, ein Kranz oder eine Krone. Ist es ein goldener Kranz mit Punkten von Silber? Die bereits angeführte Stelle aus dem Propheten Hesekiel gibt diesem Gedanken viel Wahrscheinlichkeit. „Und ich setzte eine Prachtkrone auf dein Haupt; und so wurdest du mit Gold und Silber geschmückt.“ Wird demnach der zurückgebrachte königliche Stamm Juda noch einmal diese herrliche Krone im Land Israel, in der heiligen Stadt Jerusalem tragen? Ja, der Herr Selbst wird sie auf sein Haupt setzen. -Wunderbare Gnade! Anbetungswürdige, göttliche Liebe!
Könnte Juda, könnten wir je vergessen, dass die erhabene Stirn des Königs von Salem einst auf dieser Erde mit einer Dornenkrone geschmückt war? Keine irdischen Juwelen zierten jene Krone; aber Sein kostbares Blut spendete reiche Rubinen-Tropfen von ewigem Glanz und unvergänglichem Wert. Wache auf, wache auf, meine Seele! und sinne über die Gnade und Liebe Jesu! Wie wird dir sein, wenn jene einst durchbohrte Hand deine Stirn mit einem Kranz unverwelklicher Herrlichkeit schmücken wird? Wird dein Auge gefesselt werden durch die Krone? Nein! der erste Anblick Seines herrlichen Angesichts wird dein Auge fesseln und dein ganzes Herz einnehmen auf ewig.
In der Art und Weise, wie der Herr Seine Liebe offenbart, gibt es immer etwas, das dem Herzen überaus kostbar ist. Hier sagt Er der Braut selbst, was in Seinem Herzen ist. Dieses befriedigt das erste Verlangen der Liebe, den Wunsch nach persönlicher Gemeinschaft. Jesus weiß wohl, wie Er das Herz mit tiefer, unergründlicher Freude erfüllen kann. Wird das aber immer so sein? Ja, und nochmals ja! Seine Liebe wird ewig währen; Er verändert Sich nicht. Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. In der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft ist Er derselbe. Welch eine Freude für das Herz, wenn es so unmittelbar, so persönlich und so deutlich von Ihm angeredet wird! Unter den Myriaden der Erlösten gibt es keinen, der von Ihm übersehen oder vernachlässigt würde. „Der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“, das wird das ewige Thema des Gesangs der Erlösten bilden. Seine Liebe in ihrer ewigen Fülle und Kostbarkeit wird alle Herzen erfüllen und sie alle zu lieblich gestimmten Harfen machen, die das Lob Seiner nie endenden Liebe ewiglich erklingen lassen.
Liebe, die mich überkleidet Und entrücket dieser Zeit, Liebe, die mich droben weidet und mich schmückt mit Herrlichkeit; Liebe, dir sei Preis und Ruhm hier und dort im Heiligtum!
Die Wahl des ersten Vergleichs verrät göttliche Weisheit und ist belehrend für die Seele: „Einer Stute an des Pharao Prachtwagen vergleiche ich dich, meine Freundin.“ Die mystische Braut des wahren Salomo wird hier an Ägypten erinnert, aus dem Er sie einst mit Seinem ausgestreckten Arm erlöste, und an den Pharao, aus dessen eiserner Gewalt Er sie befreite. Höchst eindrucksvolle Andeutungen für die Kinder Israel und moralisch auch für uns! Die Wahrheit Gottes ist gleich einem Kreis. Die Liebe, die uns aus Ägypten erlöste und uns nach Kanaan bringt, mit allen ihren Segnungen auf dem Weg dahin, ist ein vollkommener, ununterbrochener Kreis von Gnade und Wahrheit. Und sicherlich wird jeder besondere Teil dieses Kreises uns ewiglich in Erinnerung bleiben. Die Gnade, die uns in der Welt begegnet, führt uns zu dem Herzen Gottes, aus dem sie hervorfließt. „Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden“ (Eph 2,13).
Die edle Stute mit ihrem glänzenden Geschirr darf man wohl als das Sinnbild der Stärke, des Ebenmaßes, der Schnelligkeit, der königlichen Würde und der Willigkeit im Dienst betrachten. Kaum hat der Wagenlenker seinen Sitz eingenommen, so sind auch seine edlen Tiere bereit, anzuziehen. Jede Verzögerung macht sie ungeduldig. Ihr Scharren und Stampfen, das stolze Emporwerfen des Kopfes, das Zucken jeder Muskel – alles zeigt ihm deutlich, dass sie bereit sind, wenn er nur fertig ist. Und dann, wie gehorsam sind sie, trotz ihrer Stärke, dem geringsten Druck des Zügels! Erkennst du, mein Leser, in dieser Bereitwilligkeit und Unterwürfigkeit ein Bild deines eigenen Dienstes? Ist er so beschaffen? Oder ist das Gegenteil der Fall?
Ach, prüfe alle deine Wege unter dem Strahl des Auges deines Herrn und Meisters. Gibt es etwas auf Erden, das du mehr fürchten würdest, als aus Seinem Dienst entlassen zu werden? Bedenke, o bedenke, dass, obgleich du für immer als Sohn in deines Vaters Haus sein wirst, obgleich du als Sünder durch die Gnade für ewig errettet bist, dir dennoch als Diener, wenn du deine Zeit nutzlos verbringst oder dein Werk lässig treibst, dein Dienst genommen und einem anderen gegeben werden kann. – O langmütiger Herr, erhalte Deine Diener stets umgürtet, gehorsam und bereitwillig zum Dienst, stets nur für das eine besorgt, Deinen Willen zu tun!