Einleitung
Prophetische Bedeutung der Sendschreiben
Als Teil der Offenbarung sind die Kapitel 2 und 3 hauptsächlich Prophetie, darauf liegt eindeutig der Schwerpunkt. Die Geschichte der christlichen Kirche bestätigt das auf eindrucksvolle Weise. Der Geist Gottes hat sieben Versammlungen in Kleinasien ausgewählt, weil die Beschreibung die Kirchengeschichte verdeutlicht. Manche nehmen an, dass genau die Zustände die wir in den Abschnitten der Kirchengeschichte finden, auch in den damaligen Versammlungen vorhanden waren. Es gibt keinen Grund, das anzunehmen. Natürlich waren erste Anzeichen vorhanden, aber das Ausreifen des Bösen war keinesfalls geschehen. Von daher erübrigt sich die Frage, ob die Versammlungen bei gegenseitigem Brotbrechen sich dadurch verunreinigt haben. Selbstverständlich können wir diese beiden Kapitel auch als Prüfstein für heute existierende Versammlungen benutzen (siehe hierzu Anhang 4, einen Auszug aus der Betrachtung von William Kelly, Lectures in The Book of the Revelation, London, G. Morrish, Seiten 24‒28).
2. Beweise für den prophetischen Charakter der Kapitel 2 und 3
Kap. 1,3: das ganze Buch ist „Weissagung“.
Kap. 1,19: „Was ist“ ist die ganze Zeit der Christenheit.
Die sieben Briefe sind eine Einheit (7), vgl. 3. Mose 23 und Matthäus 13.
Jeweils am Ende: „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt.“
In den letzten vier Sendschreiben gibt es Hinweise auf das Kommen des Herrn, sie bleiben bis zu seinem Kommen bestehen.
Erwähnung der Stunde der Versuchung in Kapitel 3,10.
Der Inhalt stimmt offensichtlich mit der bekannten Geschichte der Kirche überein.
Die Anordnung ist nicht willkürlich – es gibt 5040 Möglichkeiten der Anordnung dieser Briefe (1*2*3*4*5*6*7).
3. Gesamtübersicht
Versammlung | Kapitel | Bedeutung des Namens | Zeitabschnitt während der Kirchengeschichte | Beschreibung Christi (vgl. Kap. 1) |
Charakteristisches der einzelnen Versammlungen | |
1 | Ephesus | 2,1–7 | Luststadt (eine Freude für Gott) | Anfangszeit der Kirche; Beginn des Verfalls (30-100) | 7 Sterne in seiner Rechten, wandelnd inmitten der 7 Leuchter | Erstes Abweichen der Versammlung; Verlassen der ersten Liebe |
2 | Smyrna | 2,8–11 | Myrrhe (Wohlgeruch durch Leiden) | Zeit der Verfolgung der Kirche (100–300) | Der Erste und der Letzte, der da starb und lebendig wurde | Der Herr prüft die Kirche. Satan als brüllender Löwe |
3 | Pergamus | 2,12–17 | Hochburg (wo Satan wohnt) | Zeit der Christianisierung des Abendlandes seit Konstantin dem Großen (300–600) | Der das scharfe, zweischneidige Schwert hat | Satan als Engel des Lichts. Die Kirche stellt sich unter den Schutz der Welt |
4 | Thyatira | 2,18–29 | Opfertor, oder: ich verderbe | Zeit der röm.-kath. Kirche, Papsttum im Mittelalter (600–1500)1 – Beginn unter Gregor I. d. Gr. (Papst von 590–604)2 | Der Sohn Gottes, der Augen hat wie eine Feuerflamme, Füße gleich glänzendem Kupfer | Die Kirche herrscht über die Welt |
5 | Sardes | 3,1–6 | Übriggebliebener | Zeit des Protestantismus und Pietismus (1500–1750) | Der die 7 Geister Gottes hat und die 7 Sterne | Ein Überrest aus Thyatira, der röm.-kath. Kirche |
6 | Philadelphia | 3,7–13 | Bruderliebe | Zeit einer besonderen weltweiten Erweckung (1750–1900) | Der Heilige und Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat |
Trennung eines Überrests, sowohl aus Thyatira als auch aus Sardes |
7 | Laodizea | 3,14‒22 | Volksrecht o. Volksentscheidung |
Das christliche Zeugnis in seiner Endphase (1900 – Kommen Christi) | Der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes | Das Licht Philadelphias wird abgelehnt oder ist wieder verlorengegangen |
4. Kurze Übersicht
Versammlung | Kennzeichen | |
---|---|---|
1 | Ephesus | erstes Abweichen der Kirche – Verlassen der ersten Liebe |
2 | Sardes | Der Herr prüft die Kirche – Satan als der brüllende Löwe |
3 | Pergamus | Satan als Engel des Lichts – Die Kirche stellt sich unter den Schutz der Welt |
4 | Thyatira | Die Kirche herrscht über die Welt |
5 | Sardes | Ein Überrest aus Thyatira, der römischen Kirche (Herrschaft der Welt über die Kirche) |
6 | Philadelphia | Absonderung treuer Gläubiger hauptsächlich aus Sardes |
7 | Laodizea | Das Licht Philadelphias wieder abgelehnt oder weitgehend verloren |
5. Das jeweilige Verhältnis der einzelnen Versammlungen zur Welt:
1 | Ephesus | Trennung von der Welt und insoweit ein Zeugnis gegenüber der Welt, obwohl die Ursache zum Verfall vorhanden war. |
---|---|---|
2 | Sardes | Verfolgung seitens der Welt. Weiteres Abweichen verhindert |
3 | Pergamus | Die Kirche lässt sich dort nieder, wo die Welt ist; die Welt übernimmt das Bekenntnis des Christentums. Bildung der Christenheit |
4 | Thyatira | Die bekennende Kirche versucht, die Oberhand zu gewinnen und die christianisierte Welt zu beherrschen |
5 | Sardes | Ein Teil der bekennenden Kirche stellt sich unter den Schutz und die Herrschaft der Welt |
6 | Philadelphia | Ein Überrest, der sich von der religiösen Welt abgesondert hat |
7 | Laodizea | Die bekennende Masse der Christenheit wird zur Welt und wird vom Herrn wie die Welt behandelt, ja noch schlimmer |
6. Schema der Briefe (allgemein, bis auf Ausnahmen)
Der Herr erkennt das Gute an
Aufforderung zur Buße
Androhung des Gerichts
Aufruf an die Hörenden
Lohn für die Überwinder
7. Unterschiede zwischen den ersten drei und den letzten vier Versammlungen
Bei den ersten drei Sendschreiben heißt es zuerst: „wer ein Ohr hat“, danach gibt es eine Verheißung für den Überwinder; bei den letzten vier Sendschreiben umgekehrt.
In den letzten vier Sendschreiben findet sich ein treuer Überrest, von der untreuen Masse unterschieden. Keine Hoffnung mehr für die Kirche als Gesamtheit.
Bei den letzten vier Briefen wird auf das Kommen des Herrn Bezug genommen.
Der Hörende ist nur unter den Überwindern. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass das christliche Bekenntnis hoffnungslos abgewichen ist.
8. Diverses
Die Versammlung wird nicht als Leib, Haus, Braut, also nach den ewigen Ratschlüssen gesehen, sondern als verantwortliches Zeugnis von Bekennern.
In den Sendschreiben finden wir die Vorausschau Gottes, nicht seinen Willen. Darin sind die Sendschreiben vergleichbar mit den Gleichnissen in Matthäus 13.
„Als Zweites ergibt sich, dass von diesen sieben verschiedenen Abschnitten oder Etappen in der Geschichte der Kirche inzwischen drei der Vergangenheit angehören; aus den entsprechenden Briefen ist für uns heute nur noch die grundsätzliche moralische Belehrung von Bedeutung. Die vier letzten haben für uns darüber hinaus noch eine prophetische Bedeutung; die entsprechenden Verhältnisse werden von dem Augenblick ihres Auftretens an zusammen weiterbestehen bis zum Kommen des Herrn“ (W. Kelly, Die Offenbarung, S. 67).
1. Das Sendschreiben an Ephesus
Einleitung
Ephesus ist genau genommen die Zeit des Endes der apostolischen Zeit. Die Versammlung ist nie wieder zu ihrer ersten Liebe zurückgekehrt.
Bei allem, was Gott dem Menschen anvertraut hat, hat der Mensch es sehr bald nicht geschätzt und verdorben.
Einteilung
Der Herr hält die sieben Sterne in seiner Rechten und wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter (V. 1)
Er prüft seine Versammlung und lobt zuerst das Anerkennenswerte: Werke, Arbeit, Ausharren, Trennung vom Bösen, die Prüfung falscher Apostel waren vorhanden (V. 2.3)
Er tadelt das Verlassen der ersten Liebe, fordert zu Buße und Rückkehr zu den ersten Werken auf ‒ tun sie keine Buße, folgt Gericht (V. 4.5)
Der Herr erkennt an, dass sie die Werke der Nikolaiten hassten (V. 6)
Aufforderung zu hören und Verheißung für den Überwinder (V. 7)
Vers 1
Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: Dieses sagt der, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt: Hier sind Engel nicht himmlische Boten (sonst wäre es nicht Johannes, der ihnen eine Botschaft zu überbringen hätte). Der Engel sind hier Menschen in verantwortlicher Position einer Versammlung, die sie repräsentieren. Sie werden im Bild von Sternen gesehen, die untergeordnete Autoritäten sind. Ihre Aufgabe ist es, Licht in der Nacht der Abwesenheit Christi zu geben (vgl. Off 1,20). Sie sind die Hirten, die Gott für die Herde verantwortlich machen wird (Sach 10,3). Beispiele: der Engel des Herrn bzw. des Bundes, Engel Israels und anderer Völker (Dan), Engel der kleinen Kinder (Mt 18), der Engel des Petrus (Apg 12).
Der Stern übte auf die Versammlung Einfluss aus. Er war vom Herrn bestimmt, Licht auf die Heiligen Gottes zu werfen. Wenn dieses Licht unwirksam war, wenn sich das Böse eingeschlichen hatte, wirkte sich das auf den Zustand der Versammlung aus (W. Kelly).
Engel – sinnbildliche Vertretung
Der Titel „Engel“ hat offenbar eine symbolische oder sinnbildliche Bedeutung, ähnlich wie die Bezeichnung „Sterne“ in Kapitel 1,20: „Die sieben Sterne (in der Rechten des Herrn) sind Engel der sieben Versammlungen“. Und wenn das so ist, so haben wir uns unter dem „Engel der Versammlung“ eben nicht eine bestimmte amtliche Person [Kelly sagt das Gegenteil, so auch FBH], sondern eine sinnbildliche Vertretung der Versammlung zu denken. Zu dieser Auffassung gibt uns die Schrift selbst unmittelbare Anleitung. Immer wieder begegnen wir der Benutzung von Engeln in vertretendem Sinne. Der Engel des Herrn, der Engel des Bundes so heißt es an vielen Stellen in den Büchern des Alten Testaments. Gott selbst sagt in 2. Mose 23,21 von dem Engel, den Er Israel als Führer und Hüter senden wollte: „Hüte dich vor ihm und höre auf seine Stimme und reize ihn nicht; denn er wird eure Übertretung nicht vergeben, denn mein Name ist in ihm“. Und oft werden die Ausdrücke „Jehova“ oder „der Engel Jehovas“ wechselseitig gebraucht. Der Engel Jehovas steht für Jehova selbst (vgl. z. B. Richter 6). Im Buche Daniel werden Engel mit Israel oder anderen Mächten einsgemacht: „Der Fürst des Königreichs Persien (ein Engelfürst) stand mir entgegen“; „in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht“ (Kap. 10,13; 12,1). Im Neuen Testament hören wir, dass die „Engel“ der kleinen Kinder allezeit das Angesicht des Vaters im Himmel schauen (Mt 18,10), und wenn Petrus, auf wunderbare Weise aus dem Kerker befreit, an die Tür des Hauses der Maria klopft, sagen die im Hause versammelten Gläubigen der Botschaft bringenden Magd: „Es ist sein Engel“ (Apg 12).
Verkörperung der Verantwortlichkeit
So ist denn der Engel der Versammlung gleichsam die Verkörperung der Verantwortlichkeit, der ideale verantwortliche Vertreter des Ganzen. Die Aufseher der Versammlungen, ob von den Aposteln angestellt oder nicht, hatten infolge ihrer Stellung gewiss eine besondere Verantwortlichkeit. Der Engel stellt jedoch die ganze Versammlung dar, wenn auch jene Personen zunächst gemeint sein mögen, weil sie eben unter einer höheren und ernsteren Verantwortlichkeit standen als die übrigen. Darum kann auch zu dem Engel gesagt werden: „Ich werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegtun“, oder: Ich habe ein weniges wider dich, dass du solche dort hast“; während wir an anderen Stellen lesen: „Der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen“; „auch in den Tagen, in welchen Antipas mein treuer Zeuge war, der bei euch ... ermordet worden ist“;“ euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben“ usw.
Der Engel erscheint also an vielen Stellen als gleichbedeutend mit der Versammlung, an anderen wird zwischen ihm und der Versammlung ein Unterschied gemacht, indem diese selbst oder einzelne Teile von ihr angeredet oder hervorgehoben werden – ein Beweis also, dass die Briefe, wenn auch nicht unmittelbar, so doch in ihrer ganzen schwerwiegenden Bedeutung an die Versammlungen selbst sich richten und für sie bestimmt sind. Der Gedanke an eine einzelne, mit Autorität bekleidete Person in ihrer Mitte oder gar an ihrer Spitze, welche die Verantwortlichkeit für die Gesamtheit trüge, ist völlig ausgeschlossen, durchaus schriftwidrig. Alle Beweisführungen, die man hierauf stützt, um darzutun, dass jeder örtlichen Versammlung ein einzelner Mensch, unter welchem Titel es nun sei – als Hirte, Lehrer, Prediger, Aufseher oder dergleichen. – vorstehen und sie leiten solle, sind demnach hinfällig. Das berührt aber keineswegs die Frage der ernsten Verantwortlichkeit aller derer, welchen der Herr eine Gabe anvertraut oder einen Auftrag, einen Dienst für die Versammlung, Seinen Leib, gegeben hat. Diese Verantwortlichkeit bleibt in ihrem ganzen Umfang bestehen, und da, wo sie gefühlt wird, wird dieses Gefühl Ernst und heilige Wachsamkeit in der Seele wachrufen (Rudolf Brockhaus, Die Versammlung des lebendigen Gottes).
Ephesus: Luststadt; woran der Herr Gefallen hat, die Versammlung in ihrem himmlischen Charakter. Keine Versammlung war in solch gutem Zustand, hatte so viel Einsicht, war so durch den Dienst des Paulus bevorrechtigt (Apg 18,11). Hier hatte Paulus die Ältesten ernstlich ermahnt (Apg 20).
Dieses sagt, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält: Der Herr gibt Gaben und Ämter. Sie strahlen seine Herrlichkeit (Licht) wider. Er gibt ihnen die Kraft. Sie sind ihm andererseits verantwortlich. Sie sind in seiner Hand, Er hat Autorität über sie.
Der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter: Der Wandel weist auf Gemeinschaft hin, auf das Suchen anderer, sich um sie kümmern (1Mo 3,8; 2Kor 6,16). Er sieht alles und wacht über die Reinheit des Lichts, so wie der Hohepriester täglich in das Heiligtum hineinging und die Leuchter reinigte.
1 Bei den Zeitangaben sehen wir davon ab, dass die letzten vier Versammlungen bis zum Kommen Jesu bestehen bleiben, da ja sein Kommen in diesen vier Sendschreiben angekündigt wird.↩︎
2 Als erster Papst ordnete Gregor I. d. Gr. die Verwaltung der ausgedehnten päpstlichen Ländereien völlig neu und legte damit den Grund zum späteren Kirchenstaat. Er gilt als der erste Papst, der tatsächlich über die gesamte Kirche herrschte. Nach dem Fall des Römischen Reichs dauerte der Kampf um die Vorherrschaft zwischen den Päpsten und den deutschen Kaisern an. Im 12. Jh. erlangte Papst Innozenz III. (1198–1216) die absolute Gewalt über ganz Europa. Niemand konnte Herrscher sein ohne die Zustimmung des Papstes.↩︎