Christus in dem Gläubigen (Kapitel 3,12–4,6)
Wir haben gesehen, dass der große Gegenstand des Briefes ist, die Herrlichkeiten Christi, des Hauptes der Versammlung, vorzustellen, damit der Charakter des Hauptes in seinem Leib sichtbar wird.
Nachdem der Apostel die praktische Anwendung der großen Wahrheiten gemacht hat, dass die Gläubigen mit Christus gestorben und auferstanden sind (Kapitel 2,20–3,11), ermahnt er uns nun, die Eigenschaften Christi praktischerweise anzuziehen. In der zukünftigen Herrlichkeit werden wir vollkommen wie Christus in einer Szene sein, in der jeder Ihm gleichen wird. Heute aber ist es das hohe Vorrecht des Gläubigen, die Eigenschaften Christi in einer Welt zu offenbaren, die auch nicht im geringsten Maß wie Christus lebt oder moralisch handelt. Zudem wird dieser neue Charakter des Gläubigen nicht nur in einem bestimmten Bereich oder bei einer bestimmten Gelegenheit gezeigt, sondern überall da, wo der Christ den Auftrag hat, sich aufzuhalten.
Natürlicherweise stellt uns der Apostel zunächst den Ausdruck der Eigenschaften Christi im christlichen Bereich vor (Kapitel 3,12–17), dann im Bereich der Familie (Kapitel 3,18–21), dann in den sozialen Bereichen (Kapitel 3,22–4,1). Schließlich soll der Charakter Christi auch denen gegenüber sichtbar werden, die draußen sind (Kapitel 4,2–6).
Christus – offenbart im christlichen Bereich (Kapitel 3,12–17)
„Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut“ (Vers 12).
Der Apostel gründet seine Ermahnung auf die wunderbare Stellung, in welcher der Gläubige vor Gott steht. Wir sind „Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte“. Als „Auserwählte“ sind wir aus der Welt für den himmlischen Segen ausgewählt worden in Übereinstimmung mit der Absicht Gottes. Als „Heilige“ sind wir für Gott zur Seite gestellt worden aus der gegenwärtigen Welt. Als „Geliebte“ sorgt Gott für uns bei jedem Schritt unserer Reise durch diese Welt.
Unser Lebenswandel und unsere Praxis hätte diesen bevorrechtigten Platz vor Gott nie erwerben können. Unsere Stellung im Segen ist vollkommen das Ergebnis der Gnade Gottes, die uns durch Christus geschenkt worden ist. Während wir jedoch durch unseren Lebenswandel nicht in der Lage sind, diese bevorrechtigte Stellung zu erwerben, sollte die Stellung, in der wir stehen, sicherlich unseren Lebenswandel prägen.
Zeigen uns diese Segnungen nicht die Stellung Christi, als Er in dieser Welt war? War Er nicht der Auserwählte Gottes, der Eine, der aus den Menschen in einer ganz besonderen Weise erwählt worden ist? Er war auch im absoluten Sinn des Wortes der Heilige. Und an zwei Gelegenheiten kam eine Stimme aus dem Himmel, die sagte: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ Wir sind allein durch Gnade in dieselbe Stellung gebracht worden. Die Folge dieses Geschenks muss sein, dass wir einen solchen Lebenswandel führen, wie Er es getan hat. So offenbaren wir seine Charakterzüge.
Der Charakter unseres geistlichen Lebens ist wichtiger als Dienst
Es ist beachtenswert, dass in den Gebeten, in der Lehre und in den Ermahnungen dieses Briefes die besonderen Gnadengaben und die Ausübung des öffentlichen Verkündigungsdienstes in der Arbeit für den Herrn kaum oder gar nicht erwähnt werden. Solche Themen sind von großer Wichtigkeit und haben ihren Platz in anderen Briefen. Hier jedoch geht es um das, was von noch größerer Wichtigkeit ist: das geistliche Leben und der geistliche Charakter des Christen – das ist das große Thema.
Was wir sind, ist von viel größerer Wichtigkeit als das, was wir tun. Wir neigen dazu, einander wegen des Eifers und der Aktivitäten vor Menschen wertzuschätzen, nicht jedoch im Blick auf unser geistliches Leben und unseren geistlichen Charakter vor Gott. Wenn ein Gläubiger eine Gabe und Fähigkeit besitzt, ist es relativ einfach, in der Öffentlichkeit eifrig und aktiv zu sein. Es bedarf einer größeren Gnade, Christus in dem ruhigen und vergleichsweise verborgenen täglichen Leben zu offenbaren.
Ein engagierter Arbeiter unter Gottes Volk oder in der Welt zu sein mag einen großen Eindruck machen. Aber ein geistlicher Mensch zu sein, der die Charakterzüge von Christus in Sanftmut und Demut, in Langmut und Geduld offenbart, wird schwerer wiegen und von größerem Wert sein in den Augen Gottes. Der Schmuck eines sanftmütigen und stillen Geistes ist in den Augen Gottes von großem Wert (vgl. 1Pet 3,4).
Einer Martha zu gleichen mit einer hastigen Aktivität, ist nicht so schwer. Aber eine Maria zu sein, die still zu den Füßen Jesu sitzt, verlangt eine viel tiefere geistliche Gesinnung. Es ist ja nicht so, dass ein Gläubiger mit einem stillen Geist inaktiv wäre, was gute Werke betrifft. Aber das „Leben“ wird den „Werken“ vorausgehen und wird, was die praktische Verwirklichung betrifft, immer die erste Sorge des Christen sein. Maria, die vom Herrn gelobt wurde, da sie das „gute Teil“ gewählt hatte, wurde auch für ihr „gutes Werk“ gepriesen. Aber das „gute Teil“ kam vor dem „guten Werk“.
Das Ergebnis des guten Teils, das Maria gewählt hatte – das Sitzen zu den Füßen Jesu, um sein Wort zu hören – bestand darin, in ihr die Charakterzüge und die Gnade Christi zu bilden.
Die Ermahnungen, die jetzt in diesem Brief in gesegneter Weise folgen, offenbaren diesen Charakter Christi – gekennzeichnet durch Gnade (Verse 12.13), durch Liebe (Vers 14) und Frieden (Vers 15).
Die Gnade Christi im Leben des Erlösten
„Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut, einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat gegen den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr“ (Verse 12.13).
Die ersten sieben Ermahnungen offenbaren die verschiedenen Wege, in denen sich die Gnade Christi zeigt.
Herzliches Erbarmen ist Gnade gegenüber denjenigen, die in einer gewissen Weise von uns abhängig sind und ein spezielles Bedürfnis haben.
Güte beinhaltet nicht notwendigerweise, dass einer direkten Not begegnet wird oder materielle Geschenke jemand, der von uns abhängig ist, gegeben werden. Es geht eher darum, zum Glück und Trost anderer beizutragen, die kein besonderes Bedürfnis haben.
Demut bezieht sich auf uns selbst. Sie denkt gering von sich oder gar nicht an sich.
Sanftmut bezieht sich auf andere. Sie ist nachgiebig anderen gegenüber. Diese beiden herausragenden Eigenschaften werden durch das Wort illustriert: „In Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst“ (Phil 2,3). Der demütige Mensch sorgt sich nicht um seinen Ruf; der sanftmütige Christ beachtet die Vorzüge der anderen und nicht die eigenen.
Langmut bezieht sich mehr auf übende Umstände.
Einander ertragend bezieht sich auf Personen, die uns Schwierigkeiten machen. Wir sprechen zu Recht von einer Person, die viel erträgt, obwohl sie geradezu herausgefordert wird. Diese Provokation kann ganz allgemein sein – irgendetwas, das ein Ertragen nötig macht.
Es gibt persönlich erlebtes Unrecht, das zu Recht Anlass für eine Beschwerde ist. Solch persönliches Unrecht ruft nach Vergebung. Das Maß der Vergebung ist Christus und wie Er uns vergeben hat.