Behandelter Abschnitt Joh 20,17-18
Joh 20,17.18: 17 Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalene kommt und verkündet den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen und er dies zu ihr gesagt habe.
Der Herr gibt sich nicht nur gern dem an Ihm hängendem Herzen zu erkennen, sondern Er weiht es auch in die Geheimnisse seines eigenen Herzens ein. Außerdem kann Er Maria in seinem Dienst gebrauchen, indem Er ihr die große Ehre verleiht, den Jüngern seine göttlichen Geheimnisse zu überbringen. Obwohl Maria vielleicht unwissend war, so wie auch die Jünger zu diesem Zeitpunkt, ist ihre Liebe jedoch echt, und durch Liebe erkennen wir die Wahrheit. Daher kann der Apostel in späteren Jahren beten, dass wir „in Liebe gewurzelt und gegründet“ seien, dass wir „völlig zu erfassen vermögen“ (Eph 3,17.18). Es scheint, dass Maria die Erste war, die die Folgen der Auferstehung begriff. Da sie die Gefühle des gottesfürchtigen jüdischen Überrests repräsentiert, klammert sie sich an ihren auferstandenen Herrn mit dem Gedanken, dass Er seinen Platz auf der Erde als der rechtmäßige Erbe aller Dinge einnehmen wird, da Er jetzt wiedergekommen ist – nicht mehr in Erniedrigung, sondern in der Herrlichkeit seiner Auferstehung. Aber Maria und der Überrest müssen erfahren, dass Gott vor den Herrlichkeiten des Königreichs noch größere Herrlichkeiten für Christus und noch viel tiefere Segnungen für sein Volk bereithält. Daher kann der Herr sagen: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott.“
Somit deutet der Herr erstens an, dass man Ihn nicht länger nach dem Fleisch, in Verbindung mit der Erde und einem irdischen Königreich „berühren“ oder kennen soll, sondern in einer neuen, überirdischen Beziehung. Zweitens kann der Herr von seinen Jüngern als von seinen „Brüdern“ sprechen. Nie zuvor hatte Er seine Jünger als seine Brüder bezeichnet, aber nachdem Er sie durch seinen Tod geheiligt hat, schämt Er sich nicht, sie Brüder zu nennen (Heb 2,11). So wie die Braut im Hohelied Salomons sagen kann: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein“, so sagt Maria mit liebendem Herzen: „Mein Herr“, und Jesus kann in seiner unermesslichen Liebe, darauf eingehen, indem Er die Seinen „meine Brüder“ nennt.
Drittens erfahren wir, dass die Seinen in eine neue und himmlische Beziehung gebracht worden sind. Der Herr spricht nicht nur von seiner Himmelfahrt und folglich vom Verlassen der Erde, sondern auch vom Zurückkehren zu einer Person – dem Vater, mit dem Er uns durch sein Werk in Verbindung bringt, sogar in Verbindung mit Ihm selbst, und darum kann Er sagen: „Mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott.“ Er fährt auf zum Himmel, um uns vor dem Vater zu vertreten, während wir hier auf der Erde gelassen werden, um Ihn vor der Welt zu vertreten.
Maria hat das große Vorrecht, gebraucht zu werden, um diese neuen, himmlischen Segnungen den Jüngern bekanntzumachen. Dadurch werden wir an eine Wahrheit erinnert, die wir oft nur langsam lernen und schnell wieder vergessen: dass es für den Herrn eine Freude ist, den Schwachen und Niedrigen zu erwählen und durch ihn den höchsten Dienst zu verrichten. Wie oft ist es geschehen, dass ein großes Werk Gottes mit etwas angefangen hat, was in den Augen der Welt gering und schwach ist! Das Christentum hat mit einem kleinen
Kind in einer Krippe angefangen; das Königreich ist durch ein Senfkorn entstanden und die neuen, himmlischen Beziehungen werden durch eine weinende Frau überbracht.
In Maria sehen wir das für Christus so Kostbare: ein Herz voll überwältigender Liebe zu Ihm. So jemanden kann Er sich offenbaren, ihn in das Verständnis göttlicher Dinge einführen und in seinem Dienst gebrauchen. Das Versagen der Gemeinde in ihrer Verantwortung, wie es in den sieben Sendschreiben in der Offenbarung beschrieben ist, fing in Ephesus mit Dienst ohne reine Liebe an und endete in Laodizea mit Erkenntnis ohne Hingabe. Bloße Erkenntnis wird nie zu Hingabe führen, wogegen ein hingegebenes Herz mit Sicherheit Erkenntnis erlangen wird, weil es dem Herrn gefällt, dem, der Ihm in Liebe zugeneigt ist, Einsicht in geistliche Dinge zu vermitteln. Wir können uns viel Wissen über göttliche Dinge aneignen, aber wenn es unsere Herzen nicht näher zu Christus bringt und Christus in uns Gestalt gewinnt, wird es nur die Eitelkeit des Fleisches fördern. „Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber erbaut“ (1Kor 8,1). Am Anfang des Zeitalters der Gemeinde galt des Herrn Lob vor allem der persönlichen Liebe zu Ihm selbst. Auch noch am Ende, wenn alles in unseren Händen durch den Verlust der ersten Liebe zerbrochen sein wird, wird der Herr Ausschau halten nach individueller Liebe zu Ihm selbst. Seine letzte Mahnung an die Seinen, inmitten des Zerfalls, ist die Erinnerung an seine Liebe zu uns und dass Er auf Erwiderung dieser Liebe wartet. So hören wir Ihn sagen: „Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (Off 3,19.20). Er fordert nicht irgendein großes Opfer oder einen Dienst, der eine Schau vor der Welt macht oder uns in den Augen der Menschen ehrt, sondern Er sucht ein Herz, das seine Liebe erwidert und so in die Gemeinschaft mit Ihm selbst geführt wird. So jemandem wird Er gewisslich eine Tür für den Dienst öffnen, aber es wird ein Dienst sein, der aus Liebe heraus getan wird.