Behandelter Abschnitt Joh 15,9-10
Die christliche Gesellschaft
In den letzten Unterredungen des Herrn bereitet eine zunehmende Entfaltung der Wahrheit die
Jünger auf die Beiseitesetzung des irdischen jüdischen Systems zu, mit dem sie verbunden waren, sowie auf die Einführung der neuen christlichen Gesellschaft, die in ihrem Ursprung und Ziel himmlisch ist, obwohl die Jünger noch eine Weile in der Welt gelassen wurden, um selbst Christus, den Menschen in Herrlichkeit, darzustellen.
Indem wir auf die Aussprüche des Herrn achten, ist es gut, uns zwei große Tatsachen vor Augen zu halten, die der ganzen Belehrung der Abschiedsworte des Herrn zugrunde liegen. Erstens, dass der Herr im Begriff stand, diese Welt zu verlassen, um seinen neuen Platz als Mensch im Himmel einzunehmen, und zweitens, dass eine göttliche Person – der Heilige Geist – vom Himmel auf die Erde herabkam. Infolge dieser zwei großen Tatsachen würde auf dieser Erde eine mit Christus in Herrlichkeit sowie untereinander durch den Heiligen Geist vereinigte Gesellschaft von Gläubigen gefunden. An diese neue Gesellschaft, die durch die Jünger vertreten wird, wendet sich der Herr in diesen letzten Worten.
Nachdem Er ihnen das Verlagen seines Herzens enthüllt hat, dass sie Frucht tragen möchten, stellt Er ihnen nun die neue christliche Gesellschaft vor, denn nur in dieser kann solche gefunden werden. Ist es nicht klar, dass der volle Ausdruck der Frucht eine Gesellschaft voraussetzt? Denn viele der Gnaden Christi können schwerlich durch einen alleinstehenden Jünger zum Ausdruck gebracht werden. Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit und andere Züge Christi, können praktisch nur in Gesellschaft mit anderen zur Darstellung kommen. In den ersten Versen von Johannes 13 wird uns gesagt, dass während der Abwesenheit Christi solche auf Erden sein werden, die Er „die Seinen“ nennt und die Er bis ans Ende liebt. Das Letztere besagt, dass sie trotz allen Fehlens bis ans Ende die Seinen sein werden. Nach außen hin mögen sie zusammengebrochen und zerstreut sein, doch in seinen Augen sind sie noch da. „Der Herr kennt, die sein sind.“ Glücklich sind jene Gläubigen, die ihre Freude in der Gesellschaft der Seinen haben. Wenn Christus persönlich hier wäre, würden wir alle gern in seiner Gesellschaft sein, doch da Er hinweggegangen ist, so sind wir sicherlich gern mit denen zusammen, die etwas von seinem Charakter zum Ausdruck bringen. Wenn wir inmitten all der Verwirrung der Christenheit noch einige finden, die ohne Anmaßung in sittlicher Hinsicht etwas von Christus darstellen, so werden diese ohne Zweifel sehr anziehend für ein Herz sein, das Christus liebt; während die großen religiösen Systeme, in denen so viel von dem Menschen und so wenig von Christus ist, aufhören, irgendwelche Anziehungskraft auf uns auszuüben.
Wie wichtig ist es deshalb, dass wir mit Ernst auf eine Stelle achten, die uns die großen sittlichen Kennzeichen der neuen christlichen Gesellschaft entfaltet, die die Versammlung Christi während seiner Abwesenheit bildet. Wenn wir von christlicher Gesellschaft reden, müssen wir uns davor hüten, diese einerseits auf eine bestimmte Anzahl von Gläubigen zu begrenzen, andererseits sie aber auch nicht auf jene auszudehnen, die nicht Christi sind.
Joh 15,9.10: Gleichwie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibet in meiner Liebe. Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.
Das erste große Kennzeichen der christlichen Gesellschaft ist die Liebe Christi. Die christliche Gesellschaft wird von Christus geliebt. Sie mag von der Welt nicht gekannt sein oder, wenn dies doch der Fall, verachtet und gehasst werden, aber von Christus wird sie geliebt. Und von einer solchen Tiefe ist seine Liebe, dass sie nur an der Liebe des Vaters zu Christus gemessen werden kann. Der Vater hat auf Christus als einen Menschen herabgeblickt und Ihn mit all der Vollkommenheit der göttlichen Liebe geliebt, und jetzt blickt Christus aus der Herrlichkeit auf die Seinen, und durch die geöffneten Himmel strömt seine Liebe auf sie herab. Zu solchen sagt der Herr: „Bleibet in meiner Liebe.“
Ihre Freude an ihrer Segnung sowie ihre Kraft im Zeugnis hängt davon ab, dass sie bewusst in der Liebe Christi bleiben. Jene anderen, ernsten Worte des Herrn: „Du hast deine erste Liebe verlassen“, die an einem späteren Tag an den Engel der Versammlung zu Ephesus gerichtet wurden, zeigen den ersten Schritt auf dem Weg an, der zum Verfall und zur Zerstreuung der christlichen Gesellschaft auf Erden führt. Der nächste Schritt abwärts war der, dass sie aufhörten, ein gemeinsames Zeugnis für Christus zu sein, der Leuchter wurde von seiner Stelle weggerückt (Off 2,4.5). Wenn Christen in der Freude göttlicher Liebe wandeln, dann kann nichts ihr gemeinsames Zeugnis hindern, wenn sie aber ihre erste Liebe zu Christus verlieren, weil sie seine Liebe nicht mehr genießen, dann wird ihr gemeinsames Zeugnis vor der Welt bald ein Ende haben. Wie oft hat sich die Geschichte der Kirche als ein Ganzes in den örtlichen Gemeinschaften der Heiligen wiederholt. Wenn jedoch einige den Worten des Herrn entsprechen und in seiner Liebe bleiben, so mögen sie auf die Leitung des Herrn achten, denn Er zeigt den Weg. Wir können nur dann in seiner Liebe bleiben, wenn wir den Pfad des Gehorsams wandeln. „Wenn ihr meine Gebote haltet , so werdet ihr in meiner Liebe bleiben.“ Das Kind, das in Ungehorsam gegen seine Eltern seinem eigenen Willen nachgeht, schätzt oder erfreut sich nur in geringem Maß der Liebe derselben. Nur wenn wir im Gehorsam gegen die uns bekannten Gedanken des Herrn wandeln, können wir uns im Genuss seiner Liebe erhalten.
Wie ein Mensch nur dann im Sonnenschein bleibt, wenn er den Ort nicht verlässt, wo dieser hinfällt, so können auch wir den Weg des Gehorsams nicht aufgeben. Auf diesem ruht die Liebe Christi. Sie scheint auf dem ganzen Pfad seiner Gebote. Das Halten derselben schafft nicht die Liebe, genau wie das Wandeln im Sonnenschein nicht diesen hervorbringt. Und aus diesem Grund werden wir nicht ermahnt, die Liebe zu suchen, zu verdienen oder zu erlangen, sondern in ihr zu bleiben . Der Herr war das vollkommene Beispiel von einem Menschen, der auf dem Pfad des Gehorsams wandelte und deshalb sagen konnte: „Gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.“