Behandelter Abschnitt Ps 88,2-8
Die Seelenübungen eines Gottesfürchtigen, der die Wirklichkeit und den Schrecken von Gottes Zorn gegen die Sünde erfährt
Die ungelinderte Seelennot, deren tiefer Ausdruck dieser Psalm ist, rührt weder von Feinden noch von widrigen Umständen her. Die Not kommt nicht von den Schwierigkeiten ringsumher auf dem Weg, sondern von dem innerlichen Ringen der Seele.
Der Psalm schildert die tiefe Not einer gottesfürchtigen Seele, deren Gewissen die Wirklichkeit und den Schrecken von Gottes Zorn gegen die Sünde und den Bruch des Gesetzes erfährt. Gott wird als Jahwe erkannt und angefleht. Daher kommt auch das Wissen der Seele um die Gnade, die bei Gott zu finden ist, und so hat die Seele das Vertrauen, auf Gott zu schauen. Dennoch muss sie, um diese Gnade vollständig genießen zu können, den Schrecken von Gottes Zorn gegen die Sünde erfahren.
Ps 88,2-8: 2 HERR, Gott meines Heils, am Tag habe ich geschrien und bei Nacht vor dir! 3 Es komme vor dich mein Gebet! Neige dein Ohr zu meinem Schreien! 4 Denn satt ist meine Seele von Leiden, und mein Leben ist nahe am Scheol. 5 Ich bin zu denen gerechnet, die in die Grube hinabfahren; ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat; 6 unter den Toten hingestreckt, wie Erschlagene, die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst; denn sie sind von deiner Hand abgeschnitten. 7 Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. 8 Auf mir liegt schwer dein Grimm, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt. – Sela.
Der Gottesfürchtige erkennt, dass das Heil allein bei Gott zu finden ist. Daher redet er Jahwe als den Gott seines Heils an. Dennoch ist seine Seele in tiefer Not, die ihn dazu führt, Tag und Nacht zu Gott zu schreien. In seinem Gebet gesteht er Gott gegenüber ein, dass seine Seele so voller Leiden ist, dass sie richtiggehend satt davon ist. Er hat zu spüren bekommen, dass die Wirkung der Sünde es ist, die Seele von Gott zu trennen; dass die Sünde die Seele dem Tod überantwortet; dass sie den Menschen kraftlos zurücklässt und ihn ins Grab bringt, wo die Seele völlig von Gott verlassen ist – wo Er ihrer nicht mehr gedenkt und sie von Ihm verworfen ist, wo es nur Finsternis gibt und Gottes Zorn dauerhaft auf der Seele liegt.
Was für ein schreckliches Bild der Wirkung der Sünde! Die Seele ist voller Leiden (Ps 88,4); das Leben ist verwirkt und nähert sich dem Totenreich (Ps 88,4); man hat keine Kraft gegen die Sünde (Ps 88,5); ist unter die Toten hingestreckt (Ps 88,6); von Gott verlassen (Ps 88,6); man ist der Finsternis (Ps 88,7) und dem Gericht (Ps 88,8) überlassen.