Der neue Erlass des Königs
Die Geschehnisse, die Darius gesehen hatte, hatten einen tiefen Eindruck auf Darius gemacht, und er erließ einen Erlass in seinem ganzen Königriech an die verschiedenen Völker:
„Darauf schrieb der König Darius an alle Völker, Völkerschaften und Sprachen, die auf der ganzen Erde wohnten: Friede euch in Fülle!“ (6,26).
Inwieweit er in die Wahrheit der von ihm zu schreiben veranlassten Worten eindrang, wird nicht offenbart. Wie auch immer es gewesen sein mag, es war kein schlechtes Zeugnis, das er Gott und seiner Souveränität widmete. Er ging deutlich weiter als Nebukadnezar in Kapitel 3. Der Monarch gab sich damit zufrieden, seinen Untertanen unter Androhung äußerster Strafen zu verbieten, irgendetwas gegen den Gott Sadrachs, Mesachs und Abednegos zu sagen. Darius befahl, dass in all seinen Königreichen die Menschen den Gott Daniels fürchten und vor Ihm zittern sollten, weil Er der lebendige Gott ist und sein Königreich ewig besteht. Auf solch wunderbare Weise sorgte Gott dafür, dass der Zorn des Menschen zu seiner Ehre dient, und der Versuch, das Licht seines Zeugnisses in Babylon für immer auszulöschen, wurde zum Mittel, um es auf der ganzen Erde zu entfachen.
Daniel als Vorbild des treuen Überrestes
Zu Beginn dieses Kapitels sahen wir, dass Darius, indem er den Platz annahm, dem seine Berater ihm anboten, ein Bild des zukünftigen Hauptes der letzten Form der heidnischen Herrschaft ist, die göttliche Ehren annehmen wird, und seine Vergötterung von seinen Untertanen erzwingt (Off 13,8– 12). Die Befreiung Daniels ist ebenfalls ein Vorbild. Er symbolisiert der Überrest, Gottes treuen Überrest, der in Jerusalem und im Land während der Tage der furchtbaren Gewalt des Antichristen gefunden werden wird. Er wird durch die Intrigen seiner Feinde wie damals in die Löwengrube geworfen, von allen Seiten umgeben von den verschiedenen Erscheinungsformen der Macht Satans, und seine Vernichtung wird dem menschlichen Auge unmittelbar bevorstehend und unausweichlich erscheinen. Doch Gott selbst wird ihn bewahren, und indem Er durch das Erscheinen Christi zu seiner Errettung eingreift, wird Er auf die Feinde genau das Gericht bringen, welches sie für sein Volk ersonnen hatten.
Diese Situation des Überrestes kurz vor der Erscheinung Christi in Herrlichkeit ist in den Propheten und den Psalmen häufig dargestellt. Ein Zitat aus den Psalmen wird dies deutlich machen: „Mitten unter Löwen“, sagt der Psalmist, als er als Sprachrohr des Geistes Christi in diesem Überrest spricht, „ist meine Seele, unter Flammensprühenden liege ich, unter Menschenkindern, deren Zähne Speere und Pfeile, und deren Zunge ein scharfes Schwert ist“ Ps 57,5). Und dann, indem er sich nach oben wendet, ruft er: „Erhebe dich über die Himmel, o Gott!
Über der ganzen Erde sei deine Herrlichkeit!“ Er weiß, dass bei der Entfaltung der Herrlichkeit Gottes bei der Erscheinung Christi der Zeitpunkt der Erlösung des Überrestes erreicht sein wird. Genauso sagt er es im vorhergehenden Vers: „Vom Himmel wird er senden . . . seine Güte und seine Wahrheit.“ Doch erneut sagt er in Verbindung mit dem prophetischen Charakter der Befreiung Daniels: „Ein Netz haben sie meinen Schritten bereitet, es beugte sich nieder3 meine Seele; eine Grube haben sie vor mir gegraben, sie sind mitten hineingefallen.“ Dieser Psalm wurde mindestens 500 Jahre vor der Zeit Daniels geschrieben, und doch ist sein Zutreffen auf seine Erfahrung so augenscheinlich, dass sie die Aufmerksamkeit jedes gottesfürchtigen Lesers der Schrift auf sich zieht. Die Erklärung hierfür ist, dass die Umstände Davids, die die Gelegenheit zur Niederschrift des Psalms gaben, genauso wie die Daniels gleichermaßen prophetisch auf den Überrest der letzten Tage hinweisen.
Es sollte für die jüngeren Erforscher der Schrift auch hier darauf hingewiesen werden, dass sehr wenige der biblischen Erzählungen einfach nur historisch sind. Als Geschichten sind sie zwar von höchstem Interesse und bieten moralische Lektionen von größtem Wert, doch sie sind häufig auch vorbildlich und prophetisch. David ist beispielsweise eine historische Persönlichkeit, und aus seinem Leben und Verhalten kann viel Belehrung gezogen werden – Belehrung, die sowohl Ermutigung als auch Warnungen enthält. Doch in all seiner Verwerfung und Verfolgung vor der Besteigung des Throns finden wir in ihm auch ein Vorbild auf Christus, als Er in das Seine kam und die Seinen Ihn nicht aufnahmen. Genauso verkörpert er später in seinem Königtum Christus in seiner Gerechtigkeit, während Salomo, sein Sohn, den Messias als König des Friedens vorschaltet. Darüber hinaus war David, wie wir durch die Autorität des Apostels Paulus wissen (Apg 2,30), ein Prophet, und demnach sind, wie auch in dem oben zitierten Psalm, viele seiner Schriften Beschreibungen der Zukunft, ob nun bezüglich der Position und des Zustands des Überrestes oder bezüglich der Segnungen und der Herrlichkeit der Herrschaft des Messias in seinem Königreich. Es erhöht unser Interesse an der Schrift ungemein, dies zu bedenken, und es ermöglicht uns gleichzeitig, ihren tiefgreifenden Charakter und Gottes Absicht mit den besonderen ausgezeichneten Ereignissen.
Es bleibt nur noch zu sagen, dass Darius‘ Bekenntnis des Gottes Daniels als den lebendigen Gott ebenso schattenbildlich ist, denn es schattet die Belehrung der Heiden vor, die auf das Eintreten des Herrn zur Rettung seines Volkes und zum Gericht seiner Feinde folgt. In Psalm 18 lesen wird demnach, folgend auf Beschreibung des Sieges des Messias über Seine Feinde: „Du errettetest mich aus den Streitigkeiten des Volkes; du setztest mich zum Haupt der Nationen; ein Volk, das ich nicht kannte, dient mir. Sowie ihr Ohr hörte, gehorchten sie mir; die Söhne der Fremde unterwarfen sich mir mit Schmeichelei“ (Psalm 18,44.45). Und weiter: „Der mich errettete von meinen Feinden. Ja, du erhöhtest mich über die, die gegen mich aufstanden; von dem Mann der Gewalttat befreitest du mich. Darum, Herr, will ich dich preisen unter den Nationen, und Psalmen singen deinem Namen“ (Psalm 18,49.50).
Wir lernen daher, wie in allen prophetischen Schriften, dass der Herr sein Volk durch schonungslose Gerichte retten wird, und dass Er, nachdem Er ihre Unterdrücker in seinem Zorn heimgesucht hat, seinen Thorn aufrichten wird, und dann werden alle Könige vor Ihm niederfallen und alle Nationen Ihm dienen.