Behandelter Abschnitt Daniel 6,15-18
Daniel in der Löwengrube
„Da wurde der König, als er die Sache hörte, sehr betrübt, und er sann darauf, Daniel zu retten; und bis zum Untergang der Sonne bemühte er sich, ihn zu befreien. Da liefen jene Männer eilig zum König und sprachen zum König: Wisse, o König, dass die Meder und Perser ein Gesetz haben, dass kein Verbot und keine Verordnung, die der König aufgestellt hat, abgeändert werden darf. Dann befahl der König, und man brachte Daniel und warf ihn in die Löwengrube. Der König hob an und sprach zu Daniel: Dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, er möge dich retten! Und ein Stein wurde gebracht und auf die Öffnung der Grube gelegt; und der König versiegelte ihn mit seinem Siegelring und mit dem Siegelring seiner Gewaltigen, damit in Bezug auf Daniel nichts verändert würde“ (6,15–18).
Ihre persönliche Feindschaft gegen Daniel und sein Volk, zusammen mit ihrem Neid auf seine Stellung, werden deutlich offenbart, genauso wie die Tatsache, dass sie den König in ihrem vorgeblichen Wunsch seiner absoluten Vorherrschaft nur benutzt hatten, um die Vernichtung Danieles zu erreichen. Der König wurde auf diese Weise Auge in Auge mit der Frucht seiner eigenen Taten konfrontiert, und konnte das wahre Ziel des von ihm unterzeichneten Schreibens nicht länger vor sich verbergen. Wie oft sind auch wir blind für die Natur unserer Taten, bis wir ihre unwiderruflichen Folgen erfahren! So war es auch bei Darius, und als er die Anklage gegen Daniel hörte, wurde er auf schmerzliche Weise über sich selbst betrübt und versuchte, Daniel zu befreien: „Bis zum Untergang der Sonne bemühte er sich, ihn zu befreien.“
Seine Bemühungen waren sowohl ein Zeugnis seiner Wertschätzung für Daniel als auch der Güte seines Herzens; doch er war nicht länger sein eigener Herr. Er selbst hatte den unabänderlichen Charakter der Gesetze der Meder und Perser erklärt. Daniels Feinde waren nicht träge darin, aus diesem Erlass ihren Vorteil zu ziehen, denn wieder „liefen jene Männer eilig zum König und sprachen zum König: Wisse, o König, dass die Meder und Perser ein Gesetz haben, dass kein Verbot und keine Verordnung, die der König aufgestellt hat, abgeändert werden darf“. Sie machten ihre Macht geltend, und ihre Sprache – „Wisse, o König“ – offenbart ihre Absicht, sie um jeden Preis zu erhalten, sodass Darius es nicht wagte, weiter mit einflussreichsten Fürsten seines Königreiches zu lamentieren, denn sie hatten durch seine eigene Torheit das Gesetz auf ihrer Seite. Daher „befahl der König, und man brachte Daniel und warf ihn in die Löwengrube“.
Die Tat war vollzogen, und jene Männer triumphierten sowohl über Daniel als auch über Darius. Doch es war noch ein anderer auf ihrer Seite, mit dem Daniels Feinde nicht gerechnet hatten, und wie wir in der folgenden Erzählung sehen werden, war ihr kurzlebiger Sieg nur der Auftakt ihres eigenen Niedergangs und ihrer Vernichtung. Wenn Gott auf der Seite seiner Leute ist, kann niemand erfolgreich gegen sie sein, wie auch immer es im Augenblick erscheinen mag. Selbst Darius hatte auf die eine oder andere Art die Überzeugung, dass Daniel nicht umkommen würde. „Dein Gott“, sagte er, „dem du ohne Unterlass dienst, er möge dich retten!“ Und doch war er noch immer unter der Macht seiner Diener und war verpflichtet, seinen Befehl bis zum bitteren Ende auszuführen, denn „ein Stein wurde gebracht und auf die Öffnung der Grube gelegt; und der König versiegelte ihn mit seinem Siegelring und mit dem Siegelring seiner Gewaltigen, damit hinsichtlich Daniels nichts verändert würde“.
Bevor wir weitergehen, sei eine Bemerkung erlaubt bezüglich der Ähnlichkeit zwischen der Handlung Darius‘ und seiner Fürsten und der der Hohenpriester und Pharisäer, wie sie im Matthäusevangelium aufgezeichnet ist. Diesen war es von Gott erlaubt worden, die Kreuzigung des Herrn Jesus zu erreichen, und nach seinem Tod wurde Er in der Gruft verwahrt. Sie waren mit dem Erreichen ihres Ziels noch nicht zufrieden, sondern erhielten die Erlaubnis von Pilatus „und sicherten, nachdem sie den Stein versiegelt hatten, das Grab mit der Wache“. In beiden Fällen glaubte der Mensch, sein Ziel sichern zu können, indem er ein Einschreiten und eine Befreiung unmöglich machte. Doch Gott hatte in ihren Gedanken keinen Platz – und was kann der Mensch tun, wenn er es wagt, Gott entgegenzutreten?