Behandelter Abschnit Off 11,12
Der jüdische Überrest im Lande der Väter
Wir haben bisher die allgemeinen Gerichte abrollen sehen. Mit Schluss dieses Kapitels bis Kapitel 18 wird mehr die innere Geschichte dieser zwar kurzen, aber dunkelsten Periode der ganzen Menschheitsgeschichte, die Entwicklung des Bösen bis zum Gipfelpunkt im Widerstand gegen Gott dargestellt. Zuvor aber, wie schon in Offenbarung 7, zeigt uns der Geist Gottes sein Zeugnis auf der Erde, den gläubigen Überrest aus den Juden. Auch hier handelt es sich nicht um ein schließlich errungenes Resultat für Gott, sondern um das von vornherein ausgesonderte Bundesvolk des Herrn. Dieses befindet sich hier wieder in seinem angestammten Land der Väter. Wir sehen dies heute schon zu einem großen Teil erfüllt, denn Israel besitzt nun einen fest gegründeten eigenen Staat. Zwar ist es erst ein kleiner Teil des Landes, und auch die Prophezeiung in Jeremia 16,14-18, dass die Juden völlig aus ihren festen Positionen unter den Völkern verjagt werden sollen, ist nur zum kleinsten Teil erfüllt; der größte Teil des Volkes ist noch fest unter seinen Wirtsvölkern verankert. Auch die Prophezeiungen von Hesekiel 37 sind noch weit entfernt von ihrer vollen Erfüllung; die „Totengebeine“ sind zwar zusammengerückt und wieder eine Einheit geworden; aber der Geist des Lebens fehlt noch. Doch vollzieht sich die Einwanderung ins Land der Väter von allen Seiten unablässig weiter.
„Und es wurde mir ein Rohr, gleich einem Stab, gegeben und gesagt: Steh auf und miss den Tempel Gottes und den Altar und die, die darin anbeten. Und den Hof, der außerhalb des Tempels ist, wirf hinaus und miss ihn nicht; denn er ist den Nationen gegeben worden, und sie werden die heilige Stadt 42 Monate zertreten“ (11,1.2).
Der Herr macht jetzt seine alten Besitzansprüche an das Land wieder geltend, die Er übrigens niemals aufgegeben hatte. Dies beweisen die Ausdrücke „Tempel Gottes“ und „heilige Stadt“. Materiell haben weder die Stadt Jerusalem, noch der Tempel – außer zur Zeit Salomos – diesen herrlichen Titel verdient, vielmehr sind beide mit Sünde und Blutschuld befleckt und sind dies auch noch zur Zeit der Ereignisse dieses Kapitels. In Wahrung seiner Besitzrechte wacht Gott eifersüchtig über sein Besitztum. Selbst den durch die Blutschuld befleckten Tempel des Herodes nennt der Herr Jesus selbst „Gottes Tempel“; dasselbe ist in diesem Kapitel der Fall: Jerusalem wird die „heilige Stadt“ genannt.
Allerdings handelt es sich bei dem Befehl, den Tempel zu messen, wie auch beim Maßstab, nicht um den stofflichen, sondern um den geistlichen Tempel: den gläubigen Überrest aus Israel. Johannes hat nun, nachdem er das in Kapitel 10 erwähnte Büchlein gelesen hat, Einsicht gewonnen in die Gedanken und Urteile Gottes, und die Fähigkeit, zwischen dem wirklich Heiligen und der bloß äußern Form, zu unterscheiden; darum geht es hier. Er ist sozusagen durch die Übungen des Selbstgerichts gegangen, um Kenntnis zu nehmen von dem, was geistlich von Gott im Menschen ist. Mit diesem Messen ohne jede Maßangabe stellt Gott deutlich und genau fest, was Er als gläubigen Überrest anerkennt und für sich ausgesondert haben will; darum müssen auch der Altar und die Anbeter im Tempel gemessen werden. Mit dem Altar ist wohl der goldene, der Altar der Anbetung gemeint; denn in jener Zeit handelt es sich um die Scheidung zwischen denen, die mit Ernst in der Anbetung Gottes verharren wollen und denen, die sich zur Anbetung des Tieres bewegen lassen. Es geht um ein ganz klares „entweder – oder“ der inneren und äußeren Einstellung. Die eigentliche Bekehrung des Überrests wird nach Sacharja 12,10-14 erst erfolgen, wenn sie den Herrn Jesus, ihren Messias in Wolken kommen sehen und Ihn an seinen Wunden erkennen werden. Ja, die Juden müssen ihren Messias zuerst als den von ihnen verworfenen und gekreuzigten Jesus erkennen, bevor sie Ihn in königlicher Herrlichkeit sehen werden, eine Wirkung, gleich der Bekehrung des Saulus von Tarsus vor Damaskus, die ein Vorbild der Bekehrung Israels als Volk ist.
Mit dem „Hof, der hinausgeworfen wird“, ist die Masse der ungläubigen, abtrünnigen Juden gemeint, die von Gott verworfen und den Nationen zum Zertreten übergeben wird. In diesem kurzen Wort ist das gesamte Gericht über die abtrünnigen Juden, über die in den Propheten so viele Einzelheiten angegeben werden, zusammengefasst. Es ist der „Tag des Grimmes des Herrn“, an dem alle abtrünnigen Juden, die den falschen Messias, den Antichristen, angenommen haben, gerichtet werden. Wie oft wiederholt sich doch in den Propheten das Wort, dass nur ein Überrest errettet werden wird! (Jes 10,21-22; Sach 13,8-9; Röm 9,27).
Schon der Herr Jesus hat vorausgesagt, dass Jerusalem von den Nationen zertreten werden müsse, bis die „Zeiten der Nationen“ erfüllt sein werden (Lk 21,24). Diese Zeiten der Nationen haben mit der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar begonnen und dauern heute noch fort, und werden dauern, bis der Herr Jesus in königlicher Herrlichkeit wieder auf der Erde erscheint, um das Königreich für Israel aufzurichten. Jerusalem ist oft von verschiedenen Nationen erobert und zertreten worden, aber in der schrecklichsten Weise wird dies in der letzten Drangsalszeit geschehen. Berechnet kann diese Zeit nicht werden, da sie von der Dauer der christlichen Gnadenzeit abhängt, wofür als einzige Angabe in Römer 11,25 der Eingang der Vollzahl der Erretteten aus den Nationen, gegeben ist, eine Zahl, die wir nicht kennen, und die wir unmöglich errechnen können, also eine Zeitspanne von unbestimmter Dauer.