Vers 53: „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken Sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch." Der Herr gibt ihnen keine Erklärung auf die Frage: „Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?" Es gibt Geheimnisse, die man nicht erklären kann, und denen wir uns anvertrauen müssen. Das Leben an sich ist ein Geheimnis, ein Wunder, das man wohl analysieren, aber nicht schaffen kann — im tiefsten Grunde also ein Geheimnis. Anstatt da ergründen, analysieren und disputieren zu wollen, handelt es sich darum, daß wir uns demütig unter das göttliche „Wahrlich, wahrlich" beugen — und daß wir den Weg gehen, den der Herr uns zeigt: das Fleisch des Menschensohnes essen und Sein Blut trinken, d. h. nicht seinem eignen natürlichen Leben nachgehen, sondern das Leben des Menschensohns in sich aufnehmen, der Sein Leben in den Tod ausgeschüttet hat, um uns den Heiligen Geist senden zu können, damit wir Sein Leben leben. Es gibt kein anderes wahrhaftiges Leben als das Leben Jesu. Nur durch immer völligere Aufnahme des Lebens Jesu in uns können wir stehen gegen die Todesmächte und kann die Gemeinde den Tod überwinden. Dazu müssen wir aber auf den ganzen Heilsplan Gottes eingehen und der Vollendung entgegenreifen durch immer engeren Anschluß an den Herrn und untereinander, bis alle Todeskräfte in der Gemeinde Gottes überwunden und Seine Lebenskräfte in uns s o flüssig geworden sind, daß wir dadurch dem Kommen des Herrn entgegenreifen können. Die Lebensverbindung mit Jesu ist das einzige Mittel, Sein Leben in uns aufzunehmen, um dadurch tiefer und tiefer in Ihm zu wurzeln, anstatt in die eigne Natur und unter den Geist der Menschen zurückzukehren. Wenn wir in Jesu bleiben, so kann Er allen Lebensbeziehungen den rechten Ton geben, alles unter den rechten Hut bringen und in der rechten Kontrolle bewahren, so daß wir uns weder von Menschenfurcht noch von Kreaturenliebe beeinflussen lassen. Es muß göttliches Leben in uns zirkulieren, und das ist nur möglich durch die Verbindung mit Jesu. Es gibt keine andere Brücke — außer Jesu ist alles Scheinherrlichkeit, Tod und Verwesung. Er hat ewiges Leben, auch wo das äußere Leben durch Krankheit oder mit dem Alter abnimmt. Es gibt eine Erneuerung des Lebens durch alles hindurch, und zwar nährt sich dieses Leben durch alles, was das äußere Leben angreist. Der Geistesmensch erneuert sich auf Kosten des äußeren Menschen. Vers 54: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage", denn er trägt unverwesliches Leben in sich. Wie oft Hört man die Frage: Was heißt das: Sein Fleisch essen und Sein Blut trinken? Was bedeutet insbesondere das Heilige Abendmahl? In ihm ist ja für uns das Werk und die Person Christi gleichsam verkörpert. Sein Fleisch essen und Sein Blut trinken heißt darum, Ihn essen und Ihn trinken — Ihn mit allem, was Er ist und für uns getan hat, in uns aufnehmen — Sein Leben, Seine Anschauungen, Seine Sinnesart — wie Paulus sagen konnte: „Wir aber haben Christi Sinn." Das ist der Zweck Seines Kreuzestodes, daß wir in Seinem Tode Ruhe haben von unserem natürlichen Leben, daß wir einen Ort haben, wo wir unser eigenes Leben begraben können, so daß wir nicht mit diesem Leichnam zusammengebunden zu bleiben brauchen. Wir wurden mit Ihm gekreuzigt. So hat Gott es gemeint, und so schließt der Geist es uns auf. Wir werden durch das Kreuz unserer Vergangenheit und unserem natürlichen Leben entfremdet. Das Kreuz und das Blut Christi bilden die Scheidewand. Der eine dringt ins ewige Leben hindurch, der andere verstrickt sich mehr und mehr in seine eigene Natur. Der Schächer zur Rechten und der Schächer zur Linken sind Vertreter der Menschheit insgesamt. Der eine fiel Jesu zu, der andere wandte sich von Ihm ab.
In dem Essen und Trinken des Fleisches und Blutes Christi gibt es natürlich besonders im Anfang Konflikte. Je tiefer man in die Natur des Herrn eindringt, um so mehr wird uns Seine Natur zur zweiten Natur, und um so mehr tritt unser ganzes Leben auf Seine Seite und in Seinen Tod hinein von Umgestaltung zu Umgestaltung. Es gibt namentlich im Anfang für den Neueintretenden oder für den, der lange Altes mitgeschleppt hat, Schwierigkeiten, wenn gewisse Tendenzen, Triebe, Erinnerungen, Bilder, Phantasiern, Furchtgedanken, fleischliche Liebe, fleischliches Gebundensein an Kreaturen und dergleichen nicht weichen wollen — wenn die Phantasie sich noch verliert in fleischliche, irdische, weltliche Bilder von dem, wie man das Lebe gern gestaltet hätte — und alle möglichen anderen Dinge aus dem Gebiet der Einbildung oder der Wirklichkeit.
Der Herr Jesus ist als wahrer Mensch gekreuzigt worden und hat unser Fleisch und unsere irdischen Horizonte mit sich ans Kreuz genommen. Was der Kreuzestod Christi eigentlich bedeutete, das wußte niemand — das wußte kein Sterblicher vor Pfingsten — auch kein Johannes. Erst der Geist Gottes, wie Er an Pfingsten ausgegossen wurde, konnte der Menschheit das Geheimnis Seines Todes aufschließen — besonders auch nach der für uns praktischen Seite hin, daß wir damit erlöst sind von der Gebundenheit an unsere Phantasie, unsere Vergangenheit, unsere Natur und unseren Charakter, und daß wir, so gewiß Christus gekreuzigt und begraben wurde und auferstanden ist, durch den Glauben Macht haben, nicht nur im allgemeinen nicht mehr uns selbst zu leben, sondern wir haben auch Macht über die Reste alten Wesens, mit denen wir zu tun gehabt haben und die uns so viel zu schaffen machen, bis wir einen Schritt tiefer eingedrungen sind in das Essen des Fleisches und das Trinken des Blutes Christi — für uns dahingegeben. Es gibt besondere Zusammenhänge, Wechselbeziehungen — sogenannte Kausalzusammenhänge — in unserem inneren Organismus. Fleischessünden z. B. rufen dem Hochmut und schwächen den Glauben — aber von allen diesen Zusammenhängen, Verkettungen in unserem inneren Leben, Verwüstungen bis hinein in die Phantasie, in die Wurzelgebiete der Empfindungen, Eindrücke und Stimmungen — kurz von allem, was die Erbsünde in unser Wesen hereingebracht hat — löst uns der Kreuzestod Christi, Sein Blut. Das Blut Christi reinigt von aller Sünde. Mitgekreuzigte werden wir durch den Glauben — gekreuzigt unserer alten Natur sowie unserer Vergangenheit. Wenn es also aus irgend einem Gebiet nicht zu einer richtigen Lösung durch Appellieren an das Blut Christi kommen will — durch das Flüchten unter das Kreuz, durch das Essen Seines Fleisches und das Trinken Seines Blutes — so bitten wir den Herrn, daß Er uns unser Verderben tiefer aufschließe. Wir waren vielleicht nie in den tiefsten Grund eingedrungen, und die Äußerungen der alten Natur und des eigenen Lebens werden nicht weichen, solange wir den Zentralpunkt unseres inneren Verderbens nicht getroffen und nicht gemerkt haben, daß nichts Gutes an uns ist, und daß alles, was wirklich Gutes vorhanden, auf einer Mitteilung der Natur Jesu Christi beruht. Je tiefer wir von unserem schlechthin heillosen und unheilbaren Verderben überzeugt sind, um so leichter und schneller und gründlicher erkennen wir die einzelnen Früchte und Zweige auf dem bösen Baume im Gebiete der Gedankenwelt, der Welt der Einflüsse, des Traumlebens und dergl. Das Blut Jesu Christi reinigt bis hinein in die Träume, und wo da etwas ungereinigt bleibt, kommt es im Schlafe, im Traume an die Oberfläche. Wie dem auch sei, wir dürfen und können und sollen durch den Geist, der da nimmt aus dem, was Christi ist, und es uns mitteilt, stufenweise, gradweise den ganzen Christum in uns aufnehmen und brauchen uns durch keinerlei Widerstände herausbringen, entmutigen und erschrecken zu lassen. Das ist nicht eine Frage von Tagen und Jahren, sondern es ist in erster Linie eine Frage des Glaubens. Glaube aber ist Glaube, und der Glaube kann unter Umständen gerade durch Widerstand wachsen. Widerstände, wie gewisse Triebe und Erinnerungen sie uns z. B. entgegensetzen, führen uns oft erst so recht auf die Spur unseres tiefen Falles und der ganzen Bedeutung und Tragweite der vollbrachten Erlösung. Das kann nicht in einem Tage durchbuchstabiert werden. Den Mut verlieren nur diejenigen, die nicht auf den Grund gehen wollen, sondern gern möglichst bald fertig wären. Diese essen nicht das Fleisch des Menschensohnes und trinken nicht Sein Blut — sie lassen sich wohl gern anhauchen, wollen aber nicht die Natur Christi in sich aufnehmen, wollen keine Schlachtschafe sein, keine Mitgekreuzigten — darum geht es auch nicht vorwärts mit ihnen. — „Sie werden alle von Gott gelehrt sein" — das gilt in seiner ganzen Fülle von Pfingsten an für die Gemeinde. Es gibt christlichen Gesamtunterricht, den der Geist der Gemeinde gibt, der sich von Jahrhundert zu Jahrhundert entwickelt, wie wir aus der Geschichte der Reformation sehen — aber es gibt auch Privatunterricht in diesem „von Gott Gelehrtsein", in dem Erkennen dessen, was wir am Menschensohne haben und was „Sein Fleisch essen und Sein Blut trinken" bedeutet. Es sei also niemand entmutigt, wenn ihm diese Dinge nicht gleich erschlossen werden. Die Schwierigkeiten auf dem Wege der Umgestaltung führen die, welche in Lebensverbindung mit Christo gekommen sind, tiefer hinein in die Lebensgemeinschaft mit dem Gekreuzigten durch den Heiligen Geist, der den Sohn verklärt und der uns Sein Fleisch zu essen und Sein Blut zu trinken gibt. Für sie werden dann die Schwierigkeiten, das Nichtfertigwerden mit gewissen Dingen das Mittel, tiefer in den Herrn einzudringen, damit Er ihnen weiter Seinen Tod aufschließen, sie von allen eignen Anschauungen lösen und dahin führen könne, daß sie sich ganz auf Ihn stützen. Sie essen Sein Fleisch und trinken Sein Blut — das heißt: sie schöpfen aus Ihm und schließen sich in der Praxis des täglichen Lebens mit Ihm zusammen. Auf diese Weise kommt dann vom Mittelpunkt aus — vom Essen Seines Fleisches und dem Trinken Seines Blutes — von dem immer enger mit Ihm Verbundensein — ein Problem nach dem andern, eine Schwierigkeit des äußeren und inneren Lebens nach der andern zur Lösung. Wo andere sich aufregen, wird man stiller und kleiner — wo andere unruhig werden, lernt man stille sein, bis der Herr wieder einen Schritt weiter gehen kann. Da kommt es dann zur Umgestaltung in Sein Bild von Klarheit zu Klarheit, von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit durch den Geist, der von Christo nimmt, uns Christum verklärt, Christum in uns auferweckt, lebendig macht und Sein Leben in uns ausgestaltet.