Behandelter Abschnitt Joh 4,9-13
„Spricht nun das samaritische Weib zu Ihm: Wie bittest du von mir zu trinken, so du ein Jude bist, und ich ein samaritisches Weib? (Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.)" Die Frau drückt ihre Verwunderung aus, daß Er als Jude von ihr, der Samariterin, Wasser verlangt, und spielt an auf die tiefe Kluft, die damals zwischen Juden und Samaritern bestand. Tritt aber der Herr auf den Plan, so muß alles andere zurücktreten, und Er geht über die religiösen und sozialen Schranken hinweg, wenn es gilt, einer armen Menschenseele zu helfen. Ach, wieviele Widerstände gibt es zu überwinden, bis es zu einer durchschlagenden Begegnung mit dem Herrn kommen kann! Das Weib mag noch so große Schwierigkeiten machen, so läßt sich der Herr doch nicht abhalten zu tun, was Sein Vater Ihm aufgetragen hat. Er spricht zu ihr: „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, du bätest Ihn und Er gäbe dir lebendiges Wasser." Du siehst in mir einen Juden, aber das ist nur die äußere Erscheinung — du sollst in mir den Retter deiner Seele und den Retter der Welt kennen lernen, der dem Fleische nach aus Israel stammt, dem Geiste nach aber von oben geboren ist — durch Geisteswirkung in die Welt hereingetreten, gezeugt durch den Heiligen Geist im Mutterleibe der Maria. „Wüßtest du, wer ich bin — erkenntest du die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken" — anstatt meine Bitte abzuweisen oder wenigstens zu beanstanden — „du bätest mich, und ich gäbe dir lebendiges Wasser."
Man sieht, wie hoch dem Herrn die Bedürfnisse der einzelnen Seele standen, wieviel höher als die eignen.
Das verstehe ich nicht, antwortet gleichsam die Frau, Du willst mir lebendiges Wasser geben und hast doch gar kein Gefäß, um zu schöpfen. Weißt du denn nicht, daß der Brunnen tief ist? Es ist ein Brunnen, den uns unser Vater Jakob gegeben hat — bist du mehr als Jakob? Er hat daraus getrunken samt seinen Söhnen und seinem Vieh, und du willst uns etwas Besseres geben? Bist du größer als unser Vater Jakob? Aus diesen Worten spricht der Nationalstolz. In Seiner unermüdlichen Rettergeduld geht der Herr auf ihre Einwände ein. O wieviel muß überwunden werden, bis eine Seele zum lebendigen Wasser kommt und dann nicht wieder zu den alten Wassern zurückkehrt — bis sie nichts mehr zu tun haben will mit den löcherigen Brunnen, die kein Wasser geben! Offenbar beschäftigt das Weib die Frage, wer von beiden Recht hat — die Juden oder die Samariter. — Und der Herr antwortet, indem Er die Sache von einer ganz anderen Seite angreift und damit neues Licht hereinleuchten läßt. Er läßt sich nicht abschrecken durch die Vorurteile, in denen wir befangen sein mögen — das alles sinkt vor Ihm in den Nebel. Helles Morgenrot strahlt herein in alle Falten des Herzens und Lebens, in alle Fragen sozialer oder religiöse Natur.