Behandelter Abschnitt Joh 3,2-4
„Meister", sagt er zu Ihm — „wir wissen, daß du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm." Der Glaube baut sich auf auf ein Wissen, auf eine Erkenntnis, auf einen Lichtstrahl, den Gott hat fallen lassen auf Sein Wort und auf die Person Jesu Christi. Solange das nicht der Fall ist, sagt einem das Wort Gottes nichts — da kann man sogar an der Person Jesu Christi vorübergehen, ohne etwas für sein Seelenheil zu bekommen. Es ist ein Werk des Heiligen Geistes geschehen, wenn sich ein Herz zu Jesu hingezogen fühlt — es ist auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückzuführen, wenn du und ich Ihn erkannt haben als unseren von Gott gesandten Heiland — als den Einen, in dem Heil und Rettung für uns ist für Zeit und Ewigkeit. Nikodemus ist nicht gleichgültig an der wunderbaren Erscheinung vorübergegangen, die ihm in den Weg trat, sondern er hat darüber nachgedacht. Aufrichtige Leute bleiben stehen bei dem, was Gott ihnen in den Weg legt — gleichgültige Leute können an allem vorübergehen, bis sie endlich auf dem Sterbebett liegen und vielleicht keine Zeit mehr haben, umzukehren.
Jesus läßt Nikodemus wissen, daß es sich in seinem Fall nicht darum handelt, daß ihm neues Licht werde über diesen oder jenen Punkt, sondern daß alles bei ihm neu werden muß — daß ihm, so wie er ist — alle Fähigkeit fehlt, in die Geheimnisse des Reiches Gottes einzudringen, den Herrn Jesum in Seiner Sendung hienieden zu verstehen und wirklich von Ihm zu lernen. „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir", spricht Er zu ihm, „es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch", sei es nun ein Bauer, ein Handwerker, ein irdischer Machthaber oder ein Schriftgelehrter. Nur was von Gott geboren ist, kann die Schrift, Gottes Gedanken oder Göttliches überhaupt verstehen, in sich aufnehmen, verwerten. Nikodemus war als ein geistlicher Führer des Volkes zu Jesu gekommen und zwar, indem er Ihn als Gesandten Gottes anerkannte. Nun scheint ihn der Herr zurückzuweisen als einen, der noch nicht einmal Augen hat, um das Reich Gottes zu sehen. „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen", sagt Er ihm. Der Herr selbst kann oft lange mit einem Menschen umsonst reden, wenn es dem Geiste Gottes nicht gelingt, ihm die Augen für Seine Worte zu öffnen. Es muß etwas geschehen. Das Wort Gottes muß vom Geiste und mit der Zündkraft des Geistes in die Herzen eingesenkt werden, wenn es fruchten soll. Der natürliche, wenn auch suchende Mensch, bleibt beim Natürlichen stehen, kann sich nicht in das Reich des Geistes erheben, ja, er kann sich überhaupt nicht vorstellen, daß hinter allem Natürlichen ein Geistesreich steht, und daß die natürliche Geburt nur ein Bild ist von der Wiedergeburt aus dem Wasser und Geist und dem neuen Menschen. Wie jemand aus der natürlichen, fleischlichen Geburt in die Geisteswelt hinüberkommt durch eine geistliche Geburt, das wird ein Geheimnis bleiben. Das ist eine Gottestat. Die Anfänge des natürlichen Lebens gehen im Verborgenen des Mutterleibes vor sich und entziehen sich menschlicher Kontrolle — ebenso entziehen sich Anfang und Ursprung des Geisteslebens jeglicher Kontrolle und Beobachtung. Man kann es einem Menschen anmerken, wenn ein Wort oder sonst etwas Eindruck auf ihn gemacht hat, aber wie Gott alles vorbereitet, damit zu einer gewissen Stunde ein bestimmtes Wort einschlage, das ist Sein verborgenes, heiliges Walten, Sein Suchen, Finden, Sein uns Überwinden und uns Gefangennehmen unter den Gehorsam des Kreuzes. Unsere Sache ist es, dem Zuge des Geistes zu gehorchen und uns unseres langen Widerstandes zu schämen. Das Verborgene ist für Gott, das Geoffenbarte für uns. Es muß zu einer Neugeburt kommen. Der fleischliche Mensch muß zu einem geistlichen werden. Nur was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist. Ach, und wie viele Mißgeburten gibt es in geistlicher Beziehung — wieviele, bei denen es nicht zu einem wirklichen Durchbruch ins Geistesleben kommt — wieviele Bekehrungen, die nicht einen gründlichen Bruch mit Fleisch und Welt bedeuten und nicht in eine neue Welt führen! Es gibt so viele, die auf der Schwelle bleiben, die wohl dann und wann einen Schritt in die Geisteswelt tun, aber nie wirkliche aus Gott gezeugte, der göttlichen Natur teilhaftige Geistesmenschen werden. An Gott fehlt es nicht. Wir haben wohl alle etwas vom Wehen des Heiligen Geistes gehört, von einem Geisteswinde. Wind und Geist sind das gleiche Wort. Schon Adam hat das Wehen des Geistes im Paradiese verspürt gleich nach dem Fall. Wo unser innerer Mensch erweckt wird, geschieht es durch Geisteshauch. Diesen Geisteshauch aber haben nicht wir in der Hand. Er wirkt souverän, wie Er will, und zu Seiner Stunde. Versäume die Stunde nicht, wo das Wort Gottes an dich herantritt und zu dir redet — wo Gott dich in die Stille nimmt und dein Leben mit dir durchnimmt. Halte Ihm still, damit es nicht bei flüchtigen Berührungen und Regungen bleibe, sondern zu einer neuen Geburt und zu einem Wandel im Licht, zu einem Geisteswandel komme — daß es auch von dir heißen könne: „Er ist vom Geiste geboren; er ist ein Geisteskind."
Zweimal gibt der Meister Nikodemus denselben Bescheid. Vers 3 sagt Er ihm: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen", und Vers 5: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Danach zeigt Er ihm, wie er, um tiefer in das Verständnis der Gedanken und Wege Gottes eindringen zu können, überhaupt erst ein ganz neuer Mensch werden muß. Es muß ihm erst ein Organ geschaffen werden für die obere Welt, die aufzuschließen Jesus gekommen ist, die uns aber Sein Lehramt auch nicht aufgeschlossen hätte, wenn nicht nach dem Prophetenamt das Hohepriesteramt gekommen wäre — das sündentragende Lamm, das uns mit Gott versöhnt und dadurch Raum gemacht hat für den Geist Gottes und für Sein Innewohnen in Menschenkindern.
„Du mußt von neuem geboren werden." Eine härtere Rede konnte man sich kaum denken. Ist es dem Herrn aber einmal gelungen, uns in unserer eignen Weisheit zu Schanden zu machen — hat Er uns einmal von unserer Unfähigkeit überführt, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, so kommt Er uns zu Hilfe, wir Er dem Nikodemus zu Hilfe gekommen ist, weil Er einen aufrichtig Suchenden in ihm erkannte. Er hat ihm an der Natur gezeigt, daß wir ebensowenig den Zügen des Geistes ihre Bahnen weisen können, wie dem Winde. Es steht nicht in unserer Macht, Geisteskinder zu werden, wann es uns beliebt — wir sind auch in dieser Beziehung vom Herrn abhängig. „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen"—seine Stimme— „wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht." Welches ist nun aber der Weg, um in den Besitz des Geistes zu kommen, um den Schlüssel für die Geisteswelt zu erhalten? Das Kreuz auf Golgatha! Alle Lehren des Herrn, alles neue Licht, das Er uns gebracht hat, wäre schließlich für uns umsonst gewesen, wenn sich Jesus nicht hätte ans Kreuz erhöhen lassen.
„Wie kann das geschehen?" fragt Nikodemus, nachdem Jesus ihm zum zweiten Male von der Notwendigkeit der Wiedergeburt gesprochen hatte, und Jesus erwiderte ihm: „Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht?" Wie willst du andern helfen, andere lehren, anderen dienen, wenn du selbst im Unklaren bist über die wichtigsten Fragen der Buße und des Glaubens? „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, das wir wissen und zeugen, das wir gesehen haben; und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an." „Was wir gehört, was wir gesehen, was unsere Hände betastet haben, vom Worte des Lebens, das verkündigen wir euch", sagt der Apostel Johannes. „Aber ihr nehmt unser Zeugnis nicht an." Dafür, daß andere unser Zeugnis nicht annehmen, sind wir nicht verantwortlich — wohl aber dafür, daß unser Zeugnis klar ist, und daß wir nicht nur mit Worten, sondern auch im Wandel ein klares Zeugnis ablegen.
„Das Leben ist erschienen", aber es muß sich auch in dir und in mir bezeugen, lieber Leser, wenn es Weiterwirken und sich andern mitteilen soll. Durch Berührung mit den Lebenden werden die geistlich Toten auferweckt. Selbst der Herr Jesus konnte nur Sein Zeugnis niederlegen, dann mußten sich die Geister scheiden. „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn ein zweischneidig Schwert und dringet durch, bis daß es scheidet Seele und Geist. Jedes Zeugnis des Wortes bewirkt Scheidungen und Entscheidungen. Man wird nie innerlich vom Worte Gottes berührt, ohne damit vor Scheidungen und Entscheidungen gestellt zu werden, vor einen neuen Weg, in den man einzutreten hat. Da liegt eine neue Welt vor einem — es bilden sich neue Beziehungen — es gilt sich lösen von der sichtbaren Welt und anknüpfen mit der unsichtbaren. Das geht in der Stille vor sich und zeigt sich dann nach außenhin. Das alles gehört schließlich zum Irdischen.