Behandelter Abschnitt 2Kor 6,11 - 7,1
Der 11. Vers von Kapitel 6, mit dem unsere heutige Betrachtung beginnt, steht sozusagen mit Vers 1 in Verbindung, in welchem der Apostel die Korinther so ausdrücklich ermahnt, die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen zu haben. Das praktische Ergebnis des Empfangs dieser Gnade lässt sich kurz in ein Wort zusammenfassen, und dieses Wort heißt Heiligkeit. Tatsächlich macht die praktische Heiligkeit Anspruch auf das ganze christliche Leben als Zeugnis in dieser Welt.
Beim Passah wurden die Israeliten durch das Blut des Lammes vor dem Gericht Gottes sichergestellt, und eine andere bildliche Darstellung des Todes Christi wird uns im Roten Meer gegeben, wo das Volk nicht nur vor dem Gericht sichergestellt, sondern bis zu Gott geführt wurde. Aber von dem Tage an, wo die Israeliten das Passahlamm geopfert hatten, blieb nur noch eins für sie zu tun übrig, nämlich das Fest zu begehen, d. h. die Feier des Festes der ungesäuerten Brote, Sinnbild eines Lebens praktischer Heiligkeit, das mit dem Opfer begann und dann ununterbrochen während sieben Tagen fortdauerte.
Die Zahl sieben ist bekanntlich bedeutungsvoll. Als Zahl der Vollkommenheit stellt sie unseren ganzen, vollständigen Lebenslauf bildlich dar. Es ist wichtig, dass wir verstehen, aus was für Stücken die Ermahnung des Apostels zur Heiligkeit in der vorliegenden Stelle besteht. Die praktische Heiligkeit hat drei Charakterzüge. Der erste Charakterzug betrifft die Heiligkeit in Bezug auf unsere Beziehungen zur Welt, der Zweite die Heiligkeit unserer religiösen Beziehungen, und der Dritte die persönliche Heiligkeit. Wenn wir uns über diese drei Punkte klar geworden sind, so wird es uns nicht schwer fallen, zu erkennen, dass die praktische Heiligkeit sozusagen unser ganzes christliches Leben durchdringen sollte. Wir finden die genannten drei Stücke bereits in 3Mo 19,19 erwähnt.
In der ersten der drei in diesem Vers gegebenen Verordnungen haben wir die Beziehungen zur Welt, von denen die Verse 14 und 15 unserer Stelle reden. In der Zweiten: „Dein Feld sollst du nicht mit zweierlei Samen besäen“, erkennen wir unschwer ein Sinnbild der religiösen Beziehungen, von denen im 16. Verse die Rede ist. Wir sollen nicht verschiedenerlei Samen auf Gottes Feld verwenden; nur einen einzigen Samen gilt es für uns zu säen. Und in der Dritten: „Ein Kleid, aus zweierlei Stoff gewebt, soll nicht auf dich kommen“, haben wir ein Bild von der persönlichen Heiligkeit, die Kapitel 7,1 vorstellt. Bevor jedoch der Apostel auf diese drei Punkte eingeht, schreibt er: „Unser Mund ist zu euch auf getan, ihr Korinther, unser Herz ist weit geworden.“ Er hatte die infolge seines ersten Briefes bei ihnen hervorgebrachten Früchte des Geistes gesehen, und anstatt seine Gefühle für sie weiter in seinem Herzen zu verschließen, war er jetzt frei ihnen gegenüber. Er fügt hinzu: „ Werdet auch ihr weit!“ Wozu? Um seine nun folgenden Ermahnungen recht aufzunehmen, damit fortan auch ihr Weg ein heiliger Weg würde.
Zunächst (Vers 14) sollten sie nicht „in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen sein“, – eine Anspielung an das, was wir im dritten Buche Mose gelesen haben. „Denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit?“ Nicht ein verbindender Zug besteht zwischen der Welt und den Kindern Gottes. Es handelt sich da eben um zwei ganz und gar verschiedene Arten, und niemals hat es, was auch die Gelehrten darüber sagen mögen, in der Welt etwas wie Art-Verwandlung gegeben. Wie passt doch das Wort des Apostels auf die heutige Zeit! War nicht, als das gegenwärtige Zeugnis Gottes in unserer Mitte bekannt zu werden begann, die Trennung von der Welt weit entschiedener als heute? Da ist es wohl der Mühe wert, zu fragen: Inwieweit sind wir diesem Zeugnis treu geblieben? Wie ist es um die Art und Weise bestellt, in der viele unter uns mit der Welt Geschäfte machen?
Wie benutzen wir sie für unsere eigenen Sachen? Wäre mehr Treue vorhanden, so würde zweifellos die Erinnerung des Apostels die gleichen Früchte hervorbringen wie ehemals. Ja, wir haben Grund, beschämt das Haupt zu senken beim Gedanken daran, dass diese Frucht unter uns heute so wenig gefunden wird. „Welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial?“ Es ist fürwahr ein scharfer Gegensatz vorhanden auf der ganzen Linie, ein unüberbrückbarer Kontrast zwischen dem christlichen Element und dem der Welt. Die christliche ist die Lichtseite. Nicht nur hat das Licht uns geleuchtet, sondern es steht auch geschrieben: „Ihr seid Licht in dem Herrn.“ Wie er selbst „das Licht der Welt“ ist, so sind auch seine Jünger in seiner Abwesenheit „das Licht der Welt“ (vgl. Eph 5,8; Joh 9,5; Mt 5,14).
Was aber hat die Finsternis mit dem Licht gemacht? Wenn man in einem völlig dunklen Zimmer ein Streichholz anzündet, so durchbricht man damit in gewissem Maße die Finsternis. Aber als (in sittlicher Hinsicht) das Licht der Welt herniederkam, da hat die Finsternis es nicht erfasst oder ergriffen; sie ist in keiner Weise von ihm durchdrungen worden. Das Licht ließ nur den unheilbaren Zustand des Menschen hervortreten, und dieser Zustand ist auch heute noch derselbe in der Gegenwart derer, die das Licht der Welt sind seit dem Weggang ihres Heilandes. „Und welche Übereinstimmung hat Christus mit Belial? oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen?“ (V. 15).
Redet dieses Wort nicht zu unseren Gewissen? Da ist Christus auf der einen Seite, und auf der anderen der Teufel. Kann es eine Übereinstimmung zwischen beiden geben, zwischen dem Feinde Christi und denen, die Christum in dieser Welt darstellen? Und da ist der Glaube auf der einen Seite, und der Unglaube auf der anderen, und keine Berührung ist möglich zwischen diesen beiden entgegengesetzten Polen.
Dann geht der Apostel zur zweiten Frage über, die ebenfalls sinnbildlich im 19. Kapitel des dritten Buches Mose erwähnt wird: „Welchen Zusammenhang hat der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes“ (3Mo 19,16). Ist es nicht eine geradezu unerhörte Sache, dass wir Christen, die Versammlung Gottes, der Tempel des lebendigen Gottes sind? Im 26. Kapitel des dritten Buches Mose sagt Gott: „Wenn ihr meine Gebote beobachtet . . . so werde ich meine Wohnung in eure Mitte setzen . . . und ich werde in eurer Mitte wandeln und werde euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein“ (3Mo 26,3.11.12). Dort will er es also von dem Verhalten des Volkes abhängig machen, ob sie der Ort sein sollen, wo Gott wohnt. Bei uns ist das Gegenteil der Fall. Wir sind dieser Tempel kraft der Gabe des Heiligen Geistes, und weil wir es sind, sind wir dazu berufen, heilig zu sein, praktisch für Gott abgesondert in dieser Welt.
Aus diesem Grunde sollten wir uns in keiner Weise mit der Religion der Welt um uns her verbinden. Dieser Grundsatz hat dadurch keinerlei Änderung erfahren, dass der Götzendienst aus der christlichen Welt verschwunden ist, und infolgedessen die Gottentfremdung eine weniger grobe Form angenommen hat. Sich damit verbinden, hieße den wahren Charakter des Volkes Gottes verlieren. „Darum gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen“ (Jes 52,11). Das ist eine Anführung aus Jesajas 52. An dieser Stelle handelt es sich für das Volk Gottes, das in das verheißene Land eingeführt werden soll, darum, sich zu lösen von jeder Verbindung mit Babylon, der Mutter des Götzendienstes, um teilzuhaben an den Segnungen des Landes Israel.
Für uns heute kommt die Absonderung von „der großen Babylon“ in Frage, der abtrünnigen Christenheit, um einzugehen in unser himmlisches Kanaan. Und diese Absonderung findet gerade auf Grund des christlichen Zeugnisses statt. Aber es ist nicht genug, von „Absonderung“ zu reden, denn es kann auch eine schlechte Absonderung geben. Die Heiligkeit besteht in der Absonderung für Gott, und für nichts anderes. Das ist es, was uns von der Religion der Welt trennt. Unsere Heiligkeit ist für Gott.
Hieran knüpft sich eine große Segnung. „Und ich werde euch zum Vater sein“, steht geschrieben, „und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (V. 18). Das bedeutet nun nicht, dass wir dann, wenn wir uns nicht absondern, keine Kinder Gottes mehr sind, aber der Genuss der Familienbeziehungen zum Vater hängt von dem Maß unserer Absonderung für Gott ab, so wie für Israel der Genuss der Beziehungen zu Jehova und dem Allmächtigen.
Wenn wir, der Familie der Kehathiter gleich, dazu benutzt werden, die Geräte des Heiligtums zu tragen, könnte es da für uns in Frage kommen, zu diesem Zweck die Welt mit uns zu verbinden? Wäre es jemals einem Fremden erlaubt gewesen, die Lade und den Sühndeckel, oder Räucherfass und Leuchter, oder den goldenen oder den ehernen Altar zu tragen? Niemand durfte diese Sachen berühren, wenn er nicht zum Stamm Levi gehörte, dem diese heiligen Verrichtungen in Israel aufgetragen waren.
Hierauf kommt der Apostel zu der persönlichen Heiligkeit, oder, um mit 3. Mose 19 zu reden, zu dem aus zweierlei Stoff gewebten Kleid. Es ist sicherlich ernstester Erwägung wert, wenn Paulus in 2Kor 7,1 fortfährt: „Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“ Ich mochte annehmen, dass die beiden Ausdrücke „Befleckung des Fleisches und des Geistes“ einerseits auf die Heiligkeit hinweisen, die dem persönlichen Verhalten geziemt, wie es nach außen in unserem Wandel zutage tritt, und anderseits auf die Heiligkeit, was den Zustand unserer Herzen betrifft. So kann man sich hüten vor jeder Befleckung im Blick auf das Zeugnis nach außen – man erscheint tadellos –, und doch, wenn jemand in unsere Herzen hineinschauen könnte, wie vieles möchte er da entdecken, das keineswegs der Reinheit entspricht! Es ist deshalb wichtig, dass wir diese beiden Seiten unserer persönlichen Heiligkeit in Übereinstimmung miteinander bringen, dass wir die beiden Schalen der Waage im Gleichgewicht halten. Unser äußerer Wandel, unsere Taten und Worte müssen mit dem übereinstimmen, was in unseren Herzen ist, damit wir mit unserem geliebten Herrn sagen können: „Mein Gedanke geht nicht weiter als mein Mund“ (Ps 17,3).
Wenn sich die drei genannten Kennzeichen praktischer Heiligkeit bei den Kindern Gottes finden, so ist damit der Beweis geliefert, dass diese den Ermahnungen des Wortes ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Aber jenen Grundsätzen zuwider wandeln, heißt, die Gnade Gottes vergeblich empfangen haben.
Gott gebe uns allen, dass sich in unserem christlichen Leben mehr, viel mehr Wirklichkeit zeige, als es bisher der Fall war! Er gebe uns, einem jeden einzelnen, einen Geist der Demütigung und Buße, damit wir treuere Zeugen dessen werden, dessen Gnade alles für uns getan hat, und der uns befreit hat aus der Macht der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe!
Behandelter Abschnitt 2Kor 7,2-16
Das 6. Kapitel dieses Briefes hat uns gezeigt, was den Apostel als Diener Christi kennzeichnete. Im vorliegenden, dem 7. Kapitel, finden wir diese Charakterzüge nicht, aber dafür haben wir, wenn möglich, noch etwas Köstlicheres, nämlich das Herz des Apostels. Es ist die Sprache seines Herzens, die wir im 3. Verse vernehmen: „Nicht zur Verurteilung rede ich; denn ich habe vorhin gesagt, dass ihr in unseren Herzen seid, um mit zu sterben und mit zu leben.“ Sein Herz floss über im Blick auf seine Kinder im Glauben. Sie waren verengt in ihren innerlichen Gefühlen, lesen wir im vorhergehenden Kapitel. Ihre Herzen waren nicht weit genug, um die ganze Liebe zu fassen, die ihnen von Seiten des Apostels zuteil geworden war, als er diese Liebe in ihrer Mitte praktisch darstellte.
Es war der Wunsch seines ihnen gegenüber so weiten Herzens, ihre Herzen neu zu beleben, damit sie alle miteinander nur einen Gedanken, nur ein Ziel, nur einen Weg und nur einen Gegenstand hätten. Er, der Apostel, hatte nur einen Gegenstand. Das sieht man klar im Philipperbrief. Er tat, er begehrte nur eins. Hier nun mochte er durch seinen Dienst die Korinther nicht allein, wie im 6. Kapitel, auf dem Pfade der Heiligkeit bewahren, sondern auf dem Pfade der Liebe, einer Liebe, die die Kinder Gottes untereinander und alle zusammen mit Christo verbindet. Ach, wie wenig wurde er, dieser geliebte Apostel, von seinen Kindern im Glauben geschätzt! Er, der von Liebe überströmte, sah sich genötigt, ihnen zu schreiben: „Nehmet uns auf; wir haben niemand Unrecht getan, wir haben niemand verderbt, wir haben niemand übervorteilt“ (V. 2).
In was für einem Zustand müssen sich die Korinther befunden haben, dass ihnen zu jener Zeit, wo wir sie, wie in diesem 2. Brief, schon wiederhergestellt finden, noch so etwas gesagt werden musste! Ja, es waren solche unter ihnen, die den Apostel herabzusetzen suchten, indem sie ihn den anderen als einen eigenliebigen Menschen schilderten, ihn, der, nachdem er alles aufgegeben hatte, um ihnen zu dienen, so treu den Spuren seines Herrn und Heilandes folgte, dass er nichts mehr sein eigen nannte. In seiner Liebe fügt er hinzu: „Nicht zur Verurteilung rede ich.“ Denkt nur nicht, dass ich mit der Rute zu euch komme!
Wenn er auch in der Kirche Christi mit Autorität bekleidet war, so machte er doch hier keinen Gebrauch von ihr, da die Ermahnung des ersten Briefes begonnen hatte, Frucht zu tragen. Weit entfernt davon, ihnen gegenüber die ihm verliehene Autorität zu betonen, öffnet er ihnen sein Herz und entfaltet vor ihren Augen die ganze Liebe, die er zu ihnen, seinen Kindern im Glauben, hatte. Er rühmt sich ihrer Titus gegenüber und ist voller Freude, dass Titus alles so gefunden hat, wie er ihm Hoffnung gemacht hatte. Er hatte ihnen seinen ersten Brief unter göttlicher Inspiration geschrieben. Als er dann nicht mehr unter dieser Einwirkung stand, hatte er Bedauern darüber empfinden können, dass er ihn geschrieben hatte. Jetzt bedauerte er nichts mehr. Er sagt ihnen gleichsam: Mein Herz hat etwas bei euch gefunden, das meiner Liebe entspricht!
Nachdem er die Korinther zuvor zur Heiligkeit ermahnt hat, sucht er jetzt ihre Herzen miteinander zu verbinden, damit sie so imstande wären, Gemeinschaft mit ihm, dem Apostel, und mit dem Herrn Jesus zu machen, dessen Stellvertreter er war. Aber noch etwas anderes schickt er voraus: sein Dienst hatte Frucht getragen. Viel war bei ihnen erreicht worden; „Sogar Verantwortung, sogar Unwillen, sogar Furcht, sogar Sehnsucht, sogar Eifer, sogar Vergeltung. Ihr habt euch in allem erwiesen, dass ihr an der Sache rein seid“ (V. 11). Wenn man die letzten Worte liest, möchte man sich fast fragen: Warum hatte denn der Apostel den Korinthern gegenüber einen derart strengen Ton angeschlagen, wo es doch jetzt erwiesen war, dass sie sich mit der einen genannten, so hassenswerten Sünde, die in ihrer Mitte begangen worden war, nicht besudelt hatten? Der Grund ist, dass, mochten sie auch an der einen Sache selbst unschuldig sein, sie doch viel Ursache hatten, Buße zu tun.
In Bezug darauf schreibt er Vers 10: „Die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil.“ Aber wofür sollten sie denn Buße tun, wenn sie nicht Mitschuldige der bösen Tat waren, sondern im Gegenteil gezeigt hatten, dass sie an der Sache rein waren? Was war denn geschehen? Nun, der erste Brief hatte ihnen den Beweis erbracht, dass sie, anstatt dass sie geistliche, nicht fleischliche Christen waren, Kindlein in Christo geblieben waren, denn alles, was sie getan hatten, hatte nichts anderem als der Befriedigung ihres Ehrgeizes gegolten; sie bedienten sich ihrer Gaben, um sich selbst zu rühmen.
In solchem Zustand hatte sich diese glänzende Versammlung befunden, die man nicht besuchen konnte, ohne zu bestätigen: „Gott ist wirklich unter euch!“ Aber als sie dann, mit dem Wort des Apostels vor sich, einen Rückblick auf sich selbst getan hatten, waren sie tief betrübt worden und hatten sich gefragt, wie es nur möglich war, dass sich etwas derart Böses in ihrer Mitte hatte entwickeln können. Ach, mussten sie sich sagen, wir waren fern von Gott, ohne wahre Verbindung mit ihm. Wir haben nach viel Erkenntnis getrachtet, nach der Lösung von allerlei Verstandes-Fragen, mit einem Wort, nach den äußeren Zeichen von Kraft und Macht, die den Menschen erhöhen, aber unser Gewissen ist dabei nicht in Tätigkeit gewesen.
Liebe Freunde, eine solche Sprache ist für uns alle von großer Wichtigkeit. Wenn sich Böses in der Versammlung gezeigt hat, sind wir gewöhnt, schnell „den Bösen aus unserer Mitte“ hinauszutun. Aber sollten wir dabei stehen bleiben? Nein, wir sollten weiter gehen. Eine solche Sache sollte unsere Gewissen in Tätigkeit setzen. Das zutage tretende Böse in einer Versammlung Gottes rührt nicht nur von dem einzelnen her, der es verübt, sondern auch von der Versammlung, die sich in einem nicht gerichteten Zustand befunden hat. Seien wir überzeugt: Wenn das Böse offenbar wird, gibt es nicht nur einen Schuldigen, sondern die Versammlung ist die Schuldige.
Den Korinthern war es nicht genug gewesen, betrübt zu sein. Paulus kann ihnen schreiben: „Die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil.“ Das bedeutet eine völlige Verurteilung des eigenen Selbst in Gottes Gegenwart. Als der Apostel ihnen diese Zeilen schrieb, war bei den Tränen, die sie hatten vergießen müssen, jeder Gedanke an ein Sichgeltendmachen geschwunden. Alle Verstandesfragen, die sie so sehr beschäftigt hatten, waren beiseite gesetzt. Die Buße war da.
Der Schluss dieses Kapitels zeigt uns ein drittes Ergebnis des Dienstes des Apostels. Zunächst hatte sein Dienst seinem Verlangen gegolten, die Herzen der Korinther in brüderlicher Liebe mit seinem zu verbinden. Das zweite war gewesen, eine Buße zum Heil bei ihnen zu bewirken. Und das dritte finden wir in den letzten Versen dieses Kapitels, wenn er schreibt: „Seine (des Titus) innerlichen Gefühle sind überströmender gegen euch, indem er an euer aller Gehorsam gedenkt, wie ihr ihn mit Furcht und Zittern empfangen habt“ (V. 15).
So führt der gottgemäße, inmitten der Christen ausgeübte Dienst die, welche er zum Selbstgericht bringen will, auch weiter. Ein ungehorsamer Christ kann nur auf die Zucht oder das Gericht Gottes rechnen. Bei einer ungehorsamen Versammlung ist es nicht anders. Der Apostel aber kann jetzt von „euer aller Gehorsam“ sprechen. Nicht einer war ausgenommen. Sie hatten durch die Zucht Liebe, Buße und Gehorsam geerntet. Sie waren jetzt einmütig bezüglich des Weges, den sie zu gehen hatten, um dem Herrn zu dienen und ihn zu verherrlichen. Paulus fügt hinzu: „Wie ihr ihn (Titus) mit Furcht und Zittern empfangen habt.“ Dieses Wort findet sich häufig im Alten wie im Neuen Testament, und immer bedeutet es das völlige Misstrauen gegen sich selbst.
In seinem ersten Brief hatte Paulus davon geschrieben, wie er „in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“ bei ihnen gewesen war (Kap. 2, 3.). Furcht ist nicht Feigheit, sondern das Gefühl, dass in uns keine Kraft ist, um Gottes Werk zu tun. Da hatte es der Rute bedurft, damit die Korinther das zu verwirklichen lernten, was der Apostel sie seit Beginn seines Dienstes unter ihnen persönlich gelehrt hatte. In Philipper 2,12 heißt es: „Bewirket eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern.“
Um zur Seligkeit, zum endgültigen Sieg zu gelangen, war es nötig für die Philipper, ohne jedes Selbstvertrauen zu arbeiten, der Tatsache eingedenk, dass eine furchtbare Macht da war, die ihrer Arbeit widerstand. In Epheser 6,5 sollen die Knechte „ihren Herren nach dem Fleische mit Furcht und Zittern gehorchen“, ohne jedes Vertrauen auf sich selbst, was ein völliges Vertrauen auf Gott und die Quellen seiner Gnade nach sich zieht. Hierher führt den Christen in der Tat stets das Misstrauen gegen sich selbst. Er stützt sich jetzt auf Den, der die Kraft ist, der sich niemals ändert, der ihm bis zum Ende zur Seite bleiben und ihn die endgültige Seligkeit erreichen lassen will, die gekrönt wird von der Herrlichkeit.