Behandelter Abschnitt Obad 1,11-14
Obad 11-14: 11 An dem Tag, als du gegenüberstandest, an dem Tag, als Fremde sein Vermögen wegführten und Ausländer zu seinen Tore einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen. 12 Und du solltest nicht auf den Tag deines Bruders sehen am Tag seines Missgeschicks und dich nicht freuen über die Kinder Juda am Tag ihres Untergangs, noch dein Maul aufsperren am Tag der Bedrängnis; 13 du solltest nicht in das Tor meines Volkes einziehen am Tag seiner Not; und du, auch solltest nicht auf sein Unglück sehen am Tag seiner Not, noch deine Hand ausstrecken nach seinem Vermögen am Tag seiner Not; 14 und du solltest nicht am Kreuzweg stehen, um seine Flüchtlinge zu vertilgen, und solltest seine Entronnenen nicht ausliefern am Tag der Bedrängnis.
Es scheint nur natürlich, diesen Abschnitt der Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar zuzuschreiben. Man hat keinen Grund, sich dieser Auslegung zu widersetzen. Gott erinnert sich an das, was man dieser ehebrecherischen Stadt angetan hat, die trotz allem immer noch die von Ihm geliebte Stadt bleibt. An diesen Tag von Jerusalem erinnern sich die Gefangenen an den Flüssen Babels, wenn sie sagen: „Gedenke, HERR, den Kindern Edom den Tag Jerusalems, die da sprachen: Entblößt, entblößt sie bis auf ihre Grundfeste!“ (Ps 137,7). Auch in Amos 1,6.11.12 ist von diesem Tag die Rede und vielleicht auch in Joel 4,6. Jedenfalls ist diese Stelle aus Obadja 11-14 anwendbar für dieselbe Wahrheit der zukünftigen Belagerung von Jerusalem, die in Psalm 83 und in Sacharja 14,1.2 erwähnt wird: „Siehe, ein Tag kommt für den HERRN, da wird deine Beute in deiner Mitte verteilt werden. Und ich werde alle Nationen nach Jerusalem zum Krieg versammeln; und die Stadt wird eingenommen und die Häuser werden geplündert und die Frauen werden vergewaltigt werden; und die Hälfte der Stadt wird in die Gefangenschaft ausziehen, aber das übrige Volk wird nicht aus der Stadt ausgerottet werden.“
Wodurch zeichnet Edom sich aus während seiner ganzen Geschichte, sowohl der zukünftigen als auch der vergangenen? Dieser Ruchlose will sich das aneignen, was Gott ihm ausdrücklich verweigert hat und was Er seinem Bruder Jakob als Erbe versprochen hat. Er wendet sogar Gewalt an, um es einzunehmen. Ohne Zweifel war Jakob untreu gewesen und hatte dieses Gericht verdient. Aber Edom, das in der Vergangenheit die Zuchtrute für Israel gewesen war (2Kön 8,20), verfolgt weiterhin seine eigenen Pläne, die total anders sind als die Pläne Gottes für sein Volk. Konnte Gott seine bedingungslosen Verheißungen widerrufen? Wie viel weniger in den letzten Tagen, wenn unter dem Druck des Gerichts ein Überrest Israels Buße tut und zu dem einst von ihnen verworfenen Messias umkehrt, wie Sacharja und andere Propheten es voraussagen (Sach 12,8-14).
Gottes Langmut
Die Verse 11 und 14 können sich daher beziehen auf das Verhalten Edoms, in der historischen Vergangenheit wie auch in der Zukunft, so wie sie uns offenbart ist. Es scheint, dass es sich hier eher um die zukünftige Geschichte handelt. In diesem Abschnitt ist die Rede von dem Tag der Not und der Bedrängnis Jerusalems. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, dass dieses letzte Wort in den Psalmen und den Propheten normalerweise, vielleicht immer, „die große Trübsal“ am Ende der Zeit bedeutet, auch „die Bedrängnis
Jakobs“ genannt. Wie dem auch sei, diese Stelle handelt von einem Ereignis, das zur Zeit der Prophetie schon Vergangenheit war und das Gott nicht vergessen hatte. Dieses „Du solltest nicht!“ in diesen Versen berührt mich außerordentlich. Wie klingt diese Ermahnung doch so barmherzig, am Tag, wo das Gericht diese verhärtete Nation trifft! „Du solltest nicht!“ Oh, wenn du dieses Gericht nicht verdient hättest, wie sehr hätte ich gewünscht, es dir zu ersparen! Nichts kann besser zeigen, dass der HERR langsam zum Zorn ist; wie sehr Er danach verlangte, bei den schlimmsten Feinden seines Volkes einen Schimmer von Mitleid und Barmherzigkeit zu finden. So ist die Geduld Gottes, so ist der Charakter Christi. Aber nein, Edom hatte seinen Hass und seine Schmähungen bis auf die Spitze getrieben. Er nahm Teil an der Plünderung und freute sich über das Unheil der Söhne Juda; er riss das Maul weit auf, um seinem Bruder zu fluchen (Ps 35,21), die Stadt zu erobern, die Güter zu rauben, die Flüchtlinge auszurotten und die Restlichen als Gefangene zu verkaufen … Edom hätte all diese Dinge nicht tun sollen; jetzt aber ist es zu spät!
Dasselbe Erbarmen gegenüber Edom findet man auch im Ausspruch über Duma (Jes 21,11.12). In den Versen Jesaja 21,5-9.11.12 hat der HERR einen Wächter in Jerusalem bestellt, um zu sehen, was passiert. Der Wächter hat eine Vision vom Untergang Babylons, um anzuzeigen, dass das Ende der Herrschaft der Heiden nahe ist. Diese Vision wurde Israel übermittelt, für das sie auch gedacht war. Hier wird berichtet, wie Edom sich lustig macht über das, was der Geist Gottes ankündigt. Edom ruft: „Wächter, wie weit ist es in der Nacht? Wächter, wie weit in der Nacht?“ Der Wächter antwortet: „Der Morgen kommt, und auch die Nacht.“ Der Morgen, auf den das gläubige Israel wartet, wird bald erscheinen, aber auch die Nacht für den Ungläubigen und den Spötter! „Wollt ihr fragen, so fragt!“, sagt der Wächter noch; dass das Gericht kommt, steht fest. Edom ist unentschuldbar, weil es sich nicht erkundigt hat .„Kehrt wieder, kommt her!“, wird ihm gesagt. Bis zum letzten Moment lässt Gott noch eine Tür zur Umkehr offen. Sind diese Worte nicht ergreifend? Wie sie doch im Einklang stehen mit den Worten Obadjas: „Du solltest nicht … du solltest nicht!“ Da du doch um das Geschick Babylons wusstest, wie konntest du dich mit ihm verbinden? Hättest du dich nicht von ihm distanzieren sollen und begreifen, dass ich mich wieder um mein Volk kümmere? Dass der Fall des Reiches der Nationen einen neuen Zeitabschnitt des Segens eröffnet für Israel, das mich einst verworfen hatte, aber jetzt „Zweifaches empfangen hat für all ihre Sünden“? (Jes 40,2).
Dies ist der segensreiche Zeitabschnitt, der sich diesem Volk öffnet. Die Befreiung Israels kann nicht anders stattfinden als nur durch ein endgültiges und gnadenloses Gericht aller Nationen infolge der Ablehnung des Gnadenangebots Gottes: