Behandelter Abschnitt Obad 1-6
Einleitung
Glaube und Wissenschaft
Alle Christen, die sich wirklich unter das Wort Gottes stellen, werden sich über die Zukunft der religiösen Welt, die sie umgibt, nicht täuschen. Sie wissen, dass die Christenheit mit großen Schritten dem endzeitlichen Abfall und der Herrschaft des Antichrists entgegengeht. Im Bewusstsein des Ernstes ihres Auftrages, inmitten des wachsenden moralischen Verfalls Zeugen zu sein, haben sie deshalb mehr und mehr die Pflicht, an der „Einfalt gegenüber dem Christus“ (2Kor 11,3) festzuhalten. Es ist ihre Aufgabe, die Lehre zu bewahren, die durch den Geist Gottes gelehrt wird, weil sie im Gegensatz zu den Lehren der Menschen von Gott kommt.
In Bezug auf diese Lehre ist ein Kind Gottes, das keine wissenschaftliche Ausbildung hat, beim Bibelstudium bald davon überzeugt, dass der Schlüssel zum Verständnis im Text selbst liegt, dem vollständigen biblischen Text, so wie er durch den Heiligen Geist gelehrt, empfangen und verstanden wird. Übrigens verdunkelt wissenschaftliche Ausbildung beim Kind Gottes oft mehr das Verständnis der Heiligen Schrift, als dass sie es erhellt. Die Paläontologie, die Ethnographie, die wissenschaftlichen Forschungen und die Entdeckungen, die sie erbringen, die historischen Nachforschungen – mit einem Wort, alle Zweige der Wissenschaft, so interessant sie sein mögen, erklären nicht das Wort Gottes.
Wenn sie es auch manchmal bestätigen, so können sie doch keinen Augenblick dessen Wert in den Augen eines wahren Christen entkräften. Wenn wissenschaftliche Entdeckungen manchmal Dinge bestätigen, die uns mit völliger Gewissheit in der Heiligen Schrift vermittelt worden sind, freut sich der Gläubige, dass damit Einwände, die von Ungläubigen gegen die Heilige Schrift erhoben wurden, widerlegt sind. Trotz der Hilfe, die sie dem Gläubigen im Kampf bieten können, sind sie dennoch nie ein zum Verständnis der Heiligen Schrift unentbehrlicher Kommentar. Im Gegenteil, sie werden oft ein echtes Hindernis zum Verständnis der Schrift sein.
Warum? Weil Wissenschaftler dazu neigen, das Verständnis für die Wahrheit der Bibel auf das Niveau herunterzuholen, wo menschlicher Verstand sie begreifen kann. Selbst wenn sie nicht bis zum Rationalismus gehen, so kann allerdings der Theologe aufgrund seines Studiums – auch wenn er einen sehr rechtgläubigen und ernsthaften Glauben hat – sich dem nicht ganz entziehen, rationale Elemente in seine biblischen Auslegungen einfließen zu lassen.
Wir bestreiten keineswegs die Bedeutung der Wissenschaft auf ihrem Gebiet. Wir verkennen nicht den Wert der Wissenschaften oder der wissenschaftlichen Fachrichtungen, die an ihrem speziellen Platz hervorragend sind. Wir schätzen wissenschaftliche Methoden, wenn sie sich nicht anmaßen, die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift zu kontrollieren oder zu beurteilen. Der Christ ist manchen Wissenschaftlern zu großem Dank verpflichtet, besonders jenen, die sich um eine gute Herausgabe der Heiligen Schrift bemüht haben, um ihre exakte Übersetzung und um eine bessere Kenntnis der Sprachen, in denen ihr Original geschrieben worden ist.
Dankbar ist der Christ für manche Belehrungen, mit denen normale biblische Auslegung dem Glauben Hilfe leisten kann. Aber er hat nur eine sichere Quelle: die Heilige Schrift, und nur ein Hilfsmittel, um sie zu verstehen: den Heiligen Geist. Für den Christen ist es einzig der Heilige Geist, der die göttlichen Dinge kennt, der sie lehrt und mitteilt, der hilft, sie anzunehmen und zu verstehen (1Kor 2,10-13), unabhängig von aller menschlichen Weisheit. Er allein ist es, der uns befähigt, sie richtig auszulegen.
Prophetische Vision der Endzeit
Die Gefahr, alles nur mit dem Verstand verstehen zu wollen, wird offensichtlich, wenn es um die Prophetie geht. Diejenigen, die sich vom menschlichen Verstand leiten lassen, müssen wohl oder übel zugeben, dass die Propheten historische Ereignisse vor ihrer Erfüllung angekündigt haben. Diese Tatsache bedeutet für sie der erstaunlichste Ausdruck dessen, was sie Inspiration nennen.
Aber sie können sich kaum eine prophetische Vision der Endzeit vorstellen, und wenn sie sie anerkennen, so schreiben sie den Propheten eine gewisse, mehr oder weniger deutliche messianische Erwartung zu – je nach der Zeit, in der sie lebten – oder die Vorhersage eines vagen Reiches Gottes, womit sie eine allmähliche Auswirkung und einen Endtriumph des Christentums über das Heidentum in der Welt meinen. So interpretieren sie gewöhnlich das Reich Gottes.
Sie sind nicht bereit zu akzeptieren, dass die Bibel genau das Gegenteil lehrt: Sie zeigt uns nämlich, dass das Wiederkommen des Herrn zur Aufnahme seiner Gemeinde in den Himmel dem Christentum auf der Erde ein Ende bereiten wird und dass die abgefallene Christenheit, die auf der Erde zurückgelassen wird, dann das große Babylon werden wird, die Mutter eines Götzendienstes, der umso abscheulicher sein wird, als er auf den Stumpf des Christentums aufgepfropft ist. Die heidnischen Nationen können also nicht durch die Christenheit bekehrt werden; im Gegenteil dazu wird jedoch eine Vielzahl von ihnen durch den Dienst des zukünftigen jüdischen Überrestes das Evangelium des Reiches annehmen (das nicht das Evangelium der Gnade ist).
Dieselben Menschen sehen in der Prophetie des Alten Testaments Ereignisse, die bereits erfüllt sind, so dass für sie die Geschichte die Prophetie erklärt. Das ist ein großer Irrtum. Wir leugnen nicht, dass es eine teilweise historische Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen gibt (und dies unterscheidet sie von den Prophezeiungen im Neuen Testament, das uns unmittelbar in die Endzeit einführt). Aber diese teilweise Erfüllung ist niemals das letzte Wort der Prophetie, denn dies würde bedeuten, ihr – wie der Apostel sagt – eine „eigene Auslegung“ beizulegen (2Pet 1,20). Es ist ein wesentlicher Grundsatz beim Studium der Prophetie, dass sie sich „nicht selbst auslegt“, auch wenn sie sich in der Vergangenheit oft zum Teil schon erfüllt hat.
Man findet in einem einzelnen Abschnitt nicht seine eigene Auslegung, das heißt die Erklärung dessen, was er bedeutet. Die Prophetie kann nur durch den Heiligen Geist verstanden werden, der „heilige[n] Menschen Gottes“ eingegeben hat, was sie reden sollten. Wenn die Prophetie von dem redet, was heute Vergangenheit ist, bleibt sie nicht dort stehen, sondern sie zeigt uns in den zeitlich nahe stehenden Ereignissen Analogien zu den zukünftigen an. Welchen Ausblick die Prophetie uns auch immer öffnet, sie führt immer zu Christus und verkündet uns „die Macht und Ankunft unseres Herrn“ (2Pet 1,16). Sie offenbart im Voraus die „Leiden, die auf Christus kommen sollten“, und verkündigt „die Herrlichkeiten danach“ (1Pet 1,11). Und da die Gerichte zu den Herrlichkeiten Christi gehören, offenbart uns die Prophetie auch sie: Die Gerichte lehren die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit (Jes 26,9).
Wenn wir so argumentieren, behaupten wir nicht, das Gebiet der Prophetie völlig erklärt zu haben, aber wir haben doch aufgezeigt, worauf Prophetie immer hinausläuft. Tatsächlich beginnt der Prophet damit, eine Feststellung über den moralischen Zustand Israels (im Neuen Testament der Kirche Christi) zu treffen, und macht den vollständigen und unheilbaren Ruin Israels trotz der dringlichen Appelle, die das Volk zur Buße führen sollten, deutlich. Er kündigt die Gerichte an, die dieses Volk in der Gegenwart und in der Zukunft treffen werden, sowie die endzeitliche Wiederherstellung eines treuen Überrestes unter der herrlichen Herrschaft Christi. Was die Nationen betrifft, denen Gott wegen des Versagens seines Volkes die Herrschaft übergeben hat und die Er nun als Rute gegen es benutzt, so beschreibt der Prophet deren zukünftiges Gericht, um den Glauben der Treuen zu stärken. Doch da Israel erst dann wiederhergestellt werden wird, wenn der Messias seine herrliche Herrschaft angetreten hat, wird sich das Gericht über die Nationen erst bei der Aufrichtung dieses Reiches völlig erfüllen.
Die Königsherrschaft Christi
Wie bereits erwähnt, muss die Prophetie also auf die Macht und auf die Ankunft Christi in seinem Königreich hinauslaufen. Dieses Reich ist tatsächlich ihr eigentliches Ziel. Die Prophetie ist nicht, wie im Christentum, die Offenbarung der himmlischen Ratschlüsse Gottes bezüglich der Gemeinde, sondern die Offenbarung seines Reiches hier auf der Erde und der Wege, auf denen Er es einführen wird.
Der Prophet Amos spricht mehr als alle anderen Propheten nur von nahen Ereignissen, die bald in Erfüllung gehen sollten. Sein Thema sind die aktuellen Regierungswege Gottes mit den Menschen. Sogar seine Prophezeiungen weisen letztendlich alle auf den Tag des Herrn hin (Amos 9,11-15). Ohne Zweifel erwähnt er den Tag des Herrn nur kurz, in wenigen Versen, doch dies genügt uns als Beweis, dass der Prophet das herrliche Reich Christi als Endziel im Auge hat.
So ist es auch beim Propheten Obadja. Die letzten Worte seiner kurzen Prophezeiung sind: „Das Reich wird dem Herrn gehören.“ Er zeigt jedoch auch eine Eigentümlichkeit, die den meisten Propheten bis auf Amos eigen ist. Ein bereits geschehenes Ereignis ist nur das Bild und wie ein Auftakt kommender Ereignisse. Um sich davon zu überzeugen, genügen die Betrachtung und der Vergleich Edoms in den beiden ersten Kapiteln von Amos und Obadja. Amos verkündet Ereignisse bezüglich Edoms (Kap. 1,11.12), die weniger als zwei Jahrhunderte nach seiner Prophezeiung eintraten. Darüber geht er nicht hinaus. Obadja hingegen betrachtet ein Ereignis, das gerade stattgefunden hatte, nämlich die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar, und sieht darin eine Ähnlichkeit mit der Rolle, die Edom bei den Ereignissen in den letzten Tagen spielen wird. Diese Ereignisse werden der endgültigen Herrschaft Christi vorausgehen.
Dies nun wird von den erwähnten Bibelauslegern vollständig geleugnet. Ihr Verstand weigert sich zu akzeptieren, dass Völker, die heute völlig ausgelöscht zu sein scheinen, wieder auf der Bildfläche erscheinen. Deshalb – wir wiederholen es – sind die Gedanken Gottes, die in seinem Wort, und in der Prophetie im Besonderen, enthalten sind, für den menschlichen Verstand unerklärlich. Daher sind die Einfältigen glückselig, denn von ihnen wird gesagt: „Die Eröffnung deiner Worte erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen“ (Ps 119,130).
Sie sind solche, die sich durch das Wort unterrichten lassen und ausschließlich darin das Licht suchen, um es zu verstehen: „In deinem Licht werden wir das Licht sehen“ (Ps 36,10). Sie werden auch nicht einmal mit der Wissenschaft die vermeintlichen (aber niemals wirklichen) Lücken im Wort Gottes zu füllen oder Dinge zu ergänzen suchen, über die die Schrift schweigt. Wenn Gott spricht, sagen sie wie Samuel: „Rede, Herr, denn dein Knecht hört“ (1Sam 3,9), und wenn Gott schweigt, sagen sie wie der Psalmist: „Setze, Herr, meinem Mund eine Wache, behüte die Tür meiner Lippen!“ (Ps 141,3). Vielleicht wird Gott ihnen den Grund seines Schweigens offenbaren, wenn ihr Vertrauen auf Ihn unter Beweis gestellt worden ist, und sie werden dann, in eben diesem Schweigen, neue Belehrungen finden.
Wir sollten nicht versuchen, alles auf einmal verstehen und erklären zu wollen. Die Reichtümer Christi werden uns nach und nach durch den Heiligen Geist mitgeteilt, der uns Gott in seinem Wort offenbart. Der Goldsucher, der einer Goldader nachgeht, wird nach und nach zum ganzen Fund gelangen. Um viel davon zu gewinnen, darf er die kostbare Ader nicht durch einen Augenblick der Unaufmerksamkeit aus den Augen verlieren. Es kann sein, dass die Ernte an einem Tag gering ist, an einem anderen Tag erfüllt die Entdeckung eines ansehnlichen Barrens den Goldgräber mit Freude; ob er jedoch wenig oder viel findet, es ist immer dasselbe edle Metall, dessen hoher Wert am Ende der Ausbeutung offenbar wird.
Für uns ist es dasselbe, wenn wir uns bemühen, das Wort unter der Leitung des Heiligen Geistes zu studieren. Wenn wir Christus nie aus den Augen verlieren, werden wir uns nicht verirren. Immer werden wir eine neue Entdeckung seiner Herrlichkeiten machen; die einen werden einen weitreichenderen Charakter haben als andere, denn die Herrlichkeiten Christi können himmlischer oder irdischer Art sein. Aber die einen wie die anderen bilden zusammen die unvergleichliche Krone, die Gott eines Tages auf das Haupt seines Geliebten setzen will, wenn Er als Sohn des Menschen, König Israels, König der Nationen und König der Herrlichkeit seine Herrschaft antreten wird.
Edom – seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Esau, das ist Edom
„Esau, das ist Edom“ – das wird in 1. Mose 36 dreimal wiederholt. Der Charakter dieses Volkes wurde unauslöschlich von seinem Stammvater geprägt. Wir wollen sehen, worin diese Eigenschaften bestehen.
Esau erhielt den Namen Edom nicht schon bei seiner Geburt. Gott wollte an ihm, dem Erstgeborenen der Zwillinge Rebekkas, eins der großen Prinzipien seiner Regierung zeigen: das der freien Gnadenwahl Gottes. Deshalb gibt Gott das Erstgeburtsrecht nicht dem Erstgeborenen, sondern verleiht es nach seinem festgesetzten Plan und souveränen Willen Jakob. Die Offenbarung der Wahl Gottes wurde weder Jakob noch Esau gegeben, ja nicht einmal Isaak, ihrem Vater, sondern Rebekka, die vor der Geburt ihrer Söhne zum Herrn gebetet hatte, um Ihn um Rat zu fragen (1Mo 25,22).
Damals hatte Gott ihr gesagt: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“ In diesem Ausspruch geht es auf keinen Fall um einen Fluch über Esau, denn bevor sie geboren waren, hatte keins der Kinder „weder Gutes noch Böses“ tun können (Röm 9,11); aber Gott beanspruchte damit sein Recht, die Erben der Verheißung zu wählen. Der Fluch über Esau wurde erst ausgesprochen, als er im Verlauf seiner langen Geschichte alle Rufe der Gnade abgelehnt hatte (Mal 1,3). Zu Beginn nahm Gott ihm nur die Autorität über seinen Bruder und das Recht des Erbes; nicht einmal nach seiner schändlichen Tat nahm Er ihm das Recht auf zusätzliche Segnungen.
Deshalb spricht Isaak, ganz gegen seinen Wunsch und Willen, zwar das Vorrecht des Erstgeborenen Jakob zu, aber er segnet auch Esau, seinen Bruder: „Durch Glauben segnete Isaak in Bezug auf zukünftige Dinge Jakob und Esau“ (Heb 11,20). Es blieb also für Esau ein wirklicher Segen, wenn auch von bedeutend geringerem Wert als der seines Bruders: „Siehe, fern von der Fettigkeit der Erde wird dein Wohnsitz sein und ohne den Tau des Himmels von oben her. Und von deinem Schwert wirst du leben, und deinem Bruder wirst du dienen“, denn was Jakob zugesagt worden war: „Sei Herr über deine Brüder“, konnte nicht widerrufen werden. Der Patriarch fügt lediglich hinzu: „Und es wird geschehen, wenn du umherschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Hals“ (1Mo 27,39.40).
Diese Prophezeiung Isaaks hat sich erfüllt. In der Geschichte Edoms hat das Schwert immer dominiert. Durch das Schwert erobert er das Gebirge Seir und rottet die Horiter aus, die vor ihm dort gewohnt hatten (1Mo 36,21). Er kämpft fortwährend mit den Söhnen Israels und sogar mit seinen direkten Nachbarn wie Moab. Durch das Schwert bricht er schließlich das Joch Judas und befreit sich von ihm „bis auf diesen Tag“ (2Kön 8,20-22); mit dem Schwert plündert er später Jerusalem und bemächtigt sich der Gefangenen aus Juda (Ps 137,7; Amos 1,11); durch das Schwert schließlich erweitert er sein Territorium auf Kosten Judas und Simeons. Getrieben von seinem Hass und seinem Ehrgeiz will Edom sich das Land des Herrn auf lange Sicht „zum Besitz“ machen (Hes 36,5). Von daher rührt der Name Idumäa, ein Land, das sich weit über das Gebirge Seir hinaus erstreckt (Mk 3,8).
Das verwerfliche Verhalten Esaus
Esau ist also Edom, aber nicht schon seit dem Beginn seiner Geschichte. Er erhielt diesen Namen erst, als er sich als „Ungöttlicher“ bezüglich seines Erstgeburtsrechts erwies (Heb 12,16). Er glaubte, es gehöre ihm – denn, ich wiederhole, die Verordnung Gottes über das Erstgeburtsrecht war nur Rebekka offenbart worden – und es war ihm noch nicht durch die List Jakobs genommen worden. „Für eine Speise“ (Heb 12,17) verkaufte Esau sein Erstgeburtsrecht, verachtete die Gabe und zog ihm die augenblickliche Befriedigung eines fleischlichen Bedürfnisses vor. Auf diese Weise beraubte er sich selbst des Segens und wurde er verworfen, nicht aufgrund seiner Geburt, sondern weil er die göttlichen Gaben verachtete. Und zu dieser Zeit erhielt er den Namen Edom, eine Anspielung auf den Ausspruch: „Lass mich doch essen von dem Roten, dem Roten da“ (1Mo 25,30).
Von diesem Augenblick an charakterisierte die unheilige Haltung Esaus die Nation, die von ihm abstammte, eine Nation, die die Kinder Israel und den Gott verachtet, der Israel zum Träger seiner Verheißungen gemacht hatte. Ein anderer Charakterzug kommt noch dazu: Die Wut Esaus entflammt gegen Jakob, der auf listige Weise von der Gleichgültigkeit Esaus gegenüber der Gabe Gottes zu profitieren wusste. Diese Wut entartet zu einem mörderischen Hass: „Und Esau feindete Jakob an wegen des Segens, womit sein Vater ihn gesegnet hatte; und Esau sprach in seinem Herzen: Es nahen die Tage der Trauer um meinen Vater, dann werde ich meinen Bruder Jakob erschlagen“ (1Mo 27,41).
Diese Pläne vorsätzlicher Tötung, die an die Pläne Kains gegen Abel erinnern, wurden durch die lange Lebenszeit Isaaks vereitelt, denn er wollte seine Rache bis zum Tod des Vaters aufschieben. Dies erklärt auch, warum der Hass Esaus gegenüber seinem Bruder Jakob nicht seinen Lauf nahm, als die beiden Brüder sich nach der Überquerung der Jabbokfurt begegneten, und dass er ihn sogar unter großzügigen Äußerlichkeiten verhüllte; die beunruhigende Anwesenheit seiner 400 Krieger und sein zweideutiges Angebot, einen Teil von ihnen bei seinem Bruder zu lassen, sprach jedoch eine andere Sprache (1Mo 32,7; 33,15).
Die beiden Brüder waren 120 Jahre alt, als sie ihren Vater zu Grabe trugen, der im Alter von 180 Jahren starb (1Mo 35,27-29). Von da an konnten sie wegen der Größe ihrer Herden nicht mehr zusammenbleiben – wieder ein Beweis der gütigen Vorsehung Gottes, der dadurch Jakob von einer dauernden Bedrohung befreite. Esau musste sich fern von seinem Bruder Jakob ins Land Seir begeben (1Mo 36,8). Jedoch wohnte er schon vor dieser Zeit in dem Flachland, das von verschiedenen Seiten in die Ebene überging (1Mo 14,6) und das den Namen „Land Seir, das Gebiet von Edom“ (1Mo 32,4; 36,8) hatte.
Die Söhne Esaus bemächtigten sich des Gebirges Seir, von wo sie das Urvolk, die Horiter, entweder ausrotteten oder sich dienstbar machten (1Mo 36,20; 14,6). Das Volk der Horiter, dessen Name von Hor (Höhle) abgeleitet ist, waren Höhlenbewohner. Die Edomiter, die ihnen folgten, richteten sich in diesen in Felsen gegrabenen Höhlen ein, die heute noch existieren (Jer 49,16; Obad 3). Das Gebirge Seir wird in Obadja (8.9.19.21) auch als „Gebirge Esaus“ bezeichnet. Es lag zwischen Eilat an der östlichen Meereszunge des Roten Meeres und dem südlichen Punkt des Toten Meeres und wurde Hauptsitz und das Heimatland Edoms.
Amalek, der Nachkomme Esaus
Die Eifersucht, der Hass und die Rachsucht Esaus vererbten sich auf seine Nachkommen. Amalek war ein direkter Nachkomme Esaus, sein Enkel über Eliphas (1Mo 36,12). Seine gnadenlose Feindschaft gegen Israel brach sofort aus, als dieses Volk Ägypten verließ, um nach Kanaan zu ziehen. Amalek ist in seinem Hass gegen das Volk Gottes der schreckliche Prototyp Satans. Deshalb erklärt der Herr, dass Er Krieg gegen ihn führen würde von Geschlecht zu Geschlecht (2Mo 17,16). Bei seinem ersten Angriff besetzte Amalek einen Teil der Wüsten Paran und Schur, die den südlichen Zugang zu Israel erschließen.
Als Israel das von Gott als Erbteil versprochene Land eingenommen hatte, wartete der Herr, bis Saul zum König gesalbt war, um ihm den Auftrag zu geben, die Amalekiter auszurotten; aber Saul verschonte Agag und die besten Tiere vom Klein- und Rindvieh, so dass Gott ihm durch Samuel sagen ließ: „Weil du das Wort des Herrn verworfen hast, so hat er dich verworfen, dass du nicht mehr König sein sollst“ (1Sam 15,23). David dagegen bekämpfte Amalek, sogar noch bevor er König wurde, und rottete es aus (1Sam 27,8-12; 30,1-20).
Dieses Volk war also weitgehend vernichtet worden. Zur Zeit Hiskias besetzte der Stamm Simeon sein Land sowie einen Teil des Gebirges von Seir (1Chr 4,42); es wurde später aber von den Edomitern zurückerobert und als Idumäa unter die Herrschaft der Römer gestellt (Mk 3,8). Im Buch Esther erfahren wir, wie durch Haman, den unerbittlichen Feind der Juden, Amalek einen letzten Versuch unternahm, das Volk Gottes zu vernichten. Das Buch Esther ist ein Bild der prophetischen Geschichte Israels in der Endzeit. Deshalb begegnen wir Amalek nochmals in dem Bund der Nationen, die sich für den Endkampf gegen Israel vereinen (Ps 83,8).
Die Edomiter hatten auch Führer, auch „Könige, die im Land Edom regiert haben, ehe ein König über die Kinder Israel regierte“ (1Mo 36,31-39). Es war ein edomitischer König, der den Durchzug des Volkes Gottes durch sein Land ablehnte (Ri 11,17).
Der streitsüchtige Charakter Edoms, zusammen mit seinem eingefleischten Hass, brachte es in dauernden Konflikt mit Israel. Die Siege Israels steigerten noch Edoms Rachedurst und seine Mordlust. Diese andauernde Bosheit fand ihre Vergeltung: Saul forderte Edom heraus (1Sam 14,47); dann schlug David es im Salztal (1Kön 11,15.16; 2Sam 8,13.14) und besetzte sein Land mit Garnisonen. Ein einziges Mal verband sich Edom mit Israel und Juda, und zwar unter Joram und Josaphat, um gemeinsam gegen Moab in den Krieg zu ziehen. Von dieser widernatürlichen Vereinigung hat Israel gewiss nicht profitiert.
Dieselben Edomiter – die Meuniter vom Gebirge Seir – erhoben sich später gemeinsam mit Moab und Ammon gegen Juda, ihren ehemaligen Verbündeten, und wurden vor Josaphat und seinem Volk vom Herrn im Tal Beraka geschlagen (2Chr 20,1.10.22). Unter der Regierung König Jorams werden die Edomiter ebenso geschlagen, jedoch erheben sie sich gegen ihn und wählen erneut einen König (2Kön 8,20). Während eines halben Jahrhunderts halten sie ihre Unabhängigkeit aufrecht (2Chr 21,8), werden dann wieder vom treuen König Amazja geschlagen (2Kön 14,7; 2Chr 25,11.12), erheben sich – unter der Herrschaft des gottlosen Ahas – erneut gegen Juda und werden von Gott als Rute gegen Juda benutzt (2Chr 28,17).
Schließlich, um das Maß ihres unaufhörlichen Hasses voll zu machen, verbinden sie sich mit Babylon und den Feinden der Juden in den Tagen des Unheils von Juda und Jerusalem (Jer 49; Hes 25 und 35; Ps 137,7). Als Folge dieses letzten Ungehorsams sprechen die Propheten einen Fluch über Edom aus (Jes 34,9-11; 63,1-6; Jer 49,7-22; Klgl 4,21; Hes 25,12-14; Amos 1,11.12), und Edom wird nun seinerseits das Opfer des babylonischen Verwüsters Nebukadnezar (Jer 49,22; vgl. 48,8.32.40). So ist nach der Schrift die Vergangenheit Edoms.
Heute kann man diese Geschichte in wenigen Worten zusammenfassen. Edom ist von der Szene verschwunden, man findet keine einzige Spur mehr von ihm. Den Historikern zufolge wurde es ersetzt durch die Nabatäer. Einige vermuten, dass es sich bei den Nabatäern um die Nebajot handelt, Nachkommen Ismaels und Verwandte Edoms (1Mo 25,13; 36,3). Trotz aller Recherchen und wissenschaftlichen Abhandlungen „bleiben wenige Punkte in den Annalen des antiken Orients in derart dichtes Dunkel eingehüllt“. Wir erwähnen diese Worte, um die Unsicherheit der vielgerühmten wissenschaftlichen Geschichtsforschung gegenüber der absoluten Sicherheit der biblischen Berichte herauszustellen. Wenn es Gott gefällt, zu schweigen, irrt menschliche Weisheit umher.
Die Geschichte vor der Erschaffung des Menschen ist dafür ein Beweis von tausend; die Geschichte Edoms – die in ihrem so beschränkten Rahmen mit einem Blick erfassbar zu sein scheint – ist ein anderer Beweis. Wir sind nicht kompetent, um diese Fragen zu behandeln, so interessant sie auch für neugierige Menschen sein mögen. Da es unser einziges Ziel ist, die Kinder Gottes auf der Basis der Einzigartigkeit der Heiligen Schrift aufzuerbauen, begnügen wir uns damit, diese Lücke festzustellen.
Das Wort Gottes lehrt uns, dass – in vergangener Zeit und zu verschiedenen Epochen – durch schreckliche Ereignisse zuerst die zehn Stämme aufgehört haben zu existieren, dann alle Völker, die die Grenzen zu Israel bildeten: Edomiter, Amalekiter, Moabiter, Ammoniter und Philister. Die drei Letzteren wurden durch Nebukadnezar vernichtet. Ihre Gebiete wurden damals, und sind eventuell auch heute noch, besiedelt von den „Söhnen des Ostens“, den Beni-Kedem, das heißt Arabern, Nachkommen Ismaels (Hes 25,4.10; 1Mo 29,1; Hiob 1,3; Ri 6,3.33; 7,12; 8,10), die ebenfalls von Nebukadnezar erobert worden waren (Jer 49,28).
All diese erwähnten Völker spielen in der Welt keine Rolle mehr. Aber wir werden durch das Wort Gottes erfahren, dass sie den Tag ihrer nationalen Auferstehung und das endgültige Gericht erwarten, obwohl sie jetzt noch in Schlaf und Schweigen gehüllt sind. Dieser Tag wird kommen. Um dies zu beweisen, werden wir, nachdem wir soeben einen gewissen Mangel an Angaben vermerkt haben, die verlässlichen göttlichen Dokumente untersuchen, die die Geschichte Edoms zur Endzeit betreffen und die wir im Buch Obadja finden.
Nationale Auferstehung von Völkern und Reichen
Wir haben gerade festgestellt, dass der Gläubige bezüglich der Vergangenheit Edoms ein sicheres Dokument besitzt: das Wort Gottes. Wir haben auch festgestellt, dass Gott in Bezug auf die gegenwärtige Existenz dieses Volkes absichtlich schweigt. Deshalb müssen wir uns in diesem Punkt mit der Unsicherheit menschlicher Wissenschaft zufriedengeben. Daher erkennt der einfache Gläubige, dass es weise ist, sich nicht mit der gegenwärtigen Situation Edoms zu befassen – über die Gott schweigt –, sondern im Wort Gottes zu suchen, was es uns über dessen Zukunft offenbart.
Wie sieht also die Zukunft Edoms nach der Schrift aus? Eine beachtenswerte Einzelheit: Alle prophetischen Ereignisse der letzten Tage befassen sich mit einer nationalen Auferstehung der Völker und Königreiche, so dass man fast wie Paulus sagen könnte: „Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt?“ (Apg 26,8). Das Wiedererscheinen dieser Völker bereitet das endgültige Gericht im Hinblick auf die Einführung des Reiches Christi auf der Erde vor, des einzigen Reiches, das nie erschüttert wird. Die Prophetie betrifft immer dieses Reich auf der Erde; das himmlische Reich, in das die vollendeten Heiligen und die Gemeinde eingehen werden, gehört nicht eigentlich zum Bereich der Prophetie, ohne jedoch ganz davon ausgeklammert zu sein (s. Off 4-5; 19-21), denn die beiden Sphären des Königreiches – die irdische und die himmlische – sind in ständiger Verbindung miteinander.
Im irdischen Bereich der Prophetie also stoßen wir auf die Wiederherstellung des Römischen Reiches, das bereits totgesagt worden war (Off 13,3; 17,8); auf die nationale Wiedererstehung Israels (Hes 37), Assyriens (Dan 11,40-45 und ganz Jesaja); auf die Wiedererstehung aller heute ausgelöschten Nationen und deren endgültiges Gericht im Tal Josaphat (Ps 83; Joel 3), wobei Edom zu Letzteren gehört (Joel 4,19).
Viele Bibelausleger betrachten die Vorstellung einer nationalen Wiedererstehung als Irrtum eines gewissen Lehrmodells und verwerfen sie. Ihrer Ansicht nach werden die Prophezeiungen zu wörtlich genommen und das sei dem gesunden Menschenverstand zuwider. In der Tat entspricht ihr Widerstand der ganzen Art, wie sie die Bibel betrachten, nämlich als eine „Serie von Dokumenten“, die kritisch wie eine „Geschichtswissenschaft“ beurteilt werden müsste. Dies ist eine gefährliche Behauptung, die die absolute und göttliche Autorität der Heiligen Schrift im Voraus untergräbt. Wenn „alle Schrift von Gott eingegeben“ ist und Teil des Wortes Gottes ist, das „die Wahrheit“ ist, so befindet sich die Wahrheit niemals bei jenen, die sich anmaßen, diese Inspiration zu kritisieren.
Für den einfachen Gläubigen löst sich die ganze Frage, die uns beschäftigt, folgendermaßen: Was sagt die Heilige Schrift? Redet sie klar von der Zukunft der Welt und der der Nationen? Wenn es sich so verhält, so ordnet der Gläubige sich der Autorität des Wortes Gottes unter. Aber diese Autorität genügt der heutigen Theologie nicht, weil sie davon überzeugt ist, dass die Bibel von der Autorität der Wissenschaft kontrolliert werden müsse. Damit erhebt die Theologie die Wissenschaft zur Richterin über die Gedanken Gottes. Diese monströse Selbstüberschätzung teilt der Gläubige keinesfalls; er hat im Wort Gottes das ewige Leben gefunden, und sein Leben wird tagtäglich durch eben dieses Wort erhalten. In keiner Weise beachtet er die Zweifel und Ableugnungen dieser fälschlicherweise sogenannten Wissenschaft. Er begnügt sich damit, die Wahrheit im Wort Gottes zu schöpfen.
Die Rückkehr der zehn Stämme
Das Wiedererscheinen der Nationen in den letzten Tagen ist eng verbunden mit dem Wiederer- scheinen der zehn Stämme Israels, deren Wiederherstellung genauso unmöglich erscheint wie die Wiederherstellung von Edom, wenn nicht noch unmöglicher. Was den riesigen Stamm Juda betrifft, der heute mit seinen unverwischbaren Eigenschaften unter allen Völkern der Erde als integraler Bestandteil gilt, so gibt es unzählbare, prophetische Hinweise in der Heiligen Schrift, dass dieses Volk wieder in sein Land kommen wird. Aber was ist aus den zehn Stämmen seit ihrer Verschleppung durch Salmaneser, den König von Assyrien, geworden (721 v. Chr.)? Verschwunden! Wohin? In welche Länder? Unter welche Völker? Absolute Dunkelheit! Dabei hat es zu diesem Thema nicht an Nachforschungen gefehlt; wie oft rechnete man mit Erfolg, aber die Hoffnung wurde immer enttäuscht. In keinem der Länder, von denen Gott gesagt hat, dass Er sie von dort zurückführen würde, auch nicht in China, fand man die geringste Spur von ihnen. Aber Gott weiß, wo sie versteckt sind. Er sieht sie und wird sie wiederfinden; das genügt uns.
Biblische Beweise
Die Wiederherstellung der zehn Stämme Israels, die am Ende der Zeiten in ihr Erbteil zurückkehren werden, können wir in sehr vielen Passagen der Bibel finden. Wir werden nur einige davon erwähnen.
Der Prophet Jeremia spricht von Ephraim und Israel, wenn die zehn Stämme gemeint sind: „Du wirst wieder Weinberge pflanzen auf den Bergen Samarias . . . Denn es wird einen Tag geben, an dem die Wächter auf dem Gebirge Ephraim rufen werden: Macht euch auf und lasst uns nach Zion hinaufziehen zu dem Herrn, unserem Gott! Rette dein Volk, Herr, den Überrest Israels! Siehe, ich bringe sie aus dem Land des Nordens und sammle sie vom äußersten Ende der Erde, . . . in großer Versammlung kehren sie hierher zurück.
Mit Weinen kommen sie und unter Flehen leite ich sie; ich führe sie zu Wasserbächen auf einem ebenen Weg, auf dem sie nicht straucheln werden. Denn ich bin Israel zum Vater geworden, und Ephraim ist mein Erstgeborener“ (Jer 31,5-9). „Und es gibt Hoffnung für dein Ende [o. deine Zukunft], spricht der Herr“ – zu Rahel, Josephs Mutter – „und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren“ (Jer 31,17). „Wohl habe ich Ephraim klagen hören: Du hast mich gezüchtigt, und ich bin gezüchtigt worden wie ein nicht ans Joch gewöhntes Kalb; bekehre mich, damit ich mich bekehre, denn du bist der Herr, mein Gott“ (Jer 31,18). Die Verse 21 bis 26 des gleichen Kapitels zeigen die Wiederherstellung der Gefangenen Judas, dann die Wiedervereinigung des Hauses Israel mit dem Haus Juda und den neuen Bund mit dem ganzen Volk.
In Jesaja 49 sagt der Herr zum Messias: „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen.“ Dann kommt die eindrucksvolle Beschreibung der Rückkehr in das Land ihres Erbteils: „Siehe, diese werden von fern her kommen, und siehe, diese von Norden und von Westen, und diese aus dem Land der Siniter“ (Jes 49,6.12).
Hesekiel 20,34-38 beschreibt die Rückkehr der zehn Stämme, die ganz anders geschieht als die von Juda, das in seinem Land gerichtet wird. Im Gegensatz dazu werden die Abgefallenen von Israel auf dem Weg gerichtet werden so wie damals das Volk, das von Ägypten in die Wüste kam, und „in das Land Israel soll keiner von ihnen kommen“.
In Hesekiel 37 wird uns ein eindrucksvolles Bild von der zukünftigen, nationalen Auferstehung des Volkes Gottes gezeigt: „Diese Gebeine sind das ganze Haus Israel“ (Hes 37,11), also auch die zehn Stämme, das heißt Ephraim, das der Herr von überall her versammelt und in sein Land führt, damit „Juda“ und „Joseph“ nur noch „eine Nation“ bilden (V. 16.17.21.22).
In Sacharja 10 wird uns gesagt: „Und ich werde das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten und werde sie wohnen lassen . . . Und Ephraim wird sein wie ein Held . . . Ich will sie herbeizischen und sie sammeln . . . Und ich werde sie zurückführen aus dem Land Ägypten und sie sammeln aus Assyrien und sie ins Land Gilead und auf den Libanon bringen; und es wird nicht Raum genug für sie gefunden werden“ (Sach 10,6-8.10).
Wir wollen diese Zitate mit der bemerkenswerten Stelle aus Jesaja 11 abschließen, die uns als Übergang für das Wiedererscheinen Edoms in den prophetischen Ereignissen zur Endzeit dient. In den Versen 1–10 dieses Kapitels finden wir eine Beschreibung des Messias, der in der Fülle des Geistes Gottes sein tausendjähriges Friedensreich auf der Erde errichtet. „Und es wird geschehen an jenem Tag, da wird der Herr noch ein zweites Mal seine Hand ausstrecken, um den Überrest seines Volkes, der übrig bleiben wird, loszukaufen aus Assyrien und aus Ägypten und aus Pathros und aus Äthiopien und aus Elam und aus Sinear und aus Hamat und von den Inseln des Meeres. Und er wird den Nationen ein Banner erheben und die Vertriebenen Israels zusammenbringen, und die Zerstreuten Judas wird er sammeln von den vier Enden der Erde“ (Jes 11,11.12).
So werden die beiden Nationen wie zu Beginn ihrer Geschichte vereint sein: „Ephraim wird Juda nicht beneiden, und Juda wird Ephraim nicht bedrängen“ (Jes 11,13). Dies ist also ein Ausblick ganz auf die Zukunft. Aber mit dem Erwachen Judas und der zehn Stämme und ihrer Vereinigung sind ihre früheren Gegner auch erwacht: „Und sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen nach Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein“ (V. 14).
Ankündigung der Wiederherstellung Edoms
Dieser Abschnitt führt uns nun zur Wiedererscheinung Edoms in den letzten Tagen. Dazu folgende „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn, aber nicht nahe; ein Stern tritt hervor aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel und zerschlägt die Seiten Moabs und zerschmettert alle Söhne des Getümmels. Und Edom wird ein Besitz sein und Seir ein Besitz, sie, seine Feinde; und Israel wird Mächtiges tun“ ( 4. Mose 24,17.18).
Bileam kündet an: „Ein Stern tritt hervor aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel.“ Diese Prophezeiung hätte sich nach Matthäus 2,2.7-10 erfüllt, wenn das Volk seinen Messias nicht gekreuzigt hätte. Sie wird sich daher später erfüllen, wenn der einst verworfene Christus sich dem Volk Israel wieder zuwenden und sein Reich auf der Erde errichten wird. Dann wird geschehen, was weiter gesagt wird (4Mo 24,17.18): „. . . und zerschlägt die Seiten [o. Schläfen] Moabs und zerschmettert alle Söhne des Getümmels. Und Edom wird ein Besitz sein und Seir ein Besitz, sie, seine Feinde; und Israel wird Mächtiges tun.“ Das ist bis heute nicht geschehen. Das Zepter Christi hat sich bis jetzt noch nicht erhoben; Israel hat noch nicht Mächtiges getan und hat sich Edoms noch nicht bemächtigt. So muss also Edom wieder in Erscheinung treten, um in die Hände Israels fallen zu können.
„Damit deine Geliebten befreit werden, rette durch deine Rechte und erhöre mich!
Gott hat geredet in seiner Heiligkeit: Frohlocken will ich, will Sichem verteilen und das Tal Sukkot ausmessen.
Mein ist Gilead, mein Manasse, und Ephraim ist die Schutzwehr meines Hauptes, Juda mein Herrscherstab.
Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, über Philistäa will ich jauchzen.
Wer wird mich in die befestigte Stadt führen, wer wird mich bis nach Edom leiten?“ ( Psalm 108,7-11).
Dieses Triumphlied kann man gut sowohl dem Messias als auch dem wiederhergestellten und völlig wiedervereinten Israel zuordnen. Der Psalmist ruft aus: „Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, über Philistäa will ich jauchzen . . . wer wird mich bis nach Edom leiten?“ (Ps 108,10.11). Die Antwort ist: Gott wird es sein, der das Volk verworfen hatte und mit den Heerscharen des Volkes nicht ausgezogen war. Bei der Wiederherstellung Israels – nach seiner langen, noch heute bestehenden Verwerfung – werden Edom sowie alle Nachbarländer durch das Volk Gottes erobert werden.
„Denn sie haben sich mit einmütigem Herzen beraten, sie haben einen Bund gegen dich geschlossen: die Zelte Edoms und die Ismaeliter, Moab und die Hageriter, Gebal und Ammon und Amalek, Philistäa samt den Bewohnern von Tyrus“ ( Psalm 83,6-8).
Auch dieser Psalm, wie übrigens alle Psalmen, ist prophetisch. Der Zusammenschluss der Völker, von dem hier die Rede ist und bei dem Edom die Führung übernehmen wollte, fand nie statt. Diese Koalition, deren Ziel ist, „die Wohnungen Gottes“ in Besitz zu nehmen (Ps 83,13), wird von Edom angeführt werden. Assur schließt sich ihnen an; er führt sie also nicht an, denn der Assyrer der Endzeit scheint nicht persönlich die Attacke gegen Jerusalem zu leiten, die erste zukünftige Belagerung dieser Stadt; der Assyrer wartet bis zur endgültigen Invasion bei seiner Rückkehr aus Ägypten, und dann wird er „zu seinem Ende kommen“ (Dan 11,45).
Nichts, was dieser ersten Belagerung ähneln würde, hat bis jetzt in der Geschichte stattgefunden. Wir haben dies an anderer Stelle bereits erklärt. Wir wollen hier festhalten, dass Edom am Ende der Zeiten wieder zusammen mit Nationen auftreten wird, die heute zerstört sind wie es selbst, um Jerusalem zu erobern; denn außer der Gegenwart Edoms hat die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar keinerlei Zusammenhang mit dem hier Gesagten.
„Tretet herzu, ihr Nationen, um zu hören; und ihr Völkerschaften, hört zu! Es höre die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und alles, was ihm entsprosst! Denn der Zorn des Herrn ergeht gegen alle Nationen, und sein Grimm gegen ihr ganzes Heer. Er hat sie der Vertilgung geweiht, zur Schlachtung hingegeben. Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen, und der Gestank ihrer Leichname steigt auf, und die Berge zerßießen von ihrem Blut. Und das ganze Heer der Himmel zerschmilzt; und die Himmel werden zusammengerollt wie ein Buch; und ihr ganzes Heer fällt herab, wie das Laub vom Weinstock abfällt und wie das Verwelkte vom Feigenbaum.
Denn trunken ist im Himmel mein Schwert; siehe, auf Edom fährt es herab und auf das Volk meines Bannes zum Gericht. Das Schwert des Herrn ist voll Blut, es ist gesättigt von Fett, vom Blut der Lämmer und Böcke, vom Nierenfett der Widder; denn der Herr hat ein Schlachtopfer in Bozra und eine große Schlachtung im Land Edom. Und Wildochsen stürzen mit ihnen hin, und Stiere mit kräftigen Ochsen; und ihr Land wird trunken von Blut, und ihr Staub von Fett gesättigt. Denn der Herr hat einen Tag der Rache, ein Jahr der Vergeltungen für die Rechtssache Zions“ ( Jesaja 34,1-8).
„Denn der Zorn des Herrn ergeht gegen alle Nationen, und sein Grimm gegen ihr ganzes Heer“ (V. 2). Es ist die Endzeit, das Gericht, das der Herrschaft Christi vorangeht (vgl. Jes 34,4 mit Off 6,13.14); es ist im Besonderen das Schwert, das auf Edom fällt und „das Opfer von Bozra“, die Zerstörung des Heeres des großen westlichen Staatenbundes in Edom, eine Umgestaltung in einen Zustand, wie er in 1. Mose 1 beschrieben wird (vgl. Jes 34,11 mit 1Mo 1,2).
„Wer ist dieser, der von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern, dieser, prächtig in seinem Gewand, der einherzieht in der Größe seiner Kraft? – Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten. –“ ( Jesaja 63,1).
„Wer ist dieser, der von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern, dieser, prächtig in seinem Gewand, der einherzieht in der Größe seiner Kraft? – Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten.“ Hier erscheint der Messias, und Er kommt von Edom, von Bozra. Er ist es, der Vergeltung übt: „Von den Völkern war niemand bei mir“ (Jes 63,3). Könnte diese Stelle etwa verglichen werden mit irgendeinem Ereignis in der Vergangenheit Edoms? Die Gerichte über diese Nation wurden immer „durch die Völker“ vollzogen; hier hat der Herr sie selbst ausgeführt. Dieses Ereignis geistlich zu deuten, beweist nur die Unfähigkeit, sich einfach vom Wort Gottes unterweisen zu lassen. Wenn der Herr das schreckliche Gericht in der Endzeit vollstrecken und die Zügel des Königreichs in seine Hände nehmen wird, wird Edom wieder da sein.
{{Jeremia 49,7}
In Kapitel 48,47 spricht der Herr: „Aber ich werde die Gefangenschaft Moabs wenden am Ende der Tage.“ Dasselbe wird über die Kinder Ammon in Kapitel 49,6 gesagt. Aber Edom wird keine Nachlese haben, denn wie wir in Obadja sehen, heißt es von Edom: „Und das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben“ (Obad 18). So werden also die drei Völker für das Gericht am Ende der Zeiten existieren, jedoch werden Moab und Ammon nicht völlig vertilgt werden, Edom allerdings schon.
„Sei fröhlich und freue dich, Tochter Edom, Bewohnerin des Landes Uz! auch an dich wird der Becher kommen; du wirst betrunken werden und dich entblößen.
Zu Ende ist deine Ungerechtigkeit, Tochter Zion! Er wird dich nicht mehr wegführen. Er wird deine Ungerechtigkeit heimsuchen, Tochter Edom, er wird deine Sünden aufdecken“ ( Klagelieder 4,21.22).
Die Tochter Edom wird den Becher trinken und ihre Schuld wird aufgedeckt, wenn die Ungerechtigkeit der Tochter Zion zu Ende sein wird. Diese beiden Ereignisse finden gleichzeitig statt, und man müsste blind sein, um nicht zu erkennen, dass es sich um zukünftige Ereignisse handelt und dass Jerusalem heute noch seine Ungerechtigkeit trägt und von den Füßen der Völker zertreten wird.
„So spricht der Herr, Herr: Weil Edom mit Rachsucht gegen das Haus Juda gehandelt hat und sie sich sehr schuldig gemacht haben, indem sie sich an ihnen rächten, darum, so spricht der Herr, Herr, werde ich meine Hand gegen Edom ausstrecken und Menschen und Vieh aus ihm ausrotten; und ich werde es von Teman an zur Einöde machen, und bis nach Dedan hin werden sie durchs Schwert fallen. Und ich werde meine Rache über Edom bringen durch die Hand meines Volkes Israel, und sie werden an Edom handeln nach meinem Zorn und nach meinem Grimm. Und sie werden meine Rache kennen lernen, spricht der Herr, Herr“ ( Hesekiel 25,12-14).
Ammon und Moab werden den Söhnen des Ostens ausgeliefert werden (wie wir in ihrer vergangenen Geschichte sahen). Edom dagegen, das sich am Haus Juda grausam gerächt hat und an ihm überaus schuldig geworden ist, wird durch die Hand Israels unter die Vergeltung des Herrn fallen. Da diese Ereignisse unmöglich Ereignissen in der Vergangenheit zuzuordnen sind, geben gewisse Kommentatoren zu, dass diese Prophezeiung „bis an die Endzeit reicht. Man wird dann die Kraft des Heidentums, versinnbildlicht durch Edom, zusammenbrechen sehen unter der Herrschaft Christi, die von Juda ausgeht.“ (!) Solch eine Bibelauslegung widerlegt sich selbst. In Jesaja 34 und 63 kann man sehen, wie der Herr ohne irgendein Mitwirken der Nationen an den in Edom versammelten Heeren Rache übt. Jedoch wird es ganz anders geschehen, als Er dies in der Vergangenheit getan hat, und so wird Er Israel dann gebrauchen, um sich an Edom zu rächen.
„Und das Wort des Herrn erging an mich, indem er sprach: Menschensohn, richte dein Angesicht gegen das Gebirge Seir und weissage gegen es und sprich zu ihm: So spricht der Herr, Herr: Siehe, ich will an dich, Gebirge Seir; und ich werde meine Hand gegen dich ausstrecken und dich zur Wüste und Verwüstung machen; ich werde deine Städte zur Einöde machen, und du selbst wirst eine Wüste werden. Und du wirst wissen, dass ich der Herr bin.
Weil du eine beständige Feindschaft hegtest und die Kinder Israel der Gewalt des Schwertes preisgabst zur Zeit ihrer Not, zur Zeit der Ungerechtigkeit des Endes: Darum, so wahr ich lebe, spricht der Herr, Herr, werde ich dich zu Blut machen, und Blut wird dich verfolgen; weil du Blut nicht gehasst hast, soll Blut dich verfolgen. Und ich werde das Gebirge Seir zur Wüstenei und Verwüstung machen und den Hin- und Herziehenden aus ihm ausrotten. Und seine Berge werde ich mit seinen Erschlagenen füllen; auf deinen Hügeln und in deinen Tälern und in allen deinen Talgründen sollen vom Schwert Erschlagene fallen. Zu ewigen Wüsteneien werde ich dich machen, und deine Städte sollen nicht mehr bewohnt werden. Und ihr werdet wissen, dass ich der Herr bin.
Weil du sprachst: ‚Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen‘, da doch der Herr dort war, darum, so wahr ich lebe, spricht der Herr, Herr, werde ich nach deinem Zorn und nach deiner Eifersucht handeln, wie du infolge deines Hasses gegen sie gehandelt hast; und ich werde mich unter ihnen kundtun, sobald ich dich gerichtet habe. Und du wirst wissen, dass ich, der Herr, alle deine Schmähungen gehört habe, die du gegen die Berge Israels ausgesprochen hast, indem du sagtest: Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben! Und ihr habt mit eurem Mund gegen mich großgetan und eure Worte gegen mich gehäuft; ich habe es gehört.
So spricht der Herr, Herr: Wenn die ganze Erde sich freut, werde ich dir Verwüstung bereiten. Wie du deine Freude hattest an dem Erbteil des Hauses Israel, weil es verwüstet war, ebenso werde ich dir tun: Eine Wüste sollst du werden, Gebirge Seir und ganz Edom insgesamt! Und sie werden wissen, dass ich der Herr bin“ ( Hesekiel 35).
Hesekiel ist besonders lehrreich für unser Thema: das Wiedererscheinen Edoms in der Endzeit. Es handelt sich hier um die „Zeit der Gesetzlosigkeit der letzten Tage“, wo die Kinder Israel „der Gewalt des Schwertes“ preisgegeben sein werden, „zur Zeit ihrer Not“ (Hes 35,5). Die ganze Prophetie belehrt uns nun über den Abfall der Juden, die in der Endzeit in ihr Land zurückgekehrt sein werden und dort unter die Herrschaft des Antichristen kommen werden. In dieser Zeit wird sich Edom, wie wir in Psalm 83 sahen, an die Spitze der Vereinigung der Völker stellen, die, unterstützt vom zukünftigen Assyrer, die „Wohnungen Gottes“ in Besitz nehmen wollen (Ps 83,13). So sagt Edom: „Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen . . . Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben!“ (Hes 35.10.12).
Wir wissen auch, dass bei diesem letzten Kraftakt der Feinde Israels der Herr dem schwachen Überrest Jerusalems seine Herrlichkeit zeigen wird, wie einen Vorgeschmack seiner kommenden Herrschaft (Sach 14,4). Dies lässt den Propheten Hesekiel zu Edom sagen: „Weil du sprachst:,Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein . . . ‘, da doch der Herr dort war“ (Hes 35,10). Dies macht Edom seiner unaufhörlichen Feindschaft doppelt schuldig und deshalb wird es für immer zerstört werden: „Wenn die ganze Erde sich freut, werde ich dir Verwüstung bereiten“ (Hes 35,14).
„Und er wird ins Land der Zierde eindringen, und viele Länder werden zu Fall kommen; diese aber werden seiner Hand entkommen: Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ ( Daniel 11,41).
Wenn der König des Nordens, der Assyrer der Zukunft, in Israel einfallen und mit Ägypten (dem König des Südens) kämpfen wird, werden „Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ seiner Hand entrinnen. Diese Prophezeiung betrifft keinesfalls heutige Ereignisse. Es genügt, sie hier ohne weitere Erklärungen zu zitieren. Wir wollen damit beweisen, dass diese Nationen bei der Zerstörung des Assyrers existieren werden, kurz vor der Errichtung der Herrschaft Christi (Dan 11,45). Die Theologen ordnen diese Prophezeiung einer problematischen Expedition des Antiochus Epiphanes gegen Ptolemäus Philometor zu. Diese Theologen sehen in der Prophetie allein die Erfüllung geschichtlicher Ereignisse.
„Das Wort des Herrn, das an Joel, den Sohn Pethuels, erging.
Hört dieses, ihr Alten, und nehmt es zu Ohren, alle ihr Bewohner des Landes! Ist so etwas in euren Tagen geschehen oder in den Tagen eurer Väter? Erzählt davon euren Kindern, und eure Kinder ihren Kindern, und ihre Kinder dem folgenden Geschlecht: Was der Nager übrig gelassen hatte, fraß die Heuschrecke; und was die Heuschrecke übrig gelassen hatte, fraß der Abfresser; und was der Abfresser übrig gelassen hatte, fraß der Vertilger.
Wacht auf, ihr Betrunkenen, und weint! Und heult, alle ihr Weinsäufer, über den Most, weil er weggenommen ist von eurem Mund! Denn eine Nation ist über mein Land heraufgezogen, mächtig und ohne Zahl; ihre Zähne sind Löwenzähne, und sie hat das Gebiss einer Löwin. Sie hat meinen Weinstock zu einer Wüste gemacht und meinen Feigenbaum zerknickt; sie hat ihn vollständig abgeschält und hingeworfen, seine Ranken sind weiß geworden.
Wehklage wie eine Jungfrau, die wegen des Gatten ihrer Jugend mit Sacktuch umgürtet ist! Speisopfer und Trankopfer sind weggenommen vom Haus des Herrn; es trauern die Priester, die Diener des Herrn.
Das Feld ist verwüstet, es trauert der Erdboden; denn das Korn ist verwüstet, der Most ist vertrocknet, verwelkt das Öl“ ( Joel 1,1-10).
Joel, dessen Prophezeiungen nur den „Tag des Herrn“ – die Endzeit – behandeln, sagt: „Edom [wird] zu einer öden Wüste werden wegen der Gewalttat an den Kindern Judas, weil sie in ihrem Land unschuldiges Blut vergossen haben. Aber Juda soll in Ewigkeit bewohnt werden und Jerusalem von Geschlecht zu Geschlecht“ (Joel 4,19.20). Diese prophetische Vision betrifft die Errichtung der Königsherrschaft, die dem nationalen Gericht der Völker im Tal Josaphat folgen wird.
„Esau aber habe ich gehasst, und ich habe seine Berge zur Wüste gemacht und sein Erbteil für die Schakale der Steppe. Wenn Edom spricht: Wir sind zerschmettert, werden aber die Trümmer wieder aufbauen, so spricht der Herr der Heerscharen: Sie werden bauen, ich aber werde niederreißen; und man wird sie nennen ‚Gebiet der Gottlosigkeit‘ und ‚das Volk, dem der Herr in Ewigkeit zürnt‘. Und eure Augen werden es sehen, und ihr werdet sprechen: Groß ist der Herr über das Gebiet Israels hinaus!“ ( Maleachi 1,3-5).
Hier kommen wir zum Ende der Geschichte Edoms. Wenn alle Versuche des Herrn, Edom zurückzuführen, nur seinen Hass geschürt haben, sagt Gott: „Esau aber habe ich gehasst.“ Dann wird Gott Edom endgültig richten. In seiner beständigen Auflehnung ruft Edom aus: „Wir sind zerschmettert, werden aber die Trümmer wieder aufbauen.“ Dann wird die Geduld Gottes endgültig zu Ende sein, und Er sagt durch den letzten der Propheten: „Sie werden bauen, ich aber werde niederreißen“ (Mal 1,4).
Die göttliche Inspiration der Schrift
All diese zitierten Stellen haben vielleicht die Geduld unserer Leser strapaziert, aber sie waren nötig, um die zukünftige Wiedererstehung Edoms deutlich zu beweisen. Die prophetischen Ereignisse sind gebunden an das Prinzip des Wiedererscheinens von Nationen, die seit langer Zeit verschwunden sind. Mögen diese Erläuterungen genügen, um ein ganzes Auslegungssystem von Prophezeiungen zu zerstören: Es verfälscht das Wort Gottes, erkennt seine Autorität nicht an, spricht ihm jegliche Bedeutung im Blick auf die Endzeitereignisse ab und dient nur dazu, die Augen von Christus und seiner Herrlichkeit abzuwenden, indem es die Prophezeiungen als vergangene Begebenheiten auslegt, ohne moralische Bedeutung für Herz und Gewissen.
Ich richte diese Zeilen an meine Brüder in Christus, die dem Einfluss dieser Denkweise ausgesetzt sind – nicht an rationalistische, ungläubige Gelehrte. Ich bitte die Brüder eindringlich, zu vergessen, was sie von dieser falschen Theologie gelernt haben, und zur Einfachheit des Glaubens an die absolute Autorität der Bibel zurückzukehren. Wenn sie klar sehen in Dingen, die wir hier behandeln und die als zweitrangig erscheinen, werden sie auch offene Augen haben für wichtigere Dinge. Sie werden die Gefahr erkennen können, die die bibelkritische Schule bringt.
Leider gibt es unter ihnen bereits höchst einflussreiche Leute, die sich nicht scheuen, sich damit zu brüsten, dass „in den theologischen Kreisen die wörtliche Inspiration bereits eines natürlichen Todes gestorben sei“ (Die Bezeichnung „wörtlich“ ist nur Augenwischerei.). Wir antworten diesen Brüdern, dass sie, nachdem sie die uneingeschränkte Inspiration der Schrift verlassen haben, mit all ihrer Frömmigkeit nicht fähig sind, den Angriffen des modernen Unglaubens wirksam zu begegnen. Darüber beklagen sie sich; wenn sie jedoch auf solch eine Weise die Klinge ihres Schwertes, das Wort Gottes, stumpf werden ließen, werden sie für den Fall, dass sie ein zweischneidiges Schwert brauchen, nur noch eine unbrauchbare Waffe haben.
Obadjas Themen
Nach dieser langen Einleitung wollen wir nun mit dem Studium der Prophezeiungen Obadjas beginnen. Sie wird uns, in Proportion zu seinem Rahmen, ein Bild von dem Los Edoms in den letzten Tagen aufzeigen. Wenn wir bereits vieles vorausgenommen haben von dem, was es noch zu sagen gibt, so werden uns die wenigen Verse des Buches Obadja erlauben, das Gesagte in mancherlei Hinsicht zu überprüfen.
Obadjas Thema sind die Gerichte über Edom und die Nationen. Wir wollen die weitreichende Bedeutung dieser Gerichte für die Zukunft Israels nicht unterschätzen. Wenn die Gemeinde heute durch Gnade gerettet ist, so wird Israel in der Zukunft durch Gerichte befreit. Deshalb macht der treue Überrest sie in den Psalmen so oft zum Gegenstand seiner flehentlichen Gebete.
Die von den Propheten immer wieder erwähnten Parallelen zwischen den Gerichten der Vergangenheit und den Gerichten der Zukunft helfen uns, die zukünftigen Gerichte besser zu verstehen. Diese wiederum lenken unseren Blick auf die Person des Richters. Der Überrest Israels wird in Ihm den sanftmütigen Menschen erkennen, den sie verworfen hatten: das Lamm Gottes, das für die Sünden seines Volkes dahingegeben worden ist. Mit was für einer Freude werden dann die Treuen in dieser erhabenen Person die Majestät und die Gnade, die Sanftmut und die Gerechtigkeit vereinigt sehen: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit. Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät! Und in deiner Majestät zieh glücklich hin um der Wahrheit und der Sanftmut und der Gerechtigkeit willen; und Furchtbares wird dich lehren deine Rechte. Deine Pfeile sind scharf – Völker fallen unter dir –, sie dringen den Feinden des Königs ins Herz“ (Ps 45,3-6).
Auslegung zum Buch Obadja
Obadja und Jeremia
Behandelter Abschnitt Obadja 1-6
Das Wort Gottes sagt uns nichts über die Person des Propheten Obadja, auch nicht über den genauen Zeitpunkt seiner Prophezeiung. Alle Vermutungen in dieser Hinsicht sind nutzlos und dienen nicht der Erbauung. Wir wollen an dem festhalten, was Gott uns offenbart hat, und nicht müde werden, diese elementare, aber wenig verstandene Wahrheit zu wiederholen. Wenn die Kinder Gottes darauf achten, werden sie davor bewahrt, ihre eigenen Gedanken in das Wort Gottes hineinzulegen, statt sich vom Wort Gottes belehren zu lassen. Was hielte man von einem Menschen, der meint, das Wasser in einem See dadurch zu vermehren, dass er einen Krug voll Wasser hineingießt? Wäre es nicht klüger, seinen Krug damit zu füllen? Können unsere eigenen Gedanken die Heilige Schrift jemals bereichern? Dass der Prophet Obadja ebenso wie Jeremia gegen Ende des Reiches von Juda gewirkt hat, wird von den Christen nicht bezweifelt, die sich vom „Geist der Besonnenheit“ leiten lassen (2Tim 1,7).
Ein Vergleich des Gerichtes an Edom in Jeremia 49,7-22 mit der Prophezeiung Obadjas, die die endgültige Vernichtung dieser Nation betrifft, macht das deutlich. Jeremia benutzt ungefähr dieselben Worte wie Obadja: „Eine Kunde habe ich vernommen von dem Herrn, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt: Versammelt euch und kommt über es und macht euch auf zum Kampf!“ (Jer 49,14). In Bezug auf diese und ähnliche Analogien, die wir im Lauf unserer Betrachtung noch finden werden, befleißigen sich die Kommentatoren herauszufinden, wer wen kopiert habe!
Hinter solch mehr als unnützen Fragen kann man unschwer einen kritischen Geist erkennen, der der vollkommenen Inspiration der Heiligen Schrift feindlich gegenübersteht. Zugegeben, ein Abschreiben ist nicht unmöglich, aber gibt es denn nur diese Alternative, um die Analogien zu erklären? Diese Kommentatoren stellen dieselbe Frage bezüglich der Synopsis der Evangelien; doch wozu haben diese Nachforschungen geführt? Der menschliche Geist reibt sich dabei auf und wird immer mehr verwirrt. Der gläubige Christ hingegen ist überzeugt, dass Gott zu ihm spricht, sowohl durch Jeremia als auch durch Obadja, und dass er einfach die in den prophetischen Schriften enthaltene besondere Unterweisung annehmen kann.
Bei Jeremia gibt es ein Merkmal, das man bei Obadja nicht findet. Jeremia sagt die unmittelbar bevor- stehende Zerstörung Jerusalems voraus, dann die Vernichtung der Nationen durch Nebukadnezar (Kap. 46–49) und schließlich die Zerstörung dieses großen Königreichs vom Herrn selbst (Kap. 50). Er nennt auch die Werkzeuge, nämlich die Meder, durch die Gott das geschichtliche Ende dieser starken Macht des babylonischen Weltreichs herbeiführen wird (Kap. 51). Der Prophet Daniel hat einen anderen Gesichtspunkt: Er beschreibt nacheinander die Geschichte der vier großen Weltreiche, solange die Macht den Nationen gegeben ist; er betont jedoch auch den gleichzeitigen Fall dieser Weltreiche, damit dem Reich, das „in Ewigkeit nicht zerstört . . . werden wird“, Platz gemacht wird (Dan 2,44).
Dies ist der zweite Unterschied bei Jeremia. Für ihn ist das Los all dieser Reiche von Anfang an durch den Fall Babylons beschlossen, weil es die von Gott erhaltene Macht zur Selbsterhöhung und beständigen Ausbreitung des Götzendienstes missbrauchte. Aber Babylon ist es, das bis zu seinem eigenen Fall das Gericht an allen Nationen ausüben wird. Vom Augenblick seines historischen Untergangs an führt uns der Prophet über alle dazwischenliegenden Jahrhunderte hinweg bis hin zu den Ereignissen der letzten Tage. So sagt uns Jeremia, nachdem er den Untergang Ägyptens durch Nebukadnezar beschreibt: „Danach aber soll es bewohnt werden wie in den Tagen der Vorzeit, spricht der Herr“ (Jer 46,26); so fügt er nach der Vernichtung Moabs durch denselben König noch hinzu: „Aber ich werde die Gefangenschaft Moabs wenden am Ende der Tage, spricht der Herr“ (Jer 48,47); ebenso für Ammon: „Aber danach werde ich die Gefangenschaft der Kinder Ammon wenden“ (Jer 49,6). Und schließlich sagt Er über Elam (Persien), das von demselben Schwert Babylons zerstört worden ist: „Aber es wird geschehen am Ende der Tage, da werde ich die Gefangenschaft Elams wenden“ (Jer 49,39).
Das abschließende Gericht über Edom
Bei Edom verhält es sich nicht so (Jer 49,7-22). Nie wird es wiederhergestellt werden; dies ist sein endgültiges Gericht. Wenn sein Gericht durch Nebukadnezar beschrieben wird, der wie der Adler daherfliegt und seine Flügel über Bozra ausbreitet (vgl. 49,22), zeigt uns der Geist Gottes daher die Ereignisse der Endzeit, die den Fall Edoms begleiten. Daher rührt die auffallende Analogie zwischen Jeremia und Obadja. In beiden Beschreibungen wird das Ende Edoms – sein Sturz ohne die Möglichkeit einer Wiederherstellung – verursacht durch seine ehemaligen Verbündeten. Das sind die Nationen, die sich gegen es in seinem Land vereinigt haben. Letztlich ist es der Herr selbst, der wirkt, wenn ich folgende Stelle richtig verstehe: „Siehe, er steigt herauf, wie ein Löwe von der Pracht des Jordan“ (49,19; vgl. 50,44). Das sind Aussprüche, die wir parallel bei beiden Propheten finden. Schließlich ist auch Israel daran beteiligt. Das finden wir nicht in Jeremia, wohl aber in Obadja.
Edom und andere Völker
Wir wollen nun sehen, auf welche Umstände sich der erste Vers in Obadja bezieht. Kein einziges geschichtliches Ereignis passt zu dem, was wir hier lesen. Wie wir bereits bei der Betrachtung der Zukunft Edoms gesehen haben, handelt Psalm 83 von einem zukünftigen Zusammenschluss der Völker, die das Gebiet Israels umgeben, mit Edom an ihrer Spitze. Der Assyrer der Zukunft, der von den Propheten erwähnte Gog (Hes 38-39), unterstützt und begünstigt das Komplott (wenn auch nicht in eigener Person), das die Vernichtung des Volkes Gottes zum Ziel hat: „Sie sprechen: Kommt und lasst uns sie vertilgen, damit sie keine Nation mehr seien, damit nicht mehr gedacht werde des Namens Israels! . . . Weil sie gesagt haben: Lasst uns in Besitz nehmen die Wohnungen Gottes!“ (Ps 83,5.13). In diesen letzten Tagen wird das in sein Land zurückgekehrte Volk Israel zum Objekt der Begierde aller Nationen werden.
Der König des Nordens, das Haupt des assyrischen Staatenbundes – mit anderen Worten Gog oder Russland –, wird sich dieser Vereinigung bedienen, um seinen Plan gegen Jerusalem auszuführen. Edom und seine Verbündeten erwecken den Anschein und bekennen sich auch zu dem Ziel, „den Söhnen Lots zu einem Arm“ zu werden (Ps 83,9). Das heißt, sie wollen den Interessen Ammons und Moabs vordergründig durch diese gemeinsame Aggression zum Nachdruck verhelfen. Aber das von Ehrgeiz und Hass verzehrte Edom nimmt sich vor, selbst Hand an das Erbteil des Herrn zu legen. Es sagt: „Die beiden Nationen [Juda und Israel] und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen.“ Von den Bergen Israels sagt Edom: „Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben!“ (Hes 35,10.12).
Die erste Belagerung Jerusalems (Sach 14,1.2) scheint der Sache Edoms Recht zu geben. Zu diesem Zeitpunkt reagieren die vereinten Nationen auf seine ehrgeizigen Ansprüche und entlarven sie. „Eine Kunde haben wir von dem Herrn gehört.“ Der Herr wird, nach den Worten Sacharjas, „Jerusalem zu einer Taumelschale für alle Völker ringsum“ machen und „zu einem Laststein für alle Völker“ (Sach 12,2.3). Die Verbündeten Edoms senden einen „Boten unter die Nationen“, um sie anzuwerben, gegen Edom in den Krieg zu ziehen, und sichern ihnen ihre Unterstützung zu: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ Was für Nationen sind das? Aus den Prophezeiungen wissen wir, dass der Assyrer der Endzeit, nachdem er Israel erobert hat, die Absicht hat, es sich zu unterwerfen. Die Juden, das abtrünnige Volk des Antichrists, schließen ein Bündnis mit dem Westreich – dem Tier und den zehn Königen –, um dieser Invasion entgegenzutreten (Jes 28,14-22).
Inzwischen wird der Assyrer wie ein Unwetter Ägypten überfallen, jedoch zuerst in Palästina, „dem Land der Zierde“, einfallen: „Diese aber werden seiner Hand entkommen: Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ (Dan 11,41). Diese drei Nationen, die ihm entrinnen, sind genau die, die ihre eigenen Interessen verfolgen zum Nachteil des Assyrers und die seine Absichten bezüglich des Heiligen Landes vereiteln wollen. Aber wie wir gerade gesehen haben, hält ihr Übereinkommen nicht lange. Alle kehren sich gegen Edom, das sich an ihre Spitze gestellt hatte. Um der drohenden Gefahr zu entgehen, in die sein Ehrgeiz sie geführt hat, suchen sie Unterstützung bei den Nationen und bieten ihnen ihre Beteiligung an: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ Scheinbar gelingt dieser Plan.
{Obadja 1,7}
In dem Augenblick, wenn Edom sein Ziel, das Erbteil Israel einzunehmen, fast erreicht hat, fallen ihm seine Verbündeten in den Rücken. Sie „schicken es bis zur Grenze“; das bedeutet aus meiner Sicht, dass es bis zur Grenze seines eigenen Landes zurückgedrängt wird. Edom wird mit dem Heer aus dem Westen konfrontiert, das sich offensichtlich aufgemacht hat, um die Einnahme Jerusalems durch Edom zu verhindern und ebenso auch durch die Ammoniter, die Moabiter und den Assyrer. So wird sich Sacharja 12,2 erfüllen: „Siehe, ich mache Jerusalem zu einer Taumelschale für alle Völker ringsum.“
Das Gebiet Edoms ist in diesem Augenblick ein äußerst wichtiger strategischer Punkt, um sich gegen Gog (den Assyrer) zu wenden, der sich wie ein reißender Wasserfall auf Ägypten gestürzt hat (Dan 11,40-43). Edom ist nicht begrenzt auf das Gebirge Seir, wie wir weiter oben bemerkt haben, sondern umfasst auch das Gebiet Idumäa. Dessen Besetzung durch die westlichen Heere schneidet dem Assyrer von Ägypten kommend den Rückweg nach Israel ab, entweder am Mittelmeer entlang oder über die Halbinsel Sinai.
Der Plan der westlichen Heere scheint sehr weise zu sein, aber sie haben ihn ohne den Herrn gemacht. Er ist es, der sie ohne ihr Wissen in Edom gesammelt hat, um sie zu vernichten: „Denn der Zorn des Herrn ergeht gegen alle Nationen, und sein Grimm gegen ihr ganzes Heer . . . mein Schwert, siehe, auf Edom fährt es herab und auf das Volk meines Bannes zum Gericht . . . denn der Herr hat ein Schlachtopfer in Bozra und eine große Schlachtung im Land Edom. Denn der Herr hat einen Tag der Rache, ein Jahr der Vergeltung für die Rechtssache Zions“ (Jes 34,2.5.8). Dieses Gericht der Heere der Nationen geschieht durch den Herrn allein: „Von den Völkern [ist] niemand“ bei Ihm, wenn er „von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern“ (Jes 63,1-3).
Erst nach der Vernichtung der Heere des Westreiches und deren Anführer – des Tieres und des falschen Propheten (Off 19,19-21) – wird der Herr auf dem Gebiet Israels das ganze Heer des Assyrers vernichten, der von Ägypten herkommt, um seinerseits Jerusalem und Israel einzunehmen (Dan 11,44.45).
Die Vernichtung der westlichen Heere in Edom wird in der Prophezeiung Obadjas nicht erwähnt. Wir vernehmen nur, dass Edom selbst gründlich geplündert wird von seinen ehemaligen Verbündeten, die früher in Frieden mit ihm lebten, und dass dabei ein großes Gemetzel stattfindet.
Die zentrale Lage Edoms
Edom hat sich also in seinen klug erarbeiteten Plänen getäuscht. Sie führen alle zu seiner Vernichtung, weil es das alte Volk Gottes und die heilige Stadt im Augenblick ihrer Wiederherstellung angegriffen hat. Was helfen ihm jetzt seine so gerühmten Weisen?
{Obadja 1,1–9}
Es mag überraschen, dass diese kleine, so unbedeutende Nation, Edom, die wieder aufleben wird, in der Endzeit solch eine große Rolle spielt, dass sie sogar zum einzigen Gegenstand der Prophezeiung Obadjas wird. Der Grund dafür ist, dass neben seinem ungöttlichen Charakter, seinem unerbittlichen Hass gegen Gottes Volk und seinem hochmütigen Vorhaben, sich das Erbteil Israels und die Stadt des großen Königs mit Gewalt anzueignen, Edom das Zentrum sein wird, wo sich der ganze Konflikt der letzten Tage abspielen und auflösen wird: der Kampf zwischen dem König des Nordens (Syrien) und dem König des Südens (Ägypten) der Kampf um den Besitz des Erbteils Gottes zwischen den an Israel angrenzenden Nationen und Edom der Kampf zwischen dem römischen Tier, dem Westreich und Gog, um Jerusalem zu besitzen und Ägypten zu erobern.
Mit einem Wort: Die ganze prophetische Geschichte der letzten Tage konzentriert sich auf dieses Gebiet, wenn „Jerusalem zu einer Taumelschale für alle Völker“ geworden ist (Sach 12,2). Wenn der gordische Knoten von Edom einmal durchschnitten ist, wird der Messias wie eine wohltuende Morgenröte erscheinen, die die Sonne der Gerechtigkeit ankündigt.
Hass und Schmähungen gegenüber Israel
All diese Ereignisse der Endzeit lenken unsere Überlegungen auf den gegenwärtigen Konflikt, der sich prinzipiell nicht von den oben erwähnten Konflikten unterscheidet und der ein Wegbereiter für die zukünftigen, noch viel furchtbareren Ereignisse sein könnte.
Obadja 10: Wegen der an deinem Bruder Jakob verübten Gewalttat wird Schande dich bedecken, und du wirst ausgerottet werden auf ewig. „Der Übermut deines Herzens“ (V. 3) war der erste Charakterzug Edoms. Der zweite war seine Gewalttätigkeit seinem Bruder gegenüber. So schuldig Israel auch geworden ist, vergisst der Herr dennoch nicht, dass es der Gegenstand seiner Verheißungen ist, und Gott ist seinen Verheißungen treu. Was sein Volk betrifft, betrifft Ihn selbst. Zur Zeit der Untreue Israels musste Er sein Angesicht vor dem Haus Jakobs verbergen.
Doch jetzt ist die Stunde gekommen, wo Er die Sache seines Volkes wieder offen in die Hand nimmt. Wenn die letzten Tage Edoms gekommen sein werden und Jerusalem von den Nationen besetzt sein wird, deren Haupt Edom war, hat Reue das Herz des Überrestes Israels erfasst. „An jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen“ (Jes 29,18). Dann wird die Vergeltung für Esau hereinbrechen, die bis dahin aufgeschoben worden war, um das Gericht am Volk Gottes zu vollziehen. Den Feinden Jakobs, des vom Herrn Erwählten, kann nun nicht mehr vergeben werden. Edom wird „ausgerottet werden auf ewig“.
Welche Prophezeiung man betreffs Edom auch betrachtet, der Geist Gottes bezeugt immer, dass von Edom als Nation nichts mehr übrigbleiben wird. Sein Gebiet wird zur immerwährenden Einöde: „Zu ewigen Wüsteneien werde ich dich machen, und deine Städte sollen nicht mehr bewohnt werden. Und ihr werdet wissen, dass ich der Herr bin. Weil du sprachst:,Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen‘, da doch der Herr dort war, darum, so wahr ich lebe, spricht der Herr, Herr, werde ich nach deinem Zorn und nach deiner Eifersucht handeln, wie du infolge deines Hasses gegen sie gehandelt hast; und ich werde mich unter ihnen kundtun, sobald ich dich gerichtet habe.
Und du wirst wissen, dass ich, der Herr, alle deine Schmähungen gehört habe, die du gegen die Berge Israels ausgesprochen hast, indem du sagtest: Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben! Und ihr habt mit eurem Mund gegen mich großgetan und eure Worte gegen mich gehäuft; ich habe es gehört. So spricht der Herr, Herr: Wenn die ganze Erde sich freut, werde ich dir Verwüstung bereiten. Wie du deine Freude hattest an dem Erbteil des Hauses Israel, weil es verwüstet war, ebenso werde ich dir tun: Eine Wüste sollst du werden, Gebirge Seir und ganz Edom insgesamt! Und sie werden wissen, dass ich der Herr bin“ (Hes 35,9-15).
Gott hat die Hassschreie und die Schmähungen gegen sein Volk gehört, „da doch der Herr dort war“! Vollendete Blindheit Edoms! Zu der Zeit, in der Gott vor dem Haus Israel sein Gesicht verborgen hatte, ließ Er dem Hass Edoms freien Lauf. Wenn Gott sich jedoch seinem bußfertigen Volk wieder als Retter offenbart, kann das Gericht gegen Edom nicht mehr aufgeschoben werden, denn es kämpft gegen das Volk der Verheißung, das Gott selbst verteidigt!
Zu dieser zukünftigen Verwüstung lese man noch Jesaja 34,9-17. Edom wird der Schlupfwinkel von allerlei unreinen, gefährlichen und bösen Geschöpfen sein. Wie dünn besiedelt heute diese Gegend auch sein mag, ihr jetziger Zustand ist nicht der, den Jesaja uns beschreibt. Man muss nachforschen im Buch des Herrn (Jes 34,16), um sein endgültiges Geschick zu erfahren. Kein böses Tier wird dort fehlen: „Es fehlt nicht eins von diesen, keins vermisst das andere. Denn mein Mund, er hat es geboten; und sein Geist, er hat sie zusammengebracht; und er hat ihnen das Los geworfen, und seine Hand hat es ihnen zugeteilt mit der Mess-Schnur. Bis in Ewigkeit werden sie es besitzen, von Geschlecht zu Geschlecht darin wohnen“ (Jes 34,16.17).
In den Versen 11–14 beschreibt Obadja die letzten Vorwürfe des Herrn gegen Edom: {Obadja 1,11–14}
Es scheint auf der Hand zu liegen, diesen Abschnitt der vergangenen Geschichte Jerusalems, nämlich der Belagerung der Stadt durch Nebukadnezar zuzuschreiben. Man hat keinen Grund, sich dieser Auslegung zu widersetzen. Gott erinnert sich an die Gewalt, die man dieser ehebrecherischen Stadt angetan hat, die aber in seinen Ratschlüssen immer die von Ihm geliebte Stadt bleibt. An diesen Tag von Jerusalem erinnern sich die Gefangenen an den Flüssen Babels, wenn sie sagen: „Gedenke, Herr, den Kindern Edom den Tag Jerusalems, die da sprachen: Entblößt, entblößt sie bis auf ihre Grundfeste!“ (Ps 137,7).
Auch in Amos 1,6.11.12 ist von diesem Tag die Rede und vielleicht auch in Joel 4,6. Andererseits ist diese Stelle aus Obadja 11-14 mit derselben Richtigkeit auch anwendbar auf die zukünftige Belagerung von Jerusalem, die in Psalm 83 und in Sacharja 14,1.2 erwähnt wird: „Siehe, ein Tag kommt für den Herrn, da wird deine Beute in deiner Mitte verteilt werden. Und ich werde alle Nationen nach Jerusalem zum Krieg versammeln; und die Stadt wird eingenommen und die Häuser werden geplündert und die Frauen vergewaltigt werden; und die Hälfte der Stadt wird in die Gefangenschaft ausziehen, aber das übrige Volk wird nicht aus der Stadt ausgerottet werden.“
Wodurch zeichnet sich Edom während seiner ganzen Geschichte aus, sowohl der zukünftigen als auch der vergangenen? Dieser Boshafte will sich das aneignen, was Gott ihm ausdrücklich verweigert hat und was Er seinem Bruder Jakob als Erbteil zugeteilt hat. Er wendet sogar Gewalt an, um es einzunehmen. Ohne Zweifel war Jakob untreu gewesen und hatte dieses Gericht verdient. Aber Edom, das in der Vergangenheit die Zuchtrute für Israel gewesen war (vgl. 2Kön 8,20), verfolgt weiterhin seine eigenen Pläne, die völlig anders sind als die Pläne Gottes. Konnte Gott seine bedingungslosen Verheißungen widerrufen? Wie viel weniger in den letzten Tagen, wenn unter dem Druck der Gerichte ein Überrest in Israel Buße tut und zu dem einst von ihnen verworfenen Messias umkehrt, wie Sacharja und andere Propheten es voraussagen (Sach 12,8-14).
Gottes Langmut
Die Verse 11 bis 14 aus Obadja können sich daher auf das Verhalten Edoms in der historischen Vergangenheit wie auch in der prophezeiten Zukunft beziehen, so wie sie uns offenbart ist. Es scheint sogar, dass es sich hier eher um die zukünftige Geschichte handelt. In diesem Abschnitt ist die Rede vom Tag der Not und der Bedrängnis Jerusalems.
Wir haben schon oft darauf aufmerksam gemacht, dass dieses letzte Wort in den Psalmen und den Propheten normalerweise, vielleicht immer, „die große Drangsal“ am Ende der Zeit bedeutet, auch „Drangsal für Jakob“ (Jer 30,7) genannt. Wie dem auch sei, diese Stelle handelt von einem Ereignis, das zur Zeit der Prophezeiung schon Vergangenheit war und das Gott nicht vergessen hatte. Das „Du solltest nicht!“ in diesen Versen berührt mich außerordentlich.
Wie klingt diese Ermahnung doch so barmherzig an dem Tag, wo das Gericht diese verhärtete Nation trifft! „Du solltest nicht!“ Oh, wenn du dieses Gericht nicht verdient hättest, wie sehr hätte ich gewünscht, dich zu verschonen! Nichts kann besser zeigen, dass der Herr langsam zum Zorn ist. Wie sehr verlangte Er danach, bei den schlimmsten Feinden seines Volkes einen Schimmer von Mitleid und Barmherzigkeit zu finden. So ist die Geduld Gottes, so ist der Charakter Christi.
Aber nein, Edom hatte seinen Hass und seine Schmähungen bis auf die Spitze getrieben. Er nahm an der Plünderung teil und freute sich über das Unheil der Kinder Juda; er riss das Maul weit auf, um seinen Bruder zu beleidigen und ihm zu fluchen (vgl. Ps 35,21), er bemächtigte sich der Stadt, raubte die Güter, rottete die Flüchtlinge aus, verkaufte die restlichen Juden als Gefangene . . . Edom hätte all diese Dinge nicht tun sollen; jetzt aber ist es zu spät!
Dasselbe Erbarmen gegenüber Edom findet man auch im Ausspruch über Duma (Jes 21,11.12). In den Versen 5–9 in diesem Kapitel hat der Herr einen Wächter in Jerusalem bestellt, um zu sehen, was passiert. Der Wächter hat eine Vision vom Untergang Babylons, um anzuzeigen, dass das Ende der Herrschaft der Heiden nahe ist. Diese Vision wurde Israel übermittelt, für das sie auch gedacht war. Hier wird berichtet, wie Edom sich über das lustig macht, was der Geist Gottes ankündigt. Edom ruft: „Wächter, wie weit ist es in der Nacht? Wächter, wie weit in der Nacht?“
Der Wächter antwortet: „Der Morgen kommt, und auch die Nacht.“ Der Morgen, auf den das gläubige Israel wartet, wird bald erscheinen, aber auch die Nacht für den Ungläubigen und den Spötter! „Wollt ihr fragen, so fragt!“, sagt der Wächter noch. Es steht fest, dass das Gericht kommt. Edom ist also unentschuldbar, weil es sich nicht erkundigt hat. „Kehrt wieder, kommt her!“, wird ihm gesagt. Bis zum letzten Augenblick lässt Gott noch eine Tür zur Umkehr offen. Sind diese Worte nicht ergreifend? Wie stehen sie doch im Einklang mit den Worten Obadjas: „Du solltest nicht . . . du solltest nicht!“ Da du doch um das Geschick Babylons wusstest, wie konntest du dich mit ihm verbinden? Hättest du dich nicht von ihm distanzieren und begreifen sollen, dass ich mich wieder um mein Volk kümmere? Dass der Fall des Reiches der Nationen einen neuen Zeitabschnitt des Segens für Israel eröffnet, das mich einst verworfen hatte, aber jetzt „Zweifaches empfangen hat für alle ihre Sünden“ (Jes 40,2)?
Dies ist der segensreiche Zeitabschnitt, der sich diesem Volk öffnet. Die Befreiung Israels kann nicht anders stattfinden als nur durch ein endgültiges und gnadenloses Gericht an allen Nationen wegen der Ablehnung des Angebotes der Gnade Gottes: {Obadja 1,15}
Die Not und die Bedrängnis Judas und Jerusalems zeigen, dass der Tag des Herrn nahe ist. Der Tag des Herrn bezeichnet überall in den Propheten den Tag des Gerichts, der dem Aufrichten des Reiches Christi auf der Erde vorangeht. Es ist der „Tag des Herrn“, der auch im Neuen Testament angekündigt wird. Zuerst bricht dieses Gericht über Israel und Jerusalem in der Zeit der großen Drangsal herein. Dann geht Gott mit den Nationen ins Gericht – allen voran mit Edom –, die das alte Volk Gottes mit Füßen getreten, versklavt, geplagt und gemartert haben. So wird Edom zum Beispiel für den Sturz der Nationen am „Tag des Herrn“, wie Babylon ein Bild ist für den Fall ihres Reiches, um dem universellen Reich Christi Platz zu machen, dem „Stein“, von dem es heißt: Er „wurde zu einem großen Berg und füllte die ganze Erde“ (Dan 2,35). Dieser Tag wird nicht nur Edom treffen, sondern alle Nationen. Es wird ein Tag der Vergeltung sein, wo es ihnen ergehen wird, wie sie dem Volk Gottes getan haben.
Edom wird als Entgelt ein vernichtendes Urteil erhalten, aber das Urteil ist universell. Der Platz, den Edom dabei einnimmt, ist für alle übrigen Völker beispielhaft (Jes 34,2; Obad 15.16).
{Obadja 1,16}
Diese Nationen hatten sich schon über den Sieg über Jerusalem gefreut, sie hatten aber vergessen, dass sie sich auf dem heiligen Berg des Herrn befanden (vgl. Jer 49,12). Der Herr hat seine Verheißungen trotz des Ungehorsams seines Volkes nie aufgegeben. Für Gott ist Zion immer sein heiliger Berg gewesen. Hätte Er ihn vergessen können, Er, der seinen König auf dem heiligen Berg Zion eingesetzt hat (Ps 2,6)? Welcher Frevel, sich auf diesem heiligen Berg zu betrinken, wo der König der Herrlichkeit sich offenbaren wird, wenn die Tore ihre Häupter erheben und die ewigen Pforten sich erheben, damit der König der Herrlichkeit einziehe (Ps 24,7)!
Edom und Babylon hatten dort getrunken, aber Gott hat ihnen, so wie auch allen Nationen, ein Getränk bereitet, das sie unaufhörlich trinken werden. Sie werden trinken und schlucken, trinken und schlucken – den Kelch des Zornes Gottes. Dann werden sie vernichtet und verschwunden sein, als hätten sie nie existiert. Der Psalmist hat es begriffen, als er „in die Heiligtümer Gottes [hineinging] und jener Ende gewahrte.“ Dann sagt er weiter: „Gewiss, auf schlüpfrigen Grund setzt du sie, stürzt sie hin zu Trümmern. Wie sind sie so plötzlich verwüstet, haben ein Ende genommen, sind umgekommen durch Schrecknisse! Wie einen Traum nach dem Erwachen wirst du, Herr, beim Aufwachen ihr Bild verachten“ (Ps 73,17-20).
Teil 1: Einleitung
Glaube und Wissenschaft
Alle Christen, die sich wirklich unter Gottes Wort stellen, können sich über die religiöse Welt, die sie umgibt, nicht täuschen. Sie wissen, dass die Christenheit mit großen Schritten dem endzeitlichen Abfall und der Herrschaft des Antichristen in den letzten Tagen entgegengeht. Im Bewusstsein des Ernstes ihres Auftrages, inmitten dieses wachsenden, moralischen Verfalls Zeugen zu sein, haben sie mehr und mehr die Pflicht, als treue Seelen an der „Einfalt gegenüber dem Christus“ (2Kor 11,3) festzuhalten. Diese Lehre, die durch den Geist Gottes gelehrt wird, gilt es zu bewahren, weil sie von Gott kommt im Gegensatz zu den Lehren der Menschen.
In Bezug auf diese Lehre ist ein Kind Gottes, das keine wissenschaftliche Ausbildung hat, beim Bibelstudium bald davon überzeugt, dass der Schlüssel zum Verständnis im Text selbst liegt, dem ganzheitlichen, biblischen Text – so wie er durch den Heiligen Geist gelehrt, empfangen und verstanden wird. Übrigens verdunkelt wissenschaftliche Ausbildung beim Kind Gottes oft mehr das Verständnis der Heiligen Schrift, als dass sie es erhellt. Die Paläontologie [die Wissenschaft vom Leben in den vergangenen Erdzeitaltern; Anm. d. Red.], die Ethnografie [beschreibende Völkerkunde; Anm. d. Red.], die wissenschaftlichen Forschungen und die Entdeckungen, welche sie erbringen, die historischen Nachforschungen – mit einem Wort, alle Zweige der Wissenschaft, so interessant sie sein mögen, erklären nicht das Wort Gottes. Wenn sie auch manchmal die biblische Wahrheit bestätigen, so können sie doch nie, keinen Moment, deren Wert in den Augen eines wahren Christen entkräften. Wenn wissenschaftliche Entdeckungen manchmal Dinge, die uns mit völliger Gewissheit in der Heiligen Schrift vermittelt worden sind, bestätigen, freut sich der Gläubige, dass damit Einwände, die von Ungläubigen gegen die Heilige Schrift erhoben wurden, widerlegt sind. Trotz der Hilfe, die sie dem Gläubigen im Kampf erbringen können, sind sie dennoch nie ein zum Verständnis der Heiligen Schrift unentbehrlicher Kommentar. Im Gegenteil werden sie oft eher ein Hindernis zum richtigen Verständnis der Schrift sein. Warum? Weil Wissenschaftler dazu neigen, das Verständnis für die Wahrheit der Bibel auf das Niveau herunterzuholen, wo menschlicher Verstand sie begreifen kann. Selbst wenn sie nicht bis zum Rationalismus gehen, so kann allerdings der Theologe aufgrund seines Studiums – auch wenn er einen sehr rechtgläubigen und und ernsthaften Glauben hat – sich dem nicht ganz entziehen, rationale Elemente in seine biblischen Auslegungen einfließen zu lassen.
Wir bestreiten keineswegs die Wichtigkeit der Wissenschaft auf ihrem Gebiet. Wir verkennen nicht den Wert der Wissenschaften oder der wissenschaftlichen Fachrichtungen, die an ihrem speziellen Platz hervorragend sind. Wir wertschätzen wissenschaftliche Methoden, wenn sie sich nicht anmaßen, die Offenbarungen Gottes in der Heiligen Schrift zu kontrollieren oder zu beurteilen. Der gläubige Christ ist manchen Wissenschaftlern zu großem Dank verpflichtet, besonders jenen, die bestrebt sind, für eine gute Herausgabe der Heiligen Schrift zu sorgen, sie exakt zu übersetzen und die Sprachen, in denen sie geschrieben worden ist, immer besser zu kennen. Mit Dank nimmt der Christ manche Belehrungen an, mit denen normale biblische Auslegung dem Glauben Hilfe leisten kann. Aber er hat nur eine sichere Quelle: die Heilige Schrift, und nur ein Hilfsmittel, um sie zu verstehen: den Heiligen Geist. Für den Christen ist es einzig der Heilige Geist, der göttliche Dinge kennt, der unterweist und sie mitteilt, der hilft, sie anzunehmen und zu verstehen [1Kor 2,10-13], unabhängig von menschlicher Weisheit; Er ist es allein, der uns fähig macht, sie richtig auszulegen.
Prophetie, die die Zukunft betrifft
Die Gefahr, dazu zu neigen, alles nur mit dem Verstand verstehen zu wollen, wird augenfällig, wenn es um Prophetie geht. Diejenigen, die sich vom menschlichen Verstand leiten lassen, müssen wohl oder übel zugeben, dass Propheten historische Ereignisse lange vor ihrer Erfüllung angekündigt haben. Diese Tatsache bedeutet für sie der erstaunlichste Ausdruck dessen, was sie Inspiration nennen. Sie haben Mühe damit und argwöhnen prophetische Visionen, dass sie die Endzeit betreffen können. Wenn sie diese anerkennen, dann um den Propheten eine gewisse, mehr oder weniger deutliche messianische Erwartung – je nach der Zeit, in der sie lebten – oder die Vorhersage eines vagen Reiches Gottes zuzuschreiben, ein allmähliches Ergebnis und Endtriumph des Christentums über das Heidentum in der Welt. So interpretieren sie für gewöhnlich die Herrschaft Gottes. Sie sind nicht bereit anzunehmen, dass die Bibel genau das Gegenteil lehrt, indem sie uns zeigt, dass die Wiederkunft des HERRN, damit Er seine Gemeinde in den Himmel aufnehme, dem Christentum auf der Erde ein Ende bereiten wird und dass die abgefallene Christenheit, die auf der Erde zurückgelassen wird, das große Babylon sein wird, die Mutter eines Götzenkultes, der umso scheußlicher sein wird, weil er aus dem Stumpf des Christentums erwachsen ist. Die heidnischen Nationen werden sich durch das Christentum nicht bekehren: Jedoch wird eine Vielzahl von ihnen das Evangelium des Reiches Gottes (das nicht das Evangelium der Gnade ist) annehmen, der durch den Dienst des zukünftigen jüdischen Überrestes verkündet wird.
Dieselben Menschen betrachten die alttestamentlichen Prophezeiungen als bereits jetzt erfüllte Geschichte, so dass für sie die Geschichte die Prophetie erklärt. Das ist ein großer Irrtum. Wir verkennen nie, dass es im Alten Testament keine Prophezeiungen gibt, die nicht teilweise schon in Erfüllung gegangen sind (und dies unterscheidet sie von denen im Neuen Testament, die uns ohne Weiteres in die Endzeit einführen). Aber die teilweise Erfüllung ist niemals das letzte Wort der Prophetie, denn dies würde bedeuten, ihr – wie der Apostel sagt – eine eigene Auslegung beizulegen (2Pet 1,19.20). Es ist ein wesentlicher Grundsatz beim Studium der Prophetie, dass sie sich nicht selbst auslegt, auch wenn sich manchmal in der Vergangenheit Prophetie zum Teil schon erfüllt hat. Man findet in einem einzelnen Abschnitt nicht seine eigene Auslegung, das heißt die Erklärung dessen, was er bedeutet. Die Prophetie kann nur durch den Heiligen Geist verstanden werden, der „heiligen Menschen Gottes“ eingegeben hat, was sie reden sollten. Wenn die Schrift von dem redet, was heute Vergangenheit ist, bleibt sie nicht dort stehen, sondern verkündet uns in den nächsten Ereignissen Analogien zukünftiger Ereignisse. Welchen Ausblick sie uns auch immer öffnet, die Prophetie führt immer zu Christus und verkündet uns „die Macht und Ankunft unseres Herrn“ (2Pet 1,16), indem sie die „Leiden, die auf Christus kommen sollten“, sowie die Herrlichkeit, die darauf folgt, vorhersagt [1Pet 1,11]. So wie die Gerichte zu den Herrlichkeiten Christi gehören, so offenbart uns auch die Prophetie seine Herrlichkeiten: „Denn wenn deine
Gerichte die Erde treffen, so lernen die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit“ (Jes 26,9).
Wenn wir so argumentieren, dann behaupten wir nicht, das Gebiet der Prophetie völlig erklärt zu haben, aber wir haben doch aufgezeigt, worauf Prophetie immer hinausläuft. Tatsächlich beginnen die Propheten damit, den moralischen Zustand Israels (im NT der Gemeinde) aufzudecken. Sein Ruin war völlig und unheilbar, trotz der dringlichen Appelle, die Israel zur Buße führen sollten. Sie künden diesem Volk das kommende Gericht für Gegenwart und Zukunft an sowie die völlige Wiederherstellung eines treuen Überrestes unter der glorreichen Herrschaft Jesus Christi. Was die Nationen betrifft, denen Gott wegen des Versagens seines Volkes die Herrschaft übergeben hat und die Er nun als Rute für sein ungehorsames Volk benutzt, so zeigen die Propheten auch deren zukünftiges Gericht an, um die Getreuen zu ermutigen und ihren Glauben zu stärken. Doch da Israel erst dann wiederhergestellt werden wird, wenn der Messias die Herrschaft antreten wird, so wird sich das Gericht über die Nationen erst bei der Festigung seiner Herrschaft völlig erfüllen.
Die Königsherrschaft Christi
Wie bereits erwähnt, muss alle Prophetie auf die Macht und auf die Ankunft Christi in seinem Königreich hinweisen. Dieses Reich ist tatsächlich ihr spezielles Ziel. Die Prophetie ist nicht, wie im Christentum, die Offenbarung himmlischer Ratschlüsse Gottes bezüglich der Gemeinde, sondern die Offenbarung seines Reiches hier auf Erden und der Wege, auf denen Er alles einführen wird.
Der Prophet Amos spricht mehr als alle andern nur von nahen Ereignissen, die bald in Erfüllung gehen sollten. Sein Thema sind die aktuellen Regierungswege Gottes mit den Menschen. Sogar seine Prophetien weisen letztendlich alle auf den Tag des HERRN hin (Amos 9,11-15). Ohne Zweifel erwähnt er in wenigen Versen kurz dieses Ereignis, doch dies genügt, um festzustellen, dass die Propheten das herrliche Reich Jesu Christi als Endziel aller Wege Gottes sehen.
So ist es auch beim Propheten Obadja. Die letzten Worte seiner kurzen Prophetie sind: „Und das Reich wird dem HERRN gehören.“ Außerdem zeigt Obadja eine Eigentümlichkeit, die den meisten Propheten bis auf Amos gemeinsam ist. Ein bereits geschehenes Ereignis ist wie ein Bild und Auftakt kommender Ereignisse. Um sich davon zu überzeugen, genügt die Betrachtung und der Vergleich Edoms in den beiden ersten Kapiteln von Amos und Obadja. Amos verkündet Ereignisse (Amos 1,11.12), die weniger als zwei Jahrhunderte nach seiner Prophezeiung eintraten. Darüber geht er nicht hinaus. Obadja dagegen betrachtet ein Ereignis, das gerade stattgefunden hatte. In der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar sieht er eine Ähnlichkeit mit der Rolle, die Edom bei den Ereignissen in den letzten Tagen spielen wird. Diese Ereignisse werden dann zur endgültigen Herrschaft Jesu Christi führen.
Dies nun wird von den Bibelauslegern, von denen wir sprachen, vollständig geleugnet. Ihr Verstand weigert sich zu akzeptieren, dass Völker, die heute völlig ausgelöscht sind, wieder auf der Bildfläche erscheinen. Deshalb – wir wiederholen es – sind die Gedanken Gottes in seinem Wort und in der Prophetie im Besonderen dem menschlichen Verstand unerklärlich. So werden in Psalm 119,130 die Einfältigen gerühmt: „Die Eröffnung deiner Worte erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen.“ Sie sind solche, die sich durch Gottes Wort unterrichten lassen und die ausschließlich im Wort Gottes das Licht suchen, um die Prophetie zu verstehen: „In deinem Licht werden wir das Licht sehen“ (Ps 36,9). Sie werden nicht mit der Wissenschaft die vermeintlichen Lücken in Gottes Wort zu füllen suchen oder Dinge ergänzen, über die sich die Bibel in Schweigen hüllt. Wenn Gott spricht, sagen sie wie Samuel: „Rede, HERR, denn dein Knecht hört“ (1Sam 3,9), und wenn Gott schweigt, sagen sie wie der Psalmist: „Setze, HERR, meinem Mund eine Wache, behüte die Tür meiner Lippen“ (Ps 141,3). Vielleicht wird Gott ihnen den Grund seines Schweigens offenbaren, wenn ihr Vertrauen zu Ihm auf die Probe gestellt worden ist, und sie werden in der Stille neue Erkenntnisse finden.
Wir sollten nicht versuchen, alles auf einmal verstehen und erklären zu wollen. Die Reichtümer Christi werden uns nach und nach durch den Heiligen Geist in Gottes Wort mitgeteilt. Der Goldsucher, der der Goldader nachgeht, wird nach und nach zum ganzen Fund gelangen. Um viel zu gewinnen, darf er die kostbare Erzader nicht durch einen Moment der Unaufmerksamkeit aus den Augen verlieren. Es kann sein, dass die Ernte des einen Tages gering ist und an einem anderen Tag reichlich, was den Goldsucher natürlich hoch erfreuen wird; aber ob er viel oder wenig findet, es ist immer dasselbe edle Metall. Wenn die Arbeit beendet ist, wird man seinen großen Wert erkennen.
Für uns ist es dasselbe, wenn wir Gottes Wort unter der Leitung des Heiligen Geistes studieren. Wenn wir Christus nie aus den Augen verlieren, werden wir uns nicht verirren. Immer wieder werden wir neue Entdeckungen seiner Herrlichkeiten machen; einige werden größer und andere kleiner sein, sie können Himmlisches oder Irdisches betreffen, aber sie werden so oder so dazu dienen, dass Gott die unvergleichliche Krone dann seinem geliebten Sohn aufs Haupt setzen wird, wenn Er als der Menschensohn, der König Israels, der König der Nationen und König der Herrlichkeit seine Herrschaft antreten wird.
Teil 2: Edom: seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft
„Esau, das ist Edom“ – das wird in 1. Mose 36 dreimal wiederholt. Der Charakter dieses Volkes wurde unauslöschlich geprägt von seinem Stammvater. Wir wollen sehen, worin diese Eigenschaften bestehen.
Esau erhielt den Namen Edom nicht schon bei seiner Geburt. Gott wollte an ihm, dem Erstgeborenen der Zwillinge Rebekkas, den Grundsatz seiner Regierung zeigen: den Grundsatz der freien Gnadenwahl Gottes. Deshalb gab Gott, als der unumschränkte HERR, das Erstgeburtsrecht nicht dem Erstgeborenen, sondern verlieh es nach seinem festgesetzten Plan und souveränen Willen Jakob. Die Offenbarung der Wahl Gottes wurde weder Jakob noch Esau gegeben, ja nicht einmal Isaak, ihrem Vater, sondern Rebekka, die vor der Geburt ihrer Söhne zum HERRN gegangen war, um Ihn um Rat zu fragen (1Mo 25,22). Damals hatte Gott ihr gesagt: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“ In diesem Ausspruch geht es auf keinen Fall um einen Fluch gegen Esau, denn noch bevor sie geboren waren, hatten sie weder Gutes noch Böses tun können (Röm 9,11); aber Gott beanspruchte damit sein Recht, die Erben der Verheißung zu wählen.
Der Fluch gegen Esau wurde erst ausgesprochen, nachdem er im Verlauf seiner langen Geschichte alle Rufe der Gnade abgelehnt hatte (Mal 1,3). Zu Beginn nahm Gott ihm nur die Autorität über seinen Bruder und das Recht des Erbes; nicht einmal nach seiner schändlichen Tat nahm Er ihm das Recht auf zusätzliche Segnungen. Deshalb sprach Isaak, ganz gegen seinen Wunsch und Willen, das Vorrecht des Erstgeborenen dem Jakob zu und segnete auch Esau, seinen Bruder: „Durch Glauben segnete Isaak in Bezug auf zukünftige Dinge Jakob und Esau“ (Heb 11,20). Es blieb also für Esau ein reeller Segen, wenn auch von bedeutend geringerem Wert als der seines Bruders: „Siehe, fern von der Fettigkeit der Erde wird dein Wohnsitz sein und ohne den Tau des Himmels von oben her. Und von deinem Schwert wirst du leben, und deinem Bruder wirst du dienen“ (1Mo 27,39.40), denn was Jakob zugesagt worden war: „Sei Herr über deine Brüder“, konnte nicht widerrufen werden. Einzig fügte der Patriarch bei: „Und es wird geschehen, wenn du umherschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Hals“ (1Mo 27,40).
Diese Prophezeiung von Isaak erfüllte sich. In der Geschichte Edoms dominierte das Schwert immer. Durchs Schwert eroberte er das Gebirge Seir; durchs Schwert rottete er die Horiter aus, die vor ihm dort wohnten (1Mo 36,21). Er kämpfte fortwährend mit den Söhnen Israels, sogar mit den unmittelbaren Nachbarn wie Moab. Durchs Schwert brach er schließlich das Joch von Juda und befreite sich von ihm „bis auf diesen Tag“ (2Kön 8,20-22); mit dem Schwert plünderte er später Jerusalem und nahm Gefangene aus Juda (Ps 137,7; Amos 1,11); durchs Schwert erweiterte er zuletzt sein Territorium auf Kosten von Juda und Simeon. Getrieben von seinem Hass und seinem Ehrgeiz, wollte er sich das Land, das Gott gehört, aneignen: „So spricht der Herr, HERR … gegen ganz Edom, die sich mein Land zum Besitz gemacht haben“ (Hes 36,5). Von daher rührt der Name Idumea, das Land, das sich weit jenseits vom Berg Seir erstreckt (Mk 3,8).
Das verwerfliche Verhalten Esaus
Esau ist also Edom, aber nicht schon seit dem Beginn seiner Geschichte. Er erhielt diesen Namen erst, als er sein Erstgeburtsrecht verkaufte (Heb 12,16), auf das er ein Recht zu haben meinte – denn, ich wiederhole, die Verordnung Gottes über das Erstgeburtsrecht war nur Rebekka offenbart worden – und das ihm noch nicht durch die List Jakobs genommen worden war. „Für eine Speise“ (Heb 12,17) verkaufte Esau sein Erstgeburtsrecht, verachtete die Gabe Gottes und bevorzugte die momentane Befriedigung eines fleischlichen Bedürfnisses. Auf diese Weise beraubte er sich selbst des Segens und wurde verworfen, nicht aufgrund seiner Geburt, sondern weil er die göttliche Gabe missachtete. Dann erhielt er den Namen Edom wegen seines Ausspruchs: „Lass mich doch essen von dem Roten, dem Roten da“ (1Mo 25,30).
Von diesem Moment an charakterisierte das unheilige Verhalten Esaus die Nation, die von ihm abstammte, eine Nation, die die Kinder Israel und den Gott verachtete, der Israel zum Gegenstand seiner Verheißungen gemacht hatte.
Ein anderer Charakterzug machte sich noch bemerkbar. Die Wut Esaus entflammte gegen Jakob, der durch seine List von der Gleichgültigkeit Esaus gegenüber der Gabe Gottes profitierte. Diese Wut entfesselte sich zu einem mörderischen Hass: „Esau feindete Jakob an wegen des Segens, womit sein Vater ihn gesegnet hatte; und Esau sprach in seinem Herzen: Es nahen die Tage der Trauer um meinen Vater, dann werde ich meinen Bruder Jakob erschlagen“ (1Mo 27,41). Diese Absicht vorsätzlicher Tötung, die an Kain und Abel erinnert, konnte er nicht ausführen wegen der langen Lebenszeit Isaaks, denn er wollte seine Rache bis zum Tod des Vaters aufschieben. Dies erklärt, warum der Hass Esaus gegenüber seinem Bruder Jakob auch noch nicht aufhörte, als die zwei Brüder sich am Jabbok begegneten und als er ihn mit großzügigen Angeboten betören wollte; jedoch zeugte das Heer von vierhundert Kriegern, die er bei sich hatte, vom Gegenteil (1Mo 32,6; 33,15).
Die beiden Brüder waren 120 Jahre alt, als sie ihren Vater zu Grabe trugen, der im Alter von 180 Jahren gestorben war (1Mo 35,27-29). Von da an konnten sie wegen der Größe ihrer Herden nicht mehr zusammenbleiben – wieder ein Beweis der gütigen Vorsehung Gottes, der dadurch Jakob von dauernder Bedrohung befreite. Esau musste sich fern von seinem Bruder Jakob ins Land Seir begeben (1Mo 36,8). Jedoch wohnte er schon vor dieser Zeit in dem Flachland, das auf vielen Seiten bis in die Wüste führte (1Mo 14,6) und das den Namen hatte „Land Seir, das Gebiet von Edom“ (1Mo 32,4; 33,1). Die Söhne Esaus bemächtigten sich des Berges Seir, von wo sie das Urvolk, die Horiter, entweder ausrotteten oder sich dienstbar machten (1Mo 36,20; 14,6). Das Volk der Horiter, dessen Name bekanntlich von Hor (Höhle) abgeleitet ist, waren Höhlenbewohner. Die Edomiter benutzten dann diese in Felsen gegrabenen Höhlen, die heute noch existieren, und wohnten darin (Jer 49,16; Obad 3). Der Berg Seir wird in Obadja (8,9,19,21) als Gebirge Esaus bezeichnet und lag zwischen Elath an der östlichen Meereszunge vom Roten Meer sowie dem südlichen Punkt des Toten Meeres und wurde Hauptsitz sowie Heimat Edoms.
Amalek, der Nachkomme Esaus
Die Eifersucht, der Hass und die Rachsucht Esaus vererbten sich auf seine Nachkommen. Amalek war ein direkter Nachkomme Esaus, sein Enkel durch Eliphas (1Mo 36,12). Seine gnadenlose Feindschaft gegen Israel brach aus, als diese Ägypten verließen, um Kanaan einzunehmen. Amalek ist in seinem Hass gegen das Volk Gottes der schreckliche Prototyp Satans. In 2. Mose 17,16 heißt es, dass Gott, der HERR, von Generation zu Generation Krieg mit Amalek führt. Bei seinem ersten Angriff besetzte Amalek einen Teil der Wüsten Paran und Schur, die den südlichen Zugang zu Palästina schließen.
Als Israel das von Gott als Erbe versprochene Land eingenommen hatte, wartete der HERR, bis Saul zum König gesalbt war, um ihm den Auftrag zu geben, die Amalekiter auszurotten; aber Saul verschonte Agag und die besten Tiere vom Groß- und Kleinvieh, so dass Gott ihm durch Samuel sagen ließ: „Weil du das Wort des HERRN verworfen hast, so hat er dich verworfen, dass du nicht mehr König sein sollst“ (1Sam 15,9.23). Dagegen kämpfte David, sogar bevor er zur Königsherrschaft kam, gegen Amalek und rottete es aus (1Sam 27,8-12; 30,1-20). Dieses Volk wurde also vernichtet. Zur Zeit Hiskias besetzte der Stamm Simeon das Land sowie einen Teil des Gebirges von Seir (1Chr 4,42); es wurde später aber zurückerobert von den Edomitern und als Idumäa unter die Herrschaft der Römer gestellt (Mk 3,8). Im Buch Esther erfahren wir, wie durch Haman, den unerbittlichen Feind der Juden, Amalek einen letzten Versuch unternahm, Gottes Volk zu vernichten. Dieses Buch ist ein Bild der geschichtlichen Prophetie für Israel in der Endzeit. Deshalb begegnen wir Amalek nochmals in dem Bund der Nationen, die sich für den Endkampf gegen Israel vereinen (Ps 83,7). Die Edomiter hatten auch Führer, auch „Könige, die im Land Edom regiert haben, ehe ein König über die Kinder Israel regierte“ (1Mo 36,31-39). Es war ein edomitischer König, der den Durchzug des Volkes Gottes durch sein Land verhinderte (Ri 11,17).
Der streitsüchtige Charakter Edoms, zusammen mit seinem eingefleischten Hass, brachte es in dauernden Konflikt mit Israel. Die Siege Israels steigerten noch seinen Rachedurst und seine Mordlust. Diese andauernde Bosheit fand ihre Vergeltung: Saul forderte Edom heraus (1Sam 14,47); dann schlug David es im Salztal (1Kön 11,15.16; 2Sam 8,13.14) und besetzte sein Land mit Garnisonen. Ein einziges Mal verband sich Edom mit Israel und Juda, unter Joram und Josaphat, um gemeinsam gegen Moab in den Krieg zu ziehen – eine widernatürliche Vereinigung, wodurch Israel gewiss nicht profitierte. Dieselben Edomiter – die Meuniter vom Gebirge Seir – gemeinsam mit Moab und Ammon, erhoben sich später gegen Juda, ihren ehemaligen Verbündeten und wurden vor Josaphat vom HERRN im Tal Beraka geschlagen (2Chr 20,1.10.22). Unter der Regierung König Jorams wurden die Edomiter ebenso geschlagen, jedoch erhoben sie sich gegen ihn und wählten erneut einen König (2Kön 8,20). Während eines halben Jahrhunderts konnten sie ihre Unabhängigkeit aufrechterhalten (2Chr 21,8), wurden dann wieder vom treuen König Amazja geschlagen (2Kön 14,7; 2Chr 25,11.12), erhoben sich – unter der Herrschaft des gottlosen Ahas – erneut gegen Juda und wurden von Gott als Rute gegen ihn benutzt (2Chr 28,17).
Schließlich, um das Maß seines unaufhörlichen Hasses voll zu machen, verbindet es sich mit Babylon und den Feinden der Juden in den Tagen des Unheils von Juda und Jerusalem (Jer
49; Hes 25 und 35; Ps 137,7). Als Folge dieses letzten Ungehorsams sprechen die Propheten einen Fluch über Edom aus (Jes 34,9-11; 63,1-6; Jer 49; Klgl 4,21; Hes 25,12-14; Amos 1), und es wird nun seinerseits das Opfer des babylonischen Verwüsters Nebukadnezar (Jer 49,22; vgl 48,8.32.40). So verhält sich nach der Schrift die Vergangenheit Edoms.
Heute kann man diese Geschichte in wenigen Worten zusammenfassen. Edom ist von der Szene verschwunden, man findet keine einzige Spur mehr von ihm. Den Historikern zufolge wurde es ersetzt durch die Nabatäer, bei welchen einige vermuten, dass es die Nebajot seien, Nachkommen Ismaels und Verwandte Edoms (1Mo 25,13; 36,3). Trotz aller wissenschaftlichen Abhandlungen und aller Recherchen „bleiben einige Punkte in den Annalen des antiken Orients eingehüllt in dichtes Dunkel“ (nach Lenormant; franz. Archäologe). Wir erwähnen diese Worte, um die Unsicherheit der vielgerühmten wissenschaftlichen Geschichtsforschung zu unterstreichen, gegenüber der absoluten Sicherheit biblischer Aussagen. Wenn es Gott gefällt, zu schweigen, kann menschliche Weisheit irren. Die Geschichte vor der Erschaffung des Menschen ist ein Beweis von tausend; die Geschichte Edoms – die in seinem so beschränkten Rahmen mit einem Blick erfassbar zu sein scheint – ist ein anderer. Wir sind nicht kompetent, um diese Fragen zu behandeln, so interessant sie auch für neugierige Menschen sein mögen. Unser einziges Ziel ist es, Kindern Gottes die Allgenügsamkeit der heiligen Schrift zu bezeugen, damit begnügen wir uns.
Gottes Wort lehrt uns, dass – in vergangener Zeit und zu verschiedenen Epochen – durch schreckliche Ereignisse zuerst die zehn Stämme aufgehört haben zu existieren, dann alle Völker, die die Grenzen zu Palästina bildeten: Edomiter, Amalekiter, Moabiter, Ammoniter und Philister. Die drei Letzteren wurden durch Nebukadnezar vernichtet. Ihre Gebiete wurden damals, und sind eventuell auch heute noch, besiedelt von den „Söhnen des Orients“, den Benei-Kedem, das heißt Araber, Nachkommen Ismaels (Hes 25,1-11; 1Mo 29,1; Ri 6,3.33; 7,12; 8,10), die von Nebukadnezar erobert worden waren (Jer 49,28). All diese erwähnten Völker spielen keine Rolle mehr in der Welt. Aber wir werden durch Gottes Wort erfahren, dass sie den Tag ihrer nationalen Auferstehung und das endgültige Gericht erwarten, obwohl sie jetzt noch in Schlaf und Schweigen gehüllt sind. Wir haben bis jetzt nur wenig darüber erfahren, aber dieser Tag wird kommen. Um dies zu beweisen, werden wir die verlässlichen, göttlichen Dokumente untersuchen, die die Geschichte Edoms zur Endzeit betreffen und die wir im Buch Obadja finden.
Nationale Auferstehung von Völkern und Reichen
Wir haben gerade festgestellt, dass der Gläubige über die Vergangenheit Edoms ein sicheres Dokument besitzt, das Wort Gottes, und dass Gott mit Absicht schweigt in Bezug auf die gegenwärtige Existenz dieses Volkes. In Anbetracht dessen müssen wir uns mit der Unsicherheit menschlicher Weisheit damit zufriedengeben. Deshalb erkennt der einfache Gläubige, dass es weise ist, sich nicht mit der gegenwärtigen Situation Edoms zu befassen – über die Gott schweigt –, sondern im Wort Gottes zu suchen, was es uns über dessen Zukunft offenbart.
Wie sieht also die Zukunft Edoms aus nach der Schrift? Beachtenswertes Detail: Alle prophetischen Ereignisse der letzten Tage befassen sich mit einer nationalen Auferstehung der Völker und Königreiche, so dass man fast wie Paulus sagen könnte: „Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt?“ (Apg 26,8). Das Wiedererscheinen dieser Völker bereitet das endgültige Gericht vor im Hinblick auf die Einführung des Reiches Jesu Christi auf Erden, dem einzigen Reich, das nie erschüttert wird. Die Prophetie betrifft immer dieses Reich auf Erden; das himmlische Reich, in das die vollendeten Heiligen und die Gemeinde eingehen werden, ist nicht eigentlich im Bereich der Prophetie, ohne jedoch ganz davon ausgeklammert zu sein (siehe Off 4,5; 19-21), denn die beiden Sphären des Königreiches – die irdische und die himmlische – sind in ständiger Verbindung untereinander.
Im irdischen Bereich der Prophetie stoßen wir auf: die Wiederherstellung des Römischen Reiches, das bereits totgesagt worden war (Off 13,3; 17,8); die Wiedererstehung Israels (Hes 37), Assyriens (Dan 11,40-45 und ganz Jesaja); die Wiedererstehung aller heute ausgelöschten Nationen und deren endgültiges Gericht im Tal Josaphat (Ps 83; Joel 4) sowie des Gerichts Edoms (Joel 4,19).
Viele Bibelausleger betrachten die Auferstehung der Nationen als Irrtum einer gewissen Lehrmeinung und verwerfen sie. Ihrer Ansicht nach werden die Prophezeiungen zu wörtlich genommen, da sie dem gesunden Menschenverstand entgegenstehen. In der Tat entspricht ihr Widerstand der ganzen Art, wie sie die Bibel betrachten, nämlich als eine „Serie von Dokumenten“, die kritisch beurteilt werden müssten wie eine „Geschichtswissenschaft“. Dies ist eine gefährliche Behauptung, die die absolute göttliche Autorität der Heiligen Schrift im Voraus untergraben will. Wenn „alle Schrift von Gott eingegeben ist“ und Teil ist von Gottes wahrhaftigem Wort, so befindet sich die Wahrheit niemals bei jenen, die sich anmaßen, diese Inspiration zu kritisieren.
Für den Gläubigen löst sich die Frage, die uns beschäftigt, folgendermaßen: Was sagt die Heilige Schrift? Redet sie klar von der Zukunft der Welt und der der Nationen? Wenn es sich so verhält, so unterstellt sich der Gläubige der Autorität von Gottes Wort. Aber diese Autorität genügt der heutigen Theologie nicht, weil sie davon überzeugt ist, dass die Bibel von der Autorität einer sogenannten Wissenschaft kontrolliert werden müsse. Damit maßen sie sich an, Gottes Gedanken beurteilen zu können. Diese monströse Selbstüberschätzung teilt der Gläubige keinesfalls; er hat im Wort Gottes das ewige Leben gefunden, er bezweifelt Gottes Wort nicht, das sich in seinem Leben als Wahrheit erweist und ihn täglich stärkt und geistlich ernährt.
Die Rückkehr der zehn Stämme
Das Wiedererscheinen der Nationen in der letzten Zeit ist eng verbunden mit der Wiederherstellung der zehn Stämme Israels, was genauso unmöglich scheinen mag, wenn nicht noch mehr, wie die Wiederherstellung von Edom. Was den riesigen Stamm Juda betrifft, der heute unter allen Völkern der Erde als integraler Bestandteil gilt, so gibt es unzählbare, prophetische Hinweise in der Heiligen Schrift, dass dieses Volk wieder in sein Land kommen wird. Aber was wurde aus den zehn Stämmen seit der Verschleppung durch Salmanasser, König von Assyrien (721 v.Chr.)? Verschwunden! Wohin? In welche Länder? Unter welche Völker? Absolute Dunkelheit! Es fehlt nicht an Nachforschungen; wie oft rechnete man mit Erfolg, aber die Hoffnung wurde immer enttäuscht. Nicht einmal in China, auch nicht in den Ländern, von denen Gott gesagt hat, dass Er sie heraushole, fand man die geringste Spur.
Aber Gott weiß, wo sie versteckt sind; Er sieht sie und wird sie finden; dies genügt uns.
Biblische Beweise
Die Wiederherstellung der zehn Stämme Israels, die am Ende der Zeiten in ihr Erbe eintreten werden, können wir in sehr vielen Passagen der Bibel finden. Wir werden nur einige davon erwähnen.
Der Prophet Jeremia spricht von Ephraim und Israel, wenn die zehn Stämme gemeint sind: „Du wirst wieder Weinberge pflanzen auf den Bergen Samarias … Denn es wird einen Tag geben, an dem die Wächter auf dem Gebirge Ephraim rufen werden: Macht euch auf und lasst uns nach Zion hinaufziehen zu dem HERRN, unserem Gott! Rette dein Volk, HERR, den Überrest Israels! Siehe, ich bringe sie aus dem Land des Nordens und sammle sie vom äußersten Ende der Erde, … in großer Versammlung kehren sie hierher zurück. Mit Weinen kommen sie und unter Flehen leite ich sie; ich führe sie zu Wasserbächen auf einem ebenen Weg, auf dem sie nicht straucheln werden. Denn ich bin Israel zum Vater geworden, und Ephraim ist mein Erstgeborener“ (Jer 31,5-9). „Und es gibt Hoffnung für dein Ende {o. deine Zukunft}, spricht der HERR“ – zu Rahel, Josephs Mutter – „und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren“ (Jer 31,17). „Wohl habe ich Ephraim klagen hören: Du hast mich gezüchtigt, und ich bin gezüchtigt worden wie ein nicht ans Joch gewöhntes Kalb; bekehre mich, damit ich mich bekehre, denn du bist der HERR, mein Gott“ (Jer 31,18). Die Verse Jeremia 31,21-26 zeigen die Wiederherstellung der Gefangenen Judas; dann die Wiedervereinigung Israels mit dem Haus Juda und den neuen Bund mit dem ganzen Volk.
In Jesaja 49 sagt der HERR zum Messias: „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen.“ Dann kommt die bewegende Beschreibung der Rückkehr zu ihrem Erbreich: „Siehe, diese werden von fern her kommen, und siehe, diese von Norden und von Westen, und diese aus dem Land der Siniter“ (Jes 49,6-13.22-26).
Hesekiel 20,34-38 beschreibt die Rückkehr der zehn Stämme, die ganz anders geschieht als die von Juda, das in seinem Land gerichtet wird, im Gegensatz zu den Rebellischen von Israel, die auf dem Weg gerichtet werden so wie damals das Volk, das von Ägypten in die Wüste kam und nicht in das gelobte Land einziehen konnte.
In Hesekiel 37 wird uns ein frappantes Bild gezeigt von der zukünftigen, nationalen Auferstehung des Volkes Gottes: „Diese Gebeine sind das ganze Haus Israel“ (Hes 37,11), also auch die zehn Stämme, das heißt Ephraim, das Gott von überall her versammelt und in sein Land führt, damit Juda und Joseph nur noch ein Volk bilden (Hes 37,16.17.21.22).
In Sacharja 10 wird uns gesagt: „Ich werde das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten und werde sie wohnen lassen … Und Ephraim wird sein wie ein Held … Ich will sie herbeizischen und sie sammeln … Ich werde sie zurückführen aus dem Land Ägypten, und sie sammeln aus Assyrien und sie ins Land Gilead und auf den Libanon bringen; und es wird nicht Raum genug für sie gefunden werden“ (Sach 10,6-10).
Wir wollen diese Zitate beenden mit der bemerkenswerten Stelle aus Jesaja 11, die uns als
Übergang dient für das Wiedererscheinen Edoms auf der prophetischen Szene zur Endzeit. In Jesaja 11,1-10 finden wir das Bild des Messias, der in der Fülle des Geistes Gottes sein tausendjähriges Friedensreich auf Erden antritt: „Es wird geschehen an jenem Tag, da wird der HERR noch ein zweites Mal seine Hand ausstrecken, um den Überrest seines Volkes, der übrigbleiben wird, loszukaufen aus Assyrien und aus Ägypten und aus Patros und aus Äthiopien und aus Elam und aus Sinear und aus Hamat und von den Inseln des Meeres. Und er wird den Nationen ein Banner erheben und die Vertriebenen Israels zusammenbringen, und die Verstreuten Judas wird er sammeln von den vier Enden der Erde“ (Jes 11,11.12). So werden die zwei Nationen vereint sein wie zu Beginn ihrer Geschichte: „Der Neid Ephraims wird weichen, und die Bedränger Judas werden ausgerottet werden“ (Jes 11,13). Dies ist also eine Szene der Zukunft. Aber mit dem Erwachen Judas und der zehn Stämme und ihrer Vereinigung sind ihre einstigen Gegner auch erwacht: „Sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen nach Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein“ (Jes 11,14).
Ankündigung der Wiederherstellung Edoms
Dieser Abschnitt führt uns zur Wiedererscheinung Edoms in der letzten Zeit; dazu folgende Bibelstellen:
4. Mose 24,17.18: Bileam kündet an: „Ein Stern tritt hervor aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel.“
Diese Prophezeiung hätte sich – nach Matthäus 2,2.7-10 – erfüllt, wenn das Volk seinen Messias nicht gekreuzigt hätte. Sie wird sich aber später erfüllen, wenn der einst verworfene Christus sich dem Volk Israel wieder zuwenden und sein Reich auf Erden einnehmen wird. Dann wird geschehen, was weiter gesagt wird (4Mo 24,17.18): „Ein Zepter … zerschlägt die Seiten (o. Schläfen) Moabs und zerschmettert alle Söhne des Getümmels. Und Edom wird ein Besitz sein und Seir ein Besitz, sie, seine Feinde; und Israel wird Mächtiges tun.“ Solches ist bis heute nicht geschehen. Das Zepter Christi hat sich bis jetzt noch nicht erhoben; Israel hat noch nicht Mächtiges getan und hat sich Edoms noch nicht bemächtigt. So muss also Edom wieder in Erscheinung treten, um in die Hände Israels zu fallen.
Psalm 108,7-11: Dieses Triumphlied kann man gut sowohl dem Messias als auch dem wiederhergestellten und völlig wiedervereinten Israel zuordnen. Der Psalmist ruft aus (Ps 108,10): „Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, über Philistäa will ich jauchzen …, wer wird mich bis nach Edom leiten?“ Die Antwort ist: Der HERR wird es sein, der das Volk verworfen hatte und mit den Heerscharen des Volkes nicht ausgezogen war. Bei der Wiederherstellung Israels – nach seiner langen, noch heute bestehenden Verwerfung – wird das Volk Gottes Edom sowie alle Nachbarländer erobern.
Psalm 83,6-8: Wie übrigens alle Psalmen, ist auch dieser prophetisch. Der Zusammenschluss der Völker, von dem hier die Rede ist und bei dem Edom die Führung übernehmen wollte, fand nie statt.1 Diese Koalition, deren Ziel ist, „die Wohnungen Gottes zu erobern“ (Ps 83,13), wird von Edom angeführt. Assur schließt sich ihnen an, mehr als dass er sie anführt, denn dieser Assyrer der Endzeit scheint nicht persönlich die Attacke gegen Jerusalem zu leiten, die erste zukünftige Belagerung dieser Stadt; der Assyrer wartet bis zur endgültigen Invasion bei seiner Rückkehr aus Ägypten, und dann wird er zu seinem Ende kommen (Dan 11,45). Nichts Ähnliches, was die erste Belagerung betrifft, hat je in der Geschichte stattgefunden. Wir haben dies an anderer Stelle bereits erklärt.2 Was wir hier festhalten wollen, ist, dass am Ende der Zeiten Edom wieder auftreten wird zusammen mit Nationen, die heute zerstört sind wie es selbst, um Jerusalem zu erobern; denn außer der Gegenwart Edoms hat die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar keinerlei Zusammenhang mit dem hier Gesagten.
Jesaja 34,1-8: „Der Zorn des HERRN ergeht gegen alle Nationen, und sein Grimm gegen ihr ganzes Heer.“
Es ist die Endzeit, das Gericht, das der Herrschaft Jesu vorangeht (vgl. Jes 34,4 mit Off 6,13.14); es ist im Besonderen das Schwert, das auf Edom fällt und „das Opfer von Bozra“, die Zerstörung des Heeres des großen westlichen Staatenbundes in Edom, eine Umgestaltung in den Zustand wie den beschrieben in 1. Mose 1 (vgl. Jes 34,11 mit 1Mo 1,2).
Jesaja 63,1: „Wer ist dieser, der von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern, dieser, prächtig in seinem Gewand, der einherzieht in der Größe seiner Kraft? – Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten.“
Das sagt der Messias, der von Edom, von Bozra herkommt. Er ist es, der Vergeltung übt: „Von den Völkern war niemand bei mir“ (Jes 63,3). (Bemerkung: Nur Israel ist davon ausgeschlossen.) Könnte diese Stelle etwa verglichen werden mit etwas aus der Vergangenheit Edoms? Die Gerichte über diese Nation wurden immer „durch die Völker“ vollzogen; hier sind sie durch den HERRN selbst geschehen. Diese Szene geistlich zu deuten, zeigt nur die Unfähigkeit, sich einfach von Gottes Wort unterweisen zu lassen. Wenn zur Endzeit der HERR das schreckliche Gericht vollstrecken und die Zügel des Königreiches in seine Hände nehmen wird, wird Edom wieder da sein.
Jeremia 49,7: In Jeremia 48,47 spricht der HERR: „Aber ich werde die Gefangenschaft Moabs wenden am Ende der Tage.“
Das Gleiche wird über die Kinder Ammon gesagt in Jeremia 49,6. Aber Edom wird keine Nachlese haben, denn wie wir in Obadja sehen werden, heißt es von Edom: „Das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben“ (Obad 1,18). So werden also die drei Völker existieren für das Gericht am Ende der Zeiten, jedoch werden die beiden ersten nicht vollständig ausgetilgt werden; nur für Esau trifft dies zu.
Klagelieder 4,21.22: Die Tochter Edom wird den Becher trinken und ihre Schuld wird aufgedeckt, wenn die Schuld der Tochter Zion zu Ende sein wird. Diese beiden Ereignisse sind gleichzeitig, und man müsste blind sein, um nicht zu erkennen, dass es sich um Zukünftiges handelt und dass Jerusalem noch heute seine Schuld trägt und von den Füßen der Völker zertreten wird.
Hesekiel 25,12-24: Ammon und Moab werden den Söhnen des Ostens ausgeliefert werden (wie wir in ihrer vergangenen Geschichte sahen). Edom dagegen, der sich am Haus Juda grausam gerächt hat und äußerst schuldig geworden ist, wird durch die Hand Israels unter die Vergeltung des HERRN fallen. Da diese Ereignisse unmöglich vergangener Geschichte zuzuordnen sind, schreiben gewisse Bibelausleger zu dieser Prophezeiung: „In der Endzeit wird man die Kraft des Paganismus zusammenbrechen sehen, versinnbildlicht durch Edom, unter der Herrschaft des Christus aus Juda.“ (!) Solch eine Bibelauslegung verurteilt sich selbst. In Jesaja 34 und 63 kann man sehen, wie der HERR, ohne jegliches Mitwirken der Nationen, an den vereinten Heeren in Edom Rache übt. Jedoch wird es ganz anders sein, als Er dies in der Vergangenheit getan hatte. Er wird dann Israel benutzen, um sich an Edom zu rächen.
Hesekiel 35 ist besonders interessant für unser Thema: das Wiedererscheinen Edoms in der Endzeit. Hier handelt es sich um die „Zeit der Gesetzlosigkeit der letzten Tage“, wenn die Kinder Israel „der Gewalt des Schwertes“ preisgegeben sein werden, „zur Zeit ihrer Not“ (Hes 35,5). So belehrt uns die Prophezeiung über die Apostasie der in ihr Land zurückgekehrten Juden in der Endzeit und die dort unter die Herrschaft des Antichristen kommen werden. Dann wird Edom, wie wir in Psalm 83 sehen, sich an die Spitze des Völkerbundes begeben, begünstigt von dem zukünftigen Assyrer, um von den „Wohnungen Gottes“ Besitz zu ergreifen (Ps 83,13). So sagt Edom: „Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen“ (Hes 35,10); „Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben!“ (Hes 35,12). Wir wissen auch, dass bei diesem letzten Kraftakt der Feinde Israels der HERR wie ein Vorgeschmack seiner kommenden Herrschaft dem schwachen Rest Jerusalems seine Herrlichkeit zeigen wird (Sach 14,4). So sagt der Prophet Hesekiel zu Edom: „Weil du sprachst: ,Die beiden Nationen und die beiden Länder sollen mein sein …, da doch der HERR dort war“ (Hes 35,10). Dies verdoppelt die fortwährende Schuld Edoms und deshalb wird es für immer zerstört werden: „Wenn die ganze Erde sich freut, werde ich dir Verwüstung bereiten“ (Hes 35,14).
Daniel 11,41: Wenn der König des Nordens, der Assyrer der Zukunft, in Israel einfallen und mit Ägypten (dem König des Südens) im Konflikt sein wird, werden „Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ seiner Hand entrinnen. Diese Prophezeiung betrifft keinesfalls heutige Ereignisse. Es genügt, sie hier zu zitieren ohne weitere Erklärungen. Wir wollen beweisen, dass diese Nationen existieren werden bei der Zerstörung des Assyrers, dem letzten Akt vor dem Aufrichten der Herrschaft Christi (Dan 11,45). Dies wird einer problematischen Expedition des Antiochus Epiphanes gegen Ptolemäus Philometor zugeordnet – von den Theologen, die in der Prophetie einzig die Erfüllung geschichtlicher Ereignisse sehen.
Joel, dessen Prophezeiungen nur den „Tag des HERRN“ – die Endzeit – behandeln, sagt: „Edom wird zu einer öden Wüste werden wegen der Gewalttat an den Kindern Judas, weil sie in ihrem Land unschuldiges Blut vergossen haben. Aber Juda soll in Ewigkeit bewohnt werden und Jerusalem von Geschlecht zu Geschlecht“ (Joel 4,19.20). Diese prophetische Vision betrifft die Errichtung der Königsherrschaft, die dem nationalen Gericht der Völker im Tal Josaphat folgen wird.
Maleachi 1,3-5: Hier kommen wir zum Ende der Geschichte Edoms. Wenn alle Versuche Gottes, es zurückzuführen, nur seinen Hass geschürt haben, sagt der HERR: „Esau aber habe ich gehasst.“ Dann wird Gott Edom endgültig richten. In seiner immerwährenden Rebellion ruft Edom aus: „Wir sind zerschmettert, werden aber die Trümmer wieder aufbauen.“ Dann wird die Geduld Gottes endgültig zu Ende sein und Er sagt durch den letzten der Propheten: „Sie werden bauen, ich aber werde niederreißen“ (Mal 1,4).
Die göttliche Inspiration der Schrift
All diese zitierten Stellen haben vielleicht die Geduld unserer Leser strapaziert, aber sie waren notwendig, um die zukünftige Wiedererstehung Edoms nachdrücklich zu beweisen. Die prophetischen Ereignisse sind gebunden an das Prinzip der Wiedererstehung der seit langer Zeit verschwundenen Nationen am Ende der Zeit. Mögen diese Erläuterungen genügen, um ein ganzes Interpretationssystem von Prophezeiungen zu zerstören: Es verfälscht das Wort Gottes, anerkennt nicht seine Autorität, spricht ihm jegliche Tragweite ab bezüglich der Endzeitereignisse und dient nur dazu, die Augen abzuwenden von Christus und seiner Herrlichkeit, indem es die Prophezeiungen interpretiert als vergangene Begebenheiten ohne moralische Bedeutung für Herz und Gewissen.
Ich richte diese Zeilen an meine Brüder in Christus, die dem Einfluss dieser Denkweise ausgesetzt sind – nicht an rationalistische, ungläubige Gelehrte. Ich bitte die Brüder eindringlich, zu vergessen, was sie von dieser [falschen] Theologie gelernt haben, und zurückzukommen zur Einfachheit des Glaubens an die absolute Autorität der Bibel. Wenn sie klar sehen in Dingen, die wir hier behandeln und die als zweitrangig erscheinen, werden sie auch offene Augen haben für wichtigere Dinge. Sie werden die Gefahr ermessen können, die die bibelkritische Schule bringt. Leider gibt es unter ihnen bereits Bedeutende, die sich nicht scheuen, sich damit zu brüsten, dass „in den theologischen Kreisen die wörtliche Inspiration bereits eines natürlichen Todes gestorben“ sei (Die Bezeichnung „wörtlich“ ist nur „Augenwischerei“.). Wir antworten diesen Brüdern, dass, nachdem sie die uneingeschränkte Inspiration der Schrift verlassen haben, sie mit all ihrer Frömmigkeit nicht fähig sind, den Angriffen des modernen Unglaubens wirksam zu begegnen. Darüber beklagen sie sich; jedoch wenn auf solche Weise die Klinge ihres Schwertes, das Wort Gottes, stumpf geworden ist, anstatt zweischneidig zu sein, ist es nur noch eine unnütze Waffe.
Obadjas Themen
Nach diesem sehr langen Vorwort können wir die Auslegung des Propheten Obadja in Angriff nehmen. Die Einleitung ist wie ein Bild, dem Rahmen angepasst, über das Geschick Edoms zur letzten Zeit. Wenn wir vieles vorausgenommen haben von dem, was es noch zu sagen gibt, so werden die Verse aus dem Buch Obadja uns in mancherlei Hinsicht erlauben, das Gesagte zu prüfen.
Obadjas Thema sind die Gerichte über Edom und die Nationen. Wir wollen die bedeutende Wichtigkeit dieser Gerichte für die Zukunft Israels nicht vergessen. Wenn die Gemeinde heute durch Gnade gerettet ist, so wird Israel in der Zukunft durch Gerichte befreit. Deshalb stehen in den Psalmen so oft flehentliche Gebete für den treuen Überrest Israels.
Die von den Propheten immer wieder erwähnten Analogien zwischen den Gerichten der Vergangenheit und denen der Zukunft helfen, die Art der letzteren besser zu verstehen. Die zukünftigen Gerichte lenken unsere Blicke immer auf die Person des Richters. Der Überrest Israels wird in IHM den gütigen Menschen erkennen, den sie verworfen haben: das Lamm Gottes, das für die Sünden seines Volkes dahingegeben worden ist. Mit welchem Entzücken werden dann die Treuen in dieser erhabenen Person die Majestät und die Gnade, die Güte und die Gerechtigkeit erkennen: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit. Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät! Und in deiner Majestät zieh glücklich hin um der Wahrheit und der Sanftmut und der Gerechtigkeit willen; und Furchtbares wird dich lehren deine Rechte. Deine Pfeile sind scharf – Völker fallen unter dir –, sie dringen den Feinden des Königs ins Herz“ (Ps 45,3-6).
Teil 3: Obadja 1-21
Obadja und Jeremia
Obad 1: Gesicht Obadjas. So spricht der Herr, HERR, über Edom: Eine Kunde haben wir von dem HERRN gehört, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt worden: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“
Gottes Wort sagt uns nichts über die Person des Propheten Obadja, auch nicht über den genauen Zeitpunkt seiner Prophetie; alle Vermutungen sind nutzlos und dienen auch nicht der seelischen Erbauung. Was uns Gott offenbart, daran wollen wir festhalten und nicht müde werden, diese elementare Wahrheit zu wiederholen, weil sie oft nicht verstanden wird. Wenn die Kinder Gottes dies praktizieren, werden sie davor bewahrt, ihre eigenen Gedanken in Gottes Wort zu bringen, anstatt sich von Gottes Wort belehren zu lassen. Was hielte man von einem Menschen, der meint, das Wasser in einem See zu vermehren, indem er einen Krug voll Wasser hineinleert? Wäre es nicht klüger, seinen Krug damit zu füllen? Können unsere eigenen Gedanken die Heilige Schrift etwa bereichern? Dass der Prophet Obadja, gleich wie Jeremia, am Ende des Reiches von Juda gewirkt hat, wird von den Christen nicht bezweifelt, die sich leiten lassen vom „Geist der Besonnenheit“ (2Tim 1,7).
Man vergleiche nur das Gericht an Edom in Jeremia 49,7-22, mit der Prophetie Obadjas, die die endgültige Vernichtung dieser Nation betrifft. Jeremia benutzt ungefähr dieselben Worte wie unser Prophet: „Eine Kunde habe ich vernommen von dem HERRN, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt: Versammelt euch und kommt über es und macht euch auf zum Kampf!“ (Jer 49,14). In Bezug auf diese und ähnliche Analogien, die wir im Laufe unserer Betrachtung noch sehen werden, befleißigen sich Kommentatoren, herauszufinden, wer wen kopiert habe! Hinter solchen unnützen Fragen kann man unschwer einen kritischen Geist erkennen, der der vollkommenen Inspiration der Heiligen Schrift feindlich gegenübersteht. Zugegeben, eine Kopie ist nicht unmöglich, aber gibt es denn nur diese Alternative, um die Analogien zu erklären? Diese Kommentatoren stellen dieselbe Frage bezüglich der Synopsis der Evangelien; doch wozu haben diese Versuche geführt? Der menschliche Geist reibt sich dabei auf und wird mehr und mehr verwirrt. Der gläubige Christ hingegen ist überzeugt, dass Gott zu ihm spricht, sowohl durch Jeremia als auch durch Obadja, und dass er einfach die in den prophetischen Schriften enthaltene besondere Unterweisung annehmen kann.
Bei Jeremia gibt es ein Merkmal, das man bei Obadja nicht findet. Jeremia sagt die unmittelbar bevorstehende Zerstörung Jerusalems voraus, dann die der Nationen durch Nebukadnezar (Jer 46-49) und schließlich die Zerstörung dieses großen Königreichs durch den HERRN selbst (Jer 50). Er nennt auch die Werkzeuge, nämlich die Meder, durch die Gott das geschichtliche Ende dieser starken Macht [des babylonischen Weltreichs] herbeiführen wird (Jer 51). Der Prophet Daniel hat einen anderen Gesichtspunkt: Er beschreibt nacheinander die Geschichte der vier großen Weltreiche, solange die Macht den Nationen gegeben wird; jedoch betont er den gleichzeitigen Fall dieser Weltreiche, um dem Reich Platz zu machen, das „in Ewigkeit nicht zerstört … werden wird“ (Dan 2).
Dies ist der zweite Unterschied bei Jeremia. Für ihn ist das Los all dieser Reiche von Anfang an beschlossen durch den Fall Babylons, weil es die von Gott erhaltene Macht missbrauchte zur Selbsterhöhung und unaufhörlicher Steigerung des Götzendienstes. Aber Babylon ist es, das bis zu seinem eigenen Fall das Gericht an allen Nationen ausüben wird. Von dem Moment seines historischen Untergangs an führt uns der Prophet hinweg über alle dazwischenliegenden Jahrhunderte bis hin zu den Ereignissen der letzten Tage. So sagt uns Jeremia, nachdem er den Untergang Ägyptens durch Nebukadnezar beschreibt:„Danach aber soll es bewohnt werden wie in den Tagen der Vorzeit, spricht der HERR“ (Jer 46,26); so fügt er noch bei, nach der Vernichtung Moabs durch denselben Monarchen: „Aber ich werde die Gefangenschaft Moabs wenden am Ende der Tage, spricht der HERR“ (Jer 48,47); ebenso für Ammon: „Und danach werde ich die Gefangenschaft der Kinder Ammon wenden“ (Jer 49,6). Und schließlich sagt Er in Bezug auf Elam, zerstört vom selben Schwert Babylons: „Und es wird geschehen am Ende der Tage, da werde ich die Gefangenschaft Elams wenden“ (Jer 49,39).
Das Endurteil über Edom
Bei Edom verhält es sich nicht so (Jer 49,7-22). Nie wird es wiederhergestellt werden; dies ist sein definitives Urteil. Indem sein Gericht beschrieben wird durch Nebukadnezar, der„… wie der Adler fliegt … und breitet seine Flügel aus über Moab“ (vgl. Jer 48,40), zeigt uns Gottes Geist die Ereignisse der Endzeit, die den Fall Edoms begleiten. Daher rührt die auffallende Analogie zwischen Jeremia und Obadja. In beiden Fällen, in der Vergangenheit wie auch in der Endzeit, wird das Ende Edoms – sein Sturz ohne Möglichkeit einer Wiederherstellung – verursacht durch seine ehemaligen Verbündeten; durch die Nationen, die sich gegen es in seinem Land vereinigt haben; durch Gott selbst, wenn ich folgende Stelle richtig interpretiere: „Siehe, er steigt herauf, wie ein Löwe von der Pracht des Jordan“ (Jer 49,19; vgl. Jer 50,44), Aussprüche, die wir parallel bei beiden Propheten finden; und schließlich durch das Volk Israel, eine Tatsache, die wir nicht in Jeremia finden, jedoch in Obadja.
Edom und andere Völker
Wir wollen nun sehen, auf welche Umstände der erste Vers in Obadja sich bezieht. Kein einziges geschichtliches Ereignis passt zu dem, was wir hier lesen. Wie wir bereits bei der Betrachtung der Zukunft Edoms sahen, spricht der Psalm 83 von einer zukünftigen Vereinigung der Völker, die das Territorium Israels umgeben, mit Edom an ihrer Spitze. Der Assyrer der Zukunft, der von den Propheten erwähnte Gog (Hes 38-39), unterstützt und begünstigt das Komplott (wenn auch nicht in eigener Person), das die Vernichtung des Volkes Gottes zum Ziel hat. „Sie sprechen: Kommt und lasst uns sie vertilgen, damit sie keine Nation mehr seien, damit nicht mehr gedacht werde des Namens Israels! … Weil sie gesagt haben: Lasst uns in Besitz nehmen die Wohnungen Gottes!“ (Ps 83,5.13). In diesen letzten Tagen wird das in sein Land zurückgekehrte Volk Israel zum Objekt der Begehrlichkeit aller Nationen werden.
Der König des Nordens, das Haupt des assyrischen Staatenbundes – mit anderen Worten Gog oder Russland –, wird sich dieser Vereinigung bedienen, um seinen Plan gegen Jerusalem auszuführen. Edom und seine Verbündeten scheinen sich dazu zu bekennen: „Sie sind den Söhnen Lots zu einem Arm geworden“ (Ps 83,9), das heißt für Ammon und Moab, die anscheinend dieselben Interessen haben und sich zu dieser gemeinsamen Aggression bekennen. Aber das von Ehrgeiz und Hass verzehrte Edom nimmt sich vor, selbst die Hand auf das Erbe des HERRN zu legen. Es sagt: „Die beiden Nationen (Juda und Israel) und die beiden Länder sollen mein sein, und wir werden es in Besitz nehmen.“ Von den Bergen Israels sagt Edom: „Sie sind verwüstet, uns sind sie zur Speise gegeben!“ (Hes 35,10.12). Die erste Belagerung Jerusalems und das teilweise Resultat (Sach 14,1.2) scheint der Sache Edoms Recht zu geben. Zu diesem Zeitpunkt reagieren die vereinten Nationen auf seine ehrgeizigen Ansprüche und entlarven sie. „Eine Kunde haben wir von dem HERRN gehört.“ Der HERR wird, nach den Worten Sacharjas, „Jerusalem zu einer Taumelschale für alle Völker ringsum [machen]“ und „zu einem Laststein für alle Völker“ (Sach 12,2.3). Die Verbündeten Edoms senden einen „Boten unter die Nationen“, um sie anzuwerben, gegen Edom in den Krieg zu ziehen, und sichern ihnen ihre Unterstützung zu: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ Was für Nationen sind das? Aus den Prophetien wissen wir, dass der Assyrer der Endzeit, nachdem er Palästina erobert hat, die Absicht hat, es sich zu unterwerfen. Das abtrünnige Volk der Juden des Antichristen schließt einen Pakt mit dem Westreich – das Tier und die zehn Könige –, um dieser Invasion entgegenzutreten (Jes 28,14-22).
Inzwischen wird der Assyrer wie ein Unwetter Ägypten überfallen, jedoch zuerst in Palästina, „dem Land der Zierde“, einfallen: „Diese aber werden seiner Hand entkommen: Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ (Dan 11,41). Diese drei Nationen, die ihm entrinnen, sind genau diejenigen, die ihre eigenen Interessen verfolgen zum Nachteil des Assyrers und die seine Absichten bezüglich des heiligen Landes vereiteln wollen. Aber wie wir sehen, hält ihr Übereinkommen nicht lange. Alles kehrt sich gegen Edom, das an ihrer Spitze stand. Um der drohenden Gefahr auszuweichen, in die sein Ehrgeiz sie geführt hat, suchen sie Unterstützung bei den Nationen und bieten ihnen ihre Beteiligung an: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ Scheinbar gelingt dieser Plan.