Behandelter Abschnitt Pred 11,1-8
Einleitung
Dieses Kapitel fährt, allerdings unter anderen Gesichtspunkten, mit den Belehrungen des vorhergehenden fort. Es zeigt uns, wie sich ein Kind der Weisheit angesichts der ihm verborgenen Wege der göttlichen Vorsehung verhalten soll. Wasser, Wolken, Wind und Licht (Verse 1–3, 4, 7), die dem Einfluß des Menschen entzogen sind, und deren Richtung er nicht kennt, veranschaulichen diese Wege. Daher hören wir immer wieder die Worte: „Du weißt nicht“ (Verse 2,5,6), aber dieses Kapitel endet mit dem einzigen Wissen, das der Jüngling nötig hat (Vers 9).
Der Geist, der dieses Kapitel beseelt, stimmt mit dem Grundgedanken dieses Buches völlig überein: Der Mensch, dessen Sinne die rätselvollen Naturerscheinungen wahrnehmen, ist unfähig, ihren Ursprung zu erkennen, und stößt auf Schritt und Tritt auf Geheimnisse, die auch dem größten Verstand verschlossen bleiben, solange Gott sie ihm nicht kundtut.
Wie wir auch an anderen Stellen dieses Buches sahen, so beschränken sich auch die Sprüche dieses Kapitels nicht auf die Feststellung äußerer Tatsachen, sondern sie enthalten einen tiefen geistlichen und für alle Zeiten gültigen Sinn, den allein der Geist Gottes uns offenbaren kann. Ihn nur auf die Zeit und die Umstände Salomos zu beschränken, hieße den Zweck und den Charakter des Wortes Gottes verkennen.
Verse 1–8
Wie im Anfang des 7. Kapitels, gibt es auch hier sieben Ermahnungen für den Sohn der Weisheit, eine vollkommene Unterweisung über diesen besonderen Gegenstand, der nichts hinzuzufügen ist.
„Wirf dein Brot hin auf die Fläche der Wasser, denn nach vielen Tagen wirst du es finden.“
Das Kind der Weisheit soll ohne Unterschied und scheinbar zwecklos sein eigenes Brot, das, was ihm zur Nahrung dient, auf die Fläche der Wasser streuen. Diese scheinen der am wenigsten geeignete Ort dafür zu sein, und man könnte glauben, daß der Weise, wenn er so handelt, sein Brot verloren hätte. Es ist augenscheinlich, daß diese Stelle auf das Ausstreuen des Wortes Gottes Bezug hat.
Der aufgewühlte Zustand der Welt scheint nicht geeignet, das Wort Gottes aufzunehmen, und die absolute Ungewißheit über den Ort, wohin die Wasser es tragen werden, könnte uns veranlassen, es nicht aufs Geratewohl zu verbreiten. Aber was wir zu tun haben, ist, daß wir uns der göttlichen Vorsehung anvertrauen, einem Willen, der seinen Zweck und sein Ziel verfolgt, ohne danach zu fragen, ob w i r sie kennen. Sie will, daß wir das Wort des Lebens ausstreuen, ohne zu überlegen. Nach vielen Tagen werden wir für unseren Gehorsam belohnt werden und erkennen, wozu Gott es bestimmt hatte.
Wir werden dann wiederfinden, was wir einst Dem anvertrauten, der Sein Wort am richtigen Ort wird landen lassen. Wie immer, so überschreitet auch hier der Prediger nicht eine irdisch begrenzte Zeit, indem er sagt: „Nach vielen Tagen.“ Wir aber können weiter rechnen, denn wir ernten in der Ewigkeit die Frucht des in dieser Welt auf die Oberfläche der Wasser ausgestreuten Wortes. So war auch Paulus gewiß, die Frucht seiner Arbeit bei der Ankunft des Herrn Jesus zu ernten. Wie dem auch sei, wir haben hier das Ergebnis des Vertrauens zu der Vorsehung Gottes; denn wie würden wir das wiederfinden, was wir auf die Wasser gestreut haben, wenn Gott es nicht zurückbrächte?
„Gib einen Teil an sieben, ja, sogar an acht, denn du weißt nicht, was für Unglück sich auf der Erde ereignen wird.“
Wenn dagegen wir selbst den Menschen in Kenntnis ihrer Bedürfnisse ihre Nahrung auszuteilen haben, sollen wir es in freigebiger Weise tun. Sicherlich geht dieses Wort über den materiellen Sinn hinaus, wie auch damals zur Zeit des Herrn bei der Vermehrung der Brote. Sieben, eine vollkommene Zahl, müssen ihren Teil erhalten, und es muß noch für einen achten übrigbleiben. Eine verborgene göttliche Macht allein ist imstande, die Massen zu sättigen und das übrigbleibende noch zur Nahrung für andere zu verwenden. Ein solcher Dienst unsererseits ist nötig, sogar dringend nötig, denn die Zeit ist kurz. Wir wissen nicht, wann die Hungersnot über die Erde kommt; das Gericht steht vor der Tür. Vielleicht ist es näher, als wir annehmen, und dann werden die, die ihren Teil nicht bekommen haben, zum Umkommen verurteilt sein.
Wenn der Weise, wie wir soeben sahen, ermahnt wird, seine Hilfsmittel unterschiedslos in den Dienst aller zu stellen, so belehrt die Weisheit ihn auch, daß das Werk der Gnade ganz von Gott abhängt.
„Wenn die Wolken voll Regen sind, so entleeren sie sich auf die Erde.“
In Lukas 12,54-55 ist die Wolke, die der Erde den Regen spendet, das Bild der Gnade, wie der Südwind das Bild des Gerichts ist. Trotz aller Eitelkeit, die diese Erde erfüllt, ist die Gnade da. Gott selbst besitzt Gefäße, die Er füllt, Quellen, die Segnungen auf diese Erde ergießen. Welches Werkzeuges sich Gott auch zu diesem Zweck bedient, und welches Gefäß Er sich für die Menschen erwählen mag, so bleibt es doch nicht weniger wahr, daß es ganz und gar Sein Werk ist. Alle Erweckungen sind hierfür der beste Beweis.
„Und wenn ein Baum nach Süden oder nach Norden fällt: an dem Orte, wo der Baum fällt, da bleibt er liegen.“
Jedes Ding hat in den Plänen Gottes seinen Zweck. Mag es auch als reiner Zufall erscheinen, wenn ein Baum nach Süden oder nach Norden fällt, so hat doch ein dem Menschen unbekannter Wille seinem Fall die Richtung gegeben. Diesen Schutz genießt aber nur der, der Nutzen daraus zu ziehen versteht. Der Baum bleibt da liegen, wohin er gefallen ist; wer könnte den Grund sagen? Bei den Wolken ist die Wohltat ersichtlich, aber hier bei dem Baum bleibt die Frage nach dem „Warum“ unbeantwortet.
„Wer auf den Wind achtet, wird nicht säen, und wer auf die Wolken sieht, wird nicht ernten. – Gleichwie du nicht weißt, welches der Weg des Windes ist, wie die Gebeine in dem Leibe der Schwangeren sich bilden, ebenso weißt du das Werk Gottes nicht, der alles wirkt.“ Über Wind und Wolken hat der Mensch keine Gewalt; Gott läßt sie entstehen, denn Er ist es, der alles wirkt. Wir wissen weder den Weg des Windes, noch kennen wir die Geheimnisse der Geburt. Diese Wahrheiten schließen an das im Anfang dieses Kapitels Gesagte an. Jedes Prüfen und Beobachten, um den zum Säen und Ernten günstigsten Augenblick zu erkennen, hieße Zeit der Wirksamkeit verlieren, zu der Gott uns ermahnt. Wie wollten wir, die wir nur Werkzeuge in Seinen Händen sind, zu behaupten wagen, daß wir Wind und Wolken gebieten könnten! „Der Wind weht, wo er will“, sagt der Herr, „und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt, und wohin er geht; also ist jeder, der aus dem Geiste geboren ist.“ Wir wissen „das Werk Gottes nicht, der alles wirkt“, aber das darf uns nicht hindern, weder zu säen noch zu ernten, „Am Morgen säe deinen Samen, und des Abends ziehe deine Hand nicht ab; denn du weißt nicht, welches gedeihen wird: ob dieses oder jenes, oder ob beides zugleich gut werden wird.“
Dieser Vers steht in engem Zusammenhang mit dem vorhergehenden. Wir müssen morgens und abends, zu ganz entgegengesetzten Zeiten, ohne Unterschied der. Stunde, säen. Das eine oder das andere – wer weiß es, außer Gott? –, vielleicht sogar beides wird die erhoffte Ernte hervorbringen. Man zeigt keinen Mangel an Einsicht, wenn man so handelt, sondern kindliches Vertrauen zur Führung der göttlichen Vorsehung und Abhängigkeit von dem Werk der Gnade.
„Und süß ist das Licht, und wohltuend den Augen, die Sonne zu sehen. Denn wenn der Mensch auch viele Jahre lebt, möge er in ihnen allen sich freuen und der Tage der Finsternis gedenken, daß ihrer viele sein werden: alles was kommt, ist Eitelkeit.“
Es gibt in dieser Welt angenehme Dinge, und der Prediger ist weit davon entfernt, dies zu leugnen. Man kann sich des Lichtes freuen, das sie uns sehen und schätzen läßt. Aber mit zunehmendem Alter erkennt man, daß die Vergangenheit uns viele „Tage der Finsternis“ brachte. Man überblickt so sein Leben, dessen letztes Wort „Eitelkeit“ ist. Das ist eine nutzlose Sache, denn nichts hat Bestand, nichts geht vorüber, ohne Spuren zu hinterlassen, was nicht schließlich der Vergangenheit anheimfiele. Dieser Gedanke führt uns zum folgenden Vers.