Behandelter Abschnitt Hag 1,2-6
Der göttliche Vorwurf: V. 2–6
Bemerken wir zuallererst, das es der Herr des Universums ist, der sich hier an die rebellische Nation wendet: „der Herr der Heerscharen“, wobei sowohl die irdischen als auch die himmlischen Heere (Engel, Sterne) gemeint sind4. Dies ist der Name der Beziehung Gottes mit seinem Volk, welcher die Macht und Souveränität über alle Geschöpfe und alle Dinge beschreibt. „Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit“ (Ps 24,10). Die erste Nennung dieses Titels erfolgt im Anschluss an die zeitliche Chronologie, die sich auf Darius bezieht (V. 1), um die Herrlichkeit des Herrn herauszustellen. Ebenso ist Christus heute für die Versammlung „Haupt über alles“ (Eph 1,22).
Die Botschaft beginnt mit der Darlegung der Ausrede des Volkes, um seine Gleichgültigkeit bezüglich der Arbeit zu erklären, die Gott ihnen anvertraut hatte: „Dieses Volk spricht: Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, dass das Haus des Herrn gebaut werde“ (Hag 1,2).
Wir machen hier einige Bemerkungen zum Inhalt der Botschaft:
Gott redet sie nicht mit „mein Volk“, sondern mit „dieses Volk“ an, um so seine Miss-billigung (Jer 14,10), ja seine Ablehnung (2Mo 32,7) auszudrücken. Israel wird mit den anderen Völkern gleichgesetzt.
Ihre Ausrede ist schlecht; in Wirklichkeit sind ihre Zuneigungen zu Gott erkaltet. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen. Der Widerstand Persiens5 unter dem Einfluss der Samariter ist der Vorwand, um zu bekräftigen, dass dies wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt ist, um die Arbeit zu vollenden. Diese Worte verbergen auch eine Mischung aus Fatalismus und Angst vor den Feinden (die sie hier nicht erwähnen!), also einen Mangel an Glauben.
Sie zeigen ihre Geringschätzung gegenüber dem Wort Gottes. Durch den Propheten Jesaja hatte Gott lange im Voraus die Geburt Kores‘ und den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem angekündigt.
Der Herr, der sie in das Land zurückgebracht hatte und für ihren Wohlstand gesorgt hatte, hätte ihnen sicherlich den Sieg über ihre Feinde geben und ihnen bei dem Wiederaufbau des Hauses helfen können. Sie waren hierher zurückgeführt worden, um zu bauen!
Wie oft müssen wir erkennen, dass wir heute genauso schlechte Gründe vorbringen, um dem Herrn nicht zu gehorchen!
Gott antwortet, indem er ihnen eine Frage stellt6: „Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern (vgl. Jer 22,14) zu wohnen, während dieses Haus7 wüst liegt?“ (Hag 1,4). Sie hatten gut begonnen. Das Kapitel 3 des Buches Esra gibt davon Zeugnis: „sie richteten den Altar auf an seiner Stätte“ (Esra 3,3). Aber jetzt hat jede Bemühung aufgehört. Der Egoismus und die Suche der eigenen Bequemlichkeit (vgl. Hld 2,9) ersetzen das brennende Verlangen, dass sie das Haus Gottes zu bauen hatten. Sie bewohnen komfortable Häuser, und das Haus Gottes wird vollständig aufgegeben.
David wohnte in einem Haus aus Zedern – ein Baumaterial, das normalerweise königlichen Wohnsitzen vorbehalten war, aber es verlangte ihn vor allen Dingen, einen Tempel für Gott zu bauen (1Chr 17,1).
Die Christen, welche sich auf der Erde einrichten wollen, erfahren nicht den Widerstand der Welt, und sie werden keine Energie des Glaubens benötigen. Für die Arbeit am Bau des Hauses Gottes ist jedoch eine solche Energie notwendig.
So kommt nun zum ersten Mal in diesem Buch8 die an die Söhne Judas gerichtete Ermahnung: „Richtet euer Herz auf eure Wege“ (Hag 1,5; vgl. Ps 119,59). War diese Art zu handeln nutzbringend für sie gewesen? Nein, seit sie aufgehört haben, das Haus Gottes zu bauen, erfahren sie bitteres Leid (vgl. Ps 127,1.2). All ihr Egoismus hat ihnen keinen Gewinn, sondern – ganz im Gegenteil – Verluste eingebracht. Gott hatte den Segen über die materiellen Dinge zurückgehalten, den er seinem irdischen Volk gewöhnlich gewährte.
Sie haben viel gesät, sie bringen wenig ein (Mal 2,3; 5Mo 28,38-40; 3Mo 26,20). Sie haben nicht den erwarteten Ertrag, um ihren Hunger zu stillen und ihren Durst zu löschen.
Ihre Kleidung ist nicht ausreichend. Sie können ihre Körper nicht aufwärmen. Ihre Herzen bleiben auch kalt.
Ihr Lohn, die Frucht ihrer Arbeit, hätte als eine gute Belohnung angesehen werden können, aber letztlich scheint er in einen durchlöcherten Beutel gelegt worden zu sein: der größte Teil war verloren.
Auch wenn all dies zuerst aus der Perspektive der Juden betrachtet werden muss, bleibt für uns der Grundsatz bestehen: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden“ (Mt 6,33). Der Herr soll immer den ersten Platz im Herzen des Gläubigen einnehmen. Wir sollen seine Interessen im Blick haben und ganz ihm geweiht sein. In seiner Gnade trägt er in jeder Hinsicht Sorge für uns. Die Vernachlässigung der Dinge Gottes bringt jedoch immer die gleichen bitteren Enttäuschungen mit sich, nämlich einen ungestillten geistlichen Durst und nicht angefachte geistliche Zuneigungen.
4 Der Ausdruck „(so) spricht der Herr der Heerscharen“ findet sich 13 mal in diesem kleinen Buch.↩︎
5 Bemerken wir, dass in Esra 4,21 der Bau der Stadt und seiner Mauern, nicht aber der Bau des Tempels verboten wird.↩︎
6 In diesem Buch werden sieben Fragen gestellt: Haggai 1,4.9; 2,3 (zweimal).12.13.19.↩︎
7 Man beachte auch die in Verbindung mit dem Haus Gottes verwendeten Artikel bzw. Pronomen „das“, „dieses“ oder „mein“.↩︎
8 Man findet in Haggai fünfmal diesen Aufruf an die Juden, ihr Herz auf etwas zu richten: Haggai 1,5.7; 2,15.18.↩︎