Behandelter Abschnitt 5. Mose 15,7-11
Großzügig geben
Aber das arme Menschenherz ist so wenig fähig, sich zu dieser Höhe zu erheben. Es ist nicht bereit, diesen himmlischen Weg zu betreten und fühlt sich durch seine Selbstsucht beengt und behindert, nach diesem göttlichen Prinzip der Gnade zu handeln. Es fühlt sich nicht heimisch in dieser himmlischen Atmosphäre und ist nicht geneigt, das Gefäß und der Kanal der Gnade zu sein, die in so herrlichem Glanz aus allen Wegen Gottes strahlt. Dies geht deutlich aus den Warnungen der folgenden Verse hervor (Lies V. 7–11). Die geheimen Quellen des selbstsüchtigen Herzens werden hier bloßgelegt und verurteilt. Nichts könnte die verborgenen Wurzeln des Bösen in der menschlichen Natur besser aufdecken als die Gnade. Der Mensch muss in den verborgensten Tiefen seines sittlichen Wesens erneuert werden, ehe er ein Gefäß der göttlichen Liebe sein kann. Selbst solche, die durch die Gnade erneuert worden sind, haben ständig gegen die versteckten und hässlichen Formen der Selbstsucht zu wachen, in die unsere gefallene Natur sich kleidet. Nur die Gnade kann das Herz für die vielfältigen menschlichen Bedürfnisse offen halten. Wir müssen nahe bei der Quelle der göttlichen Liebe bleiben, wenn wir Segenskanäle mitten in der Not und dem Elend sein wollen, die uns umgeben.
Wie liebevoll klingen die Worte: „Du sollst ihm deine Hand weit öffnen!“ (V. 8). Sie atmen himmlische Luft aus. Ein offenes Herz und eine weit geöffnete Hand entsprechen Gottes Wesen. „Einen fröhlichen Geber liebt Gott“ (2Kor 9,7), weil Er selbst einer ist. Er ist ein Gott, „der allen willig gibt und nichts vorwirft“ (Jak 1,5). Er möchte uns gern das Vorrecht schenken, seine Nachahmer zu sein. Eine wunderbare Gnade! Der bloße Gedanke daran erfüllt schon das Herz mit Bewunderung, Liebe und Anbetung. Wir sind nicht nur durch die Gnade errettet, sondern wir stehen auch in der Gnade, leben unter ihrer Herrschaft und atmen ihre Luft. Wir sind berufen, lebendige Zeugen der Gnade zu sein, und zwar nicht nur für unsere Brüder, sondern auch dem ganzen Menschengeschlecht gegenüber. „Also nun, wie wir Gelegenheit haben, lasst uns das Gute wirken gegenüber allen, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens!“ (Gal 6,10).
Diese göttlichen Belehrungen sind wohl wertvoll, aber ihre Werte können nur dann wirklich von uns gefühlt werden, wenn wir sie praktisch verwirklichen. Das menschliche Elend umgibt uns in tausenderlei Formen. Überall finden wir gebrochene Herzen, gebeugte Seelen, unglückliche Familien. Witwen und Waisen begegnen uns täglich auf unseren Wegen. Wie verhalten wir uns ihnen gegenüber? Verhärten wir unsere Herzen und verschließen wir unsere Hände vor ihnen?
Oder suchen wir nach jenem „Erlass des Herrn“ zu handeln? Bedenken wir wohl, dass wir nicht berufen sind, für uns selbst zu leben – das wäre eine traurige Verleugnung aller Charakterzüge und Grundsätze des Christentums, zu dem wir uns bekennen – sondern dass es unser hohes und heiliges Vorrecht, ja, unser ausdrücklicher Auftrag ist, das Licht des Himmels, dem wir angehören, nach allen Seiten hin leuchten zu lassen. Wo wir auch sein mögen, überall sollten wir denen, die mit uns in Kontakt kommen, ein Zeugnis von der Gnade Jesu in Werk und Wort sein. Und wo wir eine Not feststellen, da sollten wir unsere Teilnahme zu erkennen geben, und wäre es auch nur durch ein Wort des Trostes, wenn es nicht in unserer Macht steht, mehr zu tun.
Der Herr gebe, dass wir alle, die wir Christen zu sein bekennen, im täglichen Leben ein Brief Christi sind, gekannt und gelesen von allen Menschen! Dann würde wenigstens der Unglaube eines seiner triftigsten Gründe und Einwürfe gegen das Christentum beraubt werden. Denn nichts bestärkt ihn mehr, als das mit ihrem Bekenntnis im Widerspruch stehende Leben der Christen. Nicht, dass ein solcher Einwand stichhaltig wäre oder vor dem Richterstuhl Christi auch nur erwähnt werden würde, denn jeder wird nach dem Wort Gottes gerichtet werden, selbst wenn kein einziger Christ auf der Erde treu gewesen wäre. Trotzdem sind die Christen verantwortlich, ihr Licht leuchten zu lassen vor den Menschen, damit diese ihre guten Werke sehen und ihren Vater im Himmel preisen. Wir sind verpflichtet, in unserem täglichen Leben die himmlischen Prinzipien, wie sie das Wort Gottes entfaltet, zu offenbaren, um so jeden geringsten Einwand und jedes Argument der Ungläubigen zu entkräften.