Behandelter Abschnitt 5. Mose 9,12-24
Erinnerungen an das goldene Kalb
Bei der Vertreibung der alten und der Einführung der neuen Besitzer ging es also nur um die Ehre Gottes. Israel aber hatte durchaus keinen Grund zur Überheblichkeit, was Mose ihnen klar bezeugte. Er schilderte ihnen wiederholt alle wichtigen Szenen ihrer Geschichte vom Horeb bis Kades-Barnea. Er erinnerte sie an das goldene Kalb, an die zerbrochenen Tafeln des Bundes, an Tabhera, Massa und Kibroth-Hattaawa und fasste schließlich im 24. Vers ihre ganze Geschichte in die tief demütigenden Worte zusammen: „Widerspenstige seid ihr gegen den Herrn gewesen, von dem Tag an, da ich euch kenne.“
So versuchte Mose eindringlich auf Herz und Gewissen des Volkes einzuwirken. Der feierliche Rückblick auf ihre ganze Laufbahn sollte ihnen vor allem jeden falschen Begriff über sich selbst nehmen. Betrachteten sie ihre Geschichte vom richtigen Standpunkt aus, so zeigte sich nur zu deutlich, dass sie ein halsstarriges Volk waren und wiederholt am Rand des Verderbens gestanden hatten. Mit welch einer überwältigenden Kraft mussten daher die Worte in ihre Ohren dringen: „Und der Herr sprach zu mir: Mach dich auf, steige schnell von hier hinab! Denn dein Volk, das du aus Ägypten herausgeführt hast, hat sich verdorben. Sie sind schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen geboten habe; sie haben sich ein gegossenes Bild gemacht.
Und der Herr sprach zu mir und sagte: Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk. Lass ab von mir, damit ich sie vertilge und ihren Namen unter dem Himmel auslösche, und ich will dich zu einer Nation machen, stärker und größer als sie“ (V. 12–14).
Wie vernichtend waren solche Worte für ihren Stolz und ihre Selbstgerechtigkeit! Wie mussten sie im Innersten erschüttert werden, wenn sie hörten: „Lass ab von mir, dass ich sie vertilge!“ Wie überwältigend war der Gedanke, dem Untergang und der Vernichtung so nahe gewesen zu sein!
Wie wenig hatten sie davon gewusst, was sich zwischen dem Herrn und Mose auf dem Gipfel des Horeb zugetragen hatte! Sie hatten am Rand eines furchtbaren Abgrundes gestanden, und der nächste Augenblick hätte sie hinabstürzen können! Die Fürbitte Moses, des Mannes, den sie der Anmaßung beschuldigten, hatte sie gerettet. Er, den sie der Selbstsucht und der Absicht bezichtigt hatten, sich zum Herrscher über sie zu machen, hatte eine ihm von Gott gebotene Gelegenheit ausgeschlagen, das Haupt einer Nation zu werden, die größer und mächtiger war als Israel! Ja, er hatte sogar ernstlich darum gebeten, aus dem Buch Gottes ausgelöscht zu werden, wenn ihnen nicht vergeben werden würde und wenn sie nicht in das Land gebracht werden sollten!
Wie verschwindend klein muss Israel sich diesen wunderbaren Tatsachen gegenüber gefühlt haben! Wenn sie diese Dinge betrachteten, mussten sie einsehen, wie töricht es war, zu denken: „Um meiner Gerechtigkeit willen hat der Herr mich hierher gebracht, dieses Land zu besitzen“. Wie konnten die Anbeter eines gegossenen Bildes so reden? Mussten sie nicht vielmehr anerkennen, dass sie nicht besser waren als die Nationen, die vor ihnen ausgetrieben werden sollten? Was unterschied sie denn von ihnen? Nur die unumschränkte Barmherzigkeit und auserwählende Liebe ihres Bundesgottes. Wem hatten sie ihre Befreiung aus Ägypten, ihre Erhaltung in der Wüste und ihre Einführung in das Land zu verdanken? Ganz allein der ewigen Beständigkeit des mit ihren Vätern gemachten Bundes, der „geordnet in allem und bewahrt“, bestätigt und befestigt wurde durch das Blut des Lammes, kraft dessen ganz Israel einmal in seinem eigenen Land errettet und gesegnet werden wird.