Der Mensch lebt von allem, was aus dem Mund Gottes hervorgeht
„Und er demütigte dich und ließ dich hungern, und er speiste dich mit dem Man, das du nicht kanntest und das deine Väter nicht kannten, um dir kundzutun, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund des Herrn hervorgeht“ (V. 3).
Diese Stelle erhält besonderes Interesse durch die Tatsache, dass sie die erste aus dem fünften Buch Mose ist, auf die sich der Herr während seines Kampfes mit dem Widersacher in der Wüste berief. Warum entnahm Er seine Anführungen gerade diesem Buch? Weil es mehr als alle anderen auf den damaligen Zustand Israels zugeschnitten war. Israel hatte gefehlt, und diese Tatsache wird gerade im fünften Buch Mose vom Anfang bis zum Ende vorausgesetzt. Aber obwohl die Nation gefallen war, war der Weg des Gehorsams für jeden treuen Israeliten klar. Es war das Vorrecht und die Pflicht eines jeden, der Gott liebte, unter allen Umständen und an allen Orten an seinem Wort festzuhalten.
Unser Herr war göttlich treu in Bezug auf die Stellung des Israels Gottes. Israel nach dem Fleisch hatte gefehlt und alles eingebüßt, und Er war in der Wüste als der wahre Israel Gottes, um dem Feind mit der einfachen Autorität des Wortes Gottes zu begegnen. „Jesus aber, voll Heiligen Geistes, kehrte vom Jordan zurück und wurde durch den Geist in der Wüste vierzig Tage umhergeführt und wurde von dem Teufel versucht. Und er aß in jenen Tagen nichts, und als sie vollendet waren, hungerte ihn. Der Teufel aber sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich zu diesem Stein, dass er zu Brot werde. Und Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort Gottes“ (Lk 4,1-4).
Diese Stelle gibt uns reichen Stoff zum Nachdenken. Der vollkommene Mensch, der wahre Israel ist in der Wüste, umgeben von wilden Tieren, und fastet vierzig Tage in Gegenwart des großen Widersachers Gottes, des Menschen und Israels. Bei dem zweiten Menschen war alles anders als bei dem ersten. Dieser sah sich umgeben von all den Freuden Edens, jener befand sich einsam und hungrig in einer Wüste. Er war dort für Gott, und, gepriesen sei sein Name!, auch für den Menschen, um diesem zu zeigen, wie er zu leben und dem Feind in allen seinen Versuchungen zu begegnen habe. Und vergessen wir nicht, dass unser Herr dem Feind hier nicht in seinem Charakter als Gott über alles begegnete.
Zwar war Er Gott, aber wenn Er nur so dem Teufel entgegengetreten wäre, könnte uns sein Kampf nicht zum Beispiel dienen. Er würde dann nur besagen, dass Gott fähig war, ein Geschöpf zu überwinden und in die Flucht zu schlagen, das Er selbst erschaffen hatte. Aber zu sehen, dass hier Einer, der in jeder Beziehung Mensch war und sich – ausgenommen die Sünde – in allen menschlichen Umständen befand, in Schwachheit und Hunger, umgeben von allen Folgen des menschlichen Falles, dennoch über den schrecklichen Feind triumphierte, das ist es, was für uns so voll Trost, Kraft, Ermutigung und Erquickung ist.
Wie triumphierte der Herr? Der Mensch Christus Jesus besiegte den Feind einfach durch das Wort Gottes, nicht als der allmächtige Gott, sondern als der demütige, abhängige und gehorsame Mensch. Ein Mensch wurde in die Gegenwart des Teufels gestellt und besiegte diesen vollständig, nicht durch die Entfaltung göttlicher Macht, auch nicht mit irgendeiner anderen Waffe, sondern einfach durch das Wort Gottes, das in seinem Herzen und in seinem Mund war.
Beachten wir ferner, dass der Herr sich nicht mit Satan in einen Streit einließ. Er berief sich nicht auf Tatsachen, die sich auf ihn bezogen, und die dem Feind wohl bekannt waren. Das hätte für uns kein Beispiel sein können. Die wichtige Lehre aus der Versuchungsgeschichte unseres großen Vorbildes besteht darin, dass Er sich in allen Versuchungen des Feindes ausschließlich der Waffe bediente, die auch wir besitzen, nämlich des geschriebenen Wortes Gottes, und zwar berief Er sich auf das Buch, das Ungläubige besonders angreifen, das aber vornehmlich das Buch für jeden gehorsamen Menschen ist, der angesichts des hoffnungslosen Verfalls lebt. „Leben von jedem Wort Gottes“ ist die einzige sichere und glückselige Einstellung für den Menschen, und wir dürfen wohl hinzufügen: eine gesegnete Haltung, mit der sich nichts in dieser Welt vergleichen lässt. Sie bringt die Seele durch das Wort in eine lebendige und persönliche Verbindung mit dem Herrn und macht uns so das Wort Gottes in jeder Beziehung lebensnotwendig.
Wie das Brot zur Erhaltung des natürlichen Lebens, so dient das Wort zur Erhaltung des geistlichen. Aber nicht, indem wir uns nur zur Bibel wenden, um bestimmte Lehrsätze kennen zu lernen oder unsere Meinungen und Ansichten darin bestätigt zu finden, sondern indem wir sie zur Hand nehmen, um Licht, Nahrung, Leitung, Trost und Kraft, ja, alles, was der neue Mensch braucht, in ihr zu finden. Jesus, unser großes Vorbild, ging nicht einen Schritt, sprach nicht ein Wort, tat nicht das Geringste ohne die Autorität des Wortes Gottes. Ohne Zweifel hätte Er die Steine in Brot verwandeln können, aber Er hatte dazu kein Gebot von Gott empfangen, und darum gab es für ihn kein Motiv zum Handeln.
Beachten wir auch, dass der Herr die Schrift nicht anführte, um den Widersacher zum Schweigen zu bringen, sondern einfach als Grundlage für sein Verhalten. In diesem Punkt versagen wir leicht. Wir benutzen das Wort mehr zum Besiegen des Feindes, als dass wir seine Macht und Autorität auf unsere eigenen Herzen anwenden, und dadurch verliert es seine Kraft in unseren Herzen. Wir müssen das Wort gebrauchen wie ein Hungriger das Brot, und wie ein Seemann seine Karte und seinen Kompass, d. h. als das, wovon wir leben und kraft dessen wir denken, reden, handeln und wandeln. Je mehr wir dies tun, umso mehr werden wir seinen unendlichen Wert kennenlernen. Wer weiß den Wert des Brotes mehr zu schätzen, ein Chemiker oder ein hungriger Mensch? Ohne Zweifel der Letztere. Jener kann seine verschiedenen Bestandteile feststellen und genau beschreiben; aber nur der Hungrige kennt seinen wahren Wert. Wer kennt den Wert einer genauen Seekarte am besten? Der Lehrer an der Seefahrtsschule? Nein, der Seemann, wenn er an einer unbekannten und gefährlichen Küste entlangsteuert.
Das sind nur schwache Bilder, aber sie geben doch einen Begriff davon, was das Wort Gottes für den treuen Christen bedeutet. Er kann es nicht entbehren. Seine Seele wird durch das Wort genährt und erhalten und sein praktisches Leben wird durch das Wort geleitet. In persönlichen und familiären Fragen und bei seiner täglichen Arbeit kann nur das Wort Gottes sein Führer und Ratgeber sein.
Niemals wird es den im Stich lassen oder enttäuschen, der einfach darauf vertraut. Wir werden im Wort Gottes immer das finden, was wir brauchen. Haben wir Kummer und Sorgen, was könnte uns dann mehr beruhigen und trösten als die Worte, die der Heilige Geist für uns hat niederschreiben lassen? Ein einziger Vers der Heiligen Schrift kann in dieser Beziehung mehr tun als alle menschlichen Beileidsbezeugungen und Trostbriefe. Sind wir beunruhigt durch Streitfragen oder andere Schwierigkeiten, die sich auf religiösem Gebiet ergeben, genügen meist wenige Stellen der Heiligen Schrift, um unser Herz und Gewissen wieder mit göttlichem Licht zu erfüllen und völlig zu beruhigen, jede Frage zu beantworten und jeden Zweifel zu beseitigen. Sie teilen uns die Gedanken Gottes mit und machen durch ihre göttliche Autorität jedem Streit ein Ende.