Die Züchtigung Gottes
Eine Bestätigung für diesen Beweggrund Moses scheint auch aus den Worten hervorzugehen: „Hütet euch, dass ihr nicht des Bundes des Herrn, eures Gottes, vergesst, den er mit euch geschlossen hat, und euch ein geschnitztes Bild macht, ein Gleichnis von irgendetwas, dass der Herr, dein Gott, dir verboten hat. Denn der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer, ein eifernder Gott!“ (V. 23.24).
Wie ernst reden diese Worte zu uns! Lasst uns nicht versuchen, durch eine falsche Vorstellung von der Gnade die Heiligkeit Gottes abzuschwächen und den ernsten Ermahnungen des Wortes dadurch die Spitze abzubrechen, dass wir sagen: „Gott ist ein verzehrendes Feuer für die Welt.“ Ohne Zweifel wird Er das einmal für sie sein, heute aber handelt Er noch in Gnade und Geduld mit ihr. Der Apostel Petrus sagt uns: „Denn die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Haus Gottes, wenn aber zuerst bei uns, was wird das Ende derer sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen!“ (1Pet 4,17). Weiter lesen wir in Hebräer 12,29: „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ Es wird hier nicht gesagt, was Gott einst für die Welt sein wird, sondern was Er jetzt für uns ist.
Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer, ein eifernder Gott, und zwar, um das Böse aus uns und aus unseren Wegen zu entfernen. Er kann nichts in uns dulden, was ihm und seiner Heiligkeit und damit auch unserem echten Glück und unserem wirklichen und bleibenden Segen im Weg steht. Als der „heilige Vater“ handelt Er so mit uns, wie es seiner selbst würdig ist. Er züchtigt uns, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Der Welt erlaubt Er jetzt, ihre eigenen Wege zu gehen, und befasst sich nicht öffentlich mit ihr. Aber Er richtet sein Haus, Er züchtigt seine Kinder, damit sie völliger seinen Gedanken entsprechen und seinen Charakter darstellen. Ist das nicht ein gewaltiges Vorrecht? Ja wirklich, ein Vorrecht, das in der unendlichen Gnade unseres Gottes begründet ist. Er beschäftigt sich mit uns und ist an allem interessiert, was uns angeht. Er selbst befasst sich mit unseren Schwachheiten, Fehlern und Sünden, um uns davon zu befreien und an seiner Heiligkeit teilhaben zu lassen.
Der Anfang von Hebräer 12 behandelt in sehr verständlicher Weise denselben Gegenstand (Heb 12,5-11).
Wir können des Herrn Züchtigung auf dreierlei Weise aufnehmen: Wir können sie „gering achten“, sie als etwas Unangenehmes ansehen, das jedem passieren kann, und erkennen dann nicht die Hand Gottes darin. Zweitens können wir unter der Züchtigung „ermatten“, sie für unerträglich halten und für etwas, das über unsere Kräfte geht. Dann erkennen wir nicht die gnädigen Absichten des Vaters, der uns an seiner Heiligkeit teilhaben lassen will. Drittens können wir „durch sie geübt“ werden. Das ist der Weg, um dann „die friedsame Frucht der Gerechtigkeit“ zu ernten. Wir sollten nichts „gering achten“, worin wir die Spuren des Handelns und der Absichten Gottes sehen können. Wir brauchen nicht in einer Prüfung zu „ermatten“, in der wir das Herz eines liebenden Vaters erkennen. Er wird nie erlauben, dass wir scheitern. Der Herr befiehlt uns in Johannes 17 der Fürsorge des „heiligen Vaters“ an, damit Er uns in seinem Namen und in allem, was dieser Name in sich schließt, bewahren solle. Wir können sicher sein, dass jede Züchtigung ein Beweis seiner Liebe ist und eine Antwort auf dieses Gebet.
Wir können uns also der Züchtigung Gottes unterwerfen, uns ergeben oder aber uns darüber freuen. Diese drei Haltungen können wir einnehmen. Wo der eigene Wille gebrochen ist, da ist Unterwerfung. Kennt man die Absicht der Züchtigung Gottes, so findet sich stille Ergebenheit. Ist jedoch wirkliche Zuneigung zum Vater vorhanden, dann erfüllt Freude das Herz. Man zieht dann fröhlich seinen Weg weiter und erntet die friedsame Frucht der Gerechtigkeit zum Preis dessen, der es sich in seiner unergründlichen Liebe zur Aufgabe gemacht hat, für uns zu sorgen.
Wer diese Zusammenhänge versteht, gewinnt daraus Kraft für Prüfungen und Übungen. Wir sind in der Hand Gottes, dessen Liebe unendlich, dessen Weisheit unfehlbar, dessen Macht unbegrenzt ist und dessen Mittel zur rechtzeitigen Hilfe unerschöpflich sind. Warum sollten wir also jemals niedergeschlagen sein? Wenn Er uns züchtigt, so geschieht es, weil Er uns liebt und unser Bestes sucht. Wir mögen die Züchtigungen für schwer und bitter halten oder fragen, wie denn die Liebe uns solche Schmerzen und Leiden auferlegen kann. Doch wir dürfen daran denken, dass die göttliche Liebe weise und treu ist und dass sie uns Krankheit und Betrübnis nur zu unserem Nutzen und zu unserem Segen auferlegt. Wir beurteilen die Liebe sehr oft falsch. Warum legt zum Beispiel eine Mutter ihrem Kind, das sie liebt, ein Zugpflaster auf? Sie weiß, dass dieses Pflaster ihrem Kind Schmerzen verursachen wird, und doch legt sie es auf. Sie weiß, dass es notwendig ist. Sie weiß vielleicht auch, dass, menschlich gesprochen, das Leben ihres Kindes davon abhängt, und dass nach kurzem Schmerz die Gesundheit wiederkehren wird. Während das Kind mit den vorübergehenden Schmerzen beschäftigt ist, denkt die Mutter an das Wohl ihres Lieblings. Könnte das Kind die Gedanken der Mutter lesen, so wären die Schmerzen, die das Pflaster verursacht, nicht halb so schlimm.
Genauso ist es im Blick auf die Erziehungsweise unseres Vaters mit uns. Wenn wir das immer im Gedächtnis behielten, so würden wir leicht alles, was Er uns auferlegt, ohne Klagen ertragen. Wenn wir ein geliebtes Kind Gottes oder einen treuen Knecht des Herrn jahrelang unter schweren Leiden sehen, so mögen wir fragen, warum das so ist. Vielleicht ist der Leidende selbst nahe daran, unter der Last seines Leidens zusammenzubrechen. Vielleicht ruft er aus: „Warum muss ich so leiden? Kann das Liebe sein? Ist das die liebevolle Fürsorge des Vaters?“ Doch der Glaube antwortet: „Ja, das ist alles Liebe. Ich weiß, dass diese vorübergehenden Leiden eine ewige Segnung für mich bewirken. Ich weiß, dass mein liebender Vater mich durch diese Trübsal gehen lässt, um mich von den Schlacken zu reinigen und in mir sein Bild deutlicher hervorzubringen. Ich weiß, dass die göttliche Liebe das Beste für mich tut und dass daher auch das schwere Leiden am besten für mich ist. Ich weiß, dass mein Vater selbst am Schmelztiegel sitzt, um in seiner unendlichen Gnade und Geduld den Reinigungsprozess zu überwachen, und dass Er mich sogleich herausnehmen wird, wenn das Werk getan ist.“
Das ist der richtige Weg und der rechte Geist, in dem wir durch jede Züchtigung hindurchgehen sollten, mag sie nun in körperlichen Leiden, im Verlust geliebter Angehöriger, unseres Besitzes oder in niederdrückenden Umständen anderer Art bestehen. Entdecken wir in allem die liebende Hand unseres Gottes und die Spuren seiner Treue und Fürsorge für uns, so können wir inmitten der Trübsale überwinden und Gott verherrlichen. Jede Unzufriedenheit weicht dann. Unsere Herzen werden mit Ruhe und Frieden erfüllt und unser Mund wird loben und anbeten können.
In den verbleibenden Versen dieses Kapitels wendet sich der treue Knecht Gottes in Liebe mit Warnungen und Bitten an die Gewissen seiner Zuhörer, um ihnen von neuem die Notwendigkeit eines unbedingten Gehorsams vorzustellen. Wenn er sie an den eisernen Ofen Ägypten erinnert, aus dem der Herr sie in seiner Gnade errettet hatte, wenn er bei den mächtigen Zeichen und Wundern verweilt, die Gott getan hatte, wenn er ihren Blick auf die Herrlichkeit des Landes lenkt, in das sie kommen sollten, wenn er endlich die wunderbare Handlungsweise Gottes mit ihnen während der Wüstenreise schildert, so geschieht das alles nur mit der Absicht, die Ansprüche des Herrn auf ihren Gehorsam zu begründen. Die Schilderung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sollte dazu dienen, in ihren Herzen eine völlige Hingabe an ihren Erretter zu bewirken. Sie hatten wirklich alle Ursache, zu gehorchen, und keine Entschuldigung rechtfertigte ihren Ungehorsam. Ein Rückblick auf ihre Geschichte, von Anfang bis Ende, konnte tatsächlich den Ermahnungen und Warnungen Moses eine überzeugende Kraft verleihen.