Die Erziehung der Kinder
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird das Volk besonders hingewiesen auf die ernsten Vorgänge am Berg Horeb, die sich tief und bleibend in ihre Herzen hätten einprägen sollen. „An dem Tag, als du vor dem Herrn, deinem Gott, am Horeb standest, als der Herr zu mir sprach: ‚Versammle mir das Volk, dass ich sie meine Worte hören lasse‘, – das ist stets das wichtige Ziel Gottes, sein Volk in unmittelbare, lebendige Verbindung mit seinem ewigen Wort zu bringen, – „die sie lernen sollen, um mich zu fürchten alle die Tage, die sie auf dem Erdboden leben, und die sie ihre Kinder lehren sollen . . . “ (V. 10).
Wir sehen hier, welch eine innige Verbindung zwischen dem Hören des Wortes Gottes und der Furcht vor seinem Namen besteht. Dies ist einer der Grundsätze, die sich nie ändern, nie ihre Kraft und Gültigkeit verlieren. Das Wort und der Name Gottes gehören immer zusammen, und ein Christ, der den Namen Gottes liebt, wird sein Wort ehren und sich in allen Dingen unter seine heilige Autorität beugen. „Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht“ (Joh 14,24). „Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner, und in diesem ist die Wahrheit nicht. Wer aber irgend sein Wort hält, in diesem ist wahrhaftig die Liebe Gottes vollendet“ (1Joh 2,4.5). Jeder, der Gott wirklich liebt, wird sein Wort ins Herz aufnehmen, und wo das Wort lebendig ins Herz eingedrungen ist, da wird sein heiliger Einfluss auch im ganzen Leben, Charakter und Benehmen gesehen werden. Gott hat uns sein Wort gegeben, damit es unser Verhalten bestimmt und unseren Charakter bildet. Wenn sein Wort diese praktische Wirkung nicht auf uns ausübt, so ist es Heuchelei, von der Liebe zu ihm zu reden.
Beachtenswert ist auch die ernste Verantwortung Israels in Bezug auf die Kindererziehung. Die Israeliten sollten nicht nur „hören“ und „lernen“, sondern das Gelernte auch an ihre Kinder weitergeben. Diese Pflicht haben Eltern stets; vernachlässigen sie diese Pflicht, wird Gott sie nicht ungestraft lassen. Welche Bedeutung Gott diesem Punkt beimisst, können wir aus den Worten an Abraham entnehmen: „Denn ich habe ihn (Abraham) erkannt, dass er seinen Kindern und seinem Haus nach ihm befehle, damit sie den Weg des Herrn bewahren, Gerechtigkeit und Recht auszuüben, damit der Herr auf Abraham kommen lasse, was er über ihn geredet hat“ (1Mo 18,19).
Gott hat immer Wohlgefallen gehabt an einem Familienleben in seiner Furcht und an einer sorgfältigen Erziehung der Kinder. Er wünscht, dass sie nach seinem heiligen Wort erzogen werden, „in der Zucht und Ermahnung des Herrn“ (Eph 6,4). Sie sollen nicht in Unwissenheit, Gedankenlosigkeit und Eigenwillen aufwachsen.
Manchmal lernt man Kinder christlicher Eltern kennen, die in großer Unwissenheit über göttliche Dinge, in Gleichgültigkeit und selbst in offensichtlichem Unglauben aufwachsen. Ermahnt man die Eltern solcher Kinder, so erwidern sie: „Wir können unsere Kinder nicht zu Christen machen. Wir würden sie zu bloßen Formchristen oder Heuchlern erziehen. Es muss ein göttliches Werk an ihnen geschehen, und wenn die von Gott bestimmte Zeit kommt, so wird Er sie schon berufen, falls sie wirklich zu der Zahl seiner Auserwählten gehören. Wenn nicht, so ist all unser Tun umsonst.“
Welch eine Torheit! Wenn ein Landwirt so dächte, würde er wohl kaum sein Feld bestellen. Denn er kann ja auch den ausgestreuten Samen nicht aufgehen lassen und befruchten. Jeder vernünftige Mensch weiß aber, dass Pflügen und Säen der Ernte vorausgehen müssen und dass es die größte Torheit ist, eine Ernte zu erwarten, wenn man nicht vorher gepflügt und gesät hat.
Genauso verhält es sich mit der Erziehung unserer Kinder. Es ist wahr, dass Gott unumschränkt ist. Auch bei unseren Kindern muss die Wiedergeburt stattfinden wie bei allen anderen. Diese Wiedergeburt ist ausschließlich ein Werk, das der Heilige Geist mittels des Wortes hervorbringt. Aber mindert das etwa die große Verantwortung christlicher Eltern, ihre Kinder von den ersten Augenblicken des Lebens an treu und hingebend zu erziehen und zu belehren? Ganz gewiss nicht. Wehe den Eltern, die aus irgendeinem Grund hier ihre Pflicht vernachlässigen! Es ist wahr, dass wir unsere Kinder nicht zu Christen machen können, und wir sollen sie auch nicht zu Formchristen und Heuchlern erziehen. Ja, sind wir überhaupt berufen, sie zu etwas zu machen? Nein, wir werden einfach aufgefordert, unsere Pflicht zu tun, das Weitere aber Gott zu überlassen. Wir werden ermahnt, unsere Kinder zu erziehen „in der Zucht und Ermahnung des Herrn“.
Die ganze christliche Erziehung lässt sich in zwei kurzen Sätzen zusammenfassen: Rechne auf Gott für deine Kinder, und erziehe sie für Gott. Das Erste zu sagen, ohne das Zweite zu tun, ist Leichtfertigkeit, und das Zweite zu tun, ohne das Erste, ist Gesetzlichkeit, beides zusammen dagegen ist gesundes, praktisches Christentum. Es ist das besondere Vorrecht aller christlichen Eltern, für ihre Kinder mit voller Zuversicht auf Gott rechnen zu dürfen. Aber wir sollten wohl beachten, dass dieses Vorrecht mit Verantwortung untrennbar verbunden ist. Sprechen christliche Eltern davon, dass sie in Bezug auf die Errettung ihrer Kinder und in Bezug auf ihre zukünftige Laufbahn auf Gott rechnen, zugleich aber die Erziehung vernachlässigen, dann befinden sie sich in einer großen Selbsttäuschung.
Bestimmte Regeln oder Anleitungen für die Erziehung der Kinder aufzustellen, ist unmöglich. Kinder können nicht nach trockenen Regeln erzogen werden. Wer ist auch imstande, in Regeln auszudrücken, was in einem einzigen Satz enthalten ist: „Ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung des Herrn.“ In diesem Wort haben wir tatsächlich eine goldene Regel, die alles umfasst. Wirkliche christliche Erziehung beginnt mit den ersten Lebenstagen eines Kindes. Man denkt allgemein zu wenig daran, wie bald die Kinder anfangen zu beobachten und wie rasch sie alles in sich aufnehmen, was sie um sich her erblicken; sie sind besonders empfänglich für die sittliche Atmosphäre, die sie umgibt. Ja, unsere Kinder sollten täglich in der Atmosphäre der Liebe und des Friedens, der Reinheit und der praktisch Gerechtigkeit leben.
Wir machen uns keinen Begriff davon, welch eine erstaunliche Wirkung es auf die Bildung ihres Charakters ausübt, wenn sie ihre Eltern in gegenseitiger Liebe und Harmonie sehen, wenn sie bemerken, wie sie in freundlicher und liebevoller Weise miteinander und mit anderen verkehren und stets ein offenes Herz und eine offene Hand für Arme und Kranke haben. Welch eine negative Wirkung muss es auf ein Kind haben, wenn es zum ersten Mal zornige Blicke und unfreundliche Worte zwischen Vater und Mutter sieht und hört. Wenn sogar Tag für Tag Streit und Zank da ist, wenn der Vater der Mutter widerspricht und die Mutter den Vater heruntersetzt – wie können in einer solchen Umgebung die Kinder gedeihen?
Bevor wir dieses wichtige Thema verlassen, möchten wir die Aufmerksamkeit aller christlichen Eltern noch auf einen Punkt lenken, der sehr wichtig ist, aber oft nicht beachtet wird: die Notwendigkeit, unseren Kindern die Pflicht eines unbedingten Gehorsams einzuprägen. Wir können nicht genug darauf dringen, denn es berührt die Ordnung und das Wohl unserer Familien und steht in unmittelbarer Verbindung mit der Verherrlichung Gottes und der Verwirklichung der Wahrheit, und das ist noch weitaus wichtiger. „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern im Herrn, denn das ist recht.“ Und weiter: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig im Herrn“ (Eph 6,1; Kol 3,20).
Wir sollten diesen Punkt nicht unterschätzen. Das Kind muss von den ersten Augenblicken seines Lebens an lernen zu gehorchen. Es muss lernen, sich der von Gott eingesetzten Autorität zu unterwerfen, und zwar, wie der Apostel hervorhebt, „in allem“. Wenn das nicht von vornherein geschieht, so werden wir erfahren, dass es später fast unmöglich ist. Wird dem Willen des Kindes einmal nachgegeben, so wächst der Eigenwille mit erschreckender Schnelligkeit, und je mehr er wächst, desto schwieriger ist es, ihn zu brechen. Daher sollten christliche Eltern mit Kraft und Ausdauer ihre Autorität behaupten. Zugleich können sie, ohne der Autorität Abbruch zu tun, zart und liebevoll mit den Kindern umgehen. Härte und Barschheit sind fehl am Platz. Gott hat die Zügel der Regierung und die Rute der Autorität in die Hände der Eltern gelegt, aber es zeugt von Unverstand und Schwäche, wenn die Eltern fortwährend an den Zügeln ziehen und die Rute schwingen. Wenn wir einen Menschen fortwährend von seiner Autorität sprechen hören, so können wir annehmen, dass es in diesem Punkt mit ihm schlecht bestellt ist. Wahre sittliche Kraft ist stets von Würde begleitet, die durchaus nicht missverstanden werden kann.
Falsch ist es auch, wenn Eltern ständig in unwesentlichen Dingen den Willen ihrer Kinder unterdrücken. Durch eine solche Behandlung kann wohl das Selbstbewusstsein eines Kindes gebrochen werden, nicht aber sein Wille; und den Eigenwillen zu zügeln, ist doch das Ziel jeder gesunden Erziehung. Ein Kind sollte von der Art und Weise, wie seine Eltern es behandeln, den Eindruck bekommen, dass sie nur sein Bestes suchen, und dass sie ihm nicht etwas verweigern oder untersagen, um seine Freude zu verderben, sondern dass sie auf sein Wohl bedacht sind. Darüber hinaus ist es wichtig, dass jedes einzelne Glied der Familie seine Vorrechte genießt und die auferlegten Pflichten erfüllt. Wenn es nun die Pflicht eines Kindes ist, zu gehorchen, so sind seine Eltern verantwortlich, darauf zu achten, dass diese Pflicht auch erfüllt wird; denn wenn sie vernachlässigt wird, dann müssen andere Glieder der Familie darunter leiden. Ein unartiges und eigenwilliges Kind ist sehr lästig. Ein solches Kind lässt auf eine schlechte Erziehung schließen. Sicherlich sind Kinder sehr verschieden an Gemüt und Geistesanlagen. Es gibt Kinder, die einen besonders starken Willen haben und daher schwierig zu behandeln sind. Aber das mindert in keiner Weise die Verantwortung der Eltern, auf unbedingten Gehorsam zu achten. Wenn Eltern auf Gott rechnen, so wird Er ihnen die nötige Gnade und Kraft schenken. Selbst eine verwitwete Mutter kann mit Zuversicht zu Gott aufblicken, und Er wird sie befähigen, ihren Kindern und ihrem ganzen Haushalt vorzustehen. Es darf in keinem Fall die elterliche Autorität in die Hände eines anderen gelegt werden.
Wie oft lassen sich Eltern durch falsche Zärtlichkeit verleiten, den Eigenwillen ihrer Kinder zu nähren; aber das ist eine Saat auf das Fleisch, und die Ernte wird Verderben sein. Es ist keine echte Liebe, wenn man den Eigenwillen eines Kindes mit Nachsicht behandelt; es dient nicht wirklich dem Glück des Kindes und bereitet ihm auch keine richtige Freude. Ein übermütiges und eigenwilliges Kind ist unglücklich und eine Plage für alle, die mit ihm zu tun haben. Kinder müssen angeleitet werden, an andere zu denken und deren Wohl und Glück zu suchen.
Um Frieden und Eintracht in einer Familie aufrechtzuerhalten, ist es vor allen Dingen nötig, dass „einer den anderen höher achtet als sich selbst“. Wir sind verantwortlich für das Wohl der anderen, die um uns her sind, und nicht für unser eigenes. Wenn alle daran dächten, dann sähe es anders in unseren Häusern aus. Jeder christliche Haushalt sollte den Charakter Gottes widerspiegeln. Ein himmlischer Wesenszug sollte ihn kennzeichnen. Doch wie ist das möglich? Einfach dadurch, dass alle in den Fußstapfen Jesu wandeln und seine Gesinnung offenbaren. Er gefiel nie sich selbst, suchte nie das Seine. Er tat allezeit das, was dem Vater wohlgefiel. Er kam, um zu dienen und zu geben. Er ging umher, „wohl tuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren“ (Apg 10,38). So war es stets bei unserem Herrn, dem gnädigen und liebenden Freund all derjenigen, die bedürftig, schwach und bekümmert waren.
Wenn die verschiedenen Glieder aller christlichen Familien sich nach diesem vollkommenen Vorbild ausrichteten, so würden wir etwas von der Kraft eines persönlichen und häuslichen Christentums verwirklichen. Die Worte: „du und dein Haus“, enthalten einen Grundsatz, der sich von Anfang bis Ende durch das Wort Gottes zieht. Wir finden zu unserem Trost und unserer Ermunterung, dass in den Tagen der Patriarchen, des Gesetzes und des Christentums eine persönliche und auch häusliche Frömmigkeit Gott sehr wohlgefiel und zur Verherrlichung seines Namens beitrug.
Wir kommen jetzt zu der eindringlichsten Warnung vor dem Götzendienst, einer schrecklichen Sünde, zu der der Mensch in der einen oder anderen Form immer neigt. Um Götzendienst auszuüben, brauchen wir uns nicht vor einem geschnitzten Bild niederzubeugen. Wir sollten daher die ernsten Worte des ehrwürdigen Gesetzgebers überdenken. Sie sind zu unserer Belehrung aufgeschrieben worden.