Persönliche und familiäre Verantwortung
Und doch können wir so schnell abirren, uns von mancherlei Dingen um uns herum beeinflussen und uns von dem schmalen Weg des Gehorsams abziehen lassen. Wir brauchen uns deshalb nicht zu wundern, dass Mose diese Ermahnungen wiederholt den Herzen und Gewissen seiner Zuhörer einzuprägen sucht. Er schüttet gleichsam sein Herz vor der Gemeinde aus. „Nur hüte dich und hüte deine Seele sehr, dass du die Dinge nicht vergisst, die deine Augen gesehen haben, und dass sie nicht aus deinem Herzen weichen alle Tage deines Lebens! Und tu sie deinen Kindern und deinen Kindeskindern kund!“ (V. 9).
Diese Worte enthalten zwei beachtenswerte Dinge, nämlich die persönliche Verantwortung und die Verantwortung für unser Haus einerseits und andererseits auch unser persönliches Zeugnis und das Zeugnis, das von unserem Haus ausgeht. Das Volk Israel sollte sich sorgfältig hüten, dass es die Worte Gottes nicht vergaß. Zugleich wurde es dafür verantwortlich gemacht, seine Kinder und seine Kindeskinder darin zu unterweisen. Sind wir nun mit dem helleren Licht und mit den größeren Vorrechten, die wir besitzen, weniger verantwortlich als Israel damals? Sicherlich nicht. Wir werden ermahnt, mit aller Sorgfalt das Wort Gottes zu lesen, zu erforschen und auf uns wirken zu lassen. Es genügt nicht, in unseren täglichen Andachten einige Verse, ein Kapitel oder einen Abschnitt zu lesen. Vielmehr sollte die Bibel der erste und wichtigste Gegenstand unseres eingehenden Studiums sein, das Buch, an dem wir uns erfreuen und durch das wir erfrischt und gestärkt werden.
Es ist leider nur zu wahr, dass manche unter uns das Lesen der Bibel als eine Pflichtsache ansehen, während sie ihr Vergnügen und ihre Erholung in Zeitungen und anderer leichter Lektüre finden. Wundern wir uns da über die schwache und seichte Erkenntnis der Schrift, die man bei solchen Christen antrifft? Wie können wir die lebendigen Tiefen und die Herrlichkeit eines Buches erfassen, das wir nur aus Pflichtgefühl zur Hand nehmen und aus dem wir von Zeit zu Zeit einige Verse lesen, während wir die Zeitung oder einen spannenden Roman buchstäblich verschlingen?
Was bedeuten die folgenden Worte, die an Israel gerichtet wurden: „Und ihr sollt diese meine Worte auf euer Herz und auf eure Seele legen und sie zum Zeichen auf eure Hand binden, und sie sollen zu Stirnbändern zwischen euren Augen sein“ (Kap. 11,18)? Das Herz, die Seele, die Hand und die Augen, alles sollte mit dem Wort Gottes in Verbindung stehen. Das Lesen des Wortes und das Halten der Gebote muss eine Herzenssache sein. Eine leere Form nützt gar nichts. „Und lehrt sie eure Kinder, indem ihr davon redet, wenn du in deinem Haus sitzt, und wenn du auf dem Weg gehst, und wenn du dich niederlegst, und wenn du aufstehst; und schreibe sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore“ (Kap. 11,19.20). Hat das Wort Gottes einen solchen Platz in unseren Herzen, in unseren Häusern und Gewohnheiten? Merken die, die in unseren Häusern oder in anderer Weise mit uns in Berührung, kommen, dass das Wort Gottes unsere Richtschnur ist?
Das sind ernste, herzerforschende Fragen. Die Art und Weise, wie wir mit Gottes Wort umgehen, ist ein Barometer für unseren geistlichen Zustand. Wenn wir es nicht gern lesen, nicht danach dürsten, uns nicht daran erfreuen können, nicht nach einer ruhigen Stunde verlangen, wo wir uns in seinen Inhalt vertiefen und uns seine erhabenen Lehren einprägen können, wenn wir nicht persönlich in der Stille darüber nachdenken und uns im Familienkreis darüber unterhalten, kurz, wenn wir uns nicht in seiner heiligenden Atmosphäre bewegen, dann ist es dringend notwendig, unseren geistlichen Zustand zu überprüfen, weil er nicht gesund ist. Die neue Natur liebt das Wort Gottes, sie sehnt sich danach, wie wir in 1. Petrus 2,2 lesen: „Wie neugeborene Kinder seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr durch diese wachst zur Errettung.“ Wenn wir nicht begierig sind nach der reinen Milch des Wortes Gottes und uns nicht davon nähren, so befinden wir uns in einem niedrigen und gefährlichen Zustand. Es mag vielleicht an unserem äußeren Verhalten nichts Anstößliches zu bemerken sein und auch in unseren Wegen nichts vorhanden sein, durch das der Herr verunehrt wird, aber wir betrüben sein liebendes Herz, wenn wir sein Wort vernachlässigen.
Es ist Selbstbetrug, uns für lebendige Christen zu halten, wenn wir sein Wort nicht lieben, noch danach leben. Es ist Selbstbetrug, sich einzubilden, das neue Leben könne in einem gesunden Zustand sein, während wir aus Gewohnheit das Wort Gottes persönlich und in der Familie vernachlässigen.
Es ist nicht unsere Meinung, dass man außer der Bibel kein anderes Buch lesen sollte. Dann hätten wir sicherlich diese „Gedanken“ nicht geschrieben. Aber wir müssen sehr wachsam sein bei der Frage, wie und was wir lesen sollen. Wir werden ermahnt, alles zu tun im Namen Jesu und zur Verherrlichung Gottes. Dazu gehört auch das Lesen.
Hat das Wort den richtigen Platz in unseren Herzen, so wird es ihn ohne Zweifel auch in unseren Häusern haben. Aber wenn es keine Anerkennung in der Familie findet, so ist es schwer zu glauben, dass es den richtigen Platz im Herzen hat. Jedes Familienhaupt sollte das ernstlich überdenken. Der Hausvater sollte seine Kinder und alle, die zum Haushalt gehören, täglich versammeln, um einige Verse aus dem Wort Gottes zu lesen und Worte des Gebets zum Thron der Gnade emporzusenden. Eine solche Gewohnheit stimmt sicher mit der Lehre des Alten wie des Neuen Testaments überein und ist nicht nur gesegnet und erbaulich, sondern ist auch Gott wohlgefällig.
Was halten wir von einem Christen, der nie betet und nie in der Stille Gottes Wort liest? Ist er ein wahrer Christ? Wir müssen daran zweifeln, ob er wirklich göttliches Leben hat. Das Gebet und das Lesen des Wortes Gottes sind notwendige Voraussetzungen für eine gesunde und kräftige Entwicklung des christlichen Lebens, so dass ein Mensch, der beides aus Gewohnheit vernachlässigt, in einem sehr gefährlichen Zustand ist. Wenn das nun für einen Einzelnen zutrifft, wie kann dann eine Familie in einem guten Zustand sein, wenn sie nie zu gemeinsamem Lesen und Gebet zusammenkommt? Was für ein Unterschied besteht zwischen einer solchen Familie und einem heidnischen Haushalt? Ist es nicht sehr betrübend, solche zu finden, die ein so erhabenes Bekenntnis ablegen und ihren Platz am Tisch des Herrn einnehmen, zugleich aber in grober Vernachlässigung des gemeinsamen Lesens des Wortes Gottes und des gemeinsamen Gebets dahinleben?
Welch ein Vorzug ist es doch, dass jeder, den Gott zum Haupt eines christlichen Haushaltes gesetzt hat, alle Glieder seines Hauses um das Wort versammeln und gemeinsam mit ihnen sein Herz vor Gott ausschütten darf! Ja, es ist sogar die besondere Pflicht eines Familienhauptes, das zu tun. Es ist durchaus nicht notwendig, einen langen ermüdenden Dienst daraus zu machen. Im Gegenteil, sowohl in unseren Häusern als auch in unseren öffentlichen Versammlungen wird ein kurzer, frischer und lebendiger Dienst mehr zur Erbauung dienen. Natürlich lässt sich hierüber keine Regel aufstellen. Könnten wir doch wie Josua sagen: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“ (Jos 24,15). Mögen dann andere tun, was sie wollen.
Damit soll nicht gesagt sein, dass das Gebet und das Lesen des Wortes im Familienkreis alles umschließt, was in diesen wichtigen Worten: „Wir wollen dem Herrn dienen“, enthalten ist. Dieser Dienst umfasst alles, was zu unserem persönlichen und häuslichen Leben gehört, selbst die scheinbar unbedeutendsten Einzelheiten. Aber wir sind überzeugt, dass in einem Haushalt nichts recht verlaufen kann, wenn das Lesen des Wortes und das Gebet vernachlässigt werden.
Man kann einwenden, dass es manche Familien gibt, die mit aller Pünktlichkeit morgens und abends ihre Bibel lesen und gemeinsam beten, deren häusliches Leben aber von früh bis spät in offenem Widerspruch zu ihrem Hausgottesdienst steht. Der Vater der Familie geht den Seinen nicht durch freundliches Verhalten als gutes Beispiel voraus, sondern ist mürrisch und launenhaft, barsch und ungenießbar zu seiner Frau und ist streng und hart zu seinen Kindern. Stets bemängelt er das, was auf den Tisch gebracht wird, nachdem er kurz vorher Gott dafür gedankt hat. Die Hausfrau und Mutter macht es auch nicht besser, und die Kinder folgen ihr darin. Im ganzen Haus gibt es nichts als Unordnung und Verwirrung. Mit einem Wort, der Ton des Hauses ist unchristlich und passt nicht zu dem Bekenntnis. Und so wie es in dem Haus einer solchen Familie aussieht, so steht es auch in ihrem Geschäft. Man findet nichts von Gott, nichts von Christus, nichts, was sie von den Kindern der Welt um sie herum unterscheidet; ja, deren Verhalten könnte sie oft beschämen und ihnen als ein Muster vorgehalten werden.
Unter solchen traurigen Umständen ist allerdings von dieser sonst so wertvollen Gewohnheit nichts zu halten. Dann ist alles nur eine leere Form. Das vermeintliche Morgen- und Abendopfer wird zu einer Morgen- und Abendlüge, ja, zu einer Verspottung und Beleidigung Gottes. In einem solchen Haus kann von einem gemeinschaftlichen Zeugnis für Gott keine Rede sein. Es fehlt die praktische Gerechtigkeit und Heiligkeit, die „feine Leinwand“, die, wie wir in Offenbarung 19,8 lesen, „die Gerechtigkeiten der Heiligen“ sind. Die ernsten Worte des Apostels in Römer 14,17 sind gänzlich in Vergessenheit geraten: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.“
Wir haben damit ein düsteres Bild gezeichnet, wie es sich unter Gläubigen hoffentlich nur selten findet. Aber wenn es in unseren Häusern auch nicht gerade so traurig aussieht, so ist doch nicht selten ein großer Mangel an wahrer, praktischer Gerechtigkeit in unseren Familien festzustellen. Den Tag mit einem Familiengottesdienst zu beginnen und zu beenden, im Übrigen aber in Ungöttlichkeit, Leichtfertigkeit und Eitelkeit zu leben, gibt nichts anderes als ein hässliches Zerrbild. Es passt nicht zusammen, einen Abend mit weltlichen Dingen, mit Scherzen und Witzen auszufüllen und ihn dann mit ein wenig Religion in Form eines Gebetes oder des Lesens eines biblischen Abschnittes zu beenden.
Wie schade, wenn diese Dinge in Verbindung mit dem heiligen Namen Jesu Christi, mit seiner Versammlung oder mit der Teilnahme an seinem Tisch gefunden werden. Wir haben in unserem Privatleben, in unserem täglichen Umgang mit anderen, in unserem Beruf alles mit einem Maß zu messen, und dieses Maß ist Christus. Die einzig wichtige Frage im Blick auf unser Verhalten ist: „Wird der Herr, zu dem ich mich bekenne, dadurch verherrlicht?“ Wenn nicht, so lasst uns mit aller Entschiedenheit diesen Dingen den Rücken kehren. Lasst uns niemals fragen: „Was ist denn Böses dabei?“ Wer so fragt, beweist, dass Christus nicht alles ist, was sein Herz ausfüllt.
Wenn wir ein so hohes Bekenntnis haben, sollten wir mit allem Ernst über unsere Wege nachdenken und den Zustand unserer Herzen in ihrer Stellung zu Christus prüfen. Denn wenn das Herz nicht aufrichtig in diesem Punkt ist, so fehlt auch in unserem persönlichen Leben, in der Familie, im Beruf und auch in der Versammlung die rechte Gesinnung. Aber wenn das Herz wirklich aufrichtig ist, so ist auch alles andere in Ordnung.
Enthält die feierliche Erklärung des Apostels am Schluss seines ersten Korintherbriefes nicht eine ernste Belehrung für uns? „Wenn jemand den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat, der sei verflucht; Maranatha!“ Im Verlauf dieses Briefes hat er sich mit verschiedenen Formen von Irrlehren und sittlichen Verderben auseinander gesetzt; aber anstatt abschließend sein Urteil darüber auszusprechen, wendet er sich mit heiliger Entrüstung an jeden Einzelnen, der den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat. Die Liebe zu Christus ist der einzige Schutz vor jeder Art von Irrtum und Bösem. Ein Herz, das mit Christus erfüllt ist, hat keinen Raum für etwas außer ihm; aber wenn keine Liebe zu ihm vorhanden ist, so ist allen Irrtümern der Zutritt geöffnet.